Biografien & Erinnerungen
Kinder brauchen Liebe

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"Kinder brauchen Liebe"
Veröffentlicht am 28. Januar 2009, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Kinder brauchen Liebe

Kinder brauchen Liebe

In den letzten Tagen muss ich immer wieder an ein Ereignis denken, das nun schon Jahre zurückliegt, aber tiefe Emotionen in mir geweckt hat:

Eine gute Bekannte, die Erzieherin ist und immer wieder einmal in einer Einrichtung aushalf, in der Pflegekinder betreut wurden, kam uns besuchen. Sie hatte vier Kinder mitgebracht. Der kleinste Junge war gerade vier Jahre alt. Leer war sein Blick. Er starrte wortlos vor sich hin, schien dabei völlig ohne Gefühle zu sein. Ein Mädchen war neun Jahre alt, blonde strohige Haare umrahmten ihr Gesicht. Am auffälligsten aber war ihre Sprache. Sie sprach schlechter als manche Zweijährige und war nur schwer zu verstehen. Außerdem erschien sie mir viel zu dünn für ihr Alter. Die anderen beiden Kinder schienen Geschwister zu sein, denn sie hielten sich an den Händen und waren nicht voneinander zu lösen. Auch sie sprachen nur wenig und auch bei ihnen wirkten die Blicke viel leerer, als ich es von Kindern gewohnt war. Es war irgendwie eine drückende Stimmung, viel zu leise dafür, dass vier Kinder anwesend waren. Wo war das Lachen? Wo war die Fröhlichkeit? Wo waren die Fragen? Es schien keine zu geben. Die ganze Situation drückte auch auf meine Stimmung.

Dann kam meine Tochter, damals ca. 18 Jahre alt, sah die Kinder an und fragte: „Dürfen wir ihnen die Tiere zeigen?“ Dazu muss ich erklären, dass sich auf unserem Grundstück viele Tiere tummelten. Wir hatten Hühner und Enten, drei Pfaue, mehrere Puten, Voliere mit Fasanen und Zierenten und auch Kaninchen, die auf dem Grundstück frei herumliefen.

Swea und ich ergriffen jetzt also die Kinderhände und begaben uns zu dem Teil des Grundstücks, auf dem sich die Tiere befanden. Mit ruhiger Stimme erklärte Swea den Kindern, dass sie auf dem eingezäunten Gelände nicht rennen sollten, weil das die Tiere erschrecken würde: „Und das wollt ihr doch nicht, oder?“ sagte sie. Die Kinder schüttelten den Kopf. Endlich eine Reaktion, dachte ich erleichtert.

Nach und nach gaben wir den Kindern Gelegenheit, Kontakt zu den Tieren aufzunehmen. Swea holte ein Huhn, das die Kinder streicheln durften. Langsam, vorsichtig gingen wir über das Gelände. Endlich kamen auch die ersten Fragen: „Was ist das? Was fressen die? Oh wie süß.“ Die Kleinen tauten mehr und mehr auf und ich schmolz einfach nur dahin. Ich war gerührt, als ich meine Tochter mit diesen armen Menschenkindern sah. Hin und wieder strich ich über ihre Köpfe. Dann sahen sie zu mir auf in einer Mischung aus Ängstlichkeit und Dankbarkeit, ich kann es gar nicht recht beschreiben. Ich war aber erstaunt über die Vorsicht der Kinder, darüber, wie zaghaft sie Schritt für Schritt in diese für sie völlig neue Welt wanderten. Ich war gerührt von der Zärtlichkeit, die sich zwischen ihnen und uns anbahnte und ich war ausgesprochen traurig darüber, dass es Kinder gab, die das Lachen verlernt hatten, die das Fragen verlernt hatten, die geduckt durch die Welt gingen. Es waren keine Kinder mehr. Und doch waren sie in der Lage, sehr schnell Kontakt aufzunehmen, sehr schnell auch nur die kleinste sanfte Berührung zu genießen. Sie schmiegten sich an uns, ohne Worte. Sie fassten unsere Hände, als wollten sie sie nie wieder loslassen. Swea und ich tauschten Blicke aus. Wir wussten, dass wir das Gleiche empfanden. Wir wussten auch, dass wir den vier Kindern wenigstens diesen Augenblick, diesen Tag, so angenehm wie nur möglich machen wollten.

