Einst, zur Zeit der mächtigen Kalifen, lebte in Basra ein alter, rechtschaffener Mann, namens Achmed. Mühsam verdiente er den Lebensunterhalt für sich und seinen Sohn Hassan mit dem Tragen schwerer Lasten auf den Märkten, oder dem Schleppen riesiger Steine für den neuen Palast des Kalifen.
Eines Tages, als er fühlte, dass seine Zeit gekommen war, holte er seinen Sohn zu sich und sprach: „Es ist mir Zeit meines Lebens nicht gelungen, große Reichtümer anzusammeln, daher kann ich dir auch nichts vererben, außer diesem schäbigen, alten Teppich hier. Werde ein rechtschaffener, ehrlicher Mann und er wird dir gute Dienste leisten. Weichst du aber vom rechten Weg ab, wird er dich hart bestrafen.“ Bald darauf starb er.
Nach alter Sitte betrauerte der Junge seinen Vater drei Tage lang. Am vierten Tag aber ging er zum Marktplatz, um sich so, wie er es von seinem Vater gesehen hatte, als Lastenträger zu verdingen. Doch er war klein und von schmächtiger Statur, sodass ihm kein Händler seine Waren anvertrauen wollte. Ohne auch nur eine Münze verdient zu haben, kam er am Abend wieder zurück und ging betrübt zu Bett.
Kaum hatte sein Haupt den Teppich berührt, begann sich dieser zu erheben. Langsam stieg er empor, immer höher und höher. Bald konnte Hassan bereits die ganze Stadt unter sich erkennen, doch der Teppich flog weiter und weiter, um schließlich in einem wunderschönen, mit Marmor verkleideten Saal zu landen. Die Wände des Raumes waren reich verziert mit Gold und Edelsteinen, und unzählige Lampen verbreiteten wunderbares, warmes Licht. Hier schien man bereits auf den verdutzten Jungen gewartet zu haben, denn Diener baten ihn zu einem Tisch und servierten auf goldenen Tellern sofort köstliche, von herrlichen Düften begleitete Gerichte. Nach dem Essen führten sie ihn zu einem mit seidenen Kissen bedeckten Bett. Müde geworden, fiel er bald darauf in einen erquickenden Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte er wieder auf seinem alten Teppich. Frohen Mutes wollte er diesmal versuchen, beim Bau des Palastes einige Kupfermünzen zu verdienen. Doch dort lachte man ihn nur aus, denn er konnte die schweren Steine kaum vom Boden bewegen und schon gar nicht über längere Strecken tragen. Entmutigt trat er abends seinen Heimweg an, um sich auf seinem Teppich etwas auszuruhen.
Wie schon am Vortag, erhob sich dieser abermals und brachte ihn diesmal in einen wunderschönen Garten, in dem sich in der Mitte ein riesiges, mit klarem Wasser gefülltes Becken befand. Rund um das Becken standen Palmen und im Hintergrund konnte man hohe Zypressen erkennen. Unzählige bunte Blumen erfüllten die Luft mit einem betörenden Duft und in den Zweigen der Bäume tummelten sich zahlreiche Vögel. Auf einer schattigen Terrasse wurden köstliche Früchte und frisches Brot serviert. Nach einem erfrischenden Bad schlief der Junge kurze Zeit später ein.
So ging das viele Tage. Hassan versuchte schon längst nicht mehr Arbeit zu bekommen, sondern trieb sich nur ziellos in der Stadt herum, um am Abend wieder mit Hilfe des Teppichs ausgedehnte Reisen zu unternehmen.
Eines Tages, als er wieder einmal am Marktplatz stand, bemerkte er, wie einem reichen Kaufmann ein Goldstück zu Boden fiel. Blitzschnell stellte Hassan seinen Fuß darauf und versuchte das Goldstück tief in den staubigen Boden zu drücken. Um nicht den Argwohn des Kaufmannes zu erregen, gab er vor, sich an der Suche zu beteiligen. In Wahrheit aber, grub er das Goldstück nur noch tiefer in den Sand. Später, als der Kaufmann längst den Platz verlassen hatte, holte er seinen Schatz, steckte ihn in die Tasche und ging schnell nachhause.
