Zu einer Zeit als Pokemon und Digimon der totale Renner war, entwickelte die damals 10jährige Sarah ihre eigene Welt Tamandonia. Dort lebten zahlreiche von ihr erfundene Geschöpfe friedlich nebeneinander her. Doch nun, 10 Jahre später, liegt ein Schatten über der fernen Welt. Und die einzige, die hier noch eingreifen kann, ist die Schöpferin Tamandonias selbst, Sarah.
Ich war richtig erstaunt, welche Fertigkeiten er hatte. Er tippte schneller als ich jemals einen Menschen hatte tippen sehen. Seine Finger, deren Krallen jetzt übrigens eingefahren waren, flitzten von Buchstabe zu Buchstabe. „Nur dass ich das jetzt richtig verstehe: Ihr sprecht in Tamandonia alle Deutsch?“, fragte ich erstaunt. Cumino nickte: „Naja, tamandonisch … aber das ist dasselbe. Fragst du allerdings jemanden aus Tamandonia, ob er Deutsch spricht, so wird er dich groß anschauen und dich für verrückt halten. Auf ganz Tamandonia gibt es nur eine Sprache. Nicht so wie auf der Erde.“ Er grinste als er eine Mail las. „Was denn?“, fragte ich und schaute ihn an. „Spam…“, sagte er und schüttelte den Kopf, „‘Träumen Sie von einer Schwanzverlängerung?‘“ Ich lachte: „So etwas gibt es bei euch auch?“ Er nickte. „Ähm, Moment mal!“, unterbrach ich ihn, „Von welchem Schwanz sprechen wir denn hier?“ Cumino grinste: „Mir war klar, dass früher oder später so eine Frage kommen würde. Und jetzt kam sie noch früher als gedacht.“ Ich grinste verschämt. „Es handelt sich hierbei um den Schwanz, also den richtigen, so wie ihn bei euch Tiere haben. Der Schwanz ist bei uns wie ein Statussymbol. Je länger, desto besser.“ Ich lachte: „Es kommt also doch auf die Größe an!“ Cumino bleckte mir seine spitze dunkelblaue Zunge. „Der Schwanz wächst bei uns mit jedem gewonnenen Duell.“, erklärt er. „Dann hast du ja noch nicht so viele gewonnen.“, bemerkte ich. „Na hör mal!“, sagte er angegriffen, „Das ist doch jetzt nur sein Normalzustand…“ „Der kann auch noch anders?“, fragte ich grinsend. „Ja… im Zweikampf wächst er auf seine wahre Größe.“, erklärte er mit erhobenem Finger. Ich prustete los: „Im Zweikampf…!“ „Ach komm!“, meinte er fast etwas beleidigt, „Du bist so albern!“ Ich lachte weiter. „Und außerdem hab ICH mir das nicht ausgedacht…“, gab er zu, verschränkte die Arme und tat als würde er schmollen. „Schon gut…“, sagte ich und mein Lachen verstummte.
Mittlerweile hatte ich mich wieder zurück ins Bett gelegt und als Cumino mich ansprach, merkte ich, dass ich ein wenig gedöst hatte. „Sag mal, schläfst du schon wieder?!“ „Was heißt denn hier „schon wieder“?“, fragte ich ihn gähnend, „Wenn du mich nicht geweckt hättest, schliefe ich jetzt immer noch!“ Er seufzte: „Wir haben echt keine Zeit.“ „Wer sitzt denn hier stundenlang vor dem PC? Du oder ich?!“, brummelte ich und setzte mich auf. „Ich musste etwas Wichtiges nachschauen und ich habe auch gefunden, was ich gesucht habe.“, sagte er stolz und stand auf. Dann ging er zwei Schritte auf mich zu und reichte mir seine Hand: „Nun komm. Zieh dich an! Wir müssen echt los!“ Dabei schaute er mir vertrauensvoll in die Augen und ich tat, was er mir sagte.
