Digital oder doch normal?
Hinweis Eins:
Die Geschichte ist nicht neu, passt aber vielleicht zur aktuellen SP.
Darum als Randbeitrag ...
Hinweis Zwei:
Die Geschichte ist so oder ganz ähnlich identisch abgelaufen. Keine Utopie, keine Science Fiction.
Hinweis Drei:
Wahrscheinlich ist die Geschichte schrecklich langweilig. Vielleicht ja gerade weil …
© Memory (Feb. 2019)
Montag Morgen ...
Sascha, der Sechstklässler der Familie Huber sitzt am Frühstückstisch und lebt akut seine Morgenmuffeligkeit aus, während Mama Ulrike Pausenboxen mit belegten Broten, Gurken und halben Äpfeln füllt.
Minuten später kommt Matti, der Kindergartenbesucher im Endstadium auf einem Bein in die Küche gehüpft.
„Alexa, bitte spiele meine Kindermusik, aber nicht so laut!“, schmettert er fröhlich in die Runde.
Als kurz darauf ‚Plitsch, Platsch, Pinguin‘ aus dem kleinen Lautsprecher ertönt, Matti sich zufrieden strahlend an den Tisch setzt um sein Müsli zu essen, murmelt Sascha - Augen
rollend: „Nicht schon wieder!"
„Nicht schon wieder, gilt auch für dich, junger Mann!“, mischt sich Mama ein.
„Du weißt, dass heute Matti mit der Frühstücksmusikprogrammwahl dran ist, morgen du und übermorgen ich.“
„Jahaaa, ich weiheisssss. Zum Glück ist Papa morgens schon weg, sonst müsste ich immer vier Tage auf meine Musik warten“, mault er leise.
Schmunzelnd setzt sich Ulrike zu den Jungs, zieht vorher noch die Kaffeekanne aus der alten Maschine. Sie liebt frisch gebrühten Kaffee und denkt nicht im Traum daran, ihre Uralt-Kaffeemaschine durch eines dieser High-Tech-Geräte einzutauschen.
„Habt ihr alles gepackt?“ Fragend schaut sie
abwechselnd von einem Spross zum anderen.
Matti zieht einige Steine aus seiner Hosentasche.
„Hab alles. Wir sollen heute Steine mitbringen, die kleben wir zusammen und dann bemalen wir die mir Farbe. Und an die Brotzeit denkst ja eh du.“
Damit war wohl alles gesagt, denn er schaufelt weiter sein Müsli in sich hinein.
Sascha, der langsam auch wach wird, meldet sich zu Wort.
„Ich brauche heute nur den Laptop und Sportzeug. Finde das richtig cool, dass wir ab diesem Schuljahr den Laptop haben. Die Schlepperei der tausend Bücher und Ordner war ganz schön schwer. Jetzt reise ich mit
leichtem Gepäck“, imitiert er einen Song seiner Playlist.
„Und hast du auf der Schul-App gesehen, dass wir ab heute einen neuen Stundenplan haben? Unser Sporti hat doch ein Kind gekriegt, also die Frau von ihm. Jetzt bleibt er ein paar Monate zu Hause. Das mach ich später auch mal.“
„Was? Ein Kind bekommen oder zu Hause bleiben?", fragt Ulrike lachend.
„Beides! Aber ich sag dir dann Bescheid. Jedenfalls haben wir heute gleich am Morgen Sport, beim Vertretungssporti.“
„Aha, darum also die Trainingskleidung an deinem Luxuskörper. Habt ihr in der Halle oder auf dem Sportplatz Unterricht?“
„Mama, natürlich draußen. Wir sind doch
keine Weicheier. Turnhalle erst ab Frostgraden, schon vergessen?“
Natürlich hatte sie das nicht vergessen. Die Eltern hatten beim letzten Elternabend fast einstimmig befürwortet, dass der Sportunterricht bei zulässigem Wetter im Freien stattfindet. Zufrieden nickte sie.
„Und was passiert sonst noch heute?“, hakt sie weiter nach.
Sascha zählt auf.
Im Englischunterricht stehen Kurzreferate zum Thema Familie auf dem Plan. Jeder Schüler soll seine Familienmitglieder vorstellen und beschreiben, natürlich in englischer Sprache.
