Die Lichter der Stadt schafften es kaum die Dunkelheit zu durchdringen. Nebelschwaden waberten über den Pfad der von den Mauern hinauf zu einem kleinen Tempel führte. Trotz der späten Stunde brannten hinter den dicken, dunklen Mauern noch Licht, tanzten die Flammen der Kerzen hinter angelaufenem Buntglas. Dieser Ort war alt, das wussten auch die Einwohner der Stadt weiter unten, so alt wie die Runensteine, die Vara umgaben auch wenn er nicht schon immer so ausgesehen hatte. Die Grundmauern unterschieden sich deutlich von dem darüber aufsteigenden Gewölbe, waren nicht schwarz und von Moos
bedeckt wie der Rest. Die Bausubstanz des alten Volkes verwitterte nicht und wenn einmal Flechten und Ranken an ihnen halt fanden, so vermochten sie die uralten Steine doch nicht zu beschädigen oder zu sprengen.
Der Mann der über diesen uralten Ort wachte, starrte düster hinaus in die Nacht, beobachtete die blassen Schemen der Lichter Varas obwohl er sie nicht sehen konnte. Seine Augen waren weiß, konnten nichts mehr erkennen… aber er spürte es.
In klaren Sommernächten wie diesen verirrte sich manch ein Einwohner der Stadt im Tal hier herauf. Manche hielten ihn für einen heiligen Mann weil er die
alten Tempelmauern sein Heim nannte, manche brachten ihm Vorräte , redeten mit ihm auf der Suche nach Antworten. Und er war nur zu willens ihnen welche zu geben. War die Wahrheit den mehr ein Verbrechen als Erlösung? Wenn es nach seinen Brüdern und Schwestern ginge ja. Oder besser, eine Waffe, mit der man vorsichtig umgehen musste. Aber waren ihre Gaben nicht geschaffen worden um die Menschen zu führen?
Er schüttelte die Gedanken und die blutigen Erinnerungen ab, die sie aufrüttelten.
Vasemir konnte es spüren. Den Mann. Das Ding. Den armen Bauern des
Schicksals.
Der Mann der nun auf dem Weg hierher war suchte nicht nach Erlösung. Er hätte sie längst finden können, er kannte die Antworten die man ihm geben konnte. Sie alle. Aber er weigerte sich sie anzunehmen.
Vasemir trat an die mit einem Vorhang verhängten Fenster und schlug den Stoff zurück. Das Glas war im Laufe der Zeit brüchig geworden und warme Nachtluft schlug ihm entgegen. Tief atmete er ein, genoss dieses Gefühl und stellte sich die Welt draußen vor, die ihm seine Augen nicht mehr zuzeigen vermochten. Und vielleicht war das gut so. Er hatte mehr gesehen als je ein Mensch sehen sollte.
Blindheit, so dachte er, konnte ein Geschenk sein.
Während er so dastand , war ihm als sähe er durch die Augen eines Fremden, nahm die Fassade seines Heims durch die Nebelschleier war, die sanft im Mondlicht schimmerten, die Umrisse seines eigenen, abgehärmten Gesichts und die Strähnen grauer Haare, die es umgaben. Fackeln erhellten die Umgebung um die kleine Prozession die ohne einen Laut die Anhöhe ehrklamm auf der sein Tempel lag. Goldene Panzerungen und türkisfarbene Umhänge spiegelten ihren Schein wieder. Ein Dutzend Männer folgten der Gestalt auf die Vasemir wartete. Er konnte ihre
Emotionen spüren, die Nervosität die sie erfasste je näher sie seinem Heim kamen. Nur der Mann in ihrer Mitte durch dessen Augen er alles beobachtete blieb ruhig und gefasst, trat mit gleichmäßigen Schritten auf den Eingang in der Mauer des Tempels zu.
Vasemir zog sich zurück, als der Fremde die Faust ballte und gegen das verwitterte Holz der Tür pochte. Eines Tages hatte jemand kommen und ihn aufspüren müssen. Es war zu erwarten gewesen, dachte er. Und gerade jetzt wo sich so viel änderte… Ein grimmiges Lächeln der Genugtuung legte sich auf seine Züge, während er zu einem brüchigen Stuhl schlurfte, der versteckt
zwischen zwei Säulen stand, welche das große Kuppeldach des Tempels trugen. Die Säulen und die Kuppel waren genau so alt wie die Grundmauern der Anlage und leuchteten weiß wie Knochen selbst in der fast vollständigen Dunkelheit dieses Ortes.
