Ich hörte etwas genauer hin. Hatte es nicht gerade geklingelt? Wer sollte denn jetzt etwas von mir wollen? Außerdem klingelten mich alle auf dem Handy an wenn sie vor der Tür standen. Für einen Moment überlegte ich, ob ich nun zur Tür gehen sollte oder nicht. Dann öffnete ich meine Zimmertür und ging die Treppe nach unten. Alles war stock finster, schließlich war ich der Einzige der um diese Uhrzeit noch wach war. Es roch aber immer noch verführerisch nach den Marmorplätzchen, die meine Mutter gebacken hatte. Ich öffnete die Haustür und ein eisiger Wind schlug mir ins Gesicht.
Und dort stand sie zitternd vor mir, die Haare vom Wind zerzaust und ganz durchnässt vom Schnee, doch nicht daher kam die Nässe auf ihrem Gesicht. Weitere Tränen drangen aus ihren wunderschönen Augen, vermischten sich mit ihrem Make-up und kullerten ihr makelloses Gesicht hinunter.
„K- Kann ich reinkommen?“ schluchzte sie. Ohne irgendetwas zu erwidern trat ich zur Seite und lies sie herein, schließlich liebte ich sie trotz allem immer noch abgöttisch.
Sie ging die Treppe nach oben in mein Zimmer. Ich ging schweigend hinter ihr her, ließ es mir nicht anmerken, doch mein Herz raste ebenso wie meine Gedanken. Wieso war sie her gekommen? Sie war es, die mich angeschrieen hatte sie wolle mich nie wieder sehen. Nun stand sie mitten in meinem Zimmer und es war mir ein Rätsel. Ich setzte mich wieder an meinen Computer und tat beschäftigt, doch ich sah nichts von den Dingen auf dem Bildschirm. Aus dem Augenwinkel registrierte ich jede noch so kleine Bewegung ihrerseits. Sie stand noch einen Augenblick still schluchzend mitten im Raum. Dann tat sie einen zögerlichen Schritt in meine Richtung, „Es tut mir so leid,“ begann sie mit zitternder Stimme „ich habe überreagiert. Das war einfach alles zu viel für mich und…“ sie stockte kurz als ein heftiges Schluchzen durch ihren Körper fuhr „ ach es tut mir einfach alles so schrecklich leid!“
Ich war so ein Idiot. Ich hatte in der Vergangenheit nie besonders Glück bei Mädchen gehabt und nun stand dieses perfekte Beispiel einer Frau zittern in meinem Zimmer und entschuldigte sich bei mir für etwas an dem ich nicht ganz unschuldig war und ich ignorierte es kaltherzig.
Hätte ich doch nur dieses eine mal meinen egoistischen Stolz ausgeblendet!
„Aber du hast so reagiert,“ entgegnete ich trocken „und nun kann man es auch nicht mehr ändern.“ „Aber Reue zeigen. Und das tue ich doch. Merkst du das denn nicht?“ Natürlich bemerkte ich es doch ich zwang mich dazu nicht weich zu werden.
„Wie bist du eigentlich hier her gekommen?“ wechselte ich das Thema. Sie wohnte ungefähr 15 Kilometer entfernt und besaß kein Auto. „Ich bin gelaufen.“
Mein Atem stockte und mein Herz drohte in meiner Brust zu bersten. Ich wollte aufspringen und sie in den Arm nehmen, sie ganz fest an mich drücken und am besten nie mehr los lassen, doch ich schluckte den Kloß in meinem Hals einfach runter.
„Du hättest einfach zuhause bleiben sollen!“ entgegnete ich. Wieder schluchzte sie heftig und ihr schönes Gesicht war von Tränen ganz verschmiert.
Ich redete mir ein das, sollte ich ihr jetzt schon verzeihen, sie immer wieder so mit mir streiten würde. Ich erhoffte mir von meinem Verhalten, dass es uns später noch enger zusammenschweißen würde. Das sie nach ein bis zwei Tagen nur noch glücklicher über eine Versöhnung wäre. Also log ich sie weiter an.
„Könnte ich über Nacht bei dir bleiben und wir reden noch mal in Ruhe über alles?“ sie sah mich mit einem hoffnungsvollem Blick an. Nur mit mühe konnte ich mich davon zurückhalten ebenfalls in Tränen auszubrechen. Was ich ihr dann antwortete sollte ich den Rest meines Lebens bereuen.
„Kein Interesse.“ sagte ich so kalt und abweisend zu ihr, dass sie unter Tränen und Schluchzern zusammenbrach.
„ICH LIEBE DICH VERDAMMT NOCH MAL!“ schrie sie mir verzweifelt entgegen. „Ich liebe dich auch.“ Schrie mein Herz und meine Seele zurück doch aus meinem Mund drang kein Laut.
Nach einer kleinen Weile rappelte sie sich langsam wieder auf und ging zur Tür.
„Leb wohl!“ sagte sie so leise, dass ich es nicht hören konnte, ging die Treppe runter und hinaus in die bitterkalte Nacht.
Ich lief ihr nicht nach. Sicher würde sie ihren Bruder anrufen, auf dass er sie abholt. Sie würde bestimmt nicht noch mal den ganzen Weg auf sich nehmen.
Am nächsten Tag sah ich ein Bild, das ich niemals wieder aus meinem Kopf bekommen werde. Das letzte Bild das ich von ihr sah. Darauf war ihr wunderschönes Gesicht, ausdruckslos und blau gefroren. Daneben ein Artikel, wie jemand ihren vereisten Körper im Schnee gefunden hatte.
Ich würde sie nie wieder sehen, nie mehr in die Arme nehmen, nie mehr ihren perfekten Körper berühren und ihre Stimme hören.
Diese Trauer meißelte sich in mein Herz und ich erholte mich nicht mehr davon.
Geliebt habe ich nie wieder…