„Ich habe einen Weg gefunden, wie ich auf der Erde die Zeit anhalten kann. Dann können wir nach Tamandonia zurück und es vor dem Untergang bewahren und wenn du wieder hierher zurück kommst, ist alles noch genauso wie es jetzt im Moment ist. Du wirst in deinem Bett liegen, schlafen und alles, was du erlebt hast, womöglich für einen sehr seltsamen Traum halten.“, sagte er, als ich mir die Schuhe band. „Ist es denn ein Traum?“, wollte ich wissen und blickte ihn an. „Nein, es ist kein Traum. Es passiert alles wirklich. Tamandonia ist wie die Erde. Du wirst dort alles anfassen können, du wirst Schmerz fühlen können, alles! Daher musst du gut auf dich aufpassen. Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“, meinte er und blickte mir dabei tief in die Augen. „Was genau passiert denn mit Tamandonia?“, fragte ich ihn. „Das werde ich dir auf dem Weg dorthin erklären. Wir haben eine lange Reise vor uns.“, sagte er und seine Augen funkelten neonblau. Ich erschrak und wisperte: „Was tust du?“ Doch statt einer Antwort wurde nur sein Schwanz immer länger und länger. Ich war erstaunt. In jede Ecke meines Zimmers quoll ein Stück seines Schwanzes, langsam, aber unaufhaltsam. Plötzlich erlosch das Funkeln seiner Augen und mit einem Mal war sein Schwanz wieder so kurz wie am Anfang. „Mist!“, fluchte er, „Dein Zimmer ist zu klein!“ Ich schaute ihn mit weitaufgerissenen Augen an und stammelte: „Naja… ich bin Studentin … ähm… was erwartest du?“ „Komm, wir müssen nach draußen!“, sagte er und nahm mich an der Hand. „Stopp!“, wand ich ein, „Wenn das eine lange Reise ist, müssen wir uns etwas zu essen mitnehmen!“ Ich eilte in die Küche, riss den Kühlschrank auf und füllte meinen Rucksack mit allem, was ich finden konnte: Käse, Wurst, Saft, einer Flasche Wasser, Brot, Karotten und einer Tafel Schokolade. Cumino stand direkt hinter mir und machte mir fast Feuer unter dem Hintern, weil ihm das alles zu lange dauerte. Plötzlich ging das Licht in der Küche an. Peter stand verschlafen im Türrahmen und fragte gähnend: „Was tust du hier?“ Cumino stand wie versteinert da. Ich stammelte nur: „Ich ähm… ich …“ „Nächtliche Fressattacken?“, fragte Peter und schaute mich an. „Ähm…“, sagte ich und blickte Cumino an, „Ja… ich hab einen Bärenhunger!“ „Na dann… guten Hunger und lass mir bitte noch was zum Frühstück übrig!“, sagte er und war schon im Begriff zu gehen, da drehte er sich noch einmal um. Ich zuckte wieder zusammen. „Und was ist das eigentlich?“, fragte er und deutete in Cuminos Richtung. „Was?“, fragte ich unschuldig und stellte mich vor Cumino, was ziemlich lächerlich war, denn er war mehr als einen Kopf größer als ich, wenn er auf zwei Beinen stand. „Na das scheußliche Ding da!“, sagte er. Cumino fauchte leise. „Von was redest du, Peter?“, fragte ich wieder, diesmal etwas zittrig. „Na das da!“, er kam wieder näher und ging auf den Küchentisch zu. „Das scheußliche Ding da eben.“, sagt er und deutete auf die Figur, die ich selbst getöpfert hatte. „Ach das!“, sagte ich erleichtert und klärte ihn auf: „Das hab ich selbst getöpfert und es soll einen Drachen darstellen.“ Mir wurde plötzlich heiß. Wieso hatte ich einen Drachen getöpfert? Noch dazu einen, der Cumino zum Verwechseln ähnlich sah? „Ein Drache?