Holz ächzte, als der Fremde draußen schließlich die Geduld verlor und eintrat. Im schummrigen Licht der Kerzen war kaum mehr als ein Schemen zu erkennen. Der Schatten, den das Mondlicht vor ihm auf dem Boden zeichnete wirkte zu groß, wie eine Kreatur, die an seinen Fersen haftete, bereit den Mann zu verschlingen. Gold und Türkis blitzte seine Kleidung auf, wo die Flammen der
Kerzen sich spiegelten. Sein Gesicht jedoch blieb vollkommen im Dunkeln.
Vasemir konnte Stimmen hinter ihm hören. Gemurmel und Warnungen und Fackeln die kurzzeitig etwas mehr Licht in das innere des Gebäudes warfen, zerbrochene Fliesenböden und verstaubte Möbel entblößten. Das Gemurmel verstummte, als der Mann in der Tür eine Hand hob und etwas sagte, leise genug, das der Seher es in seinem Versteck kaum verstehen konnte. Aber es war genug.
Die Männer verstummten und zogen sich zurück, einer nach dem anderen, bis das Licht ihrer Fackeln nicht mehr zu sehen war.
Der Fremde der keiner war, denn Vasemir kannte seinem Namen schon lange, trat endgültig durch die Tür, die hinter ihm zufiel und ihn alleine im Halbdunkel zurück ließ. Langsam trat er vor, passierte die Reihen zugedeckter Holzbänke und die halbleeren Bücherregale, deren Inhalt größtenteils in Stapeln auf dem Boden lag. Vasemir wartete nur ruhig ab horchte auf Geräusch seiner Schritte und das Klirren von Stahl das sie begleitete. Der Mann schien ihn nicht zu bemerken, eingehüllt von den Schatten, nicht einmal, als er genau unter der hohen Kuppel stand. Einen Moment hielt er nur inne und
starrte nach oben. Mondlicht sickerte durch eine Reihe kleiner Fenster und erhellte das Fresko, das auf den Stein des Halbrunds eingelassen war. Schwarze Wurzeln und Äste auf einer Seite, die einen Baum formten und die sich tief in das Fleisch eines Adlers gebohrt hatten, das Tier pfählten und festhielten. Und auf der anderen, den großen Schatten, namenlose und formlose Finsternis, die sich im Halbdunkel aus ihrer Verankerung im Stein zu winden und durch den ganzen Raum zu fließen schien. Finsternis... aber in ihrem Zentrum ein letztes flackerndes Licht, eine einzelne Gestalt, die etwas hoch hielt, eine Klinge aus
silbrigem Kristall, der selbst als bloße Darstellung das Mondlicht tausendfach wiederzuspiegeln schien.
Vasemir konnte sehen wie der Mann, der nun unter dem Zentrum der Kuppel innegehalten hatte, nach seiner eigenen Waffe tastete. Seine Hand ballte sich um den Griff zur Faust, bis sie weiß wurde, doch das, was der Seher von den Zügen des Fremden sehen konnte, blieb ruhig.
„Dies ist nicht euer.“, sagte er leise. Die Akustik des Raumes jedoch warf seine Stimme zurück, verzerrte sie und erzeugte den Eindruck als käme sie von überall und nirgendwo. „ Sagt mir Simon Belfare, warum seit ihr gekommen? Was hofft ihr hier zu finden?“
Mehr Blut, beantwortete Vasemir sich die Frage bereits selbst. Und noch etwas anderes. Eine Möglichkeit das Schicksal zu betrügen. Der Mann der soeben diese Hallen betreten hatte, war ein Kriegsherr, sein Name nach einem Jahrzehnt ständiger Kämpfe fast so legendär wie der seines Widersachers. Tiberius Ordeal. Der Kaiser des Canton-Imperiums. Vara war nur die letzte Stadt die vor diesem Mann gefallen war. Falls es den Mann überraschte nicht alleine zu sein, so zeigte er es jedenfalls nicht. Soviel musste Vasemir ihm zugestehen. Er hatte sich unter Kontrolle.
