//Fortsetzung der Serie Project Albagan. Neue Episoden gibts in geraden Kalenderwochen Samstags ab 20.15 auf http://s-hilgert.blogspot.com //Zum Inhalt: Das Team auf Inistra findet endlich eine Möglichkeit die dritte Tür im Portalraum zu öffnen. Doch was dahinter liegt wird vom Forschungsobjekt zur Bedrohung für die ganze Stadt, als eine seltsame Krankheit ihre Bewohner befällt.
Laura Craig wischte sich das Öl von den Händen. Gedankenverloren sah sie aus dem Fenster. Die Welt dahinter erwachte langsam zum Leben. Sie sah einer Gruppe Vögel zu, die gemächlich aus dem Baumkronen unter ihr aufstieg. Hören konnte sie jedoch nichts, dazu waren die Scheiben zu dick.
Als sie fertig war ging sie zur Tür und in den Hauptgang. Es war ein gutes Stück Weg bis zum Tunnel, der sie nach unten bringen würde. Aber die Energieversorgung zickte etwas, also musste sie runter. Bewaffnet mit ihrem großen roten Werkzeugkasten stiefelte sie den verlassenen Ringgang entlang. Erst nachdem sie eingetroffen war hatten sie festgestellt, warum die Stadt eine Ringstruktur hatte: Sie war eingegraben den riesigen Krater eines längst erloschenen Vulkans. Gelegen in einer Bergkette die ein überaus fruchtbares Tal einschloss war die Stadt perfekt getarnt: Alle Fenster ließen sich mit dicken Felsplatten verschließen, die an den umgebenden Stein angepasst waren. Der Krater selbst war im Laufe von Jahrhunderten zum See geworden, sodass die Räume, die auf der Innenseite des Kraters gebaut waren unterhalb der Wasseroberfläche lagen und einen herrlichen, einzigartigen Blick auf das Innere des Sees hatten.
Auf der Oberfläche des Sees schwamm außerdem eine Terrasse, die zur Messe (Das Essen war noch nicht gut genug um Restaurant dazu zu sagen…) Inistras gehörte, und die regelmäßig von den Leuten in Beschlag genommen wurde, die gerade nichts zu tun hatten. Es war ausgesprochen schön dort; in den Jahrhunderten waren rund um den See Bäume und andere Pflanzen gewachsen, die aus dem ruhigen See eine regelrecht paradiesische Ruhezone machten. Laura selbst hatte dort einige Stunden mit Mary Lu Rosenthal verbracht, die sich lieber ihr anvertraut hatte als Dr. Carabezzoni, dem Arzt der Expedition. Und das mit Erfolg: Laura war zwar eine weitaus bessere Mechanikerin als Psychologin, aber die beiden verstanden sich gut genug um dieses Manko ausgleichen zu können. Ein guter Freund ist besser als hundert Psychologen, war Laura überzeugt.
Sie stieg in den Zug, der die obere Stadtebene mit den Katakomben unterhalb des Sees verband. Dort befanden sich, gut geschützt durch tausende Tonnen Fels, die Lebensnotwenigen Einrichtungen Inistras, also auch die Energieversorgung. Während der Zug beschleunigte, dachte Laura darüber nach, wie sehr sich der Zustand ihrer neuen Freundin gebessert hatte. Eigentlich war sie fast schon wieder normal. Der Zug hielt. Laura stapfte durch die leicht schummrigen Gänge. Schließlich stand sie in einem langgezogenen, hohen Raum, der an den Seiten voller bernsteinfarbener Kästen stand: Treibstoff. Am Ende befand sich eine Art hoher Bogen, gute zweieinhalb Meter hoch und anderthalb breit und ca. 50 Zentimeter zurückgesetzt. Hier wurde der Generator mit Treibstoff befüllt.
