Schlachtfeld
Eine Falle!
Verdammt, woher wussten sie...? Wir müssen uns zurückziehen.
„Rückzug! Es sind zu viele“
Es ist zu laut. Niemand wird mich hören. Wo ist bloß dieser verfluchte Fahnenträger? Er muss doch sehen, dass wir keine Chance haben. Ist der Feigling etwa geflohen? Hier ist doch nirgends … oh, da war ich wohl zu voreilig. Möge der Herr seiner Seele gnädig sein.
Wo ist denn jetzt diese Fahne? Ah. Nein, ganz sicher nicht die weiße. Die rote. Oder die blaue? Verdammt, ich habe keine Zeit mehr!
Dann eben die rote. Schlimmer kann es ja nicht werden.
„Rückzug! Rennt um euer Leben!“
Na endlich, das Signal wird geblasen. Jetzt aber schnell, bevor sie uns alle Fluchtwege abschneiden.
Wie konnte das bloß passieren? Wir hatten doch alles bis ins Kleinste geplant. Das hätte eine Nacht – und – Nebel – Aktion sein sollen und kein offener Kampf. Woher wussten sie davon?
Oh, verdammt, wie haben sie…? Wir hatten doch … Raban?
Was ist hier eigentlich los? Wieso steht er auf der Seite des Feindes?
Verhaftet? Ich? Aber…Verrat!
Alle haben sich gegen mich verschworen. Meine engsten Freunde richten ihre Waffen auf mich. Mein eigener Bruder legt mir Fesseln an und ich stehe einfach da und kann es nicht glauben; will es nicht glauben.
Bedeutet Freundschaft denn gar nichts mehr? Und Loyalität? Ist denn alles, wofür ich gekämpft habe, wofür wir gekämpft haben, nichts weiter als der Traum eines naiven Mädchens. Wie können sie ihr Leben nur so leichtfertig wegwerfen, ihre Freiheit verkaufen; an Menschen, die keine Gnade kennen und denen das Leiden ihres Volkes völlig gleichgültig ist?
Sie haben den Glauben an unsere Sache
einfach aufgegeben, für ein Versprechen, das ohnehin nicht eingehalten wird. Was glauben sie denn, wer sie sind? Sobald ihre Aufgabe erfüllt ist, wird sich das Herrscherhaus ihrer entledigen.
Ihre Aufgabe. Ich will gar nicht daran denken, was das alles sein könnte. Haben sie nur mich oder uns alle verraten? Sind alle unsere Stützpunkte etwa schon in der Hand des Feindes?
Nein. So darf ich nicht denken. Sie dürfen nicht wissen, wie es in mir aussieht.
Setz dein steinernes Gesicht auf, so wie du es immer tust, wenn deine Gefühle dich zu überwältigen drohen! Atme tief durch und steh aufrecht! Denk an all
jene, die noch immer an unseren Idealen festhalten! Sie können uns nicht alle töten. Genauso wenig können sie uns alle kaufen.
Und wenn doch?
Wenn wir uns doch als so schwach erweisen sollten, war unsere Sache schon von Anfang an verloren.
Doch das, wofür wir kämpfen, war schon da, bevor es uns gab und es wird auch noch da sein, wenn der letzte von uns sein Leben oder seine Ehre aushaucht.
Festung
Mein ganzer Körper schmerzt von ihren Schlägen und Tritten, doch das ist alles nebensächlich. Was wirklich weh tut, ist der Anblick meines Bruders, wie er demütig vor einem Vertreter des Herrscherhauses kniet. Wie konnte es nur so weit kommen?
Die Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit katzbuckeln vor einem Mann, dem diese Worte fremd, unbegreiflich und verabscheuungswürdig sind. Und was für ein schmutziges Grinsen er im Gesicht hat. Am liebsten würde ich es ihm mit der Faust wegwischen. Er symbolisiert all das,
wogegen ich kämpfe. Für mich ist er die Manifestation des Teufels. Und die Menschen, von denen ich glaubte, sie wären meine Freunde, begeben sich freudestrahlend auf den Weg in die Hölle.
Nein, ich gehe nicht in die Knie, egal wie sehr ihr mich peinigt. Ich erkenne den Teufel, wenn er vor mir steht.
Verraten, wo sich die anderen Anführer befinden? Ach, konntet Ihr das nicht von diesen Verrätern erfahren? Wie schade. Da kann ich Euch auch nicht weiterhelfen.
Ja, ich schweige noch immer. Ich habe niemandem etwas zu sagen. Solange ich lebe, wird kein verräterisches Wort über
meine Lippen kommen. So tief werde ich nicht sinken.
Macht mit mir doch, was ihr wollt, aber meinen Glauben an das Gute könnt ihr mir nicht nehmen.
