Ich gehe einen schmalen Pfad entlang. Mit den bloßen Fußsohlen spüre ich die angenehme Weiche der abgefallenen Nadeln. Es ist warm, doch der Wald spendet wohlige Kühle.
Um mich herum ragen Bäume auf, deren Blätter unvorstellbar schön in der Sonne leuchten. Sie scheinen zu glänzen; gold, braun und rot – es ist Herbst.
Eine angenehme Stille herrscht.
Zu hören ist nur das unverkennbare Geräusch fließenden Wassers. Ohne Eile folge ich dem Klang und erspähe die schillernde Wasseroberfläche eines kleinen Sees auf einer Lichtung. Vorsichtig trete ich aus dem Schutz der Bäume hervor und strecke einen meiner
Füße ins Wasser. Es ist nicht kalt. Auch mit dem zweiten Fuß betrete ich das kühle Nass und verharre einen Augenblick.
Fasziniert betrachte ich die kleinen Wasserfälle, die das Gewässer speisen. Unaufhörlich fließen sie die niedrige Felswand herab und vereinen sich mit dem Wasser, das vor ihnen kam.
Ich werde ruhig; spüre die angenehme Kühle, die rutschigen Steine, die Bewegungen des Wassers. Mir ist, als würde ich mit dem See verschmelzen, mit dem ewigen Fluss des Wassers, mit der ständigen Veränderung der Form, mit der Ruhe.
Ich verliere mich im Anblick des
herabfallenden Wassers, im Lichtspiel der Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche, im monotonen Rauschen, welches die Stimme des Sees zu sein scheint, die aus tausenden fremdartigen Gesängen besteht.
Die Zeit scheint still zu stehen.
Doch eine Stimme ruft mich fort, fort von diesem Quell der Freude. Gerne würde ich länger hier stehen, und dem Lauf des Wassers folgen, doch, die mich rufende Stimme wird stärker.
Ich verlasse den See, in dem Wissen, dass ich nie wieder hierher zurückkehren werde.
Schweren Herzens kehre ich zurück auf den Pfad und folge dem Rufen der
Stimme. Sie ist angenehm, wie das Rauschen der Blätter im Wind.
Ich verlasse den Pfad nach links, schreite über dicke Wurzeln hinweg und gelange zu einem Felsvorsprung. Moos bedeckt die ansonsten kahlen Steine, wie ein Teppich aus grünem Samt. Mein Blick fällt auf einen Fluss. Sein, leicht grünlich strahlendes, Wasser ist tief, sehr tief und es strömt unaufhaltbar an mir vorbei.
So nah scheint er zu sein, der Fluss, und doch ist er so fern und schlängelt sich durch das hügelige Tal. Bäume, die in der Herbstsonne golden leuchten, säumen ihn.
Auch ich stehe neben einem solchen
Baum. Ich stütze mich mit einer Hand an ihm ab und durch die knorrige Rinde hindurch spüre ich die Kraft, die er ausstrahlt.
Ein wohliger Schauer überfällt mich.
Doch, meine Reise ist auch hier noch nicht zu Ende. Die Stimme ruft mich weiter.
Ich wende mich um und entdecke die Ruinen einer kleinen, alten Kapelle. Weiße Steine und Säulen, überwachsen von Moos und Farn zeugen von der einstigen Schönheit dieses Bauwerkes.
Eine Tafel sticht mir ins Auge. Die Worte, die darauf stehen, kann ich nicht lesen, doch ich weiß, was sie bedeuten.
Sie erzählen die Geschichte derer,
derentwegen diese Kapelle erbaut worden ist.
Sie liebte die Wälder und hasste all jene, die diese Schönheit grundlos zerstörten. Ihr zu Ehren wurde diese Kapelle errichtet, hier in diesen Wäldern, die ihr so viel bedeuteten.
Doch die Kapelle wurde zerstört, wie auch die Wälder ringsum.
Verständnis keimt in mir auf und mit dem Verstehen kommt auch die Trauer. Noch einmal sehe ich mich um; sehe ich die verfärbten Blätter, die sich sachte im Wind bewegen, die kleinen Wasserfälle, die sich in einen silbrig glänzenden See ergießen, den Fluss, dessen Wasser niemand aufhalten kann, die zerstörte
Kapelle.
Ehe ich mich versehe, verschwindet all das. Die Schönheit vergeht.
In einem Meer aus Schwärze bleibt nur eines zurück:
Die zerstörte Kapelle, ein Zeuge der Vergangenheit.
©Fianna 2010