Und wahrscheinlich wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn uns das unergründliche Schicksal nicht innerhalb eines Tages zwei neue Helfer in unser Nobelrestaurant hingespült hätte.
Es war einer der üblichen Tage in der Chinacat. Onkel Wu, unser Chefkoch und gleichzeitig Professor für Atomphysik und mein bester Freund Kool stritten sich wieder einmal in der Küche unseres Nobelrestaurants über die Zubereitung von was-weiß-ich, während ich vorne im Gastraum die Kunden bediente und unser Servicepersonal scheuchte. Immer wenn ich zur Küchentür kam, hörte ich Wortfetzen und die lautstarke Auseinandersetzung zwischen den beiden.
Ab und zu warf ich einen vorsichtigen Blick durch das große Bullauge, durch das man in die Küche hineinsehen kann- eine Vorschrift in Deutschland, damit man sich nicht gegenseitig die Pendeltür vor den Bregen haut.
So wie ich es aus dem Geschrei heraushören konnte, waren sie sich über die Zubereitung von Schweinehoden uneins. Ob diese nun paniert und gegrillt oder süßsauer leckerer waren. Da das ganze nach einem abendfüllenden Thema aussah und ansonsten alles lief, ließ ich die beiden in ihrem Streit und kümmerte mich um meine eigenen Angelegenheiten. Immerhin bewegten sie fleißig ihre Hände, um die hereinprasselnden Bestellungen unserer Kunden abzuarbeiten. Ab und zu glitten sie dabei ins Mandarinchinesische ab, was mir bei der plattdeutschen Herkunft meines Freundes ein besonderes Vergnügen bereitete. Kools Fortschritte in dieser Sprache waren dank Onkel Wu enorm. Und Onkelchen Wu sprach mitlerweile, und nicht nur wenn er sturztrunken war, das breiteste plattdeutsch mit uns. Anfänglich hatte Wu ja noch ein wenig gelispelt, aber nach einer von Kools Roßkuren, bei der eine große Portion Kautabak von Momme Kuchschief eine ausschlaggebende Rolle spielte, war Wu auf diese höhere Sphäre des sprachlichen Daseins aufgestiegen. Oder um es weniger hochtrabend zu formulieren: Momme schnitt sich ein Stück Priem ab, und Wu machte neugierige Blicke.
„Willst du auch watt? Ist Lecker!“ fragte Momme
Wu, der in jeder hinsicht ein neugieriger Bursche war- vermutlich ein Grund für seine Professur- nickt eifrig. Immer auf der Suche nach Dingen, die man vielleicht für etwas gebrauchen konnte. Schließlich hatte er auf diese Weise auch den Dithmarscher Sushi erfunden, jene in allen Goumettempeln der Welt mittlerweile nachgeahmte Vorspeise, die schlaffe Kerle wieder auf Trab brachte.
Momme schnitt ein zweites Stück ab und steckte es Wu in den Mundwinkel. Just, als Momme die Backen aufblies, um das furchtbare Zeug auzuspucken kam Kool aus der Küche und rammte Wu die Pendeltür in den Rücken. Statt das Zeug auszuspucken, schluckte er es runter- und sprach fortan plattdeutsch völlig akzentfrei- Nachdem er mit Mommes neunzigjährigem Whiskey den Mund gründlich gespült hatte.
Immer wenn ich an diese schöne Episode meines Lebens dachte, riss sich ein fettes Grinsen auf meine Vorderfront, und wie immer, kommen mir dann ganz komische und dankbare Gedanken.
Welch einen wundersamen Weg waren Kool und ich in den letzten Jahren gegangen. Nach den Jahren, in denen wir unser Auskommen auf der Straße verdienen mußten, als Wegelagerer, Strandräuber, Verbannte, Tierbestatter und Testesser für ein Fastfood-Unternehmen, lief es endlich einmal glatt. Sogar viel zu glatt für Kools und meinen Geschmack, wenn wir mal dies Thema diskutierten.
Konnte es so weitergehen, fragte ich mich in einsamen Stunden? Seit fast drei Jahren besaßen wir nun unser chinesisches Nobelrestaurant und scheffelten das Geld an allen Enden der Wertschöpfungskette.
