Ich war vielleicht 10 Jahre alt, da schenkte eine Bekannte meiner Familie mir ein Buch mit dem Namen „Das Licht der Phantasie“ von einem gewissen Terry Pratchett. Damals war das komische Cover des Heyne Verlages für mich undeutbar, ich ließ das preisreduzierte Mängelexemplar in der Ecke versauern.
Vielleicht ein Jahr später berichtete mein Onkel davon, dass er in München jetzt immer in der Buchhandlung nach einem unglaublich lustigen britischen Autoren Ausschau hielt. Sein Name war Terry Pratchett.
Aufgrund dessen nahm ich mir das Buch zur Hand, las darin, fand Gefallen, Liebe würde ich es damals noch nicht nennen, da gerade die Harry Potter Bücher unglaublich im Kommen waren, die ich aber persönlich auch noch nicht so wahnsinnig toll fand.
Ich kann nicht mehr sagen welches dann das zweite Buch war, aber ich weiß noch genau, wie ich dann „Heiße Hüpfer“ geschenkt bekam. Überhaupt mochte ich den Zauberer (oder Zauberrer?) Rincewind von Anfang an und natürlich den unendlich coolen Tod, der immer so herrlich humorvoll war und für jede Seele einen tröstenden oder
flapsigen Spruch auf den knochigen Lippen hatte.
Jedenfalls hatte ich mir ein 50 Seiten Limit pro Tag um die Weihnachtsfeiertage auferlegt, doch schon bald durchbrach ich es, weil mich die Geschichte, in der Rincewind auf den Kontinent XXXX geschleudert wird (der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Australien hat) so fesselte. Ich lernte, dass, wenn man nur lange genug hungerte, irgendwann alles nach Hühnchen schmecken würde. Und mal ehrlich. Harry Potter in allen Ehren aber kann der in ca. 100 Sprachen um Hilfe schreien und in über 60 um Vergebung winseln? Du magst zaubern können, aber
wirksamer als jeder Patronus Zauber ist die weise Erkenntnis von Rincewind, dass der Mensch jedem anderen Verfolger insofern überlegen ist, dass er nur 2 Beine hat, wohingegen jeder Verfolger mit mehr diese erst einmal ordnen muss, was dem Fliehenden den entscheidenden lebensrettenden Vorteil verschafft.
Aber natürlich kamen dann auch noch die anderen Figuren hinzu. Die Wache der Zwillingsstadt Ankh Morpork, die zu Beginn der Reihe aus einem ständig betrunkenen Kommandeur Mumm bestand sowie den beiden Polizisten des Herzens, Frederik Colon und Nobby Nobbs, der ein vom Patrizier der Stadt
selbst unterzeichnetes Zertifikat bei sich trägt, welches ihn tatsächlich der Gattung Mensch zugehörig ausweist. Lord Vetinari, der mächtige Patrizier der Stadt, ausgebildeter Assassine und immer am Puls der Zeit und manchmal voll drin, bewiesen eindrucksvoll im letzten Scheibenwelt Roman „Toller Dampf Voraus“, wo er bei der Fahrt nach Überwald sogar selbst der Heizer ist, natürlich weiß das niemand bis zum Schluss.
Aber ich will hier nicht einfach stupide alle Figuren aufzählen, denn es sind schlichtweg zu viele. Pratchett hat sein eigenes Universum an Wesen geschaffen, welche auf der Scheibe
leben, die auf dem Rücken von 4 Elefanten thront, welche ihrerseits auf der Himmelsschildkröte Groß A’Tuin stehen, die durch das Multiversum gleitet.
Pratchett zeichnet dabei so Vieles aus, wenn er erzählt. Viele dieser kann man sich als Nachbarn sogar vorstellen. Beispielsweise Nanny Ogg, die Hexe, die selbst nicht mehr die Jüngste ist, mit der halb Lancre verwandt ist, aufgrund ihrer sehr stürmischen Jugend und die immer wieder fröhlich ein nicht jugendfreies Lied pfeift. Oder Feucht von Lippwig, der Betrüger, der es mit seinem Wissen darum, dass es wirklich vor allem auf die Show ankommt, erst
die Post, dann die Bank und schließlich auch das Eisenbahnwesen entscheidend groß macht. Er ist die lebende bunte Werbung auf Beinen, die das Verlangen in uns weckt einfach zuzuschlagen, ob wir das Angepriesene nun wollen oder nicht. Mal ehrlich, solche Charaktere kennt man doch selbst. Die, die sich ewig treu bleiben wie Kommandeur Mumm, der, nach vielen Ehrungen und sogar der Adelung immer noch am liebsten einfach nachts durch die Stadt geht und am Kopfsteinpflaster jeden einzelnen Stadtteil von Ankh Morpork erkennt.