Laura war nach wie vor beeindruckt von diesem Gerät, das in der Lage war aus organischem Material Energie zu gewinnen. Im Moment versorgten sie das Gerät vor allem mit Küchenabfällen und dem, was die Chibigo an Treibstoff zurückgelassen hatten. In einer Seitenkammer befand sich ein kleiner Traktor, vermutlich um Material von draußen heranzuschaffen. Wobei der Generator effektiv genug lief, damit das vorerst nicht notwendig würde. Vermutlich lag das Problem sowieso nur daran, dass jemand zu viel anorganisches Material eingefüllt hatte. Laura seufzte und machte sich an die Arbeit.
Dr. Jan Ferden sah schwarz. Kein Licht drang in den Gang hinein, den die bisher verschlossene Tür im Portalraum freigegeben hatte. Als dunklen Schatten vor sich konnte er Dr. Mary Lu Rosenthal ausmachen, die in diesem Moment eine Taschenlampe einschaltete. Die ehemalige SETI-Mitarbeiterin rückte ein wenig zur Seite um Jan den Weg freizumachen. Der Leiter der Forschungsabteilung Physik ging einen Schritt nach vorne und besah sich die aus rohem Vulkangestein gehauene Höhle. Der röhrenförmige Gang hatte eine Höhe von knapp unter zwei Metern, und beim Vorangehen musste Jan höllisch aufpassen, um nicht irgendwo anzustoßen.
Nach etwa hundert Metern weitete sich der Gang plötzlich, und die Gruppe aus Jan, Mary Lu und dem Sicherheitsexperten Sergeant Charleston stand plötzlich in einer Art Kammer. Die drei ließen ihre Taschenlampen umherwandern. Die Kammer schien etwa drei Meter hoch, fünf breit und gut zwanzig Meter lang zu sein. Es war kalt, und man hörte, wie Wasser von der Decke tropfte. Fein säuberlich nebeneinander aufgestellt war eine Anzahl Steinsockel an jeder Wand, jede etwa mannshoch.
„Was ist das?“ flüsterte Jan. Seine Stimme wurde von den grob behauenen Felswänden zurückgeworfen.
Mary Lu Rosenthal ging einige Meter vor und inspizierte einen der Sockel.
„Eine Nekropole,“ flüsterte sie ehrfürchtig, „eine unterirdische Grabkammer.“
Jan pfiff durch die Zähne.
„Nicht schlecht“, flüsterte er. Rosenthal begann indes mit ihrer Taschenlampe die Sockel abzuleuchten.
„Keine Inschriften,“ murmelte sie, „seltsam. Es wirkt fast schon hastig zusammengebaut. Guckt mal hier, der Stein des Sockels hat eine Kerbe wie von unsauberem Arbeiten. Als ob sie es eilig gehabt hätten diese Kammer zu verschließen.“
Jan lief ein Schauer über den Rücken. Für eine gute halbe Stunde untersuchten sie die Nekropole, und alles deutete darauf hin, dass sie es eilig gehabt hatten ihre Toten unter die Erde zu bringen. Als Rosenthal sich zum Gehen wandte um ein paar Geräte aus dem biologischen Labor zu holen, viel der Strahl ihrer Taschenlampe auf Jans Gesicht. Plötzlich wurde sie unruhig.
„Sag mal, du hast dich doch heute Morgen rasiert gehabt, oder?“ fragte sie.
Jan runzelte die Stirn.
„Klar, ich-“
Er brach ab, als er sich ans Kinn fasste. Dort fand er den Ansatz eines Bartes, wie er ihn sonst erst nach mehreren unrasierten Tagen vorgefunden hätte. Er wollte gerade zu einer verblüfften Antwort ansetzen, als Charleston sich ans Gesicht fasste und brüllte,
„Meine Augen, meine Augen! Ich kann nichts mehr sehen!“
Rosenthal fuhr herum. Der Sergeant war bleich und hatte die Hände vor die Augen gepresst. Auch an seinem Kinn wuchs ein Bart. Rosenthal fackelte nicht lange.
„Ich hole den Doktor!“ rief sie, und rannte zur medizinischen Station.