Wir schenkten von Momme Kuckschief selbstgebrannten Schnaps in allen möglichen Geschmacksversionen aus. 90Jährigen Whisky, edelsten Brandy aus Spanien, Fidel Castros persönliche Rumreserve (Mit Widmung „für Kool und Voss“ auf den Flaschen), Italiens besten Grappa, alles kein Problem für den ehemaligen Kuh- und Schweinebauern Momme. Was der mit unbeschreiblichen Ingredenzien und seltsamen Zaubersprüchen aus billigstem Industriealkohol brauen konnte- wundersam.
In der Küche sorgte unser heimlicher Teilhaber Professor Wu mit zutiefster Hingabe für das leibliche Wohl der Kunden. Man merkte ihm an, das die Professur in Atomphysik nicht spurlos an ihm vorbeigegangen war. Schließlich herrschte zu der Zeit in China noch echte Mangelwirtschaft. Da ist es für einen geübten Verstand kein Problem, aus billigstem zeug in der kulinarischen Fachpresse hochgepriesene Speisen herzustellen- Hauptsache, im Einkauf billig.
Nur bei der Dekoration des Lokales hatten wir Konzessionen gemacht. Als Onkel Wu zu uns stieß, servierten wir unser Essen auf Papptellern und die Gäste mußten aus manchnmal nicht ganz sauberen Gurkengläsern mit dem bekannten Schraubdeckelrand trinken. Das war in den ersten Monaten nach der Geschäftseröffnung total hip und angesagt, und die gesamte Landesregierung samt ihren Beamten kamen quasi gar nicht an uns vorbei. Schließlich war unser Restaurant nur einen Steinwurf vom Hindenburgufer in Kiel entfernt- da, wo die ganze Bande haust. Was wiederum einen bezeichnendes Schlaglicht auf die Kochkünste des verbeamteten vielköpfigen Kochkommitees in den Ministerien und in der Staatskanzlei wirft. Denn in den Kantinen der Ministrien herrschte gähnende Leere, seit unserer Geschäftseröffnung. (Was aber nicht zu einer Verringerung des Einkaufs für die Ministeriumskantinen führte- es wurde vorne angeliefert, und wir kauften dann an der Hintertür billig mit Schwarzgeld ein. So brauchte sich niemand in den Kantinen mit Arbeit belasten.)
Naja, zudem hatten wir eine weitere Trumpfkarte im Ärmel- die oberen Stockwerke unseres Gebäudes hatten wir an freischaffende Damen und Herren vermietet. Samt Besprechungszimmer mit breitem Bett und Nachttischchen. Und zu diesen Konferenzräumen kam man nur durch unser Lokal. Den vormals existierenden verschämten Seiteneingang hatten wir nach dem Kauf des Hauses kurzerhand zugemauert. So war das Publikum sogar mit einem vernünftigen Alibi ausgestattet- samt steuerlich absetzbarem Bewirtungsbeleg.
Ja, und von Zeit zu Zeit stellten wir vor und hinter einem besonders wertvollem Automobil, das vor unserem Laden parkte, ein paar geklaute Halteverbotsschilder auf. So das dies Auto dann ganz unschuldig im Halteverbot stand. Ein uns bekannter besonders vertrauenswürdiger ukrainischer Abschleppdienst sorgte dann für den sorgfältigen Abtransport. Vertrauenswürdig hieß in diesem Fall, das unsere Provision vom Verkaufserlös in Kiew auch in bar und ohne Beleg uns ausgehändigt wurde.
Dieses komplette Geschäftsmodell wurde in eingeweihten Kreisen als betriebswirtschaftlich Beispielhaft gelobt, und wir waren sogar in der Campuszeitung der Harvard Business School (ja, DIE Business-Schule in Boston, Amerika) mit einem halbseitigen Artikel lobend erwähnt worden.
Und doch hatte ich meine Bedenken. Wegen unserer früheren Verbrechen- die Kool und ich zwar für lässliche Nichtigkeiten hielten- war uns immer noch Wachtmeister Hansen mit seinem Adlatus Schulz auf den Fersen. Kurz nach dem Kauf der „China Cat“ hatte uns ein Journalist der Kieler Nachrichten enttarnt. Kurzentschlossen verkauften wir damals das Lokal an zwei Chinesen namens Kool Ling und Voss Ming. Und stürzten in der selben Nacht von der Kieler Hochbrücke mit einem neu gekauften Auto in den Nord- Ostsee-Kanal. Unsere Leichen wurden nie gefunden- wie auch, wir trugen ja seitdem Perücken mit Chinesenzopf und Decknamen.
Wachtmeister Hansen hatte nach Monaten des intensiven Nachdenkens ...