Donnergrollen schallte über das Schlachtfeld.
Nabor achtete gar nicht darauf. Er achtete auch nicht auf den Regen, der ihn bereits bis auf die Haut durchnässt hatte. Er konzentrierte sich nur auf seinen Gegner. Der Fengolier war größer als er, doch das bedeutete nichts. Mit hoch erhobenem Schwert ging der Mann auf Nabor los. Dieser wich dem Schlag spielerisch aus und schlitzte dem Angreifer den Bauch auf. Verwundet sackte der Fengolier in sich zusammen. Noch war er nicht tot, aber er würde es bald sein.
Anstatt dieses Leben auf der Stelle auszulöschen, suchte sich Nabor den
nächsten Gegner.
Das Volk der Felselfen, dem auch Nabor angehörte, war geschickter im Kampf, als das der Fengolier. Dieses setzte auf Muskeln, während die Elfen auf Strategie und Schnelligkeit ausgerichtet waren.
Obwohl Nabor erst fünfzehn war, gehörte er zu einer Eliteeinheit der Felselfen. Er war klug und wusste, wie man sich im Kampf verhalten musste. Eigentlich war das auch gar nicht so schwer, wenn man gegen die Fengolier kämpfte. Diese Rohlinge schienen nicht viel mehr Verstand, als eine Heuschrecke zu besitzen. Bei diesem Gedanken musste Nabor grinsen. Ein primitiveres Volk, als das der Fengolier konnte es gar nicht
geben. Es würde leicht sein, ihren Widerstand zu durchbrechen.
Plötzlich erschien eine Klinge seitlich, neben Nabors Kopf. Er riss seinen Schild hoch, um die Klinge abzuwehren, doch er war zu langsam. Zwar lenkte der Schild die Klinge ab, doch sie traf Nabor trotzdem hart am Kopf.
Dem jungen Felselfenkrieger wurde es schwarz vor Augen, dann war nichts mehr.
Ein höllischer Schmerz schoss ihm durch den Kopf. Nabor schlug sich mit der Hand dagegen. Als er die Hand erneut erhob, wurde sie von jemandem festgehalten. Langsam öffnete Nabor die
Augen. Er musste mehrmals blinzeln, um etwas erkennen zu können.
Unwillkürlich streckte er die Hand nach seinem Schwert aus, als er sah, wer ihn festhielt. Vor ihm saß ein Fengolier. Mit seinem roten Haar, das an den Schläfen bereits ergraute und den charakteristischen hellroten Augen, war er nicht zu verkennen. Als Nabor die Scheide mit seinem Schwert nicht fand, zog er die Beine an und wollte sich aufrichten. Ein weiterer, schmerzhafter Stich hinter seiner Stirn, ließ ihn inne halten.
Der Fengolier saß nur da und sah ihn an.
„Du kannst mich foltern, so sehr du willst, ich werde dir nichts verraten. Ein
Felself kennt keinen Schmerz.“ Der Fengolier sah ihn nur weiter wortlos an. „Kannst du nicht sprechen, oder was?“ Immer noch erwiderte der Rothaarige nichts. In Nabor kochte Verachtung hoch. Er spuckte dem Fengolier vor die Füße. „Seid ihr wirklich so primitiv, dass ihr nicht einmal unsere Sprache kennt?“ Immer noch keine Regung. „Vermutlich verständigt ihr euch untereinander mit Grunzlauten, die ihr von den Schweinen gelernt habt, die mit euch in euren Häusern leben.“
„Hast du dich schon einmal gefragt, wieso wir mit unseren Schweinen zusammenleben müssen?“ Die Stimme des Fengoliers war tief und volltönend.
Nabor getraute sich zuerst gar nicht zu antworten. Ohne sein Schwert fühlte er sich dem Fengolier schutzlos ausgeliefert. Gegen die Bärenkräfte dieses Mannes konnte Nabor nichts ausrichten. Um aus dieser Situation lebend wieder herauszukommen, durfte er dem Fengolier nicht zeigen, dass er Angst hatte.
