Kapitel 2 Besuch
Cyrus war eine Erscheinung, die den meisten Menschen leicht Angst einflössen konnte. In die dunkle Uniform der schwarzen Garde gekleidet, wirkte er fast selbst wie ein Schatten. Freilich, wie ein fast zwei Meter großer Schatten, der sich mit einem gelben Auge umblickte. Die leere, linke Augenhöhle war hingegen unter einem schwarzen Tuch verborgen. Das schwarze Fell des Gejarn und die wölfischen Züge taten ihr übriges, die Abschreckende Wirkung des Mannes noch zu verstärken. Außer für diejenigen, die ihn kannten.
Erik versetzte dem Wolf einen leichten
Stoß in die Seite, als dieser zögernd den Löffel zum Mund führte und sich dadurch fast verschluckte.
,, Nun, also ?“ , wollte der Arzt ungeduldig wissen. Er klopfte mit den Fingern einer Hand auf die Holzplatte des Tisches.
Sie hatten sich mittlerweile alle in der Messe eingefunden, die sich an die Kombüse anschloss. Vermutlich war jeder hier darauf gefasst, das Cyrus gleich erklären würde, auf weitere Kostproben zu verzichten. Einige Matrosen drehten sich um und schienen bereits Wetten darauf abzuschließen, wie viele sich heute das Mittagessen antun würden oder doch lieber auf den Abend
warteten.
Der Gejarn ließ den Löffel sinken und räusperte sich. ,, Das ist gut. Doch wirklich. Ich hatte die Hoffnung ja auch schon aufgegeben...“
,, Jetzt erlaubst du dir einen Scherz.“ , erklärte Eden nur, die nach wie vor zögerte.
,, Nun, was habe ich gesagt ? Etwas Übung, mehr braucht es nicht. Das ist ein völlig neues Rezept.“ , erklärte Erik breit grinsend nur um danach zuzugeben : ,, Na ja, das waren alles neue Rezepte.“
,, Und die hattet ihr wo genau her ?“ , wollte Cyrus wissen, der tatsächlich noch einen Löffel nahm und damit auch die letzten Zweifel der anderen
beseitigte.
,, Ich habe die Archive Wochenlang durchforstet. Ihr werdet es nicht glauben, aber dabei bin ich auch auf einige… man könnte es wohl Kochbücher des alten Volkes nennen.“
,, Ihr habt einfach irgendetwas nachgekocht, das ihr in einem Texte des alten Volkes gefunden habt ?“ , fragte Kellvian ungläubig. Wenigstens erklärte das, wieso der Arzt so versessen darauf gewesen war, die Küche zu übernehmen. Besonders wohl war ihm beidem Gedanken nicht. ,, Und ihr seid euch sicher, das das wirklich alles… essbar war ?“
Durch einige Bullaugen, die Licht in den
Raum ließen konnte Kell auf das Meer hinaus sehen. Der Sturm ließ offenbar langsam nach, denn am Horizont tauchten zwischen den grauen Wolken bereits wieder blaue Streifen auf.
,, Nicht völlig. Aber ich musste ohnehin etwas improvisieren. Ein paar der genannten Pflanzen gibt es offenbar schon gar nicht mehr, oder zumindest habe ich nie davon gehört.“
,, Ich würde euch ja daran erinnern, das mit dem alten Volk nicht zu Spaßen ist“ , meinte Eden. ,, Aber ich glaube, das wisst ihr genau so gut, wie ich.“
Er nickte. ,, Kellvian, habt ihr eigentlich noch den Stein, den ihr aus den Katakomben mitgenommen habt
?“
Kell nickte. ,, Ich habe ein Auge darauf.“ Der völlig glatt geschliffene Bernstein ruhte für den Augenblick noch in seiner Tasche, eingeschlagen in ein simples Tuch, um ihn vor Beschädigung zu schützen. Das Juwel irgendwo an Bord zu verstecken erschein ihm sinnlos. Bei der Macht, die es abstrahlte, würde selbst ein ungeübter Magier-Novize es sofort finden. Und das sollte besser nicht geschehen. Noch weniger durfte es jemanden in die Hände fallen, der tatsächlich etwas damit anzufangen wüsste. Die einzig sichere Methode war, ständig darauf aufzupassen, bis er einen sicheren Platz dafür
fand.
,, Was machen wir eigentlich damit ?“ , wollte Jiy wissen. Die Gejarn hatte als nächstes den Mut, etwas von der Suppe zu probieren und brach damit endgültig das Zögern der anderen.
,,Gute Frage.“ , bemerkte Cyurs. ,, Ich schätze einmal