Prolog
Linien des Nordens
Prolog
Die Tropfen, die vom Himmel fielen waren schwer und kalt. Die Prozession, die sich durch den kleinen Ort Brinham schlang, schien jedoch unbenommen von dem Schauer, der diesem Tag Tribut gab. Sie bewegte sich schleppend durch die eng stehenden Holzhäuser mit hohen Dachstühlen, fein gearbeiteten Zinnen und kleinen Windaugen, aus denen das Licht offener Kaminfeuer schien. Die
Straßen schlangen sich, ohne ein System der Bauherren vermuten zu lassen durch die Wohnhäuser, Bäckereien, Schmieden und kleine Denkmäler, die zu dieser Zeit überall in Brinham zu sehen waren. Sie bewegte sich weiter in Richtung Dorfmitte, wo sie, endlich angekommen, eine große Trage offenbarte, die bis jetzt verborgen von Blicken in ihrer Mitte getragen wurde. Bis jetzt ebenso unaufgefallen, bahnte sich ein Junge den Weg aus der Menge. Was ihm wenig schwierig war, denn selbst der gestandene Mann wich zurück und machte Platz, als ob man sich verbrennen würde, berührte Mann auch nur einen Kleidungszipfel des
Jungen.
Sein Name war Kjell, jüngster Sohn von Brandt und Ylvi. Es war der leblose Leib Tarjes, der nun auf dem Seelenbett vor ihm lag, umgeben von kunstvoll dekorierten Tulpen, Rosen und Orchideen.
Sein schwarzes Haar lag leicht gelockt auf seinem Kopf, gebändigt von einem verzierten Haarteil aus Metall, das knapp über seiner Stirn lag.
Er stand nun in erster Reihe vor dem auf gebartem Toten, allein. Hinter ihm, mit den anderen, seine Mutter. Als Kjell die leeren, gefaltete Hände seines Bruders sah musste er an das denken, was nun
folgen würde. Als wären seine Gedanken des Schicksals Befehl, tat es einem lauten Glockenschlag. Noch einen, Noch einen. Noch einen. Bei jedem Schlag musste jeder Anwesende nicht weniger als beim ersten Mal zusammenzucken. Als der letzte Schlag wiederholungslos verhallt, kam von der anderen Seite des Platzes, durch den immer noch erbarmungslos prasselnden Regen, ein Uniformierter Mann auf sie zu geschritten. Seine Stiefel verursachten ein, ohne Hall verklingendes, lautes und dumpfes Geräusch. Er trug etwas Schmales, Längliches in den Händen, dass waagerecht auf seinen Handflächen ruhte. Als er Tarjes Liege erreichte,
legte er sein Mitbringsel mit der Länge des Körpers ab. Ohne dass seine Handflächen den Kontakt verloren hätten, hob er es wieder an und setzte seinen Weg fort. Als er den Jungen erreichte, blieb er direkt vor ihm stehen und hielt das Objekt vor sich. Kjell konnte nun genau sehen um was es sich handelte. Er kannte es schon sehr lange. Es war das Schwert Nolween. Seit er denken konnte hatte er seinen Bruder um diese Waffe beneidet, jedoch nicht um die Bürde, die diese Klinge verlangte.
Torleif, der Hauptmann der Wehr, fing an zu sprechen: “Kjell, Sohn von Brandt und Ylvi, als höchster Krieger und enger Vertrauter deines Vaters, deines Bruders
und dir, übergebe ich dir das Schwert Nolween. Der es trägt hat mehr Last als sein Stahl und seine Scheide. Du bist nun der Träger des Erbes deine Linie…“ Er hörte noch einige weit entfernt klingende Worte von Verantwortung, Ehre und Erbe, als sich sein Blick in der Klinge des Schwertes vor ihm verlor.