In Biologie sind aktuell die Zähne und das Gebiss von Kindern und Erwachsenen in „Bearbeitung“.
Nun versteht Ulrike auch, warum ihr Spross aktuell so gründlich seine Zahnpflege betreibt, die alte Drei-Minuten-Sanduhr hervorgesucht hat und täglich auch versucht, den kleinen Bruder von der richtigen Zahnputzdauer zu überzeugen.
„Und dann haben wir noch Informatik. Letzte Woche haben wir gelernt, wie man Emails schreibt und dass man da wie in richtigen Briefen auch auf Fehler achten muss und auf richtige Sprache und so. Heute dürfen wir am Laptop eine Mail nach Hause schreiben, so mit allem Drum und Dran. Lass dich überraschen, ich verrate nichts.“
Zufrieden schiebt Sascha seine leere Schüssel in die Tischmitte und lehnt sich
zurück.
„Ach so, nach der Schule möchte ich gleich mit zu Vincent fahren. Montags kocht doch immer seine Oma und die bringt uns dann auch zum Handball-Training. Ich würde mein Handy mitnehmen, dann kann ich dich anrufen, wenn du uns abholen musst.
“Ulrike runzelt die Stirn. „Handy? In der Schule?“
„Natürlich nicht in der Schule. Mensch Mama! Das ist verboten, denkst du, ich lass das Teil einkassieren? Ich nehme das echt nur heute Abend, wenn ich dir Bescheid sagen muss. Das Telefonzimmer in der Handballhalle ist ab vier Uhr nachmittags geschlossen. Wenn ich dich nicht anrufen kann, stehen wir ewig auf der Straße. Das willst du doch nicht, oder?“
Nun meldet sich Matti zu Wort, der dem
Gespräch bis jetzt erstaunlich ruhig zugehört hat.
„Boa Mama, ich will auch ein Handy. Dann kann ich dich auch anrufen, wenn ich nach Hause muss."
Lachend strubelt Ulrike ihrem Jüngsten durch die Haare.
„Schon vergessen, dass ich in dem gleichen Kindergarten arbeite, wie du?“
„Nö, aber der Versuch war es wert. Das sagt doch Papa auch immer.“ Schmollend steht er auf und zieht sich seine Jacke an.
Wenigstens einer, der auf die Zeit achtet. Ulrike räumt schnell das Geschirr in die Spülmaschine.
„Vergiss deine Matschhose nicht“, ruft sie in den Flur. Du bist doch heute Nachmittag zum
Fischen eingeladen.“
Freudig hüpft Matti zurück in die Küche, wieder auf einem Bein.
„Juhuu, das habe ich gar nicht mehr gewusst. Der Papa von Leo hat gesagt, wenn ich einen Fisch fange, darf ich den mitnehmen. Und wenn ich ganz viele fange? Kochst du dann heute Abend Fischsalat?“
„Fischsalat kann man nicht kochen, aber Papa wird dir zeigen, wie man Fische auf dem offenen Feuer braten kann. So, wie das früher die Menschen gemacht haben, als es noch keinen Backofen und keinen Kochherd gab.“
„Coole Sache!“, äußert sich Sascha.
„Das spart auch Energie. Haben wir neulich in der Schule gehabt. Man muss nur aufpassen, womit man das Feuer macht, sonst geht das
alles nach hinten los. Aber das erkläre ich euch heute Abend. Jetzt hört mir ja doch keiner mehr zu.“
Mama Ulrike schiebt schmunzelnd ihren Nachwuchs zur Wohnungstür hinaus.
Als sie gemeinsam das Haus verlassen, stellt Ulrike fest, dass sie etwas viel Zeit vertrödelt haben. Außerdem ist es kühl und der Himmel grau. Automatisch lenkt sie ihre Schritte zum Auto.
„Mama, wir sind nicht aus Zucker. Du vergisst heute aber auch alles.“
Sascha steht noch immer im Hauseingang, Matti ist schon auf dem Weg zum Fahrradständer.
„Ich bin schon gar nicht zuckrig!“, zitiert er
grinsend seinen großen Bruder.
Als die Drei kurz darauf ihrem Tag entgegen radeln, schmunzelt Ulrike.
Noch ist nicht Hopfen und Malz verloren, denkt sie dankbar.