Fantasy & Horror
Wächter verlorener Vergangenheit (2) - Zersprungenes Glas

0
"NaNoWriMo 2015"
Veröffentlicht am 04. November 2015, 36 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
NaNoWriMo 2015

Wächter verlorener Vergangenheit (2) - Zersprungenes Glas

Zersprungenes Glas

Irritiert öffnete Riva den Mund, um etwas zu erwidern, doch es wollte ihr einfach nichts einfallen. Was hatte er da gerade gesagt? Was hatte er damit gemeint? Sie wollte es genauer wissen und doch fürchtete sich auch ein kleiner, möglicherweise irrationaler Teil von ihr, vor einer erklärenden Antwort. „Ich fühle es, Riva“, fügte Hoimar da mit leiser Stimme hinzu. Er hatte sich erhoben und legte ihr nun eine Hand auf die Schulter. Erst jetzt bemerkte das Mädchen, dass es vor Anspannung leicht zitterte. Warum? Weshalb hatten diese Worte eine solche Wirkung auf sie? Das

waren doch nur bedeutungslose Sätze, die Spinnereien eines alten Mannes, der manchmal Glück hatte mit seinen Mutmaßungen. Das alles hatte doch gar nichts zu bedeuten. „Sobald du uns verlässt, beginnt der Sand in der Sanduhr langsam zu rieseln und ganz egal, was du unternimmst, du wirst das Ende nicht verhindern können, du kannst ihm nicht entkommen. Die Zeit ist unbarmherzig, unterscheidet nicht zwischen Freund und Feind. Vor ihr sind alle gleich.“ „Woher willst du das wissen?“, flüsterte Riva. Zu mehr war sie gerade nicht im Stande, so trocken war ihr Mund. Dennoch hob sie den Kopf und blickte

dem Mann, der neben ihr stand, fest in die Augen. „Woher willst du das so genau wissen?“, wiederholte sie mit etwas lauterer Stimme und mehr Nachdruck, woraufhin er traurig den Kopf schüttelte. „Es gibt Dinge im Leben, die lassen sich nicht erklären; so ist es vor allem mit Gefühlen. Es ist als würdest du ein Glas aufheben und im selben Moment in dem du es berührst, weißt du, dass es dir gleich aus der Hand fallen und zerschellen wird. In diesem winzig kleinen Augenblick siehst du es ganz klar vor dir, wie es deiner Hand entgleitet, unvorstellbar langsam der Erde zustrebt, wie die ersten Risse

entstehen, die Splitter sich verteilen und schließlich zum Liegen kommen. Du weißt, dass es sich nicht mehr ändern lässt. Dein Körper spannt sich an, da er das nicht akzeptieren will, dann setzt die Zeit wieder ein und schon fällt das Glas. Wenn du schnell bist, greifst du vielleicht noch einmal danach, doch niemand überholt die Zeit. Und dein Gefühl holt dich ein, das Glas, von dem du gespürt hast, dass sein Ende naht, zerschellt und in dir bleibt der unzufriedene Gedanke zurück, es nicht zu verhindern vermocht zu haben, eine Leere, die aufs große Ganze gesehen unbedeutend sein mag, doch zu diesem Zeitpunkt spürst du sie schwer auf dir

lasten, füllt sie dein Sein völlig aus. Du verharrst, um dich zu fragen, ob du es tatsächlich gewusst hast oder ob es lediglich Hirngespinste waren, dann kehrst du die Scherben zusammen und lebst dein gewohntes Leben weiter, nicht wissend, dass die Risse im Glas sich in deiner Seele widerspiegeln könnten.“ „Wie poetisch“, versuchte Riva zu witzeln, doch das war nur gespielte Zuversicht. Innerlich bebte sie vor unterdrückter Angst und mit einem Mal war ihr furchtbar kalt geworden. Sie kannte dieses Gefühl, das er ihr da beschrieben hatte durchaus, doch was war das denn für ein Vergleich, ein Glas für ein Menschenleben?