“, fragte Peter und schaute die Figur kritisch an: „Seit wann gehen die denn aufrecht auf zwei Beinen und haben Menschenhände?“ „Hast du schon mal einen Drachen gesehen?“, fragte ich ihn schnippisch. „Ne.“, antwortete er. „Tja, siehst du! Dann kannst du ja gar nicht sagen, ob Drachen vielleicht doch aussehen wie meiner!“, sagte ich und grinste Cumino an. Peter blickte in die Richtung, in die ich lächelte. „Alles in Ordnung?“, fragt er, „Hast du irgendwelche Drogen genommen oder so?“ „Nein…“, sagte ich, „Wie kommst du denn darauf?“ „Du bist so komisch… führst Selbstgespräche im Zimmer, plünderst den Kühlschrank, bist… angezogen und hast Schuhe an?!“, stellte er fest. „Ach, weißt du…“, sagte ich, doch da bewegte Cumino schon seinen Schwanz auf Peter zu und drückte ihm ihn in den Nacken. Daraufhin sank Peter in sich zusammen. Cumino umfasste ihn mit seinem etwas länger gewordenen Schwanz, hob ihn auf seine Arme und trug ihn zurück in sein Zimmer. Ich blieb wie angewurzelt in der Küche stehen. Stimmte es wirklich, was Cumino mir erzählt hatte, fragte ich mich. Dachte ich die ganze Zeit schon unterbewusst an ihn? Da kam er auch schon wieder zurück in die Küche. „Auf, worauf wartest du?“, fragte er. „Was war das denn eben?“, stellte ich die Gegenfrage. „Narkosedorn am Schwanz.“, sagte er lächelnd, „Deine Erfindung.“ „Er wird aber wieder?“, fragte ich. „Na klar, er schlummert jetzt ungefähr… bei seiner Größe und seinem Gewicht… na, lass es zwei Stunden sein.“, antwortete Cumino und zog mich an der Hand mit nach draußen.
Kapitel 2
„In meinem Kopf?“, überlegte ich. „Da ist viel… aber vor allem viel Unnützes.“, sagte ich dann schmunzelnd. „Natürlich ist viel in deinem Kopf.“, sagte Cumino und seine Schnauze zuckte. „Cumino, es tut mir schrecklich leid, aber ich weiß nicht, was du von mir willst.“, gab ich schließlich zu und setzte mich an den Rand meines Bettes. Nun waren wir etwa auf einer Augenhöhe. Ich blickte in seine blauen Augen. Sie waren unglaublich schön. Klar und tiefblau wie der Ozean. In diesem Moment verlor ich auch den letzten Rest meiner Furcht. Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Seine Augen wurden wässrig und er reichte mir ebenfalls die Hand. „Ich habe dich sehr vermisst, Sarah.“, sagt er und unsere Fingerspitzen berühren sich. Er war nicht so kühl wie ich es mir von einem reptilienartigen Wesen erdacht hatte. Er war warm, menschlich warm. „Ich weiß nicht, wer du bist…“, sagte ich leise, doch in diesem Moment überkam mich eine Bilderflut. Mir wurde warm ums Herz. Ich schloss die Augen und sah mich in jungen Jahren, spielend mit einem kleinen blauen Drachen. Wir lachten, hatten Spaß. Wir waren Freunde. Doch über unsere gemeinsame Zeit war ein Schatten hereingebrochen. Unsanft wurden unsere Wege getrennt. Da wurde ich traurig. „Cumino.“, wisperte ich, „Du bist Cumino…“
„Es ist nun fast genau zehn Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. An dem Tag hörtest du auf, meine Freundin zu sein. Weißt du noch? … Du hast mich sehr verletzt. Aber dennoch gab es keinen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe.“, meinte Cumino leise. „Was ist geschehen?“, fragte ich. „Du erinnerst dich wirklich an gar nichts?“, fragte er enttäuscht. Ich schüttelte den Kopf und drückte seine Hand fester.
