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Worte zum Amoklauf

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"Worte zum Amoklauf"
Veröffentlicht am 14. März 2009, 6 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Worte zum Amoklauf

Worte zum Amoklauf

Als ich diese Woche die Bahn betrat, fand ich Platz in einem Wagen, in dem schon mehrere junge Mädchen saßen. Ich schätzte sie auf ca. 15 bis 16 Jahre alt. Sie unterhielten sich angeregt. Sie lachten viel. Sie verhielten sich eben so, wie Mädchen das in ihrem Alter so machen.  

 

Ich schlug die Zeitung auf. Der Leitartikel handelte vom Amoklauf.

Ich habe die Zeitung in meinen Schoß gelegt.

Die Bilder haben mich zu sehr bewegt.

Ich habe einfach nur aus dem Fenster gesehen.

Es passieren Dinge, die kann ich einfach nicht verstehen.

 

Wie aus weiter Ferne drang das Lachen der Mädchen an mein Ohr. Sie waren fröhlich, ausgelassen, wechselten schnell die Themen. Mode, Prominente und natürlich Jungs waren ihre Gesprächsthemen. Immer wieder lachten sie.

 

Ich spürte, dass ihr Lachen mich traurig machte,

dass ich dabei heute nur an das Geschehene dachte,

an unschuldige Menschen, die sterben mussten,

morgens noch nichts von ihrem Schicksal wussten.

 

Ich musste daran denken, dass all die Menschen, die jetzt tot waren, morgens genau so ausgelassen und fröhlich wie diese Mädchen waren. Vielleicht hatten sie nur wenige Stunden vor der Tat gemeinsam in einem Bus gesessen, erzählt und gelacht ohne zu ahnen, dass dieser Tag der letzte ihres Lebens sein würde.

 

Jetzt musste ich an all die Mütter denken,

konnte meine Gedanken nicht in andere Bahnen lenken.

Gleichzeitig machte Hilflosigkeit sich breit.

Wir leben in einer schrecklichen Zeit.

 

An der nächsten Haltestelle sind die Mädchen ausgestiegen. Sie haben ihre Schultaschen genommen, ihr Spiegelbild im Fenster betrachtet und sind dann lachend zur Tür gegangen. Ja, ganz offensichtlich waren sie auf dem Weg zur Schule, einem Ort, der vor Jahren noch Sicherheit bot, in denen Eltern ihre Kinder gut aufgehoben wussten – aber heute?

 

Dann habe ich einen Knall gehört.

Ich sah aus dem Fenster total verstört.

Ein Kind hielt einen geplatzten Ballon in der Hand.

Es dauerte, bis ich meine Ruhe wieder fand.

 

Und wieder nahm ich die Zeitung zur Hand.

Und wieder starrte ich auf die Bilder gebannt.

Lachende Mädchen waren auf den Fotos zu sehen.

Warum musste das jetzt schon wieder geschehen?

 

Meine Gefühle waren mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben, denn als ich meinen Arbeitsplatz erreichte, sprach mich ein Kollege an: „Was ist denn mit dir los? Du siehst ja furchtbar aus.“ „Danke“, murmelte ich: „Der Amoklauf.“ „Bist du betroffen?“ „Ja“, antwortete ich leise und dachte nur bei mir: Ja, ich bin betroffen, nicht so, wie er es vielleicht meint. Es wurde kein guter Freund oder Verwandter von mir erschossen, aber die ganze Geschichte macht mich betroffen. Ist das nicht völlig normal? Wäre es nicht unnormal, nicht betroffen zu sein?

 

Jetzt stand ich auf dem Flur, allein.

Manchmal schäme ich mich, ein Mensch zu sein.

 

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Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Chrissy55 Re: diesen Text ... -
Zitat: (Original von Gunda am 15.03.2009 - 11:40 Uhr) ... muss man eigentlich nicht kommentieren, geschweige denn bewerten, er spricht für sich.
Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem meine Tochter abends wieder heil und gesund im Bett liegt. ..

Lieben Gruß
Gunda



Danke dir, Gunda, es viel mir schwer, etwas zu schreiben, es viel mir aber noch viel schwerer, nichts zu schreiben. Klingt sicherlich sonderbar, aber es gibt Dinge, die verarbeite ich beim Schreiben einfach besser. Jetzt fehlen mir aber die Worte. Ich wünsche dir, dass es dir und deiner Tochter immer gut geht.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda diesen Text ... - ... muss man eigentlich nicht kommentieren, geschweige denn bewerten, er spricht für sich.
Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem meine Tochter abends wieder heil und gesund im Bett liegt. ..

Lieben Gruß
Gunda

Vor langer Zeit - Antworten
rumpi Re: Als die Meldung kam -
Zitat: (Original von 3balmers am 15.03.2009 - 00:42 Uhr) wollte ich es zuerst nicht an mich ran lassen. Denn was glaubst Du was das in mir auslöst, wenn ich dann meinen Jungen wieder in die Schule schicken muss. Doch dann habe ich mich doch damit befasst. Und irgendwie war es besser die Angst und all die Gefühle die hoch kamen zu zu lassen. Aber es bleibt eine Ohnmacht. Der Gedanke was ist aus dieser Welt und den Menschen geworden. Manchmal bin ich einfach nur sehr sehr traurig.
LG Karin



Liebe Karin,

uns ging es genauso. Du kannst dir sich vorstellen, was in unseren Köpfen vorging. Unsere beiden Kleinen wollten nicht mehr in die Schule. Es bleibt nur Fassungslosigkeit und Ohnmacht. Wir haben zu hause viel über diesen Amoklauf geredet, weil die Jungs es verarbeiten mussten.
An Steve seiner Schule hatten wir soetwas letztes Jahr auch. Dort hat die Polizei aber sofort reagiert.

Liebe Grüße
Karsten
Vor langer Zeit - Antworten
3balmers Als die Meldung kam - wollte ich es zuerst nicht an mich ran lassen. Denn was glaubst Du was das in mir auslöst, wenn ich dann meinen Jungen wieder in die Schule schicken muss. Doch dann habe ich mich doch damit befasst. Und irgendwie war es besser die Angst und all die Gefühle die hoch kamen zu zu lassen. Aber es bleibt eine Ohnmacht. Der Gedanke was ist aus dieser Welt und den Menschen geworden. Manchmal bin ich einfach nur sehr sehr traurig.
LG Karin
Vor langer Zeit - Antworten
rumpi Ohne - Worte.


Anteilnehmenden Gruß,Karsten
Vor langer Zeit - Antworten
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