„Es tut mir Leid, Riva, dass ich dir Angst gemacht habe.“ Seine Worte klangen ehrlich, doch das half ihr jetzt auch nicht mehr, was er wohl zu spüren schien, denn er fuhr fort: „Wir alle müssen irgendwann gehen. Manche bleiben länger, einige eilen voraus. Was macht es für einen Unterschied, für denjenigen, der geht? Sein Leben wird sich dadurch nicht ändern.“ Ruckartig stand Riva auf und schüttelte Hoimars Hand ab. Sie wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte, sie wollte jetzt allein sein, musste ihre Gedanken ordnen, wieder Klarheit schaffen.

„Hoimar?“, wurde da durch den Raum gerufen und mit einem entschuldigenden Seufzen und einem leicht schuldbewussten Ausdruck im Gesicht trottete der Mann davon. Unruhig schritt das Mädchen eine Weile auf und ab, dann zog es sich zu seinem eigenen Schlafplatz, hinter einem Stapel aus großen schweren Holzkisten verborgen, zurück, doch auch gegen die Kälte in eine Decke gewickelt, fand es keine Ruhe. So erhob sich Riva bald wieder von ihrem Lager, nahm sich zwei Wolldecken und machte sich auf den Weg nach oben. Die Kälte, die sich in ihren Knochen festgesetzt hatte, ließ sich

durch Wärme nicht vertreiben. Vielleicht vermochte der eisige Wind, sie zu wärmen, ihr Gefühl zurück zu bringen, das ihr wie die Fähigkeit zu klarem Denken völlig abhandengekommen war. * „Schon wieder?“, erklang eine wohlbekannte Stimme hinter ihr. „Die Krähen halten dich bestimmt schon für einen Wasserspeier.“ Riva wandte sich nicht zu ihm um, dadurch wären die Decken verrutscht und es war so schon kalt genug. „Immerhin bist du diesmal besser gerüstet“, sprach Kjell weiter, als er vor

sie trat und ihre Aufmachung mit einem leicht belustigten Funkeln in den Augen musterte. Der Wind zerrte an seinen Kleidern und pfiff ihm so fürchterlich kalt um die Ohren, dass er sich niederkniete und dem Mädchen nun Auge in Auge ins Gesicht sehen konnte. „Du siehst krank aus“, erklärte er frei heraus, woraufhin Riva schnaubte und die Decken enger um sich zog. „Dankeschön, Kjell, das hört man doch immer gerne.“ Jener ging nicht auf ihren gespielt gekränkten Ton ein, sondern blickte ihr besorgt ins Gesicht. „Was hat dich jetzt wieder hier rauf getrieben? Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir…mehr als

sonst, meine ich.“ Kopfschüttelnd verzog Riva das Gesicht zu einer halb belustigt, halb ernst wirkenden Grimasse. Dann wandte sie den Blick von dem vor ihr hockenden Freund ab und beobachtete konzentriert das Schneegestöber. Vereinzelt fanden ein paar Flocken den Weg zu ihrem Gesicht und schmolzen, sobald sie die warme Haut erreichten. Auch in ihren Haaren, die an den Spitzen schon vom Frost weiß gefärbt waren, hatten sich einzelne Schneekristalle verfangen. „Was ist los, Riva? Was ist passiert?“, drang Kjell weiter aus sie ein, doch sie machte weder Anstalten ihm zu antworten, noch ihn anzuschauen,

weshalb er nach einer schweigenden, nur vom Pfeifen des Windes durchbrochenen, Weile vorsichtig nach ihre Kinn griff und ihren Kopf in seine Richtung drehte. „War es etwas, das mein Vater gesagt hat?“ Auf sein Gesicht hatte sich ein besorgter und zugleich auch leicht schuldbewusster Schatten gelegt, der zuvor noch nicht dagewesen war. Er zog seine Hand zurück, wandte aber nicht den Blick von ihr ab. „Er neigt manchmal zu Übertreibungen.“ „Es…ist nichts“, erklärte Riva steif. In der Einsamkeit des eisigen Schneegestöbers war es ihr gelungen einen einigermaßen klaren Kopf zu bekommen und sie hatte sich beruhigt.

