Prolog
„Letzte Nacht fand in einer abgelegenen, leerstehenden Lagerhalle eine illegale Party statt. Um 02:12 Uhr ging bei der Polizei eine Anzeige wegen Ruhestörung ein, worauf die Polizei sofort die Lagerhalle aufsuchte. Da der dringende Verdacht bestand, dass grössere Mengen an Drogen kursierten, wurden die Drogenhunde eingesetzt. Dabei kam es zu einem schrecklichen Vorfall. Die Hunde griffen zwei junge MĂ€nner an und verletzten sie lebensgefĂ€hrlich. FĂŒr beide kam jede Hilfe zu spĂ€t. Die Polizei ermittelt nun gegen Unbekannt, weil die Reaktion der Hunde „in keiner Weise nachvollziehbar ist.“
GemĂ€ss Zeugenaussagen wollten die beiden MĂ€nner eigentlich mit zwei weiteren Freunden nach Italien reisen, um ihren Abschluss zu feiern. „Doch die Jungs wollten unbedingt zuerst noch auf diese Party.“, erzĂ€hlte die junge Frau, die die Reise geplant und organisiert hatte. „Wir gingen mit, verliessen die Party aber ein wenig frĂŒher, weil wir keine Lust mehr hatten. Wir hatten abgemacht, dass wir in der Bar auf sie warten und danach los fahren. Als sie nicht kamen, gingen wir zurĂŒck – aber wir kamen zu spĂ€t!“. Die Polizei sucht nach Hinweisen und bittet die Bevölkerung um Mithilfe.“
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Das Spiel
„Irrtum“, sagte sie und lĂ€chelte zuckersĂŒss. Lukas lehnte sich zurĂŒck, die Stirn gerunzelt. Simon, der am Tisch stand, warf ihm einen Blick zu. John, der mitten im Raum stand, wurde bleich.
„Irrtum?“, fragte er die Frau, die ihm gegenĂŒberstand und ihn mit schief gelegtem Kopf und immer noch zuckersĂŒss lĂ€chelnd ansah. Ihre Haltung wirkte spöttisch, ĂŒberlegen. Lukas kratzte sich am Hinterkopf, erhob sich und ging langsam zur TĂŒr.
„Simon!“, sagte er, „wir sollten raus gehen.“
Simon schĂŒttelte den Kopf. „Nein.“, gab er zurĂŒck, ohne den Blick von Sandra abzuwenden, „Ich will nun endlich wissen, was das fĂŒr ein beschissenes Spiel ist.“
Sandra wandte sich zu ihm um.
„Bleib nur. Vielleicht…“, sie drehte den Kopf zurĂŒck zu John, „ist es gut, wenn du hier bleibst. Dann können wir das unter einmal erledigen.“
„Ich gehe“, sagte Lukas, „ich kenn die Geschichte.“ Damit verliess er den Raum. Simon setzte sich auf den freigewordenen Stuhl.
„Irrtum?“, wiederholte John.
„Ja. Irrtum. Ein riesig grosser Irrtum mein Lieber.“ Sandra hob die Hand an die Stirn, spreizte den Daumen weg, den Zeigfinger in die Höhe, die restlichen Finger an den Handballen gedrĂŒckt. Ihre weissen NĂ€gel leuchteten im Kontrast zu ihrer dunklen Haut. Ihre Lippen formten deutlich das Wort „Looser“ und sie lĂ€chelte immer noch. Johns Hand zuckte.
„Oh“, machte sie, „schlag mich doch!“.
„Ich werde dich nicht schlagen.“, keuchte John, „ich werde dir gar nichts tun.“ Er senkte den Blick zu Boden. Sandras Augen glitzerten kalt. Simon konnte sehen, wie sich Sandras Muskeln unter dem hautengen Shirt spannten, gleichzeitig nahm er eine Bewegung in Johns Arm wahr – einen Augenblick spĂ€ter lag er stöhnend auf dem Boden. Sandra lĂ€chelte immer noch, doch es hatte sich verĂ€ndert. Ein kaltes, hartes LĂ€cheln. UnwillkĂŒrlich fröstelte es Simon. Er starrte auf John, aus dessen Nase Blut floss.