Weiterhin verkehrt er die gängigen Fantasy Stereotypen in ungeahnter
Weise. Beispielsweise Cohen der Barbar und seine graue Horde. Helden wie er, sie leben in unseren Geschichten weiter, als ewig junge Tempelräuber. Aber was, wenn sie, wie er, noch gar nicht tot sind? Dann trifft man einen verdammt zähen Alten, der aber Probleme mit dem Kauen von Fleisch hat. Oder Angua (zuletzt Hauptmann), Werwölfin und Teil der Stadtwache. Sie hat immer neue Kleidung dabei, denn was passiert denn nach der Verwandlung in einen Werwolf und wieder zurück? Kleidung wächst nicht am Leib. Wird sowas in Twighlight thematisiert? Zudem ist sie auch unzufrieden mit ihrem wölfischen Selbst, unterdrückt es und weiß es
geschickt einzusetzen, sofern es notwendig wird. Oder die Professoren der Unsichtbaren Universität, dem bedeutendsten Zaubereiinstitut der Scheibenwelt. Hogwarts, da profilieren sich die Professoren, hier verstecken sie sich vor den Studenten um ja nicht gesehen zu werden. Weise Männer die genau wissen, dass es als Zauberer besser ist die eigenen Kräfte nicht einzusetzen, weil sie nur Ärger machen. Es sind solche vielschichtigen und ganz anderen und deshalb aber auch so liebenswerten Charaktere, welche die Scheibenwelt zu einem so anderen Ort machen als das Auenland oder Hogwarts.
Die Figuren sind auch auf der Höhe unserer Zeit. Kameras, die mit kleinen Kobolden betrieben werden und dann Bilder machen oder eine Art Pager, auch betrieben dank eines Koboldes.
Zudem politische Konflikte dargestellt auf Scheibenwelt Art. Bei den Zwergen die Grags, die ultrakonservativen Zwerge, die nicht akzeptieren, dass es beispielsweise weibliche Zwerge gibt, die sich auch wie Frauen kleiden wollen. Sie liegen als Gruppe ständig im Klinsch mit den Modernisierern. Oder der ewige Streit zwischen Zwergen und Trollen, der schließlich mit dem Koomtal Abkommen vorläufig sein
offizielles Ende findet. Gesellschaften, die von Werwölfen, Zwergen, Trollen, Vampiren, Zombies, etc. angereichert werden und so ihre alten Grabenkämpfe beenden müssen. Multikulti auf der Scheibenwelt. Somit ist Ankh Morpork beispielsweise der Spiegel unserer modernen Städte, wo vieles Verschiedenes aufeinander prallt und sein Arrangement finden muss.
Und dann immer wieder überraschende Wendungen, die den Leser staunen lassen. So wie im „Fünften Elefant[en]“. Mächtige Werwölfe wollen Kommandeur Mumm zur Strecke bringen, der kann immer wieder entkommen und am Ende erlegt er deren
scheinbar übermächtigen Anführer, indem er eine Feuerwerksrakete los lässt, dieser, dem Hunde in sich folgend, nach ihr schnappt und dann explodiert sie. So simpel geht es, da ist man erst einmal schockiert.
Und dann immer wieder diese herrlichen Weisheiten, wie dass die Wahrheit ihre Stiefel noch anzieht, da ist die Lüge schon auf dem Weg.
Zu bewundern ist weiterhin am Menschen Pratchett, dass ein so erfolgreicher Autor nicht dem Ruf des Geldes leichtfertig erliegt. Die Personen, welche Ablegerprodukte zur Scheibenwelt erstellen sind selbst Fans. Stephen Briggs beispielsweise, der
Mensch, der die Scheibe besser kannte als ihr Schöpfer selbst, der uns die „Straßen von Ankh Morpork“ und Weiteres schenkte, ist wohl besessen davon. Oder die bisher 3 erschienenen Fernsehfilme, in denen „Schweinsgalopp“, die ersten beiden Scheibenweltbücher „Die Farben der Magie“ und „Das Licht der Phantasie“ (Doppelfilm) sowie „Ab die Post“ verfilmt worden sind, waren allesamt nah an ihren Vorlagen dran und brachten die Scheibenwelt mit aller Liebe fürs Detail auf die heimischen Bildschirme. In jedem Film spielt der Meister selbst eine kleine Nebenrolle. Nie findet ein Ausverkauf statt, sondern immer wird
darauf geachtet, dass die Integrität seiner Gedankenwelt erhalten blieb.
Mit Sir Terence David John Pratchett ist ein Philosoph, Humorist und Weltenschöpfer von uns gegangen, wie es ihn nur selten gibt. Sein Engagement für Orang Uthans, der Bekämpfung von Alzheimer, an der er selbst litt und auch für die umstrittene Sterbehilfe nach Schweizer Vorbild wird natürlich weiterleben aber noch viel mehr leben die unsterblichen Figuren weiter mit denen er Generationen junger Leute zu Leseratten machte. Die verzaubert werden sollen von der Scheibenwelt und ihren Bewohnern, wie ich es einst wurde.
Leider besitze ich keinen Schlapphut aber ich verneige mich mit weinemden Auge vor dem Mann, der mit so viele schöne Stunden mit seinen Büchern schenkte, von denen keine einzige verschwendet war.