„Ihr lebt bei euren Schweinen, da ihr von ihnen abstammt.“ So hatte Nabor es im Unterricht gelernt. Anstatt die Beherrschung zu verlieren, lächelte der Fengolier plötzlich und fragte: „Wenn wir von Schweinen abstammen, wieso sehen wir dann aus wie ihr? Stammt ihr auch von Schweinen
ab?“
Nun war es an Nabor zu lachen. Es war ein abfälliges, kaltes Lachen.
„Ihr sollt so aussehen wie wir. Wann hast du das letzte Mal dein Spiegelbild in einem Teich gesehen, alter Mann?“ Auch von diesen Worten ließ der Fengolier sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Einmal abgesehen von unserer Haar – und unserer Augenfarbe, sehen wir genauso aus wie ihr. Wir haben denselben Körper, dieselben Köpfe, dieselben Ohren. Wir haben auch dieselben Bedürfnisse wie ihr. Weshalb also glaubt ihr, wir würden von Schweinen abstammen?“
„Ihr benehmt euch doch wie Schweine.“
Das war das einzige, was Nabor dazu einfiel. Er hatte erwartet, die Ruhe des Mannes jetzt gebrochen zu haben, doch da hatte er sich getäuscht, denn der Fengolier lächelte noch immer. „Das musst du mir genauer erklären.“
Langsam wurde Nabor die ganze Fragerei zu viel. Anstatt eine Antwort auf die Frage des Fengoliers zu geben, fragte er: „Wieso tötest du mich nicht endlich, dann haben wir es hinter uns.“
„Ich habe nicht vor dich zu töten“, erwiderte der Fengolier ruhig, erklärte seine Worte aber nicht weiter. Schließlich riss Nabor endgültig der Geduldsfaden. „Wieso hältst du mich dann hier fest, wenn du mich nicht töten
willst!?“
„Ich habe dir das Leben gerettet“, erwiderte der Fengolier gelassen. Verwirrt starrte Nabor den Mann vor sich an. „Wieso“, war das einzige, was er herausbrachte. Der Fengolier hob den Kopf und blickte Nabor direkt in die Augen. „Weil du noch jung bist.“
„Ich bin vielleicht jung, aber ich gehöre zu einer Eliteeinheit der Felselfen.“
„Darum geht es gar nicht.“ Der Fengolier schüttelte den Kopf. „Du bist jung und klug. Du könntest verstehen, wenn du dich nicht so sehr dagegen sträuben würdest.“
Nabor hielt es für das beste zu schweigen. Der Fengolier hatte ihn
neugierig gemacht. Während er mit dem Finger Linien in den Staub zeichnete, fragte der Fengolier: „Warum bist du hier?“ Der Felself beschloss, es wäre das Beste, einfach auf die Fragen einzugehen und sagte: „Wir müssen euren Widerstand niederschlagen.“
„Warum?“
„Weil ihr uns das Land hier nicht freiwillig übergeben wollt.“
„Wofür braucht ihr das Land?“
Nabor zuckte mit den Schultern. „Wir brauchen größere Ackerflächen, da unsere Städte wachsen und die Bewohner mehr Nahrung benötigen.“
Wieder fixierte ihn der Fengolier mit seinen hellroten
Augen.
„Und wer gibt euch das Recht dazu uns von hier zu vertreiben?“
Nabor schluckte. Er musste erst über diese Frage nachdenken, bevor er sie beantworten konnte. Schließlich sagte er zögernd. „Wir vertreiben euch nicht. Wir haben euch ein friedliches Angebot gemacht. Wir wollten euch das Land abkaufen, doch ihr habt darauf bestanden es kämpfend zu verteidigen.“
„Und warum haben wir das getan?“
Wegen dieser ganzen Fragerei kam Nabor sich langsam dumm vor. Was wollte dieser Fengolier eigentlich wirklich von ihm?
„Woher soll ich wissen, was euer
verkommenes Volk denkt. Vermutlich seid ihr einfach nur habgierig.“
Seufzend schüttelte der Fengolier den Kopf.