„Du warst acht Jahre alt, erinnerst du dich? … Deine liebste Beschäftigung war es, Wesen zu malen, die es so auf deiner Welt nicht gab. Kreuzungen aus Mensch, Maschine und vielen verschiedenen dir bekannten Kreaturen. Tausende hast du gezeichnet. Jedes hatte andere Eigenschaften, Stärken, Schwächen. Ich war das erste Wesen, das du geschaffen hattest: Cumino. Ein Geschöpf, halb Mensch, halb Drache. Du hast mich geliebt. Auch wenn ich nur ein Stück Papier war.“, sagte er. Ich erinnerte mich langsam. „Dieses Papier hatte ich immer bei mir. Gefaltet in der Hosentasche.“, flüsterte ich. „Ich war ein Teil von dir. Dein Freund.“, sagte er wieder leise. „Alle deine Geschöpfe hast du in einem Ordner gesammelt. Niemand durfte auch nur einen Blick in diesen Ordner werfen. Du hast ihn besser als deinen Augapfel gehütet. Bis auf diesen einen Tag.“, erzählte er weiter und ließ meine Hand los. „Zwei Jahre später fanden deine Freunde den Ordner. Sie lachten dich aus, verspotteten dich. … Aber all das machte dir nichts aus. Du glaubtest weiterhin an mich und Tamandonia. Am selben Abend gab es ein heftiges Unwetter. Es stürmte, donnerte und regnete. Du hast dich mit dem Ordner in das Auto deiner Eltern gerettet, das vor dem Haus parkte. Hier fühltest du dich sicher. Doch dann schlug der Blitz in die große Tanne deiner Nachbarn ein und ein Teil des Baumes fiel auf das Auto. Wie durch ein Wunder wurdest du nicht verletzt. Doch du konntest dich nicht mehr aus dem Auto befreien. Bitterlich weintest du lange Zeit, bis die Feuerwehr dich aus dem Wagen befreite.“, erzählte er, „Ich weiß nicht, warum, aber ab diesem Ereignis hörtest du auf, an unsere Existenz zu glauben. Du hast am nächsten Tag deinen geliebten Ordner im Osterfeuer verbrannt. … Was du nicht wusstest: Nichts wurde zerstört. Im Gegenteil. An diesem Tag ist Tamandonia entstanden.“
Lange Zeit blickten wir uns sprachlos an. „Cumino.“, sagte ich wieder, „Es tut mir so leid.“ Er schüttelte den Kopf. „Nichts muss dir leid tun.“, meinte er und eine Träne rollte ihm über die Wange. Ich stand auf und schloss ihn in meine Arme.
„Ich konnte nicht mehr ohne dich leben.“, fuhr er fort, „Und dann fühlte ich, dass es dir sehr schlecht ging.“ Ich blickte ihn stutzig an. „Ja, du warst nicht mehr glücklich, nicht mehr die kleine glückliche Sarah, die ich kennen gelernt hatte. Du wurdest viel von deinen Mitmenschen und dir selbst enttäuscht. Ich hatte mich sofort auf den Weg gemacht, dich zu suchen.“, sagte er. Ich erinnere mich an die Zeit, die er erwähnte. „Das ist aber nun zwei Jahre her.“, stellte ich fest. „Weißt du, wie schwer es ist, von Tamandonia zu dir in die reale Welt zu kommen?“, fragte er. „Nein. Das weiß ich nicht. Wo war das noch gleich?“, ich konnte mich nicht erinnern. „In einer fernen, fernen Galaxis. So lautete deine sehr präzise Definition.“, sagte er schmunzelnd. „War es schwer, mich zu finden?“, fragte ich weiter. „Nein. Dein Geruch ist so unverwechselbar. Ich bin einfach meiner Nase gefolgt.“, erklärte er. „Aber woher kennst du denn meinen Geruch und mich überhaupt?“, fragte ich, „Ich meine, ich habe dich hm… gewissermaßen erschaffen, aber wir sind uns im realen Leben nie begegnet.“ „Das ist wahr. Dies ist das erste Mal, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht in deiner Welt gegenüberstehen.“, sagte er. „In meinen Träumen.“, sagte ich dann. Cumino nickte: „Ja. Genau. Du hast jeden Tag von mir geträumt. Ich habe mir deinen Geruch gemerkt und bin zu dir gekommen. … Im Traum kannst du dich nämlich in unsere Welt begeben.“