„Rapide Alterung“ diagnostizierte Dr. Silvio Carabezzoni eine Viertelstunde später. In der Zwischenzeit waren die Bärte der beiden um gut zehn Zentimeter gewachsen. Charlestons Augen waren zudem von einem weißlichen Schimmer überzogen.
„Wissen sie schon wieso?“ fragte Rosenthal besorgt.
Der Doktor schüttelte den Kopf. Dann besah er sich die Blutprobe Jan Ferdens unter dem Mikroskop. Erst sah er nichts. Als er schon aufgeben wollte, sah er plötzlich etwas. Einen der schlimmsten Feinde jedes Arztes.
„Porca puttana“ fluchte der Italiener.
„Was ist?“ fragte Rosenthal bang.
„Bakteriophagen“ erklärte er, „und zwar verdammt viele!“
„Was bitte?“ fragte Rosenthal verständnislos.
„Bakteriophagen,“ erklärte der Arzt, „sind Viren, die die DNA der Wirtszelle ersetzen, die sie befallen. Für gewöhnlich speisen sie ihre eigene DNA ein, sodass in der Zelle kleine Phagen heranreifen bis sie so groß sind, dass die Zelle platzt, woraufhin die neuen Phagen weitere Zellen befallen. Diese Biester hier scheinen aber irgendwie manipuliert zu sein. So wie ich das beurteilen kann, verändern sie die Wachstumsrate der Zellen, was zu rapider Alterung führt, bei Dr. Ferden zu sehen an seinem Bart und bei Sgt. Charleston daran, dass er altersbedingte Augenschwächen entwickelt.“
„Shit,“ fluchte Rosenthal. Dann überlegte sie.
„Wenn die Phagen sich anders verhalten als normal, könnte es sein, dass sie speziell gezüchtet wurden?“
Der Arzt nickte.
„Durchaus. Aber darin bin ich kein Experte. Vielleicht sollten wir Dr. Lunovitch dazu holen, er kennt sich da als Biologe besser aus als ich.“
Fünf Minuten später war klar, dass Carabezzoni recht hatte.
„Und jetzt?“, fragte Rosenthal verzweifelt, während der Arzt Charleston ein Sedierungsmittel geben musste – seine Augen schmerzten so stark, dass es nicht auszuhalten war.
„Gehen sie zum Waffenlabor. Ich nehme Biolabor. Wenn diese Phagen sind künstlich, wir sollten finden Gegenmittel in Laborunterlagen“ schlug der Russe vor.
„Und die Nekropole? Wenn es von dort kommt heißt das, dass die Chibigo keine Lösung gefunden haben!“
„Wir müssen es versuchen!“ rief der Russe. Rosenthal fasste sich an die Stirn, und bemerkte dort Falten, die vorher nicht da gewesen waren. Sie war auch infiziert. Genauso wie Lunovitch, der ebenfalls einen Bart bekam.
Carabezzoni drehte sich um. Seine Haare waren in den letzten fünf Minuten gänzlich ergraut und hingen fast bis zur Schulter hinab.
„Aber beeilt euch! Die Phagen vermehren sich rasend schnell, und wenn wir nicht bald eine Lösung finden, werden alle in der Stadt an Altersschwäche sterben!“
Damit eilten die beiden so schnell aus der medizinischen Station wie es ging. Rosenthal bemerkte, dass sie bereits nach wenigen Metern aus der Puste war. Carabezzoni hatte Recht. Ihnen musste etwas einfallen. Und zwar bevor sie zu alt waren um die Lösung umzusetzen.
Lunovitch erreichte das Biolabor erst eine halbe Stunde nachdem er losgelaufen war. Immer wieder hatte er eine Pause einlegen müssen. Er spürte das Alter in den Knochen. Im Gegensatz zu Dr. Rosenthal war er vorher schon nicht der Jüngste gewesen, aber so war es für ihn umso dringlicher eine Lösung zu finden.