Was bedeuteten schon die Worte eines alten Mannes, dessen angebliche Vorahnungen? Sie wusste nicht, weshalb er ihr so einen Unsinn erzählte, aber sie durfte sich davon nicht verrückt machen lassen. In nur einem einzigen Punkt hoffte sie, dass Hoimar Recht behalten würde, nämlich was Rolands baldiges Auftauchen anging. Er war schon so lange fort. Es wurde Zeit, dass er endlich nachhause kam. „Riva?“ Erst jetzt wurde dem Mädchen bewusst, dass Kjell die ganze Zeit mit ihr gesprochen hatte. Sie hob entschuldigend die Arme und sagte: „Hör mal, Kjell, das da vorhin mit Gunther,

ich…“ Er hob abwehrend die Arme. „Nein, das brauche ich wirklich nicht zu wissen. Es geht mich nichts an, was ihr beide da gemacht habt. Das ist eure Sache.“ „Aber…“ Er ließ sie nicht weitersprechen und erhob sich. Sie konnte sehen, dass sein Gesicht sich leicht rot gefärbt hatte, nicht nur durch die Kälte, wie ihr da mit einem Schlag klar wurde. Nun spürte sie auch selbst, wie ihre Wangen sich verfärbten. Bevor der junge Mann sich zurückziehen konnte, war sie aufgesprungen, wobei ihr die beiden Decken von den Schultern rutschten und die Kälte sie mit unbarmherzigen

Fingern umschloss. Dessen war sie sich in diesem Moment allerdings nicht bewusst. Bestimmt ergriff sie ihn am Arm. „Wir haben gekämpft, Kjell,…mit Stöcken.“ Sie konnte ihm deutlich ansehen, wie unangenehm ihm dieses Gespräch gerade war und wie ungläubig er sie musterte. „Ich…wie auch immer du es nennen willst“, flüsterte er stockend und wollte sich von ihr lösen, doch das ließ sie nicht zu. Fest sah sie ihm in die Augen. „Ich bringe ihm bei, zu kämpfen.“ Riva betonte jedes einzelne Wort mit Nachdruck. „Und ich muss dich darum bitten, dass du das für dich behältst,

Kjell. Mein Vater darf nichts davon erfahren, am besten erfährt gar niemand davon. Das würde nur unnötig Ärger geben. Versprichst du es mir? Dass du es niemandem erzählst?“ Sie konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete, doch insgeheim wusste sie, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Dennoch entfuhr ihr ein erleichtertes Seufzen als er zustimmend nickte. „Sehr gut, du hast etwas gut bei mir“, meinte sie und versuchte ihm ein ihre Worte untermauerndes Lächeln zu schenken, doch die Kälte, derer sie sich erst jetzt wieder bewusst wurde, wollte das nicht so recht zulassen. Fröstelnd

ging sie zu der Stelle zurück, an der sie die Decken hatte liegen lassen und wickelte sich in eine davon. Die andere hielt sie Kjell hin. „Willst du eine Weile mit mir den Schnee anstarren?“, fragte sie fröhlich, was er mit einem skeptischen Blick erwiderte. In letzter Zeit sah er sie überhaupt immer so komisch an. Stimmte etwas nicht mit ihr…oder mit ihm? Schließlich griff er allerdings doch nach dem groben Wolltuch, starrte sie eine Weile lang bewegungslos an und blickte dann wieder zu Riva auf. „Ich habe nicht vor das Gespräch von heute Früh zu wiederholen, aber komm doch lieber mit rein, ja?“