Ich streckte ihm wieder meine Hand zu. Er legte sie gegen meine. „Du bist so klein, zart und … hübsch.“, sagte er. Ich lächelte. „Darf ich ins Internet?“, war dann seine nächste Frage. Es kam etwas unerwartet. „Ähm, Moment.“, sagte ich lachend, „Woher weißt du denn, dass es so etwas gibt? … Noch dazu ist es der schier ungünstigste Moment.“ „Ach, Sarah.“, grinste Cumino, „Schon vergessen? ‚Tamandonia ist genauso wie die Menschenwelt, nur ohne Menschen.‘ So definiertest du einst selbst unseren technischen Fortschritt.“ „Na schön.“, gab ich dann nach und schob ihm meinen Laptop hin. „Mann, ist der langsam.“, sagte er. „Hey. Beschwer dich mal nicht. Für mich reicht es.“, sagte ich, „Was willst du denn eigentlich im Internet?“ „Meine Facebook-Seite anschauen, was sich so getan hat in den letzen Jahren.“, sagte er. Ich blickte ihn mit offenem Mund an: „Du verarschst mich, oder?“ Cumino lachte schallend los. „Natürlich verarsche ich dich. … Facebook … Ist was für Menschen. Wir Tamandonier können uns über Gedankenaustausch mit unseren Freunden verständigen.“, sagte er, „Aber so weit funktioniert das nicht. Ich habe sozusagen keinen Empfang.“ „Und du kannst dich vom Worldwide Web ins Tamandonianwide Web einloggen?“, fragte ich. „Das werde ich jetzt einmal versuchen.“, sagte er und tippte auf der Tastatur herum.
Kapitel 1
Deutlich konnte ich wahrnehmen, dass ich nicht allein in meinem Zimmer war. Ich spürte die Anwesenheit einer zweiten… nun ja, Person kann man nicht direkt sagen… Gestalt. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Du träumst, sagte ich mir immer wieder. Alles nur ein Traum. Wenn du aufwachst, wirst du dir denken, wie kindisch du bist. Als ob irgendetwas oder jemand nachts heimlich in dein Zimmer eindringen würde… Und selbst wenn da etwas wäre, würde es sich auffälliger verhalten. Ein Dieb würde nach etwas Wertvollem suchen. Ein Tier womöglich nach etwas Fressbarem oder nach einem Ausgang. Aber das Wesen bewegte sich nicht. Es stand einfach nur da. Mitten im Raum. Und ich war mir sicher, dass es mich anschaute. Sehen konnte ich das natürlich nicht. Was du dir wieder einbildest… vielleicht solltest du echt weniger trinken, wenn du mit deinen Freunden um die Häuser ziehst. Das ist ja nicht mehr normal!
Es zischte kurz. Ok. Entweder bin ich jetzt vollkommen verrückt oder da steht doch etwas in meinem Zimmer. Ich spürte mein Herz rasen. Oh Gott… das ist doch albern! Ich liege hier in meinem Zimmer, in meinem Bett und verstecke mich unter meiner Bettdecke. Was sollte schon in mein Zimmer eingedrungen sein? Vielleicht sollte ich einfach mal nachsehen… aber nein. Was ist, wenn es ein Einbrecher ist oder ein kranker Perverser? Soll ich ihm dann meine Nachttischlampe um die Ohren hauen oder was? Vielleicht ist es auch nur mein Mitbewohner, der mal wieder schlafwandelt. Schon einmal war er mitten in der Nacht aus der Wohnung gegangen und ist im Schlafanzug die Straße auf und ab gelaufen. Irgendwann kam er dann wieder zurück und klingelte – immer noch schlafend. Ich ließ ihn wieder herein und er ging, als wäre nie etwas gewesen, in sein Zimmer zurück. Schlafwandler soll man ja nicht wecken. Also wäre Licht einschalten jetzt auch schlecht.
Wieder zischte es. Hilfe! Ich hab Angst. Und wo ist eigentlich Jan, wenn man ihn mal braucht? Er würde jetzt sicher, nachdem er erst einmal herzlich über die von mir erzeugte Panik gelacht hat, mir die Decke vom Kopf ziehen, das Licht einschalten und das, was da auch immer in meinem Raum war, vertreiben. Auch wenn es nur der schlafwandelnde Peter ist. Aber das kann ich ja auch niemandem erzählen… „Ich hatte heute Nacht so Angst, dass jemand in meinem Zimmer ist.“ Alle würden nur lachen.
