Der Tierarzt
Dr. Kasimir Dentorius war Tierarzt. Ein Arzt aus Passion. Er behandelte Kleintiere genauso wie die Nutztiere. Von der Geburt eines Kälbchens bis zum Schnupfen eines Papageis, nichts war ihm fremd.
Er führte seine Praxis am Lande in seinem Häuschen, in dem er auch wohnte. So war er immer einsatzbereit, in dringenden Fällen eben auch in der Nacht.
Eines Nachts klingelte es Sturm.
Drei Herren standen vor der Türe. Ihre Aufmachung war doch etwas verwirrend. Der Herr Doktor schlurfte verschlafen hinunter und öffnete. Kasimir Dentorius erschrak.
„Ich kenne sie nicht! Was wollen Sie?"
Der Herr mit der Puderperücke auf dem Kopf, dem Rüschenhemd und dem Samt-Jackett mit riesigem Ärmelaufschlag sprach mit sympathischer Stimme.
„Verzeihung, sehr geehrter Herr Medikus, dass wir euer Ehren spät des Nächtens so ungebührlich stören mussten, aber es geht leider um Leben und Tod. Wir hoffen inbrünstig, dass ihr uns helfen könntet.“
Die beiden anderen Gestalten nickten aufmunternd. Kasimir fand, dass diese Beiden eher wie Landstreicher aussahen. Fast wie Vogelscheuchen und so bleich in den Gesichtern. Kreislaufschwäche? Mangel an Vitamin A?
Sein hippokratischer Eid zwang ihn dennoch
nachzufragen, worum es eigentlich ging.
„Welches Tier braucht meine Hilfe? Was hat es? Und ist es so schlimm? Wirklich auf Leben und Tod?"
Wieder sprach der Vornehme.
"Es geht um ein lebendiges Wesen, da will ich nicht von einem Tier sprechen, aber glauben sie mir, ihre Hilfe ist lebensnotwendig. Er hat es mit dem Zahn."
„Eiternde Fistel, galoppierende Sepsis?“
„Nun ja, äh, so ähnlich. Monsieur Pierre Dubois zu meiner Linken zeigt ihnen den Weg. Sie haben doch ein schnelles Gefährt?“
„Ich habe ein SUV, einen Geländewagen.“
Trotz aller Bedenken beschloss Dentorius zu helfen.
"Ist es weit?"
„Na, ich würde sagen, in reiner Luftlinie ca. 20 Minuten“, erklärte die Puderperücke.
Als Kasimir alle Utensilien zusammengepackt hatte, startete er seinen SUV in der Garage. Als er heraus rangiert hatte und vor seinem Haus bremste, da stand dieser Dubois nur noch alleine da. Wo mögen denn die anderen zwei Herren wohl abgeblieben sein?
"Sie sind schon aufgebrochen", meinte dieser Pierre gelangweilt.
Dentorius legte vorsichtshalber noch eine Plastiktüte am Beifahrersitz aus, weil Monsieur bestimmt alles verdreckte, dann stieg die heruntergekommene Gestalt mit seinem staubigen Umhang ein und Kasimir gab Gas.
Nach einer viertel Stunde zeigte Pierre rechts zu einem Feldweg. Die holprige Strecke ging
über Stock und Stein. Immer dichter wurde Wald ringsherum.
„Ist es noch weit“, fragte der Doktor nach 40 Minuten, nun doch etwas ängstlich geworden.
"Nur noch die Anhöhe hinauf, dann sind wir schon am Schloss angekommen."
„Schloss? Welches Schloss? Ich kenne mich doch in der Gegend recht gut aus, aber von einem Schloss habe ich hier noch nie etwas gehört.“
„Es liegt eben etwas verborgen und die meiste Zeit des Jahres ist sowieso nicht viel los.“
Schließlich bremste Dentorius vor dem halb verfallenen Gemäuer. Erstaunlicherweise stand der Perückenmann und sein Begleiter schon vor dem Schloss Eingang. Kasimir war es ein Rätsel. Wie hatten sie denn noch vor
ihm ankommen können?
„Kommen Sie doch herein, lieber Herr Doktor.“
„Nicht zu den Stallungen?“
„Nein, nein, kommen sie nur.“
„Wie darf ich sie denn anreden“, fragte Dentorius den Vornehmen.
„Alle nennen mich Meister, aber das finde ich dann doch etwas zu übertrieben. Nennen sie mich einfach nur Graf Vodnik."
Es ging wieder vom Hauptgebäude hinaus in den Hinterhof. Da staunte Kasimir nicht schlecht. Da stand etwas, das wie eine riesige, umgestülpte Teetasse aussah. Über Mannshoch! Die Außenhaut glitzerte wie aus Silber oder Aluminium.
Der Graf zischte böse, als der Doktor daran tasten wollte und Kasimir zuckte zurück.
