Es wirkt wohl wie eine dumme Frage. Was sollen denn der softcore SM Schinken und die Geschichte von einem blutsaugenden Grafen gemeinsam haben? Nichts!
Nein, das wäre ja wieder einmal viel zu einfach. Oder um es mal mit Hegel zu sagen; man muss abscheiden was nur Rinde ist. Gibt es also eine tiefere Verbundenheit hinter allen zeitlichen und inhaltlichen Unterschieden?
Zuerst einmal möchte ich selbst, als durchaus nicht unbelesener Mensch etwas zur Stilistik schreiben. Jeder von uns hat einen Lieblingsautoren und hat einen gewissen Anspruch daran, was ein kunstfertiger Stil ist. Von beiden
Bestsellern kann dies nun einmal nicht behaupten.
Dracula, wir wollen Herrn Stoker ja nicht angreifen, aber eine Stilblüte ist dieser Wälzer wahrlich nicht. Alle Figuren sprechen nicht direkt zueinander, sondern teilen ihr Wissen miteinander über Briefe, Notizen und mechanische Memoranden. Und genauso liest es sich dann. Anders als lebendige Sprecher hat alles einen förmlichen Stil, welcher wenig bis gar nicht variiert.
Bei den Untiefen vom Mr. Grey ist dies zwar überwunden, aber was da gesprochen werden, wie die Sätze angeordnet werden, mehr oder minder auch nicht gerade anregend. Stilblüten
der anderen Art sind Sätze wie diese: „Hast du denn keinen Würgereflex?“ Lustig definitiv. Stilistisch ansprechend lassen wir dies.
Somit lässt sich feststellen, dass beiden Büchern ein gewisser höherer künstlerischer Anspruch abgeht. Eine Parallele sei damit schon ausgemacht, aber das ist ja alles noch recht schnöde und mag im Auge des Betrachters liegen.
Viel spannender ist doch die Frage wie diese Machwerke, wenn sie schon nicht künstlerisch besonders reizvoll sind, dann doch ein Millionenpublikum erreichen konnten. Wie könnte die Antwort leichter sein; Sex!
Sex? Ja, denn das verkauft sich immer gut. Aber bei Dracula wird doch nicht gebohnert! Und dass der Graf einer seiner Opfer den blanken Hintern versohlte oder einen Knebel in die Futterluke schob, das kommt in der Tat nicht vor.
Doch ja, es gibt immer wieder sexuelle Anspielungen. Bei Dracula wird keine vordergründige Sexualpraktik betrieben, jedoch hat alles seine Symbolik. Da vereinen sich Mann und Frau auf eine andere Art und Weise, denn er dringt in seine Opfer mit spitzen Zähnen ein an einer ebenso erregbaren Stelle wie der primären weiblichen Intimzone. Dracula vermittelt die tiefsten, urwüchsigen
Wünsche und Sehnsüchte des Menschen. Er ist dauernd getrieben; will essen, trinken und lieben. Und doch kann er, soviel er tut, dies niemals befriedigen, denn er wird immer rastlos bleiben, bis er vernichtet wird. Eine bessere Metapher für den Menschen, der nach außen so brav ist, hinter der Fassade aber unbezähmbare tierische Triebe versteckt, welche aus ihm hinaus streben gibt es wohl nicht.
Beim männlichen Protagonisten der Shades Trilogie ist es nicht anders. Im Gegensatz zu Dracula darf er aber offenkundig sexuelle Praktiken ausleben. Und doch auch hier die Parallele. Attraktiver Mann, reich,
erfolgreich aber hinter alledem tun sich die tiefen menschlichen Sehnsüchte in ungezügeltem Maße auf. Und schon wieder eine Überschneidung trotz über 100 Jahren zeitlicher Differenz.
Bleibt als Letztes noch die Frage wie die Sterne stehen müssen, dass solche Bücher durchschlagenden Erfolg haben und nicht in der hintersten Reihe einer Bücherreich auf dem 1,50€ Tisch vergammeln.
Man kann sagen dass sich die Zeiten gleichen, zumindest was die sexuelle Einstellung eingeht. Nein! Das ist doch jetzt lächerlich! Im viktorianischen Empire haben mich keine halbnackten Damen und Herren von jeder
Bushaltestelle aus angelächelt. Da trugen im Sommer die Frauen keine Kleidung, die mehr zeigt als sie verhüllt. Da gab es keine Filme und Serien, wo Leute explizit das machen, was man nur im Schlafzimmer macht, ganz im Privaten.
Das mag ja so allgemein auch stimmen, aber blicken wir doch auch hier mal hinter den Schleier. Sex war damals genauso ein Tabu wie heute. Man sprach untereinander ebenso wenig über verborgene Vorlieben wie man es auch heute noch tut. Heute äußert sich das freilich anders. Plötzlich ist ein Partner im Swingerclub oder bei der Domina. „Ja, der Blümchensex, der bingt es nicht
auf die Dauer“, wird man dann hören können. Wenn es gut läuft treffen sich beide im gleichen Club oder sie ist die Domina seines Herzens im gleichen Stammclub. Und er weiß endlich wo sie das zusätzlich Geld immer herhat.
Seien wir ehrlich, das ist auch heute noch ein Thema von Paartherapeuten und wenn es die Menschen in der Zeit von Queen Victoria schon gekonnt hätten, dann hätten sie sich auch schon so geäußert, wie wir heute.
Die sexuelle Revolution, viel Aufklärung und die Sexualisierung, gerade von Frauen, hat nur dafür gesorgt, dass nach außen hin alles so total freizügig erscheint. Im Großen und Ganzen sind
wir mit der Mentalität aber nicht vollständig einen großen Schritt weitergekommen als unsere Vorfahren vor mehr als 100 Jahren. Das dürfte auch zeigen, dass es keine pure Abneigung gegen die Glitzervampire von Twighlight gab und deren offensiv proklamiertes „Kein Sex vor der Ehe!“. Nein, es wurde sogar bejubelt. Dieses Ideal, dem man doch schon angeblich entwachsen war, aber was noch heute Sehnsucht vieler Menschen ist, wie es erhofft wurde vor einigen Generationen ihm entkommen zu können.
Und so kann man feststellen, dass der Erfolg auf die Prüderie der Gesellschaften zurückzuführen ist, wenn
die Menschen hinter hervor gehaltener Hand plötzlich ihre sexuellen Wünsche zwischen zwei Buchdeckeln lesen dürfen. Und das hat schon immer fasziniert, da mag die Form noch so wenig ansprechend sein.