„Na gut, aber nur weil du es bist“, gab das Mädchen zurück und schritt ihm dann voraus, zurück in die tiefer gelegenen Gewölbe des Tempels. Das kurze Gespräch mit Kjell, so peinlich es zwischendurch auch gewesen war, hatte ihr gut getan. Nun hatte sie auch die letzten Bedenken und Sorgen abgestreift und nahm sich vor, noch einmal mit Hoimar zu sprechen. Diesmal würde sie nicht die Nerven verlieren. Und er würde ihr ganz genau erklären müssen, was es mit der Geschichte von ihrer Mutter auf sich hatte. Geheimniskrämerei konnte sie in dieser Hinsicht nicht gebrauchen. Wenn er tatsächlich von ihr verlangen

wollte, von hier fortzugehen, so sollte er ihr gefälligst auch Rede und Antwort stehen. Er musste ja nicht wissen, dass sie schon lange die Hoffnung hegte, endlich einmal mehr von der Welt zu sehen, als diese Gemäuer, die zwar in den letzten Monden zu einem Zuhause geworden waren, aber auf Dauer furchtbar einengten. „Danke, dass du mich zurückgeholt hast“, sagte sie, ohne sich zu dem hinter ihr Gehenden umzudrehen. Jener hatte ihre Worte dennoch gehört und erwiderte: „Schön, dass du mal auf mich gehört

hast.“ * Als sie die Küche betraten, schlug ihnen sofort eine sonderbare Stimmung entgegen. Anstatt des ansonsten vorherrschenden leisen Stimmgemurmels, schien eine hitzige Diskussion im Gange zu sein. Stirnrunzelnd und neugierig wandte Riva sich der Gruppe zu, die nahe am Feuer saß und sich in zwei Lager gespalten zu haben schien, die versuchten, die jeweils anderen in Grund und Boden zu reden, indem sie, teils wild gestikulierend, aufeinander einsprachen. Etwas abseits

hockte eine kleinere Gruppe von vier Leuten, die sich etwas leiser aber vermutlich über dasselbe Thema unterhielten. „Sieht so aus, als hätten sie mal wieder etwas Interessantes gefunden“, bemerkte Kjell und trat hinter das Mädchen, das ein paar Schritte vor den Streitenden zum Stehen gekommen war. Es schien nicht ratsam zu sei, sich jetzt einzumischen, doch sie wollte herausfinden, was sie alle so in Aufruhr gebracht hatte. Aus diesem Grund ging sie, nachdem sie ihn erspäht hatte, schnurstracks auf Gunther zu und zog ihn am Arm zur Seite. „Was haben sie gefunden?“, fragte sie

ihn mit gesenkter Stimme, um nicht den Unmut der Gruppe auf sich zu ziehen, was aber wohl nicht nötig gewesen wäre, da niemand auf sie achtete. Der junge Mann schüttelte allerdings nur den Kopf und wies auf die Diskutierenden, als wolle er sagen, sie solle es sich doch gefälligst selbst anhören. Genervt ließ sie seinen Arm los und näherte sich ihrem Vater, der mit bösem Blick sein Gegenüber musterte, das gerade erklärte: „Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, was das zu bedeuten hat, Andreas. Du weißt es ganz genau. Wir alle wissen es. Aus diesem Grund sind wir schließlich hier.“ „Ich bestreite ja nicht, dass wir etwas

sehr Wichtiges entdeckt haben“, gab Rivas Vater mit gezwungener Ruhe zurück. „Nur dürfen wir uns nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen. So lange suchen wir jetzt schon danach. Wir wissen sehr genau, was wir finden wollen, aber das ist auch die Gefahr dabei. Wir müssen das Objekt vorerst als das betrachten, was es ist, nicht gleich als das, wofür wir es halten. Wir könnten uns genauso gut täuschen. Das wäre immerhin nicht das erste Mal.“ Den letzten Satz fügte er in einem besonders eindringlichen Tonfall, dafür aber etwas leiser hinzu. In seinen Augen blitzte es herausfordernd, doch er hatte mit seinen Worten erreicht, was er

gewollt hatte. Für einen Moment herrschte Ruhe. Ehe jemand diese wieder mit Gezeter füllen konnte, hob Andreas die Hand, um jegliche Wortmeldung im Keim zu ersticken. „Ich kann euch verstehen, wirklich. In mir toben sicherlich dieselben Gefühle, die auch von jedem einzelnen von euch Besitz ergriffen haben, als der Gedanke, unserer Sache endlich so nahe zu sein, euch bewusst geworden ist. Wir wären schlechte Forscher, wenn es anders wäre, aber dennoch müssen wir uns wieder besinnen, Freunde. Das hier ist kein Spiel. Was auch immer wir da entdeckt haben, es muss erst sorgfältig überprüft und geborgen werden, ehe wir uns ein