Das Herz klopfte dem Herrn Doktor bis zum Hals. Tachykardie diagnostizierte er bei sich selbst.
Sie gelangten in den hinteren Flügel des Bauwerks und Vodnik ging die Kellertreppe hinunter, schwebte fast in das Gewölbe. Dentorius zögerte schweißgebadet, obwohl es doch so kühl war. Ungewöhnlich kühl. Hinter ihm aber drängten Pierre und sein Kumpan nach, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu folgen. Durch einem dunklen Gang kamen sie in eine Halle, eher ein Gewölbe. Es war leidlich von Kerzen Kandelabern beleuchtet. Dort lag auf einer Pritsche ein grünes Wesen.
„Sehen sie!, Er braucht Zähne. Er muss sich schließlich ernähren können.“
Nachdem sich Kasimir von dem Schrecken erholt hatte, fragte er
„Ist der nicht schon tot?“
„Nein“, lächelte der Graf, „nur vorübergehend geschwächt. Etwas blutleer."
"Ischämie", murmelte der Mediziner fachkundig.
Pierre Dubois traf ein strenger Seitenblick des Grafen. "Kannst du dich denn nie zusammenreißen?" Dann wandte sich der Graf wieder Dentorius zu.
"Nur bewusstlos, tief bewusstlos“, lächelte Vodnik schneidend.
„Beim nächsten Vollmond wacht er bestimmt wieder auf“, versicherte Dubois.
Der Graf spreizte mit den Händen die Mundöffnung unter dem dritten Auge und riss
den Kiefer auf.
"Sehen sie!"
Kasimir entnahm der Tasche den Zahnarztspiegel mit LED Beleuchtung und leuchtete.
"Hm, fast Backenzähne wie ein Pferd. Ist er denn nicht doch ein reiner Pflanzenverwerter? Ich denke Grünzeug und so. Außerdem ist er doch grün, wie äh, wie eine Blattlaus."
Nun wurde der Graf etwas resoluter.
„Ich sage, er braucht die Reißzähne.“
Dr. Dentorius widersprach tapfer.
„Ich kann keine herbeizaubern!“
Da half Pierre aus. Auf einem Tablett lagen zwei veritable Hauer, deren Wurzeln noch ganz blutig waren.
„Und jetzt operiere“, fletschte Vodnik die
Zähne, die sehr schön weiß waren und ebenfalls an ein Raubtiergebiss erinnerten.
In Todesangst machte sich Dr. Kasimir Dentorius an die Operation.
„Nehmen sie bitte den Sauger. Sonst kann ich im grünen Blut nicht genügend sehen.“
„Ich könnte doch saugen. Mit einem Strohhalm oder so“, bettelte Dubois.
„Nimmer sattes Ferkel“, ekelte sich der Graf. „Grünes Blut.“
Schließlich war die Operation geschafft. Dr. Dentorius war mehr als stolz. Das Wesen hatte nun zwei gewaltige Reißzähne, wie bei einem Säbelzahntiger.
„Woher hatten sie eigentlich die Zähne?“
Pierre grinste.
„Von einem Wildschw…“
„Gefunden", polterte der Graf dazwischen.
Graf Vodnik hatte es nun eilig seinen Gast los zu werden. Er drängte ihn wieder den Weg zurück an der silbrigen Tasse vorbei zum Haupteingang.
Vor dem Geländewagen verabschiedeten
sie sich.
„Ich bin ihnen zutiefst dankbar. Für ihre Mühe haben wir Ihnen noch ein Geschenk im Wagen mitgegeben. Ich würde Sie aber bitten diesen Einsatz einfach wieder zu vergessen.“
„Es würde uns nichts ausmachen, wenn sie noch den Rest der Nacht hier blieben“, sabberte Pierre Dubois mit leuchtenden Augen.
Wie von Furien gehetzt, sprang Kasimir in den Wagen und raste los.
Nichts, wie weg! Unterwegs hielt er an und entsorgte den blutleeren Kadaver, das Wildschwein ohne Hauer. Er kam psychisch und physisch völlig erschöpft daheim an.
Dieses Ereignis hatte Dentorius keineswegs vergessen. Das grüne Wesen ließ ihn seine gesamte Auffassung des Lebens überdenken. Eine innere Wandlung fand statt.
Erst war seine Praxis eine Woche lang geschlossen, dann zog Dr. Kasimir Dentorius fort aus der Gegend.
Er nahm einen anderen Namen an und
sattelte auf Humanmedizin um. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, wurde er unter dem Synonym Dr. Frankenstein bekannt.
Die Vampire waren glücklich, dass sie sich nicht nur über die ganze Welt verbreitet hatten. Durch das grüne Vampir-Alien würden sie sich über das ganze Universum ausbreiten, sobald der Fremdling sein Ufo bis zum nächsten Vollmond wieder flott gemacht hatte.
Moderne Zeiten eben!