Kurzgeschichte
Im Keller

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"Und nächtlich grüßt der Albtraum..."
Veröffentlicht am 24. Oktober 2016, 20 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Und nächtlich grüßt der Albtraum...

Im Keller










...und nächtlich grüßt der Albtraum...

Im Keller

„Er ist im Keller“, flüstere ich mit vor Angst staubtrockenem Mund ganz dicht am Ohr meiner Mutter. Zweifelnd schaut sie mich an, mit verschränkten Armen, weiß nicht recht, ob sie lachen soll, was sie gerne täte, aber sie sieht den Ausdruck in meinen Augen. Dieses abgrundtiefe Entsetzen, bodenlos, so verschlingend, dass nicht mal die ganze Welt das Loch stopfen könnte, das sich in mir aufgetan hat. Sie sieht es in meinem Blick, kann es jedoch nicht glauben, schüttelt unsicher grinsend den Kopf, während in mir eine Welt zerbricht.

Habe ich den Ausbruch umsonst gewagt? Diese gefährlichen Worte umsonst gesprochen? „Alles ist gut“, meint sie jetzt, tätschelt beruhigend meine Schulter und will mich sanft ins Haus zurück schieben. Doch ich widersetze mich. „ER ist im Keller“, wiederhole ich eindrücklich, sehe ihr dabei flehend ins Gesicht, in der Hoffnung, dass sie jetzt bereit wäre, mir zu glauben. „Ich kann nicht mehr.“ Völlig fertig mit den Nerven knete ich meine zitternden Hände, werfe unruhige Blicke über die Schulter, aus Angst, er könne plötzlich am anderen Ende der

Stiege auftauchen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nur dastehen und warten, lauschen, nicht auffallen. Das kann er nämlich gut, konnte er schon immer. Ansonsten hätte ich es auch nie so lange geheim halten können. Jeder hat doch Geheimnisse, oder? Vor allem als Kind. Das kann man mir doch nicht vorwerfen. Ich wusste ja nicht, was er anrichten würde. Als ich ihn damals fand, war er selbst völlig verängstigt, hatte kaum genug Gewand, um seinen ganzen Körper zu bedecken. Da gab es noch keine Kapuze, die sein Gesicht verbergen hätte können. Zu Beginn schon habe ich ihn also gesehen, wie er war; hatte Mitleid mit ihm, fragte nicht lange,

was er denn in unserem Keller zu suchen hatte. Ohnehin hat er nie besonders viel gesprochen, früher noch weniger. In letzter Zeit aber scheint er Gefallen daran zu finden, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen. In den richtigen Gelegenheiten jedenfalls. Inzwischen weiß er, seine Stimme zu benutzen, diese raue, kratzige Stimme, fast wie das Knirschen von Fingernägeln, die über eine Tafel kratzen. Ich habe schon bemerkt, dass etwas sich verändert hat in den letzten Tagen. Er hat sich mir nur selten gezeigt, ist manchmal gar nicht da gewesen, obwohl er den Keller nur sehr, sehr selten und wahnsinnig ungern verlässt. Er ist nicht

gern unter Menschen, fürchtet sie sogar. Glaubte ich zumindest. Bis er heute aus dem Keller gekommen ist. Völlig lautlos. Seine Füße haben kaum den Boden berührt, als er hinter dem Vater meiner verschwundenen Freundin zum Stehen gekommen ist. Nur ich habe ihn gesehen, weil der andere ihm den Rücken zugewandt hat. Ich habe Angst bekommen, aus dem falschen Grund; habe gefürchtet, mein Geheimnis würde auffliegen, habe ihm mit den Augen gedeutet, zu verschwinden, was natürlich lächerlich gewesen ist, hat er mich doch gar nicht wahrnehmen können. Nicht so. „Ich kann dir deine Tochter zeigen“, hat er plötzlich geschnarrt. Nicht mehr. Hat

