Fahrrad Geschichten
Meine Eltern haben dafür gesorgt, dass wir Kinder die wichtigsten lebenspraktischen Dinge lernen.
Wie zum Beispiel soziales Verhalten, Ordnungssinn, ein Musikinstrument spielen, Lesen und Schreiben und Rechnen, Schwimmen und auch Fahrrad fahren.
Ich kann mich zwar nicht mehr an meine
ersten Versuche erinnern, aber daran, dass wir Kinder schon früh mit dem Fahrrad zum Wald gefahren sind, um dort zwischen den Bäumen in der Erde zu wühlen und Schlammschlacht zu spielen.
DENN
Mein kleiner Bruder ist oft samstags morgens mit dem Fahrrad losgeradelt, um Brötchen für das Familienfrühstück zu holen.
Oder zu den Großeltern.
Eines Tages war er auf dem Fahrrad dorthin, um mit dem Opa Hausaufgaben zu machen.
Auf dem Heimweg ist er geradewegs gen Himmel geradelt.
DENN DORT
Als ich mit meiner knapp 3 jährigen Tochter in die weit entfernte Stadt Köln gezogen war, um dort ohne ihren Vater einen Neuanfang zu starten, diente mir mein Fahrrad mit Kindersitz auf dem Gepäckträger als tägliches Transportmittel zwischen Wohnung, Kindergarten, Arbeitsstelle und Lebensmittelgeschäft.
Nach über zwei Jahren musste ich mir dann
ein billiges Auto kaufen, da die neue Arbeitsstelle außerhalb von Köln war, und somit nicht mehr mit dem Fahrrad zu erreichen.
DENN DORT IST
Während meines weiteren beruflichen Werdeganges stieg die Anzahl von Autofahrstunden immens an, da ich als Projektleiterin für Filialen in verschiedenen Städten zuständig war und außerdem meine pubertierende Tochter abends zu Freunden und Partys kutschiert werden musste.
Analog hierzu stieg die Anzahl der Bandscheibenvorfälle entlang der Wirbelsäule vom Steißbein bis hin zur Halswirbelsäule.
Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen und regelmäßige Krankengymnastik und Sport zögerten den körperlichen Zusammenbruch zwar hinaus, dennoch kam er unweigerlich knapp zehn Jahre nach Beginn.
Hände und Arme wurden taub.
Autofahren war nicht mehr möglich.
Arbeiten auch nicht mehr.
Beine und Hüften schmerzten und verfügten nur unregelmäßig über ausreichend Kraft.
Zwei Jahre überwiegend im Bett verbracht. Krankengymnastik und leichtes Muskelaufbautraining über ein Jahr hinweg brachten mich wieder auf die Beine und
befähigten mich, wieder Tasse und Zahnbürste eigenständig zu nutzen.
Weiteres Lauftraining und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ermöglichten mir Bewegungsspieltraum.
Doch Autofahren und Fahrradfahren war nicht möglich, die gleichbleibende Armhaltung in Höhe vor dem Brustkorb führte zur Versteifung des Nackens und dies wiederum zum nicht auszuhaltenden Druck auf die Nervenbahnen.
Also immer schön in Bewegung bleiben und einseitige Haltung meiden.
Keine Job mehr, kein Häkeln und Stricken mehr, kein Fensterputzen (Juhu), kein PC mehr, kein Inliner, Fahrrad oder Autofahren mehr.
Beziehung auch gescheitert.
Was nun?
Ein Hund kann Leben retten.
Ich habe es erlebt.
Die täglichen Spaziergänge mit dem jungen Hund haben unmöglich Scheinendes über einen Zeitraum von ca 3 Jahren möglich gemacht.
Beine, Hüften, Wirbelsäule, Schultern und Nacken stabilisiert und trainiert.
Strecken geschafft, von denen ich vor Jahren nicht zu träumen gewagt hätte.