Die Labore waren allesamt schlauchförmig und lang, und leicht gebogen, so wie der Gang an den sie sich anschmiegten. Das Biolabor war mit klappbaren Stellwänden in verschiedene Bereiche eingeteilt. Lunovitch eilte auf einen Bereich nahe der Tür zu, in dem sich eine Computeranlage befand. Rosenthal hatte sie um einen irdischen PC ergänzt, der in der Lage war die Datenbank abzufragen und zum Teil auch zumindest die Zeichen in lateinische umzuwandeln. Die verstand der Russe zwar auch nicht so gut wie das kyrillische, aber immerhin besser als das Ärgeba, die Schrift der Chibigo.
Er rief eine Suchmaske auf und begann zu lesen.
Mary Lu Rosenthal brauchte wesentlich länger um ihr Ziel zu erreichen, denn das Waffenlabor lag auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt. Völlig aus der Puste öffnete sie die steinerne Tür. Das Waffenlabor gehörte noch zu den vergleichsweise wenig erforschten Räumen. Es war in der Karte eingetragen, und jemand hatte mal einen Blick hineingeworfen um festzustellen, ob es hier weitere Gänge gab oder vielleicht sogar ein verstecktes Lebewesen. Aber da man nichts dergleichen gefunden hatte, hatte man sich anderen Räumen zugewandt. Schließlich war die Stadt groß, und immer noch nicht komplett erforscht.
Ein Geruch nach abgestandener Luft und Staub wehte Rosenthal um die faltige Nase. Zwischen den stählernen Regalen hingen Staubfäden, die meisten Fächer waren leer. Rosenthal sah sich um und fand ein Computerterminal. Sie fuhr es hoch, in der Hoffnung eine Aufstellung aller Experimente abrufen zu können – diese Listen waren nämlich zum Teil nur über die stationären Terminals einsehbar, vermutlich aus Geheimhaltungsgründen.
Rosenthal hatte Glück, gleich als erstes öffnete sich ein Menü mit Verweis auf eine solche Liste. Jetzt war Rosenthal froh so viel Aufwand in das Erlernen der Sprache der Chibigo gesteckt zu haben. Sie begann zu Lesen.
Silvio Carabezzoni lief es kalt den Rücken hinab. Scheinbar verbreiteten sich die Phagen viel schneller als ursprünglich angenommen. Die medizinische Station war längst überfüllt, und die, die nicht mehr stehen konnten mussten sich bereits draußen im Gang auf den Boden legen. Immerhin genug Decken gab es. Noch.
Traurig beugte sich über einen Amerikaner, den er nur als lebenslustigen Mann kannte. Jean O’Connor, Sohn französischer und irischer Einwanderer, war als Koch mitgereist und hatte es immer verstanden die Leute aufzumuntern. Jetzt lag er da, das Gesicht eingefallen und die Augen starr zur Decke gerichtet. Kopfschüttelnd war der Arzt gezwungen den ersten Totenschein auszufüllen. Er sah auf die Uhr. Es war gerade erst kurz nach zwei.
Rosenthal war verzweifelt. Es gab zwar Einträge, die möglicherweise etwas mit einem hypothetischen Phagenexperiment zu tun haben könnten, aber es gab einfach zu vieles, dass sie nicht verstand. Und leider konnte sie nicht einfach in einem Wörterbuch nachschlagen, um ihre Fragen zu klären. Sie nahm ihr Funkgerät und rief Lunovitch.
Dieser hatte sich so fest in einen der Berichte eingelesen, die er gefunden hatte, dass er Rosenthal erst beim vierten Ruf seines Namens hörte.
„Izvinite, Dr. Rosenthal, aber könnte sein, dass ich habe etwas gefunden.“
Rosenthal horchte auf.
„Was denn?“ fragte sie aufgeregt.
„Es scheint, die Chibigo haben gemacht Experiment um Fuetron zu töten. Aber war nicht zu kontrollieren. Also haben versucht zu machen eine, wie sagt man, virulitsidnyi?, eine…“
„Ein Viruzid? Ein Gegenmittel?“
„Da. Eine Mittel gegen die Phagen. Ich habe etwas hier, aber ist viel zu wenig um alle zu helfen.“
Rosenthal dachte nach.