„Du hast es noch immer nicht verstanden.“
„Was soll ich nicht verstanden haben?“ Nabor stand kurz vor einem Wutausbruch. Was bildete dieser Fengolier sich eigentlich ein. Bevor der Felself aber etwas erwidern konnte, sprach der Fengolier bereits weiter.
„Das Land, das ihr von uns fordert ist das einzige, das wir haben. Hätten wir es euch überlassen, dann wären wir jetzt heimatlos. Unsere Frauen und Kinder würden verhungern, weil uns kein
anderes Volk auf seinem Land duldet. Überall, wo wir hinkämen, wären wir Fremde, Ausgestoßene. Doch das ist noch nicht einmal das Schlimmste.
Wir sind Elfen. Genau wie ihr. Wir sehen zwar anders aus, doch wir gehören zu ein und demselben Volk. Wir sind Brüder.“
Angeekelt erwiderte Nabor: „Ihr gehört nicht zu unserem Volk. Ihr seid Missgeburten, die vom Herrscher der Unterwelt geschaffen worden sind.“
Wieder seufzte der Fengolier.
„Wir gehören zu ein und demselben Volk. Wir leben alle auf dieser Welt und dennoch sind wir getrennt, gespalten, nur weil wir anders
aussehen.“
„Aber doch nicht nur, weil ihr anders ausseht“, warf Nabor ein.
Traurig blickte ihn der Fengolier an. „Weshalb dann?“
„Ihr habt eine andere Kultur, glaubt an andere Götter, lebt anders, als wir.“
„Wir atmen dieselbe Luft, trinken dasselbe Wasser, ernähren uns von denselben Tieren und Pflanzen. Auch in euren Städten gibt es Elfen, die anders sind als andere. Es gibt Felselfen, die gerne singen und tanzen und es gibt Felselfen, die dies nicht gerne tun. Es gibt Felselfen, die zu den Göttern der Erde beten und es gibt Felselfen, die die Götter des Feuers verehren. Trotz
dieser Unterschiede seid ihr ein und dasselbe Volk, da ihr in derselben Stadt, im selben Reich lebt. Doch wer macht die Reiche?
Am Anfang gab es nur die Welt und ein Volk. Dieses Volk teilte sich auf. Jedes ging seinen eigenen Weg, man grenzte sich ab.
Egal, in welche Richtung wir auch gehen, immer werden wir auf eine Grenze stoßen, die uns sagt, dass wir nicht dazugehören. Erst wenn wir diese Grenze überwinden, können wir wieder ein Volk werden. Erst dann kann es Frieden geben. Merk dir das.
Nur wenn wir über unseren Schatten springen und die Grenzen einreißen,
können wir frei sein.
Nur dann sind wir wahrlich würdig hier zu leben.“
Der Fengolier sah Nabor an. Nabor erwiderte seinen Blick. Ein Volk, Friede, Freiheit. Der Alte hatte leicht reden. So einfach war es nicht. Natürlich konnte man Mauern niederreißen, doch mit den Grenzen, die die Elfen in ihren Köpfen errichtet hatten, war das etwas anderes. Diese Grenzen waren stärker, als alles andere und beinahe undurchdringbar.
Auch in Nabors Kopf existierte eine solche Grenze.
Leise sagte er: „Damit magst du sogar recht haben, doch was sagt dir, dass wir wieder ein Volk werden wollen? Ist es
nicht besser, wenn es unterschiedliche Völker gibt, die diese Welt bewohnen?“
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Fengoliers.
„Weißt du eigentlich, was du gerade gesagt hast?“
Fragend sah Nabor den Fengolier, den Elfen, der ihm jetzt gar nicht mehr so bedrohlich vorkam, an. Langsam schüttelte der Fengolier den Kopf, dabei lächelte er jedoch immer noch.
„Du glaubst es wäre gut, wenn es auf einer Welt mehrere Völker gäbe?
Nabor nickte.
Als ihm der Fengolier mit seinen hellroten Augen direkt in die Augen sah, fuhr dem Felself ein eisiger Schauder
über den Rücken.
„Wenn du wirklich so denkst, wieso bemühst du dich dann so sehr, diese Völker zu vernichten?“
© Fianna 2009