Mit meinem Schweigen verhöhne ich Euch? Nun, wenn Ihr das so seht, dann muss es wohl so sein. Doch was wollt Ihr dagegen tun? Wie wollt Ihr all die Worte, die ich nicht ausspreche, die Ihr aber trotzdem hört, von Euch fernhalten?
Oh, natürlich, mit Gewalt. Für Euch scheint es nur diesen einen Weg zu geben. Doch Ihr wisst nicht, dass mein Körper nie so sehr schmerzen wird wie meine Seele. Ihr habt mich bereits gebrochen als Ihr meinen Bruder und
meine Freunde gegen mich aufbrachtet.
Aber wie ein Phönix aus der Asche, vermag ich aus den Bruchstücken meines Glaubens wieder aufzustehen. Denn ich weiß, dass es etwas gibt, wofür es sich zu leben lohnt; wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Nein, ich habe immer noch nichts zu sagen. Vermutlich kann ich es im Moment auch gar nicht. Meine Zunge und meine Lippen sind geschwollen von den vielen Schlägen. Auf den Beinen stehe ich nur noch, weil mich zwei Soldaten festhalten.
Was, in den Kerker?
Nein. Alles, bloß das nicht. Tötet mich, foltert mich, aber bitte, steckt mich
nicht in eines dieser Löcher.
Kerker
Ganz ruhig. Beruhige dich und bringe dein Gesicht wieder unter Kontrolle! Du überstehst das. Es ist nur ein Raum. Weder werden dich die Wände zerquetschen, noch wirst du ersticken. Sie brauchen dich lebend.
Aber es ist so dunkel, so furchtbar dunkel.
Egal, was ich mir auch einrede: Die Angst kommt.
Auf leisen Pfoten schleicht sie sich heran, um mich im nächsten Moment anzuspringen und zu überwältigen.
Ich kann sie nicht besiegen. Sie ist
stärker. Sie ist überall und nirgendwo zugleich. Sie ist in den Wassertropfen, die stetig von der Decke fallen, in den Ratten, die unsichtbar über den Boden huschen, in der Dunkelheit. Und sie ist in mir, füllt mich aus, wie ein leeres Gefäß, schnürt mir die Kehle zu. Das Atmen wird schwerer, die Umgebung wird kälter, die Geräusche werden bedrohlicher.
Doch was ist das?
Ein Klacken, als ob … Da schließt jemand eine Tür auf! Dem Herrn sei Dank! Sie holen mich. Vielleicht um mich zu töten?
Erschreckend, dass mir sogar das lieber wäre, als auch nur noch eine weitere
Minute allein hier zu verbringen.
Da kommt jemand mit einer Fackel! Raban!
Ist es also doch anders, als ich gedacht habe? Kommt er, um mich zu befreien und um mir all das zu erklären?
Doch was ist das in seinem Gesicht? Mitleid? Er tritt bestimmt, aber schuldbewusst auf.
Er wird mich nicht retten.
Der einzige Grund, weshalb er hier ist, ist, um mich zum Reden zu bringen, oder, wie er es nennt: um mich zu bekehren.
Glaubt er tatsächlich, was er da sagt? Dass das Herrscherhaus allen Rebellen verzeihen und ihnen ihr Leben und ihre
Rechte zurückgeben wird? Dass allein ich und drei weitere Anführer dem Frieden im Weg stehen? Dass alles, wofür wir gekämpft haben, nichts weiter als Vorwände für einen Krieg sind?
Wie konnte ich mich nur so in ihm täuschen? Er versteht es nicht. Versteht nicht, was es bedeutet, frei zu sein, sein Leben selbst in der Hand zu haben. Er ist ein Spielzeug in den Händen der Mächtigen und merkt es selbst gar nicht.
Freiheit bedeutet für ihn nichts weiter, als das Fehlen von Befehlen.
Hoffnung ist für ihn ein Gedanke, der sich nicht zu Ende zu denken lohnt.
Und das Schlimmste von allen ist: Ich kann ihn nicht hassen. Weder hasse ich
ihn für seinen Verrat, noch für das, was er mir vielleicht noch antun wird. Das einzige, was ich für ihn empfinde ist Mitleid.
Verrat ist eine der schlimmsten Sünden überhaupt, doch ich vergebe ihm, meinem Bruder, der vor lauter Selbstblendung die Welt nicht sehen kann. Vielleicht gelingt es ja jemand anderem, ihm die Augen zu öffnen; allen die Augen zu öffnen. Hoffentlich.
Ich aber werde es nicht mehr erleben. Ich bin ersetzbar.
Das Messer an seinem Gürtel blitzt im Licht. Ich weiß, was ich tun muss.
Mein Leben ist bald zu Ende, doch das, wofür ich gekämpft habe, wird weiter
bestehen.
In alle Ewigkeit …
©Fianna 2010