Als wir zurückkehrten fragten wir, ob sie etwas trinken wollten, denn es war ein heißer Tag. Eifrig nickten alle vier. Ich holte Apfelsaft und Plastikbecher, drückte jedem Kind einen Becher in die Hand und goss etwas von dem Saft ein. Sie tranken gierig, als wüssten sie nicht, wann es wieder etwas zu trinken für sie geben würde. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und wandte mich für einen Moment ab.

Swea nahm alle vier Kinder, um mit ihnen zu spielen. In dieser Zeit hörte ich die tragischen Geschichten. Der kleine vierjährige Junge hatte gleich am ersten Abend seines Aufenthaltes in der Pflegestation eine Lampe kaputt gemacht. Er kannte weder Recht noch Unrecht, weil er sowieso jeden Tag von seinen Eltern bestraft worden war. Mein Ex-Mann meinte: „Der muss mal eine anständige Tracht Prügel bekommen.“ „Das würde nichts bringen“, erwiderte unsere Bekannte: „Das kennt er ja, dadurch bekommt er Aufmerksamkeit.“ In diesem Moment hasste ich meinen Ex-Mann für seine Gefühllosigkeit. Ich dachte, dieses Kind braucht Liebe, braucht Zärtlichkeit, braucht Anerkennung und Lob und vor allem das Gefühl der Geborgenheit. Scheiß auf die Lampe oder auf andere Gegenstände, die sind nicht so wichtig wie die Seele eines Kindes.

Das neunjährige Mädchen, das kaum sprechen konnte, war die meiste Zeit in seinem Zimmer eingesperrt, weil es seine Eltern nur nervte. Sie war so dünn, weil es keine regelmäßigen Mahlzeiten gab. Eigentlich konnte sie froh sein, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekam.

Die Geschwister hatten es auch nicht besser getroffen. Viel zu oft wurden sie allein gelassen, manchmal sogar tagelang. Liebe, Anerkennung, Gutenachtgeschichten, all das, was Kinder brauchen, hatten sie nie kennen gelernt.

Jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Genau in diesem Moment kam Swea mit inzwischen wenigstens ab und zu lachenden Kindern zurück. Am liebsten hätte ich alle bei mir behalten und ihnen all das gegeben, was ihnen in all den Jahren gefehlt hat. Mir blutete wirklich das Herz. Nie werde ich diese Kinder vergessen.

Unsere Bekannte meinte, dass es nun Zeit wäre, die Kinder wieder zurück zu bringen. Ich ging in die Hocke und umarmte jedes der Kinder. Meine Umarmung wurde von jedem Kind erwidert. Ich spürte kleine, zarte, zerbrechliche Körper in meinen Armen und dachte nur: Ich hoffe, ihr werdet trotzdem stark für das Leben.

In der Haustür drehte sich der Vierjährige um, lächelte und fragte: „Dürfen wir wiederkommen?“

Ich nickte, denn sprechen konnte ich nicht, weil mir Tränen über das Gesicht liefen.

Manchmal wünsche ich mir ein riesengroßes Haus für all diese Kinder. Ich habe die Liebe in mir, die sie brauchen und würde sie ihnen so gerne geben. Alle Kinder brauchen Liebe, um zu leben.

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Hörbuch

Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Edel Re: Re: Danke! - Ja mir sind Kinder begegnet die Liebe bei mir suchten, wo ich gehen musste, weil sie auf mich eifersüchtig wurden deren Eltern.
Ich habe zwei Söhne, mit dem Großen lebe ich zusammen. Mein Freundin nahm sich den Vater meiner Söhne und entfernte uns dann von ihm.
Mein Leben war nicht nur einfach aber auch nicht nur schwarz.
Ich habe ein Herz für Kinder und begleitete jetzt 6 jahre eine junge Frau, die aus dem Teufelskreis, des Missbrauches immer tiefer sinkt.
Erst die Eltern, immer wieder Männer nun der Freund, soll die große Liebe sein. Mich entfernt sie, die die sie ehrlich liebte.Sie ist geworden wie die Eltern. Vater missbraucht die Mutter.
Schrecklich aber ich muss gehen, weil sie es nicht besser verdient hat.
Sie war nicht gut zu mir.
Hole mir gerade Hilfe um all das zu verarbeiten.
Alles Liebe!
Kerstin
Vor langer Zeit - Antworten
Chrissy55 Re: Danke! -
Zitat: (Original von Edel am 29.01.2009 - 13:53 Uhr) Liebe Chrissy!
Mir liefen Tränen als ich deine Geschichte las. Tränen der Freude, dass es Menschen wie dich gibt; Tränen weil ich mitfühlte, mit dir und den Kindern;
Tränen die mich an Vergangenes erinnerten.
Ich danke dir dafür deine Geschichte lesen zu dürfen.
Schaue gleich mal wer du bist.
Alles Liebe!
Kerstin


Vielen Dank, Kerstin. Dein Kommentar bzw. die Bemerkung - an Vergangenes erinnern - hat mich wieder einmal betroffen gemacht. Hast du etwa selbst so schreckliche Dinge erleben müssen? Ich hoffe nicht.
Auch mir steigen bei der Erinnerung allerdings immer wieder Tränen in die Augen, denn ich hätte es nie für möglich gehalten, wie leer Kinderaugen sein können.
Allerdings birgt diese Erinnerung auch etwas Schönes, nämlich die wortlose Verständigung zwischen mir und meiner Tochter. Meine Kinder sind völlig ohne Gewalt aber mit sehr viel Liebe aufgewachsen. Das hat sie zu sehr gefühlvollen Menschen werden lassen, die wissen, wie sie in bestimmten Situationen am besten reagieren. Swea hat ihren Optimismus und ihre Fröhlichkeit an diesem Tag auf diese armen Kinder übertragen. Man konnte förmlich zusehen, wie sie auftauten und an Vertrauen gewannen. Egal, wieviel Kinder zerstören, egal, wie schlecht sie sprechen, egal, wie sie aussehen, sie sind liebenswert und Kinder brauchen sehr viel Liebe.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Chrissy55 Re: Ich kenne -
Zitat: (Original von Edlistrate am 29.01.2009 - 00:04 Uhr) auch solche Kinder und ihre zum Teil haarsträubenden Geschichten. Ist oft nicht so einfach, ihnen zu halfen, wie mans gerne hätte, aber doch lohnend.
LG .... Gerlinde


Danke, Gerlinde, ich weiß, wovon du sprichst, denn bei meiner täglichen Arbeit werde ich leider auch immer wieder mit den schrecklichsten Schicksalen konfrontiert. Es gab eine Zeit, da habe ich all diese Geschichten mit nach Hause genommen. Daran würde ich aber mit der Zeit selbst kaputt gehen, deshalb habe ich es mir abgewöhnt. Diese Geschichte allerdings habe ich im Privatleben wirklich erlebt und sie hat sich tief in meine Erinnerung eingegraben.
Ich schwöre, wenn ich die Möglichkeit hätte, ich würde noch heute möglichst viele Kinder bei mir aufnehmen und wenigstens im kleinen Rahmen helfen.
Wenn ich mit ganz besonders tragischen Schicksalen konfrontiert wurde, sehe ich mir abends die Bilder meiner inzwischen erwachsenen Kinder an. Das tröstet mich dann ein wenig, denn ihr Lachen zeigt mir, dass man Kinder auch ohne Gewalt zu ganz tollen Menschen erziehen kann.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Edel Danke! - Liebe Chrissy!
Mir liefen Tränen als ich deine Geschichte las. Tränen der Freude, dass es Menschen wie dich gibt; Tränen weil ich mitfühlte, mit dir und den Kindern;
Tränen die mich an Vergangenes erinnerten.
Ich danke dir dafür deine Geschichte lesen zu dürfen.
Schaue gleich mal wer du bist.
Alles Liebe!
Kerstin
Vor langer Zeit - Antworten
Edlistrate Ich kenne - auch solche Kinder und ihre zum Teil haarsträubenden Geschichten. Ist oft nicht so einfach, ihnen zu halfen, wie mans gerne hätte, aber doch lohnend.
LG .... Gerlinde
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