Ich muss jetzt all meinen Mut zusammen nehmen. Einfach das Licht anschalten. Es hatte ja keinen Sinn. Und wenn es Peter ist, dann würde er nun mal einen Schock kriegen. Ist mir doch egal. Ich kann ja nichts dafür, dass er schlafwandelt. Da zog ich mir langsam die Decke vom Gesicht. Im abgedunkelten Raum erkannte ich tatsächlich die Umrisse einer Gestalt. Schnell verkroch ich mich wieder in mein Versteck. Ok, es ist keine Einbildung. Da steht wirklich jemand. Ein Tier kann es schon mal nicht sein. Es hatte menschenähnliche Umrisse. Wer ist das? Peter doch nicht… „Wer ist da?“, fragte ich schließlich mit einer leicht zitternden Stimme. Keine Antwort kam. „Wer auch immer du bist, nimm dir, was du willst und verschwinde!“, rief ich. Vor meinen Augen sah ich alle meine Träume dahin schmelzen. Mit Jan wollte ich eine Familie gründen, Kinder kriegen, alt werden, sterben. Aber so? Nein. So wollte ich nicht sterben. Ich wollte nicht von jemandem umgebracht werden, der sich nachts in mein Zimmer schleicht und mich heimtückisch überfällt. „Hast du gehört?!“, rief ich wieder, „Verschwinde oder ich hole die Polizei!“ Vorsichtig griff ich aus der Decke heraus und fingerte mein Nachttischchen auf der Suche nach meinem Handy ab. Mist! Das steckt bestimmt noch in meiner Hosentasche. Nein…
Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ich griff nach einem Kissen mit der linken und nach dem Schalter der Lampe mit der rechten Hand. Im nächsten Moment riss ich mir die Decke weg und schnellte nach oben. Meine Augen brannten durch das grelle Licht, doch das, was ich da sah, war real. Es war aber auch kein Mensch. „Holla.“, gab es von sich, „Ich dachte, du wolltest die Polizei rufen und dann greifst du mich doch lieber selbst an.“ Ich war vor Schock so starr, dass ich mich nicht regen konnte, geschweige denn, etwas antworten.
Vor mir stand, wohl gemerkt in kampfbereiter Abwehrhaltung, ein mannshoher blauer Drache. Aber keiner in der Gestalt, wie man sie aus Filmen kennt. Nicht dinosaurier- oder reptilienartig. Es hatte den Körperbau eines Menschen, also es stand auf zwei Beinen, war schlank und muskulös. Von unter seinem Kinn, über den Hals, die muskulöse Brust, bis hinab zwischen seinen Beinen hindurch, auf der Unterseite seines Schwanzes bis zu dessen Spitze erstreckte sich eine heller blaue Abzeichnung. Es hatte die Hände in Abwehrhaltung, ähnlich der eines Boxers vor der Brust. An den schlanken, knochigen Fingern waren dunkelblaue, spitze Krallen ausgefahren, die schon vom Aussehen her schärfer als die schärfsten Rasierklingen waren. Um ehrlich zu sein war das Gesicht und der Schwanz das einzige, was mich auf einen Drachen hatte schließen lassen. Es hatte eine Schnauze, die sich nach vorn immer mehr zuspitzte. An dieser Spitze befanden sich zwei senkrechtstehende Nasenlöcher, dunkelblau umrandet. Über der Schnauze befanden sich zwei große Augen, die aber eher überrascht als aggressiv oder angriffslustig wirkten. Die Augen hatten eine dunkelblaue Iris um schwarze Pupillen. An der Seite des Kopfes waren kleine spitze Ohren und auf Höhe des Halses beginnend erstreckte sich eine Reihe kleiner dunkler Zacken, die aber jeweils unterschiedlich weit aus seinem Rücken ragten, bis zur Schwanzspitze.
Sein Blick war das einzige, was mich davon abhielt, loszuschreien. „Was?“, frage es und grinste, wobei sich mir viele spitze kleine Zähne in seinem Maul zeigten. Ich war sprachlos und schaute das Wesen mit offenem Mund an.
