Sonstiges
Liebestanz am Sonntagmorgen

Es war ein ganz gewöhnlicher Sonntagmorgen – Zeit der Ruhe und Entspannung, wenn die Familie noch schläft. Genüsslich setzte ich mich auf den Lesesessel im Wohnzimmer, stellte ihn in halbe Liegeposition, setzte meinen Kopfhörer auf und machte das Radio an.

Swiss Classic, http://www.radioswissclassic.ch. Das soll jetzt hier keine Werbung sein, nur einmal ein herzliches Dankeschön für dieses einmalige Radio, welches außer den kurzen Ansagen durchgehend Musik vom Feinsten sendet, ohne die stündlichen „News“, die doch immer dieselben sind. (Fenster wieder zu)

Mit geschlossenen Augen ließ ich die Klänge in meine Seele eindringen. Die Freude dauerte nicht lange. Ein kleines Flugobjekt landete auf meinem Unterarm und rannte nervös hin und her. Kurz gezuckt, weg war sie, die lästige Fliege. Aber sie meldete sich gleich zurück. Als ich meine Augen öffnete, setzte sie sich auf meine Hose. Das war mir angenehmer, denn so konnte ich ihre Beinchen nicht spüren. Abermals schloss ich die Lider und schon war sie wieder auf meinem nackten Unterarm. Dieses Spielchen wiederholte sich noch einige Male und ich dachte an eine kaltblütige Ermordung. Doch da kamen Jugenderinnerungen in mir auf. Einmal nur in meinem Leben hatte ich so einen Mord ausgeführt, eine Fliege mit meinem selbstgebastelten Gummigewehr mitten im Flug abgeschossen. Ich war damals sehr stolz auf diesen Treffer – bis ich bemerkte, dass die Fliege wirklich tot war. Da bekam ich Gewissensbisse, die mich lange Zeit plagten.

Seither habe ich die Fronten gewechselt und mich als Insektenfreund hervorgetan. Wann immer ein Tierchen in Not ist, versuche ich zu helfen. Unzählige konnte ich schon vor dem Ertrinken in Brünnen, Bächen oder Seen retten oder einfach nur dadurch, dass ich sie, durch das Öffnen eines Fensters, in die Freiheit entließ.

Mord kam also nicht in Frage. Ich entschied, eine leichte Decke zu holen, um mich so vor der nervösen Fliege zu schützen. Gedacht, getan, wieder Augen zu – welch ein Genuss die Klänge von Mozart… außer einer kurzen Landung auf meiner Nasenspitze, ließ sie mich dann auch tatsächlich in Ruhe. Etwas später verriet mir ein flüchtiger Kontrollblick, dass nun zwei Fliegen auf meiner Decke herumtanzten, mich jedoch dabei nicht mehr störten…

Endlich konnte ich mich der Muße hingeben. Schon bald aber verspürte ich Harndrang, den ich aus Faulheit natürlich zu verdrängen versuchte. Es half nichts, ich musste aufstehen und zur Toilette gehen. Nach dem Verrichten des Geschäftchens, wusch ich meine Hände, schaute in den Spiegel und bekam einen Gedankenblitz: „Vielleicht war das ja ein Fliegenmännchen, welches so nervös auf seine Geliebte gewartet hatte…“

Was ich, wieder zurück im Wohnzimmer, erblickte, entlockte mir ein lautes Lachen. Direkt über meinem Lesesessel an der Wand waren zwei Fliegen – eine auf der anderen positioniert. Meine Vermutung, es hätte sich zuvor um ein Rendezvous gehandelt war also nicht so abwegig – der nervöse Liebhaber, die Geliebte und dann der Liebestanz am Sonntagmorgen, auf meiner Decke.

Nun brauchte ich auch die Decke nicht mehr – sie waren beschäftigt. Ich konnte mehr als eine Stunde in Ruhe Musik hören, während dem die Beiden in derselben Stellung blieben…

Ich hoffe nur, dass mich nächstens nicht gleich die ganze Fliegen-Familie besuchen wird.