allzu endgültiges Urteil darüber bilden dürfen. So haben wir es gelernt, nur so können wir die nötigen Erkenntnisse daraus ziehen, ohne Gefahr zu laufen, Fehlschlüsse nur aufgrund falsch festgelegter Annahmen zu ziehen.“ „Wieso sitzen wir dann noch hier herum?“, mischte sich da Sophia ein, eine zierliche Frau, der man nicht ansah, wie hart sie anpacken konnte, wenn es darum ging, Steine fortzuschleifen oder Kisten um zu stapeln. „Wieso holen wir es nicht endlich aus der Erde, untersuchen es natürlich, so wie du es sagst, Andreas und streiten uns dann weiter? Das bringt uns doch nicht

voran.“ „Es ist schon spät“, warf da Hoimar leise ein, woraufhin sich das wütende Gesicht der Frau ihm zuwandte. Trotz ihres Ärgers klangen ihre Worte ihm gegenüber respektvoll, wenn auch zum Teil wie mit zusammengebissenen Zähnen hervorgepresst. „Was bedeutet hier schon Zeit?“ Ihr Blick fiel plötzlich auf Riva, die ihr etwas abseits genau gegenüber stand. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. „Ich habe seit Tagen den Himmel nicht mehr gesehen. Es könnte genauso gut gerade der Morgen anbrechen. Hier unten spielt es keine Rolle. Hier herrscht die Nacht und zwar immer.“

„Damit magst du durchaus Recht haben, Sophia, doch das Auf- und Untergehen der Sonne ist nicht das einzige, womit sich Zeit messen lässt. Die meisten von uns sind schon lange wach, ihre Körper fühlen die Müdigkeit bereits, die an der Oberfläche das Finsterwerden mit sich bringen würde. Außerdem läuft uns doch nichts davon. Jahre lang haben wir gesucht, seit vielen vielen Monden sind wir nun schon hier in diesen Gemäuern, warum also Eile, jetzt, da wir dem Ende unserer Suche vielleicht so nahe sind? Warum riskieren, etwas falsch zu machen, nur weil wir glauben, alles müsste immer schnell

gehen?“ „Wir stimmen ab“, mischte sich da Rivas Vater wieder ein, der Sophia einen mahnenden Blick zugeworfen hatte, als diese zu einer Erwiderung angesetzt hatte. Ganz gegen ihre Natur widersprach sie nicht, sondern stimmte ihm zu. „Gut, wer ist dafür, das Objekt jetzt gleich zu bergen, es am besten auch gleich zu untersuchen, um Gewissheit zu erlangen?“, begann sie sogleich den Vorschlag in die Tat umzusetzen. Zögerlich hoben sich ein paar Arme, wobei die Menschen, an denen jene hingen, teils entschuldigende Blicke sowohl Andreas als auch Hoimar

schenkten. „Ich enthalte mich“, erklärte Kjells Vater schließlich, stand dann auf und zog sich auf seinen Schlafplatz zurück, während Sophia diejenigen, die sich noch nicht entschieden hatten, mit ihrem scharfen Blick durchbohrte. Sechs Leute hatten die Hände gehoben. „Dann scheint es wohl entschieden zu sein“, erklärte Andreas, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und erhob sich etwas schwerfällig. Riva konnte ihm ansehen, dass er wieder einmal sein Kreuz schmerzlich spürte und war insgeheim froh, dass die Abstimmung zu seinen Gunsten ausgegangen war. „Moment!“

