Biografien & Erinnerungen
Erzähl doch mal - Wetterpropheten

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"Erzähl doch mal - Wetterpropheten"
Veröffentlicht am 26. Mai 2009, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Erzähl doch mal - Wetterpropheten

Erzähl doch mal - Wetterpropheten

Bei uns in der Nachbarschaft wohnte vor Jahren eine Familie, die problemlos das Wetter vorhersagen konnte. Das geschah folgendermaßen: Immer dann, wenn jemand aus dieser Familie Wäsche an die Leine hängte, war die Wahrscheinlichkeit ausgesprochen hoch, dass es Regen geben würde. Immer wieder konnte ich beobachten, wie Mutter und Tochter morgens bei strahlendem Sonnenschein bepackt mit Wäschekörben und den nötigen Wäscheklammern in deren Garten standen und kiloweise Wäsche an die Leine hängte. Meist geeschah das so, dass die Mutter ein Wäschestück zur Hand nahm und sich von ihrer Tochter mit den Klammern versorgen ließ. Nach getaner Tat traten sie einige Schritte zurück, bewunderten ihr Werk, nickten zufrieden und zogen sich ins Haus zurück.
Dann dauerte es in der Regel nicht einmal eine Stunde, bis der Himmel sich merklich bezog. Dunkle Regenwolken zogen sich immer dichter zusammen, bis der Himmel seine Schleusen öffnete und die frisch gewaschene Nachbarswäsche total durchnässte. Einmal konnte ich sogar beobachten, dass diese Wäsche dermaßen an Gewicht zunahm, dass die Wäscheleine das Gewicht nicht mehr tragen konnte und zerriß. Die Textilien sanken zu Boden und veränderten durch den Matsch rasch ihre Farbe. Aber wie gesagt, das war eigentlich eine Ausnahme.
Meist blieb die Wäsche triefend naß an der Leine hängen. Das meine ich genauso, wie ich es sage: Die Wäsche blieb an der Leine, bis das Wetter sich besserte und die Sonne sich doch noch dazu entschloss, auch die Nachbarswäsche zu trocknen. Wie sich unschwer vermuten lässt, waren die Mitglieder dieser Familie schon von weitem an ihrer ausgebleichten Kleidung zu erkennen.
Hatte ich mir also vorgenommen, das gute Wetter auszunutzen, um z. B. die Betten abzuziehen, die Bettwäsche zu waschen und an der frischen Luft trocknen zu lassen (ich liebe frisch gewaschene und luftgetrocknete Bettwäsche), so beobachtete ich erst einmal die Aktivitäten dieser Nachbarsfamilie. Sah ich jemanden mit einem Wäschekorb auf dem Grundstück, dann verschob ich mein Vorhaben lieber. Sogar meine Freundin verließ sich lieber auf diese Wetterpropheten als auf den Wetterbericht. Oft rief sie mich an und teilte mir mit, dass sie plane, ihre Wäsche rauszuhängen. "Wie sieht es aus?" fragte sie dann: "Kannst du mal kurz nachschauen?" Also begab ich mich ans Fenster. Waren weit und breit keine Menschen mit Wäschekörben und auch keine mit entsprechenden Textilien versehenen Wäscheleinen zu sehen, dann gab ich grünes Licht.
Mitunterkam es jedoch auch vor, dass diese lieben, netten Nachbarn ihren Zeitplan nicht einhielten. Nach kurzer Inspektion mit positivem Ergebnis, sprich: weit und breit keine Wäsche oder deren Körbe, entschloss ich mich in diesem Fällen, endlich einmal wieder die Wäschespinne zu benutzen. Fröhlich ein Liedchen pfeifend bugsierte ich also den Inhalt dreier Wäschekörbe an die Leine, trat einige Schritte zurück, bewunderte mein Werk und zog mich ins Haus zurück.
Aber was war das? Schnellen Schrittes begab ich mich zum Fenster, das mir freien Blick auf das Nachbargrundstück bot. In vielen bunten, leicht gebleichten Farben wehten dort Blusen, T-Shirts, Handtücher und der gleichen im auffrischenden feuchten Wind. Gleichzeitig klatsche auch schon der erste Wassertropfen gegen meine Scheibe. Ich griff nach einem Wäschekorb und rannte nach draußen um zu retten, was noch zu retten wäre.
Kennt zufällig jemand diesen Zustand? Der Himmel ergießt sich über einem. Völlig durchnässt stehe ich im Freien, meine nassen Haare drücken sich an meinen Kopf, während ich hastig ein Wäschestück nach dem anderen mehr oder weniger von der Leine reiße und die Klammern in den Beutel stecke, den ich mit dem Mund zu halten versuche. Da ich so hastig arbeite, passiert es immer wieder, dass ein Wäschestück droht mir aus der Hand zu rutschen oder aber der Beutel für die Wäscheklammern verrutscht. Mein Wäschekorb füllt sich schneller, als ich es erwartet hätte, schließlich versuche ich jetzt, den vorherigen Inhalt von drei Körben in einen zu drücken. Meine Lippen werden von der Schwerstarbeit des Beutelhaltens langsam gefühllos, dann ist es und bin ich endlich geschafft.
Ich haste durch den Regen mit der geretteten Wäsche ins Haus, schließe die Tür hinter mir und drücke mich schweratmend an die Wand, an die ich die aufgesogene Feuchtigkeit abgebe.
Manchmal habe ich mich gefragt, ob diese Tätigkeit der Nachbarsfamilie vielleicht eine Art Regentanz war. Vielleicht sollte man sie ab und zu in Dürregebiete schicken und dort eine Wäscheleine für sie ziehen, damit sie den Regen herbeizaubern können. Aber immer dann, wenn ich es gerade wieder einmal geschafft hatte, meine Wäsche vor dem einsetzenden Regen zu retten, war ich auch ein wenig wütend auf sie. Es kam aber auch immer wieder vor, dass ich mir diese Arbeit erspart hatte und dann auf der Fahrt zum Einkaufen in vielen Gärten bunte Textilien aller Art flattern sah: Wartet ihr nur, dachte ich dann, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Woher aber sollten diese Menschen wissen, dass es Regen geben würde? Es waren schließlich meine Nachbarn und manchmal war ich auch dankbar dafür. Ja, so war das mit den Wetterpropheten.
Irgendwann sind sie weggezogen und ich weiß nicht einmal wohin. Vielleicht wohnen sie ja mittlerweile direkt in deiner Nachbarschaft.
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Hörbuch

Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Gunda Deine ... - .. Geschichte hat mich heftig mit dem Kopf nicken lassen...
Nicht die Wäsche der Nachbarn ist mein zuverlässigster Wetterprophet, ich bin es selbst: Immer, wenn ich mir einen festen Termin für den Besuch des Grabes meiner Großeltern eingeplant habe und diesen dann auch in Angriff nehme (also ich meine so einen Besuch, bei dem Blumen gepflanzt, Hecken geschnitten und Rindenmulch verteilt werden sollen, also eine gewisse Vorbereitung und Planung notwendig ist), weiß ich schon am Abend vorher, dass es regnen wird ... Bislang immer zuverlässig eingetroffen, meine Vorhersage ...

Augenzwinkernder Gruß
Gunda
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