„Ich komme sofort. Versuchen Sie Dr. Rütli zu erreichen, vielleicht kann er in seinem Chemielabor mehr davon herstellen!“
So schnell konnte lief sie zum Biolabor. Dort angekommen, wusste sie, dass sie einen weiteren Kraftakt wie diesen beinahe-Sprint nicht überstehen würde. Im Labor standen bereits Lunovitch und Rütli, sowie der Captain und diskutierten.
„Hören Sie, Captain, ich kann dieses Zeug hier analysieren und möglicherweise auch nachmachen, aber es ginge wesentlich schneller, wenn wir eine Probe zu Erde schicken würden und dort parallel arbeiten. Wir haben da einfach mehr Kapazitäten!“, erklärte der Schweizer Chemiker gerade und fuchtelte wild mit seinen faltig gewordenen Händen herum. Der Captain schüttelte seinen Kopf. Er hatte bereits einen Bart wie ein Weihnachtsmann.
„Haben Sie den Verstand verloren? Wir können doch nicht riskieren, dass die Phagen auf die Erde gelangen. Das können wir schlicht nicht riskieren. Ich habe bereits die Tore zum Portalraum schließen lassen, damit nichts und niemand hier hinein und herauskommt!“
„Je länger wir warten, desto mehr Menschen sterben. Der Bericht, den Dr. Lunovitch gefunden hat erklärt eindeutig, dass ein Mensch ab einem gewissen Alter die Behandlung nicht mehr überlebt. Ich möchte eigentlich nicht noch Mitglieder dieser Expedition in dieser Nekropole begraben!“
Der Captain schüttelte den Kopf.
„Es bleibt dabei. Keiner kommt rein oder raus. Und wenn Sie schon so nobel argumentieren sollten Sie sich jetzt an die Arbeit machen, bevor Sie niemanden mehr retten können, Rütli!“
Der Schweizer wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Rosenthal ihm die Hand auf die Schulter legte.
„Komm, Lukas, wir sollten uns beeilen. Du wirst den Captain kaum überzeugen können.“
Gemeinsam gingen sie ins Chemie Labor, welches direkt hinter den Biolabor lag, und wesentlich kleiner war. Lunovitch gab Rütli eine gläserne Phiole mit einer klaren Flüssigkeit. Rütli nahm sie mit zitternden Fingern entgegen. Vorsichtig führte er sie in ein seltsam anmutendes Gerät mit einer Unzahl an Schläuchen und Kolben ein. Er drückte einen Knopf. Das Gerät zischte leise und einige Lämpchen blinkten auf. Kurz darauf entstand eine Zeichenfolge auf dem Monitor. Rütli dachte nach und schwieg.
„So, what now?“ fragte Rosenthal.
Rütli schwieg weiter. Dann sagte er,
„Wir können es versuchen. Ich vermute, dass dieses Monströse Teil hier drüben ein Gerät zur Synthetisierung von Stoffen ist. Jedenfalls in kleinen Mengen. Ausprobiert habe ich es aber noch nicht.“
Langsam schlich er hinüber, gebeugt vom Alter. Rosenthal folgte ihm.
„Die Geräte sind miteinander verbunden. Idealerweise kann ich also einfach hier auf einen Knopf drücken und es funktioniert.“
Er drückte den Knopf und siehe da, die Maschine fing an leise zu summen. Ein Röhrchen füllte sich quälend langsam mit Flüssigkeit.
Rütli hustete. Rosenthal sah ihn besorgt an, aber der Schweizer winkte ab.
„Wie lange wird dauern?“ fragte Lunovitch.
„Etwa eine halbe Stunde noch“ sagte Rütli und hustete wieder. Er besah sich seine Hand. Sie war mit Blut besprenkelt. Er spürte Panik in sich hochsteigen. Er hustete wieder. Er wollte etwas sagen, aber es kam nur ein leises Röcheln aus seiner Kehle. Dann sank er bewusstlos zusammen.