Okay – manchmal war es reichlich grenzlastig, wenn die Strecke doch zu weit war und die Bewältigung des Heimwegs bedeutete, dass der nächste Tag dem Regenerieren gewidmet
werden musste.
Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker.
DENN DORT IST MEINE
Hundeerziehung und Hundehaltung ist ein Thema für sich.
Absolut individuell.
Abhängig von hunderttausend Faktoren.
Bewundert habe ich die wenigen Hundehalter, die mit ihren Vierbeinern schön Fahrrad gefahren sind.
Herr Velo mit seinem Rüden fuhr stets derart
gelassen auf der Straße, auf dem Fahrradweg und in den Parks, dass ich vor Neid und Bewunderung erblasste.
Echt cool.
Doch ich kann ja leider nicht mal mehr Fahrrad fahren.
DENN DORT IST MEINE FRAU
Als das Telefongespräch zu Ende war, dachte ich nur:
„Hast du sie eigentlich noch alle?! Ich habe ganz andere Probleme! Aber es scheint dich ja nicht zu interessieren, dass ich mich seit
zwei Tagen kaum noch bewegen kann. Der Ischias so sehr schmerzt, dass ich nicht mehr sitzen und laufen kann. Mich nur noch halten kann, wenn ich mich abstütze. Muss dass ausgerechnet heute sein? Ich hätte ja ein bisschen Verständnis oder Hilfe deinerseits erwartet, aber nein, jetzt muss ich mir auch noch ein Fahrrad anschauen fahren. Wo ich kaum im Auto sitzen kann. Aber nein. Wenn er sich schon darum gekümmert hat, dass ich ein Fahrrad geschenkt bekomme, dann kann ich ja nicht nein sagen.“
Das Sitzen im Auto ist sehr schmerzhaft. Wusste ich ja aber vorher.
Während der Fahrt nach außerhalb der Stadt versuche ich gelassen zu bleiben.
Der Mann, welcher das Damenfahrrad in Größe 26 zu verschenken hat, ist so freundlich, es mir aus der Garage zum Gehweg zu schieben, damit ich es mal Probe fahren kann.
Ich denke einfach nicht darüber nach, wie ich mit dem eingeklemmten Ischias Nerv auf das Fahrrad komme, sondern tue es einfach. Fahre los und die Anliegerstraße bis zum Ende und zurück.
Keine Schmerzen auf dem Fahrrad.
Es lässt sich angenehm fahren.
Ich freue mich spontan.
Als ich abgestiegen bin und auf die Männer zugehe, um meiner Begeisterung Ausdruck zu geben, sticht es schon wieder im unteren
Rücken und im rechten Bein.
Interessant.
Auf dem Fahrrad geht es heutzutage also besser als zu Fuß.
Am liebsten hätte ich den Mann, der das Damenfahrrad verschenkt, umarmt.
Stattdessen rufe ich:
„Dass ist ja ein Geschenkt des Himmels!! Vielen Dank!!“
Der Mann antwortet leise:
„Ja, das ist es.
DENN DORT IST MEINE
FRAU JETZT:“
Nachtrag:
Ich habe dem Mann natürlich mein Bedauern und meine ehrliche Anteilnahme ausgedrückt, und zunächst fühlte es sich für mich sehr
eigenartig an, dieses Geschenk des Himmels mit nach Hause zu nehmen. Doch es stellte sich auch langerfristig als Segen heraus.
Der mich behandelnde Orthopäde hatte mich eine Woche später kostenpflichtig direkt an der Wirbelsäule gespritzt und der Schmerz ließ nach. Mit der Erläuterung des Röntgenbildes meiner Wirbelsäule stellte er fest, dass man langfristig nur noch mit einer OP helfen könnte. Bis dahin sollte ich Muskeltraining machen.
Am besten mit dem Fahrrad….
Mein Dank
geht an den Himmel
und
an Herrn Velo.