Epilog
Als Katharina ihr Leben aushauchte geschah etwas mit der Insula araneae. Niemand sah etwas, doch die Menschen spürten es. Tief in ihren Herzen hatte sich etwas verändert. Etwas war verschwunden. Die Menschen waren nicht in der Lage zu sagen, was es war, was sie verloren hatten, doch allgemeine Erleichterung machte sich breit.
Der Angriff auf Magicanaturae stoppte abrupt. Die Angreifer zerfielen zu Staub. Ein starker Wind kam auf und trug den Staub fort. Den Staub, der das symbolisierte, was aus den Herzen der Menschen verschwunden war.
Die Angst. Die Angst vor der eigenen schwarzen Seite der Seele war von den Menschen gewichen. Der Lebensnehmer hatte diese Angst mit sich genommen, als er von dieser Welt gegangen war. Er hatte diese Angst mit sich genommen und etwas viel schlimmeres hinterlassen.
Den Glauben rein zu sein.
Der Schatten des Lebensnehmers war von den Menschen gewichen. Sie wurden unvorsichtig und lebten ohne sich vor sich selbst in Acht zu nehmen.
Der schwarze Teil ihrer Seele war fort und sie dachten es gäbe nichts, wovor sie sich jetzt noch fürchten müssten. Damit hätten sie wohl recht gehabt, wäre nicht das Schiff angekommen.
Dadurch, dass der Lebensnehmer die Welt verlassen hatte, hatte er auch die Barriere mit sich genommen, die die Insula araneae von der restlichen Welt getrennt hatte. Schiffe konnten nun den Großen Ozean überqueren ohne von den Fluten verschluckt zu werden.
Viele Jahre nach dem Verschwinden des Lebensnehmers kam ein Schiff an. Ein Schiff aus einem anderen Teil der Welt. Menschen waren auf diesem Schiff und sie brachten Schätze mit sich, die zuvor noch niemand auf der Insula araneae gesehen hatte. Diese Schätze waren aber auch der Untergang der Insel.
Es nistete sich wieder etwas ein in die Seele der Menschen. Still und leise kehrte etwas zurück, das eigentlich nie ganz verschwunden gewesen war. Niemand hatte es bemerkt, da niemand darauf geachtet hatte.
*
In einer anderen Welt beobachtete jemand diese Entwicklung. Jemand der diese Entwicklung vorausgesagt hatte.
Er sah, wie die Menschen der Insula araneae begannen mit den Fremden Krieg zu führen, um sich deren Schätze anzueignen. Die Fremden trugen den Sieg davon und ließen eine verwüstete Insel zurück.
Die dunkle Seite war in die Seele der Menschen zurückgekehrt. Sie war nie wirklich fort gewesen. Der Lebensgeber hatte den Menschen eine Chance gegeben, doch sie hatten sie nicht ergriffen.
Der Lebensnehmer lächelte. Tausend Jahre waren für ihn keine lange Zeit. Er konnte warten.
Die Spinnen würden zurückkehren in die Herzen der Menschen. Sie würden sie wieder in ihren Bann ziehen. Sie würden sie mit ihrer eigenen dunklen Seele konfrontieren. Dazu waren die Spinnen schließlich da. Um den Menschen die Augen zu öffnen. Dazu brauchte es eben die Angst.
Der Lebensgeber verstand das nicht. Er baute auf das Gute im Menschen. Doch der Lebensnehmer wusste es besser. Wenn etwas stark war im Menschen, dann das Schwarze, das sich in jedem Menschen verbirgt und zum Vorschein kommt, wenn es gebraucht wird.
Der Lebensnehmer wusste das und das würde ihm die Rückkehr ermöglichen. In tausend Jahren war es soweit. Er musste nur abwarten. In tausend Jahren oder in den tausend Jahren danach.
Die Menschen würden ihm die Rückkehr schon ermöglichen.
Sie konnten sich einfach nicht ändern. Nicht in hundert Jahren, nicht in tausend Jahren. Sie waren dazu verdammt auf ewig Werkzeuge des Bösen zu sein.
*
In einer anderen Welt saß Katharina beim Frühstück. Sie war allein. Die Menschen mit denen sie zusammenlebte waren zur Arbeit gegangen.
Diese Welt schien wahrlich das Paradies zu sein. Ewiger Frieden prägte ihr Antlitz. Die Menschen waren mit sich ins Reine gekommen. Jeder lebte sein Leben für sich. Man half einander und legte Streitigkeiten bei, in dem man sich aussprach.
Dieses System funktionierte. So einfach es auch war. Die Menschen sahen ihre Fehler ein. Sie lernten daraus. Der Lebensgeber hatte Recht. Menschen lernten aus ihren Fehlern. Manchmal. Diese Menschen hatten auch aus den Fehlern anderer gelernt. Es waren Menschen wie sie, die dem Lebensgeber geholfen hatten, den Lebensnehmer zu verbannen. Sie wussten, was für Folgen es haben konnte, wenn man sich nicht vor sich selbst in Acht nahm.
Denn die wirkliche Gefahr, die einen Menschen bedrohte war er selbst. Nicht die anderen. Er selbst war der einzige, der sein Leben wirklich zerstören konnte.
Denn jeder war der Herr über sein eigenes Leben und weder der Lebensgeber, noch der Lebensnehmer konnten sich in dieses Leben einmischen. Sie konnten jemanden nur beeinflussen, doch die Entscheidung an sich lag beim Menschen selbst.
Katharina wusste das jetzt.
Nun war es nur noch an der Zeit, dass das auch die Menschen lernten.
Und sie würden es lernen. Irgendwann.
Sie würden es lernen müssen, ansonsten würden sie ihre Welt zerstören und damit auch sich selbst.
© Fianna 2009