Rosenthal rief per Funk den Doktor, während sich Lunovitch um den Schweitzer kümmerte.
„on zhivet“, sagte er, „er lebt.“
Rosenthal atmete auf.
„Herzaussetzer“ diagnostizierte Carabezzoni kurze Zeit später, „zu viel Aufregung, dazu eine genetische Disposition – das kann im Alter böse ausgehen…“
Rosenthal nickte bang.
„Aber er wird wieder, oder?“
„Sí, er wird wieder, aber die Entwicklung macht mir Sorgen…“
„Mir auch“ sagte Rosenthal. In diesem Moment gab die Maschine hinter ihnen ein Piepen von sich. Rosenthal drehte sich um.
„Es ist wohl fertig“ vermutete sie.
Carabezzoni nahm die neue Phiole und hielt sie gegen das Licht. Einige Milliliter durchsichtiger Flüssigkeit befanden sich darin.
„Tutto o niente“ murmelte Carabezzoni und tauchte eine Spritze in die Flüssigkeit und saugte sie ein. Dann wandte er sich zu Rütli und steckte ihm die Spritze in den Oberarm. Er drückte den Kolben nach unten.
Nichts geschah.
Unruhig warteten sie eine halbe Stunde, in der Rosenthal eine weitere Phiole mit dem Viruzid herstellte. Dann nahm Carabezzoni eine Blutprobe und besah sie sich unter einem der Mikroskope, die im Labor verteilt standen.
„Niente“ flüsterte er, „nichts. Das Viruzid wirkt!“
Rosenthal atmete auf.
„Jetzt müssen wir nur noch genügend Viruzid herstellen, um alle zu heilen“, sagte sie erleichtert.
„Nur…“ brummte der Russe.
Jan Ferden biss herzhaft in eine ihm unbekannte Frucht. Mary Lu hatte ihm gesagt, wie sie sie genannt hatten, aber er hatte es vergessen, und im Endeffekt war es ihm auch egal. Gelb und saftig war sie, und süß, und hier auf der schwimmenden Terrasse der Messe Inistras genoss er die paar Minuten Ruhe, die er heute hatte. Er schloss die Augen und drehte sein Gesicht in die Sonne. Plötzlich verdunkelte ein Schatten das Licht. Er schlug die Augen auf.
„Guten Morgen, Langschläfer“, begrüßte ihn Mary Lu Rosenthal.
„Du stehst mir in der Sonne“, befand Jan. Rosenthal lachte.
„Und das werde ich auch weiterhin tun, wenn du nicht sofort zur Lagebesprechung kommst.“
Jan winkte ab.
„Wir sind gerade von einem fast tödlichen Einsatz zurück. Ich brauche meine Ruhe. Und außerdem, was soll ich da? Der Captain mag mich nicht und ich mag ihn nicht. Erzähl mir hinterher wie’s gelaufen ist.“
Damit schloss er wieder die Augen.
„Du bist so was von stur“, meckerte Rosenthal, „der Einsatz war vor fast einer Woche, und außerdem habe ich den klaren Befehl dich zum Mitkommen zu bewegen. Und da ich mir fast gedacht habe, dass du keine Lust hast, habe ich mir das hier aus dem Arsenal mitgenommen.“
Sie hielt ein kleines, ungefähr faustgroßes schwarzes Objekt hoch.
„Was ist das denn?“ fragte Jan verwundert. Rosenthal lächelte mit spitzen Zähnen. Dann neigte sie das Gerät, sodass ein roter Punkt an einer Seite genau auf Jans linken Arm zielte. Sie drückte auf die Oberfläche des Geräts, woraufhin Jan plötzlich einen stechenden Schmerz verspürte.
„Au! Was zur Hölle machst du da?“
„Kommst du mit?“
Sie drückte nochmal. Wieder fuhr Jan ein stechender Schmerz durch den Arm. Maulenden stand er auf und rieb sich den Arm.
„Was ist das überhaupt für ein Teil?“ fragte er brummend, während die beiden durch den wie poliert glänzenden Ring in Richtung Lage marschierten. Die Deckenleuchten spiegelten sich im glänzenden Granitboden des Ganges, während in regelmäßigen Abständen schwarze Obsidiansäulen aus dem rund der Wände hervorstachen. Jan kam sich noch immer vor wie in einem versteinerten Raumschiff: Die Gänge waren wie Röhren gebaut und hatten lediglich eine gerade Lauffläche von gut drei Metern Breite, der Rest war gewölbt. Der Boden war mit großen Granitplatten belegt, die Wände waren hier im Nord-Ost-Abschnitt mit hellen Steinen ausgekleidet und in Abständen von zehn Metern von Säulen aus Obsidian unterbrochen wurden. Die Decke bestand aus geschliffenem Lavagestein des Vulkankraters, in dem die Stadt errichtet war. Da in den Gang an keiner Stelle Tageslicht eindrang, waren helle Lampen in die Decke eingelassen, die die gleiche Farbtemperatur hatten wie die Sonne, und damit trotz allem eine stilvolle und fast luftige Atmosphäre zu schaffen vermochten.
„Bitte?“ fragte Mary Lu Rosenthal.
„Wo du dieses komische Ding da her hast.“
Jan Ferden zeigte auf das schwarze Objekt in Rosenthals Hand.
„Hab ich mir von Sergeant Charleston ausgeliehen. Es scheint eine Art Mini-Tazer zu sein.“
„Das Ding tut verdammt weh“, beschwerte sich Jan und rieb seinen Arm, „dabei bin ich doch wohl schon geplagt genug…“
Er legte den Kopf schief und zeigte die Rötung, die der Ausflug nach Thibida hinterlassen hatte. Mary Lu rollte mit den Augen, sagte aber nichts.
Kurze Zeit später traten sie in den Konferenzraum. Interessanterweise waren die Wände in fast allen Räumen lotrecht, was die Expeditionsteilnehmer vermuten ließ, dass die Chibigo ihre Stadt aus Sicherheitsgründen mit reichlich dicken Wänden versehen hatten.
„Ah, unser Genius Germanicus begrüßte der Expeditionsleiter Captain Mike Hedgefield ihn. Ferden warf ihm einen verachtenden Blick zu und setzte sich an seinen Platz. Schweigend nahmen auch Mary Lu, Cpt. Hedgefield und Sergeant Zoe Williamson ihre Plätze an dem steinernen Konferenztisch ein. Jan Ferden konnte von seinem Platz aus aus dem Fenster sehen, und beobachtete das Spiel der Sonne in den Baumkronen gute zweihundert Meter unter ihnen. Immer wieder beeindruckten ihn die riesigen Bäume, die sich vermutlich aufgrund der niedrigeren Gravitation so entwickelt hatten.
„Als wir hier ankamen,“ erklärte der Captain gerade, „öffneten sich unten im Portalraum nur zwei Türen. Die dritte blieb verschlossen. Bisher haben wir noch keine Aufzeichnungen gefunden, was sich dahinter verbergen könnte, dafür scheint es aber so, als ob wir sie von hier oben öffnen könnten.“
„Und warum sollten wir das tun?“ fragte Jan.
„Wieso nicht?“
Jan lehnte sich vor.
„Diese Stadt ist riesig. Allein der Ring dürfte um die zweieinhalb Kilometer lang sein. Und wir waren noch längst nicht in jedem Raum. Eigentlich war es schon ein Fehler nach Thibida zu gehen, bevor wir die Stadt nicht komplett durchsucht haben.“
Der Captain zog eine Augenbraue hoch.