auf Antwort gewartet, nachdem der große Besucher sich erschrocken zu ihm umgedreht hatte. Ich wusste nicht, was er damit meinte. Woher sollte er wissen, wo Verena sich aufhielt, die seit mehreren Tagen fort war, spurlos verschwunden. Auffordernd deutete er mit der Hand an, ihm zu folgen, drehte sich um und nachdem er den Flur durchschritten hatte, stieg er die Treppe zum Keller hinab. Er hatte kein Licht gemacht, wozu auch. Auch ich dachte nicht daran, kannte ich mich doch auch im untersten Bereich das Hauses genügend aus, um nicht gegen irgendein Hindernis zu laufen. Zwischen uns ging Verenas Vater. Er folgte, ohne groß nachzudenken. Hatte

neue Hoffnung geschöpft, glaubte nun endlich einen Hinweis auf den Verbleib seiner Tochter zu erhalten, vielleicht sogar sie selbst jetzt im Keller anzutreffen, weil sie ihm einfach hatte Angst machen wollen. Ihm zeigen, was es bedeuten würde, wenn sie fort war, damit er nicht immer so streng mit ihr war. Vermutlich dachte er an so etwas, als er IHM durch die Tür folgte, die daraufhin fast zugefallen wäre, bevor auch ich hindurchschlüpfen konnte. In diesen kurzen Augenblicken, die die beiden Männer außerhalb meines Sichtfeldes verbracht hatten, hatte sich alles grundlegend geändert. Lautlos blieb ich

in meiner Ecke stehen, unfähig zu verstehen, was gerade vorgefallen war. Verenas Vater blutete an der Schläfe, hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, wirkte benommen, während ER sich an dessen Händen zu schaffen machte. Erst als ER aufstand, konnte ich sehen, dass ER dem Anderen Fesseln angelegt hatte. Auch jener hatte das nun bemerkt und zerrte daran, wollte wissen, was hier los sei, doch ich wusste, dass er keine Antwort bekommen würde. Auch ich war überfragt, konnte nur tatenlos mitansehen, wie ER zu einem der Regale ging, die Körbe darauf zur Seite schob, nach hinten griff und einen durchsichtigen Plastiksack hervorzog.

Wieder konnte nur ich sehen, was darin war. Ich weiß nicht, weshalb ich nicht schreiend davongelaufen bin, weshalb ich einfach dastand, mit emotionslosem Gesichtsausdruck dabei zusah, wie ER in den Sack hineingriff, mit der Hand über das darin enthaltene Gesicht fuhr, ein Gesicht, das mir seit meiner Kindheit so vertraut gewesen ist, wie mein eigenes, nur etwas verschrumpelter inzwischen. Unmerklich schüttle ich den Kopf, ganz langsam, wohlwissend, dass ER mich nicht sehen kann. Dennoch scheint ER die Bewegung wahrgenommen zu haben, hebt den Kopf genau so, dass etwas Licht durch das einzige Fenster im Raum, auf

SEIN Gesicht fällt, auf die nicht vorhandenen Augen, deren Höhlen geziert sind von alten, verheilten Stichverletzungen, den lippenlosen, ebenso mit Narben verzierten Mund, in dem die blank geputzten, weißen Zähne hervorblitzen. Als hätte ER mein Widerstreben bemerkt, schüttelt ER auch selbst den Kopf, zieht die Hand aus dem Sack, legt ihn zurück hinter die Körbe. „Was ist hier los?“, will nun der gefesselte Vater wissen. „Wo ist Verena?“ „Noch nicht fertig“, antwortet ER, während mir unvermittelt ein süßlicher Geruch in die Nase steigt, der Brechreiz in mir auslöst. Ich versuche mich zu

beherrschen, versuche zu lächeln, als ER auf mich zu kommt, auch wenn ER es nicht sehen kann. „Danke“, flüstere ich voller Angst, in der Hoffnung, dass IHN das milde stimmt. Und tatsächlich fährt ER mir sanft mit einer Hand über die Wange, legt den Kopf fragend schief und erwartet eine Erklärung. „Dafür, dass du sie ihm nicht gezeigt hast“, bringe ich einigermaßen ohne Zittern in meiner Stimme hervor. Und ER scheint mir zu glauben. „Du hast nie versucht, mir wehzutun“, krächzt ER. „Hast geholfen. Jetzt geh!“ Meine Augen huschen zu Verenas Vater hin, der inzwischen angefangen hat, um