Der Hauptmann hat seine Ansprache beendet und richtete nun die Frage an den Jungen, die er seit dem Tod seines Bruders gefürchtet hatte:“ Die Wahl war nicht deine, dennoch trägt niemand der hier stehenden Zweifel in Herz oder Seele! Nimmst du das Schwert Nolween, die Bürde und das Erbe deines Bruders Schicksals entgegen? Mit dem
unbedingtem Willen all dem gerecht zu werden?“ „Ja, das tue ich!“, antwortete er, mit einer lauteren und sichereren Stimme, als er es von sich erwartet hatte. Er überreichte ihm das Schwert wie ein dünnes Tongefäß, trat drei Schritte zurück und wartete. Dann wieder. Glockenschlag um Glockenschlag verging, als Kjells Tränen sich mit dem Regen vermengte und von seinem Kinn in dünnen Fäden zu Boden vielen. Seine Mutter streckte ihren Arm nach seiner Schulter aus und fasste sie mit einem festen Griff. Es gab ihm ein gutes Gefühl, auch wenn er wusste, dass diese Geste nur in geringer Absicht, seinem Trost dienen sollte. Es war keine Zeit für
Tränen, die die Sicht auf die Dinge ebenso verschwimmen ließen wie große Gefühle.
Torleif kniete nun. Den Blick zum Boden gesenkt berührte er mit dem Zeige und Mittelfinger seiner rechten Hand seine Lippen. Anschließend streckte er seinen Arm in Richtung des Jungen, die Finger immer noch geschlossen abgespreizt. Es war ein Zeichen des bedingungslosen Respekts und gleichzeitig ein Versprechen.
Die Bereitschaft für die Sache und das Leben des gemeinten zu Kämpfen und wenn nötig zu sterben.
Es war der Moment in Kjell Leben, in dem ihm klar wurde, dass er sich nie
mehr von dieser Last auf seinen Schultern werde befreien können.
Die Menge löste sich nach einer Weile auf und die Menschen kehrten in die Wärme ihrer Häuser und Zimmer zurück. Er hatte nicht vor es ihnen gleich zu tun. Alleine stand er nun vor dem Seelenbett seines Bruders. Regungslos und Fassungslos blickte er auf sein stilles kaltes Gesicht, dessen Züge dennoch so warm und vertraut schienen. Oft hatte er hinein geblickt und Trost gefunden in Zeiten der Trauer, Ermunterung im Zweifel, Freude im Leben. Der unerschütterliche Umstand, dass er nun alleine mit sich und seiner Zukunft war,
nahm ihm die Kontrolle über seine Beine. Er fiel auf die Knie, klammerte sich mit Mühe am Rande des Bettes fest. Ungehemmt trauerte er nun. Er verspürte weder die Dornen der Rosen, welche sich in seine Finger gebohrt hatten, noch die Anwesenheit, einer hinter ihm stehenden Gestalt, welche sich ihm langsam näherte. Kjell erschrak nicht, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er wusste mit der Berührung um wen es sich handelt. Leise flüsterte die Gestalt wenige unverständliche Worte. Wärme breitete sich in seinem Körper aus, das Blut an seinen Händen verschwand als sich die Wunden schlossen und die Blumenblätter, die unter dem Regen
gezittert hatten, lagen nun ruhig und Trocken da. Ein leichter Schein ging vom Seelenbett aus und es war, trotz der Mondlosen Nacht, gut sichtbar. Kjell sprach leises ein Wort des Dankes aus. Nach einer Weile verließ sein Freund den Platz Richtung Dorfrand und ließ ihn allein. Kjell ließ noch ein wenig Zeit verstreichen bevor er sich aufrichtete und ein letztes Mal in das Gesicht seines großen Bruders blickte.
Kapitel 1
Ein Schmerz an seiner Wange ließ ihn erwachen. Eine Feder hatte durch den Stoff seines Federkissens gestochen und pickte ihn. Grimmig hob er sein Haupt, drehte das von ihm verfluchte Kopfteil um und ließ sich wieder in das weiche Federkissen sinken. Es musste früh am Morgen sein. Kein Sonnenlicht schien durch seine geschlossenen Augenlider, keine Töne der ihr Tagewerk verrichtenden Menschen drangen an seine Ohren. Nur das Pfeifen des durch das Gebälk ziehenden Windes war zu hören, und das Knacken des noch leicht glühenden Holzes, in dem Ofen nahe
seines Bettes. Diesen zog er so nah wie möglich an sich und ließ die letzten Wärmestrahlen sein, nicht von der Decke ummantelten Gesichts, umschmeicheln. Er genoss diese frühe Stunde, in denen man von den Angelegenheiten der Tagstunden verschont war.