„Und wie willst du das erklĂ€ren?“, Johns Stimme schwankte bedenklich.
„Notwehr?“, gab Sandra zurĂŒck. „Ich habe sogar einen Zeugen.“
Simon schoss aus dem Stuhl.
„Nein, hast du nicht!“, rief er wĂ€hrend er nebenJohn auf die Knie fiel, er fasste nach dessen Arm. „Komm, steh auf!“, sagte er leise und half seinem Freund.
„Simon.“, zischte sie. Er hob den Kopf, sah sie an. Sie ging langsam in die Hocke, sah ihm in die Augen.
„Denkst du wirklich, dass du gerade etwas anderes gesehen hast, als dass er mich angegriffen hat, und ich mich gewehrt habe? Denkst du wirklich?“ Sie sprach leise. Simon nickte.
„Ja. Du hast es erfasst, Sandra! Ich spiele hier nicht mehr mit.“
„Nein?“, fragte sie freundlich.
„Simon!“, John hatte sich aufgesetzt und mit dem Ărmel das Blut weg gewischt, „du bist mein bester Freund. Oder?“
Simon nickte. „Ja.“
Sandra begann zu lachen.
„Ach, ihr beiden dummen Jungen.“, höhnte sie. „Dumm, dumm, dumm! – Wobei. PĂ€ng, pĂ€ng, pĂ€ng, wĂŒrde mir wesentlich besser gefallen.“, sie kicherte.
„Kommt schon, steht auf, geht raus – und zeigt es mir. Ich will das sehen.“
Simon half John aufzustehen, gemeinsam gingen sie zur TĂŒr. Als Simon die Falle runterdrĂŒcken wollte, sagte Sandra:
„Man sucht immer noch nach dem Typen, der die Hunde vergiftet hat“, sie machte eine kleine Pause, „Simon.“ Sie schwieg. Wartete. Simon verharrte regungslos. „Sie blufft“, flĂŒsterte John, „geh weiter!“
„Und man fragt sich immer noch, wer die HĂŒtte angezĂŒndet hat.“
„Na und?“, blaffte John, der sich umgedreht hatte. Sandra machte einen Schritt zur Seite, deutete auf den Bildschirm.
„Na und?“, fragte sie betont freundlich.
„Ja!“, machte John, kam dennoch nĂ€her.
„Komm, seht euch das an“, lud Sandra die beiden ein, „kommt schon!“ Sie trat zum Tisch und bewegte die Maus, drĂŒckte ein paar Tasten und ĂŒber den Bildschirm flimmerte ein Film. John kam nĂ€her, Simon blieb noch abwartend stehen. John setzte sich langsam auf den Stuhl.
„Und man versucht immer noch heraus zu finden, wer die kleine Janet so zugerichtet hat.“
Stimmen drangen aus den Boxen. Von Janet, die nach ihrer Mutter fragte. Simon antwortete ihr, „gleich, Janet, gleich siehst du deine Mama. Nur noch da ĂŒber den kleinen HĂŒgel…“, den Rest konnte man nicht mehr verstehen. Kurz darauf wieder Janets piepsige Stimme, „… mir gar nicht. Hör auf Simon!“, knacken, rauschen – dann rannte das MĂ€dchen aus dem Bild. Simon tauchte auf. Er lachte.
„Ich wollte doch nur mal sehen!“, rief er ihr nach. Der Bildschirm wurde schwarz, fĂŒr einen kleinen Moment. Dann konnte man sehen, wie John in den kleinen Wagen stieg, der vor dem Haus seiner Eltern angehalten hatte.