„Warum versteckt ihr euch in den
Schatten?“ , antwortete der Mann mit einer Gegenfrage und machte gar nicht erst den Versuch, herauszufinden, woher die Stimme kam, die mit ihm sprach. Ruhig blieb er stehen, eine Hand auf dem Schwertgriff ruhend. „ Wir wissen beide, das ich nicht hier bin um die Architektur zu bewundern... Vasemir der Abtrünnige.“
„Nenne sie mich oben im Norden jetzt so? Was haben euch meine Brüder von mir erzählt?“
„Vielleicht ist nicht wichtig, was sie mir erzählt haben. Was zählt ist, ob ich es glaube. Hätte ich ihren Worten geglaubt, ich hätte diesen Ort niedergebrannt ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Und doch
stehe ich hier.“
Vasemir lachte freudlos. ,, Und ihr glaubt, das macht euch zu einem besseren Menschen ja? Was sie euch gesagt haben stimmt. Ihr habt einen Mörder und ein Monster verschont.“
Die Antwort schien Simon zum ersten mal aus dem Konzept zu bringen. Vasemir konnte sich vorstellen, wie er einen Moment die Stirn runzelte.
„Haltet ihr euch denn selbst dafür?“, fragte er.
„ Ich leugne nicht, was ich bin. Zu leugnen wozu das Schicksal einen gemacht hat ist sinnlos. Ihr habt es selbst gesehen ja, ich spüre das ihr das habt. Sie haben es euch gezeigt. Nun
denn...“ Es sollte ihn nicht kümmern was seine Brüder ihrer neuesten Spielfigur erzählt hatten. Am Ende würden sie nichts verhindern. „Und ihr? Wofür haltet ihr euch?“
,,Ich bin nicht hier um eure Fragen zu beantworten.“ Nach wie vor war der Ton des Mannes beherrscht, doch nun schwang ein warnender Unterton darin.
„ Und ich schulde euch keine Rechenschaft, falls ihr darauf gehofft haben solltet. Welchen Grund sollte ich haben mit euch zu sprechen? Tötet mich nur zu, ihr langweilt mich. Vorhersehbar. Bis ins Letzte.“
„Und welchen Grund sollte ich dazu haben?“ Simon drehte sich zu ihm um
und ihr Blick traf sich zum ersten Mal. Die blaugrünen Augen des Mannes wirkten im schwachen Licht dunkel, fast schwarz. Und doch lag nichts Bedrohliches darin. Noch nicht. Er wirkte nur…müde, dachte Vasemir. Wie jemand der zu lange gekämpft und doch noch nichts erreicht hatte. Nein, das war nicht was er erwartet hatte.
„Ist das nicht weshalb ihr hier seid?“ Nun war es der Seher, der zum ersten Mal verunsichert klang.
,, Auch.“ Metall klirrte, als der Mann vor ihm den Schwertgurt löste und die Waffe an eine der Säulen lehnte. Nah genug um leicht heran zu kommen, sollte es nötig sein. Aber nicht mehr griffbereit. „Aber
ich bin das Töten vor langer Zeit leid geworden. Zehn Jahre Blutvergießen… sind zehn Jahre zu viel.“
„Und doch habt ihr nicht aufgegeben, euren Kreuzzug fortgesetzt bis hierher…“ Das gehässige war aus Vasemirs Stimme gewichen, als er sich umständlich erhob und Simon bedeutete, ihm zu folgen.
„Und ich habe vor ihn zu Ende zu führen.“
„Weil sie euch gesagt haben, das es nötig sei?“ Der Seher führte seinen Gast zu einer der verwaisten Sitzbänke und bedeutete ihm schließlich, Platz zu nehmen nachdem er sich ebenfalls gesetzt
hatte.