„Ich weiß ja inzwischen, dass Sie von Strategie und Militär nicht den blassesten Schimmer haben, Dr. Ferden, aber Sie sollten wenigstens hier auf die Militärs hören, wenn es um die Sicherheit dieser Stadt geht. Es ist unwahrscheinlich, dass in den Räumen hier oben in der Stadt noch Gefahren lauern, die wir nicht einschätzen können. Wäre hier zum Beispiel noch jemand, hätte er sich wahrscheinlich inzwischen gezeigt. Dort unten haben wir aber eine verschlossene Tür. Dort könnte sonst was hinter sein. Unserer Sicherheit wegen müssen wir also nachsehen, was da ist.“
Jan wollte zu einer Erwiderung ansetzen, lehnte sich dann aber zurück und sagte lapidar,
„Gut, wenn Sie meinen, Captain Hedgefield. Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“
Der Anblick der Gruppe alter Menschen kam Jack Springer immer noch vor wie eine Zeitreise. Obgleich die Stadt beeindruckend war und zu einer Gruppe weiser Bewohner gepasst hätte, fand der Assistent General Eaglesons die ursprüngliche Verfassung der Expedition wesentlich angenehmer.
„Haben Sie schon eine Möglichkeit gefunden den Prozess Rückgängig zu machen?“ fragte er in den Raum.
Dr. Carabezzoni schüttelte den Kopf.
„Noch nicht,“ sagte er, „wir haben zwar festgestellt, dass sobald die Phagen weg sind die Alterung wieder normal verläuft, aber das ist auch alles.“
„Und jetzt?“ fragte Springer, „wollen Sie sich alle auf der Erde in Altersheime zurückziehen?“
Rosenthal lachte heiser. Sie machte eine Zerbrechlich wirkende Geste mit der Hand. Dann sagte sie,
„Wir haben einen Eintrag in der Datenbank gefunden, der auf einen weiteren Aufenthaltsort der Chibigo schließen lässt. Es scheint, als hätten sie Inistra früh verlassen und haben sich einen eigenen Planeten gesucht. Ich denke wir sollten ihm einen Besuch abstatten.“
Springer nickte.
„Ich werde den General anrufen und um sein OK bitten. Er soll noch ein paar Marines senden, ich fürchte ihre Truppe ist im Moment nicht in der Lage die nötige Sicherheit zu gewährleisten.“
Damit verabschiedete er sich. Er nahm seinen Laptop und verschwand wieder durch das blau leuchtende Albagan Portal.
„Ich hoffe mal, dass uns die Chibigo dort helfen können. Ich hatte eigentlich nicht vor jetzt schon in Rente zu gehen…“, lachte der Captain heiser. Rosenthal nickte.
„Ich hoffe auch. Aber das werden wir erst wissen, wenn wir da waren…“
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Sele Re: - Zitat: (Original von Fianna am 04.12.2011 - 02:15 Uhr) So langsam tut sich mir die Frage auf, ob du der russischen Sprache mächtig bist, oder ob du nur die paar Worte kennst. Und die Idee mit den Bakteriophagen... wirklich einfallsreich. Außerdem beschreibst du die Umgebung so gut, dass man ein ungefähres Bild von alledem vor Augen hat. Alles in allem wiederum ein tolles Kapitel. Liebe Grüße Fianna Danke für die weiteren Worte des Lobes, ich freue mich da jedes Mal aufs Neue drüber! Was das Russisch betrifft bin ich der Sprache leider nicht mächtig, das meiste stammt entweder aus dem Wörterbuch oder von Bekannten und Freunden, die Russisch sprechen. Für die Phagen muss ich sagen, hier hats geholfen, dass ich Bio im Abi hatte und mir bei dem Thema gedacht hatte, da könnte man doch mal was draus machen... Und da sag noch einer in der Schule würde man nie fürs Leben lernen ;) LG Sele |
Fianna So langsam tut sich mir die Frage auf, ob du der russischen Sprache mächtig bist, oder ob du nur die paar Worte kennst. Und die Idee mit den Bakteriophagen... wirklich einfallsreich. Außerdem beschreibst du die Umgebung so gut, dass man ein ungefähres Bild von alledem vor Augen hat. Alles in allem wiederum ein tolles Kapitel. Liebe Grüße Fianna |