Schließlich war der Ofen nahezu erkaltet und von draußen drangen die ersten Lichtfetzen und Geräusche morgen-stündiger Tätigkeiten durch sein Fenster. Nachdem er seine Füße auf den kalten Boden gesetzt hatte, beeilte er sich, sich mit einer Stoffhose, einem gefütterten, ledernes Oberteil und Stiefel zu bekleiden. Zwei verkohlte Holzscheite in
seiner Hand verließ er sein Zimmer. Aus seinem Zimmer hinaus ging er einen kurzen Flur entlang, an dessen Ende sich ein Abstieg, mehr eine Leiter als eine Treppe, befand. Er blickte durch eine angelehnte Tür zu seiner rechten und erblickte das Zimmer seines Bruders. Mit seiner freien Hand fasste er den Türknopf und schloss sie hastig, bevor er in das Erdgeschoss des Hauses kletterte. Nun stand er in der Mitte des Hauses. Rechts vom Ende des Niedergangs befand sich die Rückwand des Hauses, links von ihm eine Feuerstelle mit steinernem Schornstein, dahinter eine Tür, die nach draußen führte. Er ging geradeaus und kam vor der Zimmertür seiner Mutter
zum Stehen. Kein Laut drang heraus und er ließ nach kurzem Nachdenken davon ab zu klopfen.
Er schloss die Tür hinter sich und wurde sogleich von den Strahlen der tief stehenden kalten Sonne geblendet. Sein Atem bildete kleine Dampfwolken, die schnell vom kalten Wind über seinem Kopf verschwanden. Blinzelnd blickte auf das Dorf vor sich. Da das Haus seiner Familie auf einem kleinen Hügel im hinteren Teil von Brinham lag, konnte er bis zur hölzernen Stadtmauer und dem großen Haupttor an der Südgrenze des Dorfes blicken. Wenige Schritte Südwestlich des Tors lag ein kleiner See, sein
Ziel.
Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass die Wache im Begriff war die beiden Torhälften aufzuschwingen. Er griff sich einen vor der Tür stehenden Eimer und machte sich flotten Schrittes auf den Weg. Jeden Moment würden die ersten fahrenden Händler und Bauern durch den engen Eingang drängen und er könnte unaufgefallen das Dorf verlassen. Natürlich würde ihn auch sonst niemand aufhalten, aber auf diese Weise konnte er ohne Unterbrechung seines Weges gehen. Zu oft wurde er im Vergangenen angesprochen. Oft wollten die Menschen ihm ihr Mitgefühl ausdrücken, Glück wünschen, oder ihm schlicht Ratschläge
geben. Zu häufig allerdings waren es unsympathische Geister, denen anzumerken war, welche Ziele sie sich mit einer Annäherung zu verwirklichen hofften. Es waren wohlhabende aus den Ländern der Nordlinien, aber vor allem Reisende aus dem Süden, die darauf hofften ihr Einflussgebiet zu vergrößern.
Er kniete sich ans Ufer und blickte nach unten auf die Oberfläche des absolut glatten Gewässers. Seine Augen suchten die seines Spiegelbildes.
Die Tiefen Narben, welche seine Seele zeichnen und seinen Geist beeinflussen, begannen sich in seinem Gesicht wieder zu zeichnen. 6 Tage ist die Beisetzung seines Bruders her, 7 Tage sein Tod. Die
Zeit der Trauer, in der die Politik ruht ist mit dem heutigen Tag vorbei. Heute würde Kjell die brutale Aufgabe zuteilwerden sich in ein Leben zu begeben, welches nie bestimmt war das seine zu werden. Sein Bruder war 4 Jahre älter als er und damit ältester Sohn. Er war es, der sein Leben lang auf die Nachfolge seine Vaters vorbereitete worden war. Er hatte dieser Aufgabe mit Mut und Stolz entgegengeblickt. Nun war es Kjells Schicksal seine Linie zu führen.
