Vollmond
Anne Frank konnte wieder einmal nicht schlafen. Es war die Nacht vom 16. auf den 17. September 1942 und es war Vollmond. Erinnerungen sprudelten in ihr hoch. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn sie nicht auf der Flucht vor Hitler, sondern zu Hause vor einem prasselndem Kaminfeuer liegen sein würde. Eine Träne stieg ihr ins Auge. Sie fragte sich, wie es dazu kam, wie Hitler fast ganz Deutschland von sich und seiner Partei, der National Sozialistischen Deutschen Arbeiter Partei (NSDAP) überzeugt hatte. Vor allem, weil die Menschen schon vor der Wahl wussten, dass er Juden und Ausländer nicht mochte. Die Träne lief ihr das Gesicht hinunter. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sie abzuwischen, denn ihr folgten noch weitere Tränen, als sie daran dachte, wie gemütlich es ihr, im Gegensatz zu dieser alten Dachkammer, in ihrem alten Haus ergehen würde.
UnerwĂŒnschter Besuch
Es hatte angefangen zu regnen. Es schien so, als ob ganz Deutschland ihre Gefühle erwidert hatte. Dann hörte sie ein dumpfes Gerede im Innenhof ihres Versteckes. Vorsichtig schaute sie aus dem Fenster ihres Zimmers. Viel konnte Anne Frank nicht erkennen. Sie sah nur drei Schemenhafte Gestalten. Offenbar suchten sie nach etwas. Plötzlich sah sie eine vierte Gestalt, die wohl an ihrer Eingangstür rüttelte. Obwohl ihr Haus schon öfter durchsucht worden war, bekam sie ein wenig Angst. Leise hörte sie die Eingangstür quietschen. Jetzt wusste sie, dass die vier unbekannten in ihrem Haus waren. Das sie allein war, war wohl das Schlimmste. Aus ihrer angst wurde Panik. Wenn diese vier Gestalten auch nur zufällig das Regal, welches zu ihrem Versteck führte, berührten, waren sie verloren. Was sollte sie tun? Alle anderen aus ihrem Schlaf reißen, nur um dann eine Predigt zu bekommen, dass sie nicht so überreagieren solle, nur wenn ein paar Leute in ihrem Haus sind oder sollte sie versuchen, diese Gestalten zu belauschen um vielleicht etwas Nützliches über die Außenwelt zu erfahren? Nach einigen Sekunden entschied sich Anne Frank trotz ihres rasenden Herzen gegen die Sicherere Methode, vor allem, weil die Stimmen lauter geworden waren und sie wusste, dass die vier Personen im zweiten Stockwerk angekommen waren.
MĂ€nnerstimmen
Leise ging sie aus ihrer Dachkammer, um die anderen Flüchtlinge nicht zu wecken und den, die das Haus durchsuchen keine heiße Spur zu liefern, um sie zu finden. Nun konnte sie die Stimmen eindeutig verstehen. Es waren Männerstimmen.
Einer sagte:„ Warum müssen wir eigentlich immer noch in diesem alten Haus diese Juden suchen? Das haben doch schon mindestens drei andere Suchtrupps vor uns gemacht.“
Ein anderer kicherte:„ Ich weiß, aber hast du noch nicht gehört, dass Juden sich in Staub auflösen können? Ich glaube, deshalb hat uns unser Führer aufgetragen, in der Nacht zu suchen, denn wenn sie schlafen, können sie sich ja nicht auflösen….“
Obwohl die anderen Männer lachten, war Anne Frank nicht einmal zu einem Lächeln zumute. Der Grund dafür war, dass die Stimmen der Männer sich so laut anhörten, als ob sie direkt neben dem Regal stehen würden.
Das UnglĂŒck
Dann geschah es. Offenbar hatte sich einer von ihnen sich gegen das Regal gelehnt und es so unbeabsichtigt beiseite geschoben. Jubelgeschrei brach auf der anderen Seite aus, als sie die Tür sahen. Anne Franks Reaktion war nicht mehr, als der Versuch Hilfe zu holen, doch sie hatte keine Chance. Die Tür flog auf und einer der vier ausgewachsenen Männer packte sie am Kragen. Verzweifelt schlug sie um sich, doch der Mann, der sie festhielt war so muskulös, dass er es wahrscheinlich auch mit zwei Mädchen in ihrem Alter hätte aufnehmen können. Als Anne Frank aufgegeben hatte, sich versuchen zu befreien rief der Mann zu den anderen:„ Durchsucht jeden Raum und jedes Regal! Wo eine ist, müssen auch noch mehr sein.“ Sofort strömten die drei anderen Männer in die Zimmer wo die anderen nichts ahnend schliefen. Schon wieder fing sie an, mit den Tränen zu kämpfen. Das ist das Ende, dachte, nein, wusste sie. Die einzige Chance, die sie jetzt noch hatten, war auf dem Weg zu einem Konzentrationslager irgendwie versuchen zu fliehen.
Mit einem festen Schlag wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie kämpfte verzweifelt gegen das zweifellos beabsichtigte Ohnmacht Gefühl.
Sie schaffte es. Trotzdem tat sie so, als wäre sie nicht mehr bei Sinnen. Sie wollte fliehen und sie war müde….
Das Ende
Von einem Schrei wachte sie auf. Ein ziemlich absurder Geruch drang ihr in die Nase. Schnell schlug sie die Augen auf. Nun sah sie es: Das Konzentrationslager. Das letzte bisschen Mut verließ sie. Die Chance zu flüchten war dahin. Es ertönten noch weitere, schrecklichere Schreie. Sie musste nicht lange raten, was da passierte, denn sie wusste es: Juden und Ausländer wurden einfach so gefoltert und getötet. Dann viel sie wieder in Ohnmacht.
Im Konzentrationslager wachte sie zwei Tage später auf. Ihr ging es sehr schlecht. Sie hatte hohes Fieber und heftige Bauchschmerzen. Einen Tag danach starb sie im Schlaf.
Heute weiß man, dass diese tödliche Krankheit Typhus heißt.