„Das ist Philipp“, erwĂ€hnte Sandra an Simon gewandt. Der Film unterbrach fĂŒr eine Sekunde. Derjenige, der gefilmt hatte, filmte weiter wĂ€hrend er fuhr. Es war nur das vordere Auto erkennbar – das hintere hatte kein Licht an, obwohl es stockdunkel war. John drehte sich um. starrte Simon an, der hinter ihn getreten war. Simon schluckte.
„Du hast mir das mal erzĂ€hlt oder?“, fragte er. Simon schwieg. „Du hast mir erzĂ€hlt, dass Sandra ohne Licht Auto fahren kann!“, seine Stimme zitterte.
„Hast du echt?“, fragte Sandra und sah ihn erstaunt an.
„Ich dachte, ihr redet nicht mehr ĂŒber mich?“, sie lĂ€chelte fies. Ihre dunklen Augen wirkten wie Steine. Die Freunde starrten wieder auf den Bildschirm. Sahen zu, wie Philipp und John das Gift in die FutternĂ€pfe mischten.
„Woher wusstest du das?“, wollte John wissen.
„Lukas!“, antwortete Simon.
„Ja. Lukas.“, bestĂ€tigte Sandra.
„Warum?“, wollte John wissen.
„Ich hab dich am Arsch. Nicht wahr?“, sie lĂ€chelte wieder sĂŒss. John hĂ€tte kotzen können. Simon ging zum Bett und liess sich darauf sinken. Sie schwiegen alle. Simon starrte auf seine FĂŒsse, John starrte auf den Bildschirm, und Sandra sah sich die BĂŒcher von John an.
„Warum?“, beendete John das Schweigen.
Sandra wandte sich langsam um, sah ihn an, dann Simon.
„Weil ihr beide es verdient habt.“
„Womit?“, wollte Simon wissen. „Ich habe dir nichts getan!“
„Nein?“, sagte Sandra. „Bist du ganz sicher?“.
„Ich habe dir nichts getan.“, wiederholte Simon.
„Gut gibt es noch ein paar so antiquitierte DiktiergerĂ€te, ihr wĂŒrdet so etwas nie als solches erkennen, weil ihr einfach nicht wirklich wisst, was lĂ€uft. So konnte ich gewisse GesprĂ€che wunderbar aufzeichnen“, lachte Lukas, der wieder herein gekommen war.
„Judas!“, John spuckte auf den Boden.
„Judas? Ist ja interessant. Bist du Jesus?“, Lukas lachte immer noch.
„Vergiss den, John. Sie hat euch beide so was von am Arsch!“
„Was nun?“, wollte Simon wissen.
Sandra lÀchelte ihm zu.
„Ihr werdet eine Tasche packen, ihr beiden SĂŒssen, wir werden eine kleine Reise machen. Keine Sorge – es ist vorgesorgt.“
„Wir haben euren Eltern erzĂ€hlt, dass wir einen Trip nach Rom machen. So als Abschluss und so.“
„Und wohin gehen wir wirklich?“
„Oh. Nur ein paar Strassen weiter. Da gibt es eine verlassene Lagerhalle.“
„Ihr werdet damit nicht durchkommen!“, flĂŒsterte John.
„Womit denn?“, fragte Sandra.
„Ihr wollt uns was antun. Aber man wird euch vorher erwischen.“
„Du drohst mir?“, Sandra lachte laut auf.
„Ist ja lustig!“ Zu Lukas gewandt, „wollen wir denen was antun?“
„Oh nein, nein. Wir wollen uns die HĂ€nde nicht schmutzig machen, nicht wahr meine Schöne!“, er legte seinen Arm um ihre Taille. Sie lachte, wandte sich zu ihm um.
„Nein ich will kein Blut an meinen HĂ€nden!“, dann kĂŒssten sie sich. John wandte sich ab. Ihm war ĂŒbel. Simon schloss die Augen. Hinter der Dunkelheit flogen Bilder vorbei. Erinnerungen an die Zeit vor diesem Sommer, der ihr Leben total verĂ€nderte.