Er füllte dem Eimer mit Wasser und begab sich auf den Rückweg. Ohne Mühe unaufgefallen zu bleiben durchschritt er das Tor und nickte der verdutzten Wache
zu. Nach wenigen Schritten wurde die alltägliche Geräuschkulisse um ihn herum von einer lauten Männerstimme unterbrochen. Auf einem kleinen Trampelpfad zwischen zwei Häusern entdeckter er die Quelle des Lärms. Seine ohnehin schon vorhandene Gereiztheit stieg weiter an, als er sah wie ein großer, dicker Mann in feinen Gewändern ein kleines Mädchen anpöbelte. Ihr kleiner Körper war in dreckige Fetzen gehüllt, die das Überbleibsel eines Kleidchens zu sein schien. In ihrer zitternden Hand hielt sie ein Korb. Der Inhalt dessen Lag verstreut ihm matschigen Boden vor ihren Füßen. Ruhiger und Gelassener als es sein
Gemütszustand eigentlich erlaubte wandte er sich an den Mann:
-…Tut mir Leid…-
Nach einige Sekunden in denen Kjell die Situation verarbeitete, entschloss er sich seinem Trieb nach Konfrontation nachzugeben und sprach zu dem Mädchen: „Verlass die das Dorf durch das Tor dort drüben und begib dich zur Mühle. frag nach Taja. Sie wird dir ordentliche Kleidung und etwas zu esse
geben. Los.“ In Erwartung auf einen Wutausbruch des fetten Mannes spannte er seine Muskeln an. Nicht um zu Kämpfen. Er war nicht untrainiert und wusste sich ohne Waffen zu verteidigen, doch war er nicht dumm und konnte absehen, dass er gegen den Mann nicht viel erreichen konnte. Aber seinem Gegenüber war die eigene Tochter wohl nicht mehr das wichtigste. Mit einem dreckigen Lächeln seine wulstigen Lippen zeigte er mit seinem ringbeschwerten Zeigefinger auf Kjell. „Junger Erbe… .“ Innerlich mit den Augen rollend in Erwartung auf ein Strategiewechsel seiner neuen Bekanntschaft, wollte er seinen Weg
fortsetzen. Doch fuhr er nicht mit einer Auflistung von möglichen Handelsbeziehungen und schmeichelnden Worten fort: „Wie viele Familienmitglieder wird dir dein Aufstieg noch wert sein?“ Kjells Gesichtszüge versteinerten sich. Das süffisante Lächeln des Mannes wurde noch breiter, als er erkannte welchen Erfolg diese Worte erzielt hatten.
Zu seinem Nachteil verriet ihm das erstarrte Gesicht des Jungen nicht, was in diesem Moment in dessen Kopf vor sich ging. Er war vollkommen Unwillens und unfähig seine Emotionen in diesem Moment zu kontrollieren. Doch hatte er nicht vergessen was ihm beigebracht
wurde. Er überwindete seinen Ekel gegenüber diese Gestik und spukte dem Mann vor die Füße. Eine unverhohlene Beleidigung. Doch erzielte sie die gewünschte Wirkung. Der Mann geriet außer sich und stürmte mit erhobener Hand auf ihn zu. Nochmals spannte Kjell seine Muskeln an. Dieses Mal nicht um wegzulaufen. Eine mit schweren Lederhandschuhen bewährte Hand zog ihn aus der Reichweiter fremder Fäuste. Die Klinge einer glänzend polierten Hellebarde schwebte wenige Zentimeter vor dem Hals des Südländers und stoppte seinen Angriff. Es war die Waffe der Torwache. Auch wenn sie Hauptsächlich formelle Zwecke erfüllte war ihre Klinge
doch so scharf wie die der meisten Rasiermesser. Einen Augenblick war sein Gesicht von Angst verzogen und seine Augen panisch Aufgerissen. Dann wurde es rot vor Wut und er machte auf dem Absatz kehrt und schritt eilig davon. Ohne weitere Anstalten um seine Tochter zu machen. Kjell wies die Torwache an ihn ziehen zu lassen. Trotz seiner von Besorgnis bestärkten Neugier musste er sich später mit den Worten des Fremden auseinandersetzen. Auf seinem Rückweg passierte er den Dorfplatz, welchen er vor wenigen Tagen mit seinen Tränen benetzt hatte; und er schämte sich seines Verhaltens. Fühlte sich, als hätte er das Andenken seines Bruders
beschmutzt.
Kaltes Wasser ran seinen Körper hinab. Es war bereits später Nachmittag und Zeit sich auf das bevorstehende Treffen vorzubereiten. Er wusch sich mit kaltem Wasser aus dem Fluss und zog seine Uniform an. Sie war schwarz bis auf rote Akzente im Bereich des hohen, zugebundenen Kragens, den Schulterklappen und einigen weiteren Stellen. Vor nicht allzu langer Zeit auf ihn Maßgeschneidert.
Erinnerungen prasselten an sein Bewusstsein, als er die Tür zum Zimmer seines Bruders öffnete. Schmerzlich schob er sie beiseite und ignorierte den
Drang sich umzusehen. Er entnahm etwas aus der Zimmertruhe am Ende des Bettes. Eingehüllt in Leder lag Nolween in seinen Händen. Er entfernte das Tuch ließ seinen Blick über die Waffen gleiten. Es war ein kurzes einhändig geführtes Schwert. Das Heft war mit hochwertigem, dunklem Leder ummantelt. Auf Knauf und Fehlschärfe prangte das stolze Wappentier seiner Linie, die Linie der Merowinger. Ein Steinadler mit leicht angewinkelten Flügeln, den Blick nach rechts gewandt. Nicht grundlos war dieses Repräsentant seines Hauses und seines Landes. Der Sage nach haben die Tarddiad, die Schöpfer der nördlichen Länder, die
Gestalt des Adlers gewählt um sich unter den Menschen zu bewegen und über sie zu wachen. Diesem Vorbild sollten die Menschen folgen. Sie sollen dienen als Wachsame Wesen, welche mit der gleichen Entschlossenheit Geliebte schützen und Feinde richten. Weitsicht, Geschwindigkeit und Hoheit seien die besten Eigenschaften zur Erfüllung der Aufgabe.
Aus Ähnlichen Gründen gestalten sich auch die Wappentiere der 3 weiteren Linien, dessen Hohen Vertreter er heute Abend treffen würde. Die Welfaren im Westen schmücken ihre Waffen und Bauten mit dem Kopf eines Wolfes. Die Avonen im Norden mit dem eines
Hirsches und die Falen im Nordosten mit einer Eule.
Was die Völker der Nordlinien in ihren Tieren sehen, geht weit über die Funktion eines gewöhnlichen Wappentieres hinaus. Die Welfaren eifern im Zusammenhalt, Kampftatktiken und Stärke dem Vorbild der Wölfe nach. Avonen sind sehr viel weniger kriegerisch und ziehen es vor im Hintergrund zu bleiben. Beobachtung und Vorsicht haben sie schon häufig vor kriegerischen Auseinandersetzungen bewahrt. Zu Zeiten als die Nordlinien sich noch mit großer Begeisterung in gegenseitig befeuerte Konflikte geworfen haben, galten die Avonen bereits als
Zurückhaltend und unparteiisch. Aus diesem Grund führen sie in heutigen Tagen den Linienbund in diplomatischen Fragen an und leiten das oberste Gericht. Als ebenso besonnen, aber keines falls als ebenso friedfertig gelten die Falen. In diplomatischem Geschick stehen sie den Avonen in nichts nach. Klugheit und die Fähigkeit einen schnellen unvorhergesehenen Tod herbeizuführen berechtige sie in allen Maßen die Eule als Wappentier zu tragen, hatte Kjells Lehrmeister ihm in vielen Unterrichtsstunden eingebläut. Doch die Zeit der Theorie war für ihn vorüber. Kjell legte seinen schwarzen Schwertgurt an und ließ Nolween in die Scheide
gleiten.
Am Abend desselben Tages
[…]
Als er das Wirtshaus betrat, bemerkten glücklicherweise nicht viele seine Ankunft, und die, die es taten senkten schnell ihre Blicke und als er sich umschaute. Da entdeckte er seinen Freund in einer dunklen Ecke sitzen. Er war wenige Meter auf ihn zugegangen, als ihm die Sicht und der Weg zu ihm versperrt wurden. Es war Tales, ein
höherer Soldat in der Wehr und enger Vertrauter seiner Familie. Tales bedeutete ihm mit einem leichten Kopfnicken an einem Tisch rechts von ihm Platz zu nehmen. Als sie saßen holte er mit viel Geraschel und leisen Flüchen seine Lesepfeife hervor und entzündete sie mit einer Kerze. Reichlich Wachs tropfte auf den Tisch, was ihn, im Gegensatz zum Wirt nicht sehr störte. Als er mit dem Wirt einige vielsagende Blicke ausgetauscht hatte, und Tales wohl als Sieger hervorging, wandte er sich seinem Gegenüber zu:“ Wo ist es?“
„Ich werde es die nächsten Tage verwahrt halten. In der Zimmertruhe meines
Bruders.“
„Gut gut, sehr gut“, sagte Tales bevor er dicken sahnigen Qualm über seine Lederrüstung blies.