Auch Sophia hatte sich nun erhoben. Ihr Blick haftete auf Riva, und die beiden jungen Männer, die neben ihr standen. „Wir sollten auch die Gegenprobe machen, für den Fall, dass es weitere Enthaltungen gibt. Und ich finde die Kinder sind inzwischen alt genug, um mitzuentscheiden.“ Unentschlossen runzelte Andreas die Stirn, gab dann aber mit einem Nicken sein Einverständnis, wobei er Rivas Blick suchte, die lediglich mit den Achseln zuckte. „Also, wer ist dafür, dass wir noch länger unsere Zeit mit Streitereien

verschwenden?“ „Das ist keine anständige Formulierung“, warf da einer ein, doch die Sprecherin ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern blickte herausfordernd in die Runde. Riva sah wie ihr Vater die Hand hob, sogleich schlossen sich ihm drei weitere an und als sie einen Lufthauch neben sich spürte, erkannte sie, dass auch Kjell von seinem Stimmrecht Gebrauch gemacht hatte. Sie selbst konnte sich nicht recht entscheiden. Einerseits wollte sie nur allzu dringend herausfinden, was da heute gefunden worden war, aber andererseits kannte sie ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht

grundlos für eine Verschiebung dieser Tätigkeit ausgesprochen hatte. Gleichzeitig mit Monika, der dritten Frau in ihrer kleinen Gruppe, hob Riva die Hand und Sophia ließ ein wütendes Schnauben hören, ehe sie mit wehender hellblond leuchtender Mähne aus dem Raum schritt. Die Gruppe begann sich murmelnd zu zerstreuen, soweit dies bei dem begrenzten Platz, der ihnen zur Verfügung stand, möglich war. Riva schlenderte zu ihrem Vater hinüber, der sich auf seine Decken gesetzt hatte und gerade ein Buch zur Hand nahm. Müde strich er sich mit einer Hand übers Gesicht, während er die Seiten

durchblätterte auf der Suche nach jener Stelle, an der er zuletzt gelesen hatte. „Darf ich fragen, was ihr gefunden habt?“, wagte das Mädchen zu fragen, während es ein paar Bücher von einer Kiste auf den Boden stapelte, fein säuberlich übereinander und nicht direkt auf den kühlen Stein, sondern auf eines der wollenen Tücher. Mit einem Seufzen klappte ihr Vater das Buch zu und sah ihr ins Gesicht. „Du siehst blass aus“, erklärte er ihr, woraufhin sie die Zähne bleckte. „Glaubst du etwa, du siehst besser aus? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zum letzten Mal die Sonne gesehen

habe.“ „Ich dachte, du magst den Schnee“, erwiderte er und musterte sie genau als sie antwortete: „Es hat ja wenig Sinn, ihn zu verfluchen.“ Sie legte eine kurze Pause ein, fuhr dann aber doch fort: „Also, was habt ihr entdeckt? Weshalb wäre Sophia dir so gerne an die Gurgel gegangen?“ Wiederum entrang sich ein tiefer Seufzer seiner Brust und er verzog das Gesicht zu einer müden Grimasse. „Du wirst mich schief ansehen, wenn ich es dir sage“, meinte er ernst. „Versuch es dennoch“, bat Riva, rutschte von der Kiste herunter und setzte sich

neben ihn auf die Decke. „Nun, es ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kessel.“ Das Mädchen konnte nicht anders als den Kopf schiefzulegen, woraufhin ihr Vater leise lachte. „Siehst du, ich habe es dir doch gesagt.“ © Fianna 04/11/2015  

0

Hörbuch

Über den Autor

Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


Leser-Statistik
7

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
EagleWriter Ich vermute mal nicht grade ein normaler Suppenkessel wenn die so einen Aufstand darum machen... Also das mit den Interpretationsmöglichkeiten nehme ich zurück, nach Hoimars Glas-Gleichnis. Das ist eigentlich eine leider ziemlich deutliche Aussage. Aber hey, wenigstens hat Riva die Situation mit Kjell geklärt... wobei ob er ihr das wirklich abgekauft hat ^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Auch normale Suppenkessel können von Bedeutung sein. Und mir gefällt der Ausdruck "Glas-Gleichnis". Da fühle ich mich gleich so philosophisch. ;-)

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
Ameise Du schreibst großartig. Deine Worte verwandeln sich in Bilder. Lg Ameise
Vor langer Zeit - Antworten
Fianna Dankeschön! Das motiviert zum Weiterschreiben.

Liebe Grüße
Anna
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
4
0
Senden

136682
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung