Wieder einmal nahte Weihnachten. Eine befreundete Familie aus dem Dorf fragte uns, ob wir uns nicht einen Weihnachtsmann teilen wollten. Ihr Sohn war gerade 5 Jahre alt, also in einem Alter, in dem ein Weihnachtsmann auf alle Fälle angebracht ist. Meine Kinder waren aber schon 14. 10 und 6 Jahre alt. Wir willigten trotzdem ein.
Abgemacht war, dass ich mit den Kindern zur Kirche fahren würde, der Vater meiner Kinder würde derweilen den Baum schmücken und die Geschenke dem Weihnachtsmann übergeben, so dass er später mit prall gefülltem Sack vor unserer Tür stehen konnte.
Die beiden größeren Jungs glaubten schon länger nicht mehr an den Weihnachtsmann, Swea war in einer Phase, in der sie zumindest zu zweifeln begann. Insofern fragten wir uns, wie wohl die Kinder auf einen Weihnachtsmann reagieren würden.
Heiligabend kam. Ich hatte das Festessen vorbereitet, gab meinem Mann letzte Anweisungen für das Schmücken des Weihnachtsbaumes: „Pass auf, dass die Tiere ihn nicht gleich umwerfen, das machen die später sowieso und wehe er sieht nicht gut aus, dann gibt es keine Geschenke für dich. Schau zwischendurch noch mal zur Ente.“ Er murmelte Unverständliches in sich hinein und schob uns vier zur Haustür hinaus. Wir machten uns frohgemut und gut gelaunt auf den Weg zur Kirche. Weihnachten hat einfach etwas.
In der Kirche erwischte ich mich immer wieder dabei, dass ich meine Kinder voll Stolz von der Seite betrachtete: Diese Ruhe, dieser Frieden, diese Andacht in den Kindergesichtern. Ich wünschte mir, dass jeden Tag Weihnachten wäre.
Dann machten wir uns wieder auf den Heimweg. Die Kinder waren schon ganz aufgeregt, sie überlegten laut, welche Geschenke wohl für sie unter dem Weihnachtsbaum liegen würden und ob ihr Vater wirklich all meine Ratschläge befolgt hätte. Sie plapperten ununterbrochen und ich lächelte still vor mich hin.
Als wir auf die Auffahrt bogen, stellten wir fest, dass die künstlichen Kerzen den Weihnachtsbaum bereits hell erstrahlen ließen. Auch vor der Haustür brannte die Außenbeleuchtung, ansonsten war das Haus in völlige Dunkelheit gehüllt.
Wir kamen ins Haus und vernahmen schon auf dem Flur lautes Schnarchen aus dem Wohnzimmer. Mein Mann lag auf dem Sofa und schlief tief und fest. Ich lief in die Küche, um nach der Ente zu sehen. Wenigstens die war in Ordnung. Dann stellte ich den Herd an, damit wir zeitig essen konnten. Anschließend ging ich mit lauten Schritten zu dem Raum, in dem ich, bevor wir uns auf den Weg zur Kirche gemacht hatten, die Geschenke gestapelt hatte. Nach einem kurzen Blick in den Raum ließ ich die Tür mit einem lauten Knall zufallen und machte mich schnell auf den Weg ins Wohnzimmer. Mein Mann hatte sich inzwischen aufgerichtet und rieb sich verschlafen die Augen. Ich stand in der Wohnzimmertür und zeterte laut: „ Das müsst ihr euch mal vorstellen: Wir fahren zur Kirche und was macht euer Vater? Legt sich aufs Sofa, pennt ein und lässt sich alle Geschenke unter dem Hintern wegklauen.“
Die Kinder rissen die Augen weit auf und sahen mich erstaunt an. Für einen Moment entstand Todesstille. Dann meinte Dirk: „Ich weiß, wo die Geschenke sind“, und lief zu dem Raum, den ich erst vor kurzem verlassen hatte. Schon kurze Zeit später stand er wieder im Wohnzimmer, sah seine Geschwister an und erklärte: „Sie sind weg.“ Wieder war es für einen Moment sehr still. Dann glitt ein Lächeln über die Gesichter meiner Kinder. „Wir haben unsere Geschenke“, sagten sie und liefen in ihre Kinderzimmer.
Wenige Minuten später lagen verknüllt eingepackte Kindergeschenke, selbst gebastelte Dinge, selbst gemalte Bilder sowie vom Taschengeld gekaufte Kleinigkeiten unter dem Weihnachtsbaum. Noch nie war der Platz unter dem Baum mit so spärlichen Geschenken ausgefüllt, aber meine Kinder standen stolz vor dem Baum. Ihre Gesichter strahlten. Ich las darin: Wir haben Geschenke, ihr aber nicht und das, was da an Geschenken liegt, das reicht auch. Keine Vorwürfe, keine Klagen, kein Bedauern ob der geklauten Geschenke, sondern Stolz über diese eigenen Kleinigkeiten strahlte mir entgegen.
Der Heiligabend nahm seinen Lauf, wir haben sehr gut gegessen, haben gemeinsam den Tisch abgedeckt und den Abwasch gemacht.
Danach war Bescherung. Meine Kinder konnten es kaum erwarten, uns und sich gegenseitig zu beschenken. Es war eine ausgelassene, eine fröhliche, eine unheimlich friedliche und ziemlich konsumlose Stimmung. Das gegenseitige Bedanken, die liebevollen Umarmungen, es tat mir einfach nur gut. In dieser Situation merkte ich wieder einmal, dass Weihnachten mit Konsum wirklich wenig zu tun hat. Und wieder plapperten meine Kinder, erzählten aufgeregt, wie lange sie für diese Geschenke gespart hatten oder wann ihnen die Idee für die Bastelarbeiten gekommen war. Es war einfach nur schön.
Plötzlich klingelte es an der Haustür. Mein Mann übernahm die Aufgabe, den Weihnachtsmann hereinzulassen. Plötzlich tauchten all die geklauten Weihnachtsgeschenke wieder auf. Natürlich freuten die Kinder sich über ihre Geschenke, auch wenn diese an Wichtigkeit gewaltig verloren hatten. Dass der Weihnachtsmann nicht echt war, erkannte jetzt sogar die kleine Swea.
Was aber für mich dieses Weihnachtsfest zu einem der schönsten machte, an die ich mich erinnern kann war die Reaktion meiner Kinder:
Es kommt nicht auf den Wert der Geschenke an, sondern darauf, dass man sich liebt und das seinen Liebsten zeigen kann.