Voll Freude betrachtete er zuhause das Goldstück von allen Seiten und legte es abends, als die Zeit zum Schlafen kam, neben sich auf den Teppich. Diesmal aber erhob sich dieser mit lautem Getöse und flog in atemberaubendem Tempo durch die Luft, so dass Hassan fürchtete abzustürzen. Krampfhaft versuchte er sich festzuhalten, doch der Teppich steigerte sein Tempo noch mehr und sie flogen immer schneller über das Land. Nach einer scharfen Wendung konnte sich Hassan nicht mehr halten, stürzte kopfüber in die Tiefe und landete unsanft auf einem hohen Felsen inmitten einer steinigen Wüste. Soweit sein Auge auch blickte, er konnte nirgends eine Stadt oder auch nur eine kleine Hütte erkennen - kein Baum, kein Strauch, keine Wasserstelle, nur Sand und Steine. In brütender Hitze, ohne einen Tropfen Wasser, versuchte er nun verzweifelt den Weg zurück zu finden. Er glaubte sich schon verloren, kletterte über schroffe Felsen und durchquerte tiefe Täler, in der Hoffnung irgendwo seinen Durst stillen zu können, doch vergebens, er fand keine Quelle. Bald war er am Ende seiner Kräfte und schlief vor Erschöpfung ein.
Schweißgebadet erwachte er am nächsten Morgen wieder in seiner gewohnten Umgebung. Er fühlte sich wie zerschlagen und war hungrig und durstig, darum nahm er das Goldstück und kaufte dafür Wasser, Brot und frisches Obst. Doch, als er seine Mahlzeit zu sich nehmen wollte, war das Brot steinhart geworden, das Obst verdorben und im Krug befand sich nur Salzwasser. Dafür aber lag das Goldstück wieder an seinem alten Platz auf dem Teppich.
Als sich später auch ein Bettler standhaft weigerte, das Goldstück als Almosen anzunehmen, war er fest überzeugt, ein böser Dämon hätte es ihm in die Hände gespielt und bereute bitter, die Worte seines Vaters nicht genug beherzigt zu haben. Er beschloss, die Münze wieder dem rechtmäßigen Besitzer zurück zu bringen und begab sich sofort auf die Suche nach dem Kaufmann.
Systematisch durchsuchte er die ganze Stadt, Straße für Straße und Haus für Haus, doch niemand hatte den Mann gesehen. Nach drei Tagen erfolgloser Suche entschloss er sich, das ganze Land zu durchwandern, in der Hoffnung den Kaufmann doch noch irgendwo anzutreffen. Er nahm seinen Teppich und das Goldstück und verließ die Stadt. Viele Tage war er unterwegs, durchwanderte öde Wüsten und fruchtbare Täler, kam in Oasen und nächtigte in finsteren Höhlen. Tagsüber quälte ihn der Hunger und in den Nächten störten furchterregende Träume seinen Schlaf. Nach unzähligen Wochen war er nahe daran zu verzweifeln und wünschte sich nichts sehnlicher, als zu sterben. Da sah er in der Ferne die Tore einer großen Stadt. Er fasste wieder frischen Mut, sammelte all seine Kräfte und erreichte nach kurzer Zeit den Marktplatz.
Und wirklich, gleich beim Eingang, nahe dem Tor stand der lang Gesuchte. Hassan hatte ihn sofort erkannt, denn neben ihm lag wieder der große Geldbeutel, aus dem damals das Goldstück gefallen war. Er begrüßte den Mann freundlich, erkundigte sich nach seinem Befinden und den Gang der Geschäfte, um dann ganz beiläufig auf den Grund seines Besuches zu kommen. Er erzählte von der langen Reise, die er auf sich genommen hätte, nur um das Goldstück seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben zu können. Während er so sprach, veränderten sich die Gesichtszüge des Mannes zusehends. Als er ihm dann das Goldstück übergeben wollte, erkannte er in dem Kaufmann seinen Vater. Reumütig fiel er auf die Knie und bat ihn um Vergebung.
Da nahm ihn der Alte liebevoll in den Arm und sagte: “Aus dem kleinen Jungen, den ich einst verließ, ist – wenn auch erst durch harte Prüfungen – ein ehrlicher, rechtschaffener Mann geworden. Du hast für deine Tat auf dem langen Weg hierher ausreichend gebüßt, hast Ausdauer und Mut bewiesen und bist nun meines Erbes würdig. Diese Goldstücke hier habe ich durch harte, ehrliche Arbeit im Laufe meines Lebens erwerben können. Es ist ein kleines Vermögen. Verwalte und vermehre es, auf dass es dir Glück bringe bis ans Ende deiner Tage.“ Mit diesen Worten übergab er ihm den großen Sack mit den Goldstücken, stellte sich selbst auf den Teppich und war im Nu verschwunden.