Hilfe zu rufen, wild an seinen Fesseln zerrt, doch die sind stramm gezogen und der Stuhl im Boden fest verankert. „Er kann nicht mit“, erklärt ER mir und deutet unmissverständlich zur Tür. Wie im Traum gehorche ich, gehe hinaus, hinauf, nehme wahr, dass die Haustür offen steht. Meine Eltern sind vom Einkauf zurückgekommen. Zurück in dieses Haus, wo ER lauert. Nur langsam wird mir bewusst, welche Gefahr ER darstellen könnte, auch für sie. Stockstarr stehe ich nun da auf der obersten Stufe der Treppe. „ER ist im Keller“, flüstere ich mit vor Angst staubtrockenem Mund ganz dicht am Ohr meiner Mutter. Sie muss die

Polizei anrufen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. ER darf mich nur nicht hören, darf nicht mitbekommen, dass ich IHM in den Rücken falle. Das würde IHM nicht gefallen. ER würde böse werden. „Nein, pass auf!“, rufe ich meiner Schwester zu, die einen Teil der Einkäufe in den Keller trägt. Sie schaut mich nur irritiert an, geht dann weiter, steigt hinab in die Tiefe, in sein Reich. Ich wage nicht, ihr hinterher zu gehen. Mein ganzer Körper bebt. Ich trete noch einen Schritt näher an meine Mutter heran und hauche: „ER ist da unten. ER hat Verena umgebracht. ER hat ihren Vater. Ihr dürft

nicht in den Keller. Es ist zu gefährlich.“ Im nächsten Moment rufe ich nach meiner Schwester, frage sie nach etwas Belanglosem, zur Tarnung. Viel zu lange dauert die Stille, die mir antwortet. Mein Herz droht zu zerspringen vor Angst, doch dann ihre Stimme. Ich atme auf. Sehe meiner Mutter wieder ins Gesicht, die mich zweifelnd ansieht, mich ganz offensichtlich für verrückt geworden hält. „ER ist da“, murmle ich eindringlich, doch auch das scheint sie nicht umzustimmen. Ihr Zweifeln lässt sogar mich selbst zögern. Das alles ist doch wirklich wahr? Ich habe es mir nicht eingebildet, oder? Nein, es gibt IHN. Das

weiß ich doch. ER ist schon immer da gewesen. Vielleicht schon lange bevor wir hier eingezogen sind. Dennoch bin ich unsicher, erscheint mir doch plötzlich alles so furchtbar surreal, dass ich es nicht mal mehr wage, meinem eigenen Verstand zu vertrauen. „Ich gehe noch mal nachschauen“, sage ich leise. „Wenn ich nicht zurückkomme, wenn ER mich nicht mehr gehen lässt, ruf die Polizei.“ Mit diesen Worten drehe ich mich auch schon um und eile die Stufen hinab in den Keller, will meine Schwester keine Sekunde mehr dort allein lassen. Will mich ebenso davon überzeugen, nicht verrückt zu sein. So tappe ich erneut

durch die Dunkelheit, rufe noch einmal nach ihr, frage, ob sie Hilfe beim Einsortieren braucht, warte auf Antwort. Warte. Warte. Entferntes Klappern. Ein Besen schlägt am Boden auf. Die Dunkelheit will mich schlucken. Wo ist sie? Wieso antwortet sie nicht? Warum habe ich das Licht nicht eingeschalten? Das Fallbeil fällt. © Fianna 24/10/2016

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Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
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...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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roxanneworks 
Du hast eine bedrückende Geschichte erzählt, die mich schnell eingefangen hat. Beim Lesen hatte ich mehrere böse Vorahnungen, die Du weder bestätigst, noch negiest. Du belässt es bei der vagen Ahnung...einem schwelenden unguten Gefühl, das sich aus dem Inneren an die Oberfläche arbeitet...und der Leser fragt sich...;-)

Sehr gerne gelesen, liebe Fianna..

Liebe Grüße
roxanne

PS: Seite 16: eindrücklich??? besser eindringlich oder ausdrücklich ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Ich muss gestehen, dass die Geschichte sich irgendwie von selbst geschrieben hat und das viel zu früh am Morgen, weshalb wohl auch das "eindrücklich" passiert ist. Danke für den Hinweis. :-)
Freut mich sehr, dass sie dir gefällt!

Dankeschön für's Lesen, Kommentieren und den Favo!

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
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