„Nichts was wir hier tun kann das Schicksal aufhalten. Diese Narren wollen es nicht sehen, nicht akzeptieren, dass das Ende kommt. Sollen sie zum Kaiser machen wen sie wollen, es wird nichts ändern. Sie glauben es reicht ihnen einen Beschützer zu geben. Aber die Beschützer, die Kaiser, die sie sich auswählen sind auch nur Menschen. Und Menschen vergessen zu leicht, das die Macht die sie besitzen geliehen ist und einem Zweck dient. Nicht nur ihrem Ego.“
„Das sind eure Worte. Aber ich habe vor diese Welt zu ändern, Seher. Bald. Der Weg war lang aber dieses Land wird
Frieden kennen. Und Einigkeit. Nicht unter der Willkürherrschaft eines einzelnen. Das Kaisertum ist antiquiert. Wenn es in meiner Macht liegt, wird es mit Tiberius sterben.“
„Ihr glaubt was ihr sagt.“ Vasemir zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Sie haben einen Mann zum Kaiser ernannt, der keiner sein will. Das ist… neu. “ Von einem Augenblick zum anderen verfinsterte sich die Mine des Sehers jedoch wieder. „Aber die Welt die ihr aufbauen wollt wird nicht die eure sein, nicht wahr? Frieden und Einigkeit. Aber nicht für euch, Simon Belfare. Niemals für Männer wie euch. Ihr wisst wer ihr seid. Tief in eurem inneren kennt ihr die
Wahrheit. Auch ihr könntet der Macht nicht ewig wiederstehen. Und die Menschen, die ihr schützen wollt, würden sie euch nur zu gerne geben. Und ihren eigenen Ruin vorantreiben.“
Schweigen senkte sich über die Halle und einen Moment saßen die beiden Schatten nur reglos nebeneinander, der eine von Rüstung und Ornat so schwer und groß, das die Bank drohte unter ihm nach zu geben und die andere klein, verwittert und in zerschlissene Roben gekleidet.
„Nein.“, gab Simon schließlich zu. „Genau wie Tiberius bin ich ein Relikt einer sterbenden Zeit. Ich würde nur ihr Erbe mit mir tragen. Ein Erbe das nicht Überleben darf, wenn ich mein Ziel
erreichen will. Ich bin eine Waffe, geformt für einen Zweck. Veränderung herbei zu bringen. Wenn der Zweck einer Waffe erfüllt ist, legt man sie beiseite. Eine Weile werde ich die Leute noch führen müssen, doch dann, werden sie lernen müssen auf sich selbst zu achten. Keine Kaiser mehr, nicht mehr ein Mann der korrumpiert und zerstört werden kann und die ganze Nation mit in den Abgrund reißt. Kein Tiberius mehr.“
„ Ich schätze, meine Brüder und Schwestern wussten nicht, wen sie da auserwählt haben oder sie hätten euch getötet. Ihr sprecht gut, das muss ich euch lassen. Aber ihr könnt nicht hoffen zu tun woran alle eurer Art gescheitert
sind. Das Streben nach Macht fließt in euren Adern... Zauberer. Ihr könnt euer Erbe nicht leugnen.“
„Ich habe Jahre gebraucht um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Die Seher mögen glauben es braucht einen Kaiser um dieses Land zu einen und gegen die Dunkelheit zu führen. Aber sie sehen nicht, dass sie damit nur einen Kreislauf erschaffen haben. Irgendwann vergessen die Herrscher ihren Ursprung und ihre Pflichten und sie müssen ersetzt werden. Und sie treten niemals leise und freiwillig bei Seite. Ich habe mehr Menschen in den Tod ziehen sehen als mir lieb ist. Für ihre Herren, für Tiberius, für mich. Und wofür? Damit