Eine Weile schauten wir uns an. „Wer oder was bist du?“, fragte ich. Meine Angst war auf einmal wie weggeblasen. Plötzlich kam mir das fremde Wesen gar nicht mehr so fremd vor und mir war, als hätte ich es irgendwo schon einmal gesehen. „Bist du auf Drogen oder so?“, kam als Gegenfrage. „Nein.“, sage ich, „Wieso?“ „Du erkennst deinen alten Freund Cumino nicht mehr?“, frage es, legt den Kopf schief und schnaufte. Dann schüttelte es den Kopf als es meine fragenden Blicke merkte. „Nein.“, sagte ich wieder. „Du nimmst sicher keine Drogen?“, fragte es und kam einen Schritt auf mich zu. „Ja. Sicher!“, meinte ich und wich ein Stück von ihm. „Willst du nicht mal aufstehen?“, fragte es mich und reichte mir eine Hand. „Wieso, wie spät haben wir denn?“, wollte ich wissen und warf dann einen Blick auf meinen Wecker: Drei Uhr nachts! „Drei Uhr nachts!“, rief ich dann, „Bist du verrückt! … Und wo willst du überhaupt hin?“ „Noch immer die alte…“, bemerkte es und schüttelte lächelnd den Kopf.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Wir beide zuckten zusammen. „Alles klar bei dir, Sarah?!“, hörte ich Peters Stimme. „Äh, ja, alles bestens.“, sagte ich schnell. „Sicher?“, fragte er, „Darf ich reinkommen?“ „Nein, nein.“, wehrte ich ab, „Bloß nicht!“ „Okay…“, gab er von sich und man hörte ihn weggehen. Puh… Das Wesen Cumino schaute mich an. „Wer war das?“, fragte es. „Peter, mein Mitbewohner.“, erklärte ich. Es nickte.
„Aber nun erzähl mir doch mal von dir, wenn du mich schon nicht schlafen lässt.“, sagte ich. „Was soll ich dir denn über mich erzählen? Du kennst mich doch!“, sagte er wieder, fast beleidigt. „Das hattest du erwähnt.“, gebe ich zu, „Aber ich kann mich wohl nicht mehr an dich erinnern.“ Das hatte es getroffen. Es setzte sich auf den Boden. Erst jetzt fiel mir auf, dass an seinem Rücken noch zwei kleine Flügel waren, die aber scheinbar nicht zum Fliegen taugten. Es wirkte fast etwas traurig. „Ich bin Cumino. Dein alter Freund.“, sagte er. „Ja. Das hast du auch schon mal erwähnt. … Aber damit kann ich leider nichts anfangen. Bist du sicher, dass du mich nicht verwechselst?“, fragte ich ihn. „Pah! Ich vergesse keine Freunde! Nicht so wie du!“, gab es beleidigt von sich und verschränkte demonstrativ die Arme. „Woher kennen wir uns?“, fragte ich. „Aus Tamandonia.“, sagte er wie selbstverständlich. -„Tamandonia?“ – „Ja. Meine Heimat.“ – „Und das liegt wo?“ – „Das weißt du doch.“ – „Nö.“ – „In deinem Kopf.“
TeufelsFrettch Re: Einmal eine etwas andere Fantasystory. - Liebe Fianna, Du schriebst: "PS. An einigen Stellen schreibst du zuerst in Präsens und dann wieder im Präteritum." -> Das ist Absicht. Die ganze Geschichte ist im Imperfekt geschrieben, nur ihre Gedanken sind im Präsens, da man die Gedanken lesen soll, wie sie gedacht werden. Und man denkt ja normalerweise im Präsens. :-) Vielen Dank für deinen Kommentar! |
Fianna Einmal eine etwas andere Fantasystory. - Im großen und ganzen nicht schlecht geschrieben. Bisher ist die Geschichte nicht besonders spannend, aber es sind ja erst drei Kapitel. Ich bin sicher, dass sich das noch ändern wird :-) Die Grundidee finde ich jedenfalls gelungen. PS. An einigen Stellen schreibst du zuerst in Präsens und dann wieder im Präteritum. Liebe Grüße Fianna |