„Einige Leute sprechen viel und ungut über deinen Bruder, dich und…“ Er machte eine Pause, als überlegte sich passendere Worte und fuhr dann schließlich
erbost fort: “Eigentlich lassen sie ihren gesamten Hals heraus, wenn es nur im Entferntesten um deinen Bruder und seinen Tod geht. Dieses Pack weiß gar nichts über euch, euren Vater und euer Tun. Doch zerreißen sie sich das Maul, als gehe es um untreue Weiber oder schales Bier!“ Bei seinen letzten Worten
hebte er etwas die Stimme und schaute in Richtung der Bar, wo zu seinem Vergnügen der Wirt verdutzt und verärgert zugleich zu ihnen hinüberschaute.
„Ich kenne diese Stimmen. Sie haben Zweifel ob ich in Geschick und Loyalität meinem Bruder ebenbürtig sein kann, nicht wahr?“, frage er. „Nein, deine Selbstzweifel legen dir Trug in deine Ohren. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass du fähig bist das fortzuführen, was deine Vorväter aufgebaut und dein Bruder fortgeführt hat. Es geht um die Macht, die dein Bruder hinterlassen hat, die jetzt auf dir (er zeigt mit dem Zeigefinger auf ihn)
liegt.“
Kjell schaute nach unten und kratzt Gedankenverloren das Wachs vom Tisch. Schließlich sagte er:“ Aber wer sollte Probleme bereiten? Die Bürger und Soldaten sind treue Anhänger meiner Familie. Es gibt niemanden der Rückhalt für solche Worte in den Reihen der Wehr oder des Bürgertums finden würde.“
Der Soldat warf ein Blick über die Schulter, beugte sich vor und sprach leise, aber kraftvoll:“ Die Zeiten ändern sich, die Reichtümer aus dem Süden lassen den scharfen Blick unseres Volkes verschwimmen. Es gibt immer weniger um Loyalität, Geschick und Stärke. Die Handelsgilden gewinnen immer mehr an
Macht und dort wo sie sie nicht bekommen, nehmen sie sich diese. Jeder dumpfe Narr, dem die Stimmen unserer Väter nichts wert sind, giert danach etwas von dieser Macht abzubekommen.“
„Mein Bruder hatte die Gilden fest im Griff, dass sie ehrenlose Ziele verfolgen wusste er sehr gut. Sie werden von der Wehr stark kontrolliert und dürfen nur wenig aus dem Süden in unsere Länder bringen.“ Mit künstlich geschwellter Brust sagte er dann: „Wir sind eine Gesellschaft des Kampfes und der Ehre. Unsere Aufgabe ist die Verteidigung der freien Linien des Nordens. Metall, dass nicht zum Schmieden taugt ist wertlos!“, zitierte er seinen Bruder, viel beim
letzten Satz in seinen Tonfall und musste schmunzeln.
Daraufhin sagt Tales:“ Ja, das stimmt. Aber nicht einmal dein Vater hatte dieses Gesocks vollkommen unter Kontrolle und dein Bruder war der letzte vor dem sie Angst hatten. Sei wachsam, junger Erbe.“
Kjell nickte einmal und richtete sein Blick Richtung Boden, wieder am Wachs kratzend.
„Gut junge, ich werde jetzt nach meinen Männern sehen und dann schlafen gehen. Es ist spät!“, sagte er mit einem verwarnenden Ton im letzten Satz.
Er nickte wieder und lauschte den schweren Schritte des Soldaten, der das
Wirtshaus langsam verließ.
Als die Schritte verstummt waren, löste er etwas die Schnüre um seinen Kragen und pullte das weiße Wachs unter seinen Fingernägeln hervor, bis ihm einfiel mit wem er eigentlich sprechen wollte. Sein blickte schnellte nach oben und er konnte seinen Freund sehen der immer an seinem Platz saß.