sich das Ganze in ein paar Jahrhunderten oder Jahrzehnten wiederholt. Es endet hier. Das muss es. Sie werden niemanden mehr anbeten und hinterherlaufen sondern ihre eigenen Entscheidungen treffen.“
„Und ihr glaubt die Menschen sind dazu in der Lage? Sich von ihrem Führer abzuwenden, weil er sie darum bittet? Ihr vertraut ihnen sehr.“
Simon nickte langsam. „Es wird sie Zeit kosten, vielleicht werden sie stolpern und fallen. Aber am Ende…“
,, Am Ende wird alles in Flammen untergehen. Ihr habt es gesehen, genauso wie ich. Es spielt keine Rolle was wir tun. Menschen sind leicht zu
beeinflussen, Simon. Die Freiheit die ihr ihnen gebt könnte sie nur mehr in die Arme derer treiben die darauf aus sind, jeden Funken derselben zu ersticken. Menschen… sind leicht davon zu überzeugen, ihre Freiheit für Sicherheit und Schutz wegzuwerfen. Selbst wenn diese Sicherheit eine Lüge ist. Der Schatten am Horizont wird sie für sich vereinnahmen wenn es sonst niemanden gibt, an den sie sich wenden können. Und wer weiß, vielleicht erinnern sie sich dann auch an euch. Sie werden nicht akzeptieren, das ihr sie alleine lasst. Oder im schlimmsten Fall als Verrat sehen.“
„Wir wissen beide, dass ich das nicht
tue.“
„Aber für sie wird es so wirken. Euer Kriegszug ist über dieses Land gefegt wie ein Sturm und dann erwartet ihr von ihnen, dass sie es wieder aufbauen. Sie werden sich verraten fühlen. Oder schlimmer… darauf warten, dass ihr sie bei der Hand nehmt und stagnieren. Und dann was? Die Dunkelheit wird sie nur umso leichter verschlingen. Wer helles Licht schafft, Simon, muss damit rechnen, dass es nur umso finsterere Schatten wirft.“
„Ich werde es nicht so weit kommen lassen, Seher.“
„Das liegt nicht in eurer Hand. Noch weniger in meiner.“ Vasemir zögerte.
„Ich hatte eine Marionette erwartet, nicht einem Mann mit Idealen. Aber ich fürchte, das spielt keine Rolle. Wir wissen beide, das Tiberius nicht der Feind ist. Nicht eigentlich. Und das ist kein Gegner, den ihr bezwingen könnt. Ihr werdet es trotzdem versuchen, das weiß ich. Und ihr werdet scheitern. Kommt. Ich zeige es euch.“ Der Seher erhob sich erneut und wartete darauf, dass Simon ihm zurück zur Kuppel folgte und deutete auf das Bild des Adlers, der von den schwarzen Wurzeln eines Baumes verschlungen wurde.
„Euer Wappen, nicht?“
Simon antwortete nicht, sondern sah zum zweiten Teil des Wandbilds auf. Die
wallenden Schatten, die einen letzten Lichtfunken umgaben.
„Ich habe es euch bereits gesagt. Dies ist nicht euer Schicksal.“, bemerkte Vasemir. „Egal wie sehr ihr das leugnen mögt. Ihr werdet kämpfen aber dies ist keine Schlacht, die ihr schlagen werdet. Der Sieg den ihr sehen wollt liegt in den Händen anderer. Ihr… werdet ihn nicht sehen. Und ehe das Ende kommt, werdet ihr leiden. Das ist die simple Wahrheit. Oder ihr gebt auf und lebt und überlasst alles andere dem Untergang. Es ist eure Wahl.“
„Ist das der Grund aus dem ihr euch hier versteckt und die Seher verlassen habt?“
Der Seher antwortete nicht, doch sein
Schweigen reichte Simon wohl aus.
„Ich bin nicht ihr. Wenn dies ist was man von mir verlangt… dann muss es getan werden.“
Vasemir lachte. Ein dunkler, bösartiger Laut voller Verachtung, der von den Wänden wiederhallte und verstärkt wurde. Schwer atmend, stützte sich der alte Mann auf seinen Knien ab.
„ Dann seit ihr nur ein noch größerer Narr als ich. Haltet ihr euch deshalb für einen Helden? Glaubt ihr das? Wir wissen beide, dass ihr das nicht seid. Und was in euch schlummert. Ihr wollt die Toten vergessen aber die simple Wahrheit ist, wäre es nicht für eure Überzeugungen… ihr wärt nicht von Tiberius zu
unterscheiden. Und vielleicht haltet ihr nur an ihnen fest, damit ihr noch in den Spiegel sehen könnt. Ihr habt einen Mann getötet der euer Bruder war, unschuldige Menschen hingeschlachtet und jene in den Tod geschickt die an euch glaubten. Euer Opfer wird daran nichts ändern, Simon Belfare. Alles was ihr seid ist ein weiterer Tyrann. Und seit vorsichtig, das ihr nicht der Größte von allen werdet.“
„Ein Tyrann.“ Simon seufzte. „Ich brauche den Dank der Leute nicht um das richtige zu tun, wenn es denn so sein muss.“
Doch Vasemir lächelte nur, nickte hinauf zur Kuppel. „Nicht ihr.“ Es war nicht loderndes, verzehrendes Feuer, das der
Dunkelheit im Weg stand, sondern reines, sanftes Licht. „Also töte mich… dazu seit ihr schließlich hier.“
Und in diesem Moment lachten sie beide, wie Männer die bereits zu viel wussten aber einander niemals etwas davon verraten würden. Grelles Licht brachte Vasemir zum Schweigen. Flammen loderten durch die Dunkelheit als Simon das Schwert blank zog, das er an der Säle zurück gelassen hatte. Zum ersten Mal konnten sich die beiden Männer wirklich sehen und Vasemir zweifelte keinen Moment daran, das sein Tod gekommen war. Simons Augen waren kalt, spiegelten das Licht der brennenden Klinge ohne jede Emotion wieder. Das
Gesicht ihm gegenüber schien für ein Lächeln gemacht, doch die Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammen gepresst, die Züge hart, als hätte er verlernt wie das überhaupt ging. Die Haare waren an den Schläfen bereits ergraut, obwohl er kaum Mitte dreißig sein konnte. Nein, dachte Vasemir, es war nicht nur Wut, die diesen Mann zeichnete. Er war lange nicht mehr glücklich gewesen. Insgeheim wusste er, dass jedes seiner Worte der Wahrheit entsprach. Er war keine Lichtgestalt, niemand, der diese Leute zu einem besseren Leben führen würde. Und das wusste er. Irgendwie wusste er es schon lange. Er hatte es nur noch nicht
aufgegeben sich selbst anzulügen.
Als Simon hinaus in die Nacht trat und die Türen des Tempels hinter ihm zufielen, war bereits wieder der erste graue Schimmer Morgenlicht am Horizont zu sehen. Die Straßen Varas in der Ferne waren mittlerweile vollkommen dunkel. Nur im Heerlager auf einem Hang jenseits der Stadt brannten bereits wieder Lichter. Kochfeuer und Fackeln, welche die engen Gassen zwischen den Zelten erhellten. Einzelne Gestalten huschten hin und her, machten sich daran, die Zelte abzubrechen, führten
Pferde mit Gepäck und Vorräten. Andre saßen in der Dämmerung noch an den Feuern, nahmen Reparaturen an ihrer Ausrüstung vor oder schlangen die letzten Essensreste hinunter, bevor sie aufbrechen würden. Es würde für eine Weile ihre letzte Rast sein.
„Herr…“ Eine einzelne Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit, verneigte sich kurz vor ihm. Ordt hatte gewartet. Natürlich hatte er das. Simon lächelte kurz, während er sich gleichzeitig fragte, ob der Gejarn etwas von seinem Gespräch mit dem Seher aufgeschnappt hatte.
„Wie oft muss ich dir sagen, dass du mich nicht so nennen sollst.“
„Oft genug.“, erwiderte der Wolf und lies die Förmlichkeiten sein. Etwas, das viel zu selten geschah, dachte Simon. „Du siehst furchtbar aus. Was hast du dort gefunden?“
„Nichts… nur leere Worte.“ Der Moment würde kommen, an dem Ordt alles erfahren durfte. Oder so viel, wie er ihm anvertrauen konnte. Der Mann hatte ihm sein Leben verschrieben… und er konnte das nur damit vergelten, indem er ihm nicht alles nahm, was davon übrig war. Wüsste er wirklich, was ihnen bevor stand… Simon schüttelte den Kopf. Eines Tages würde Ordt wieder ein eigenes Leben haben, das er bestimmen
konnte. Simon jedoch war diese Möglichkeit vor langer Zeit genommen worden.
„ Also hatte Alastor nicht Recht was den Seher hier angeht?“
„Nein. Nur ein alter Mann. Hier gibt es keine Antworten mehr, Ordt…“ Zumindest keine, die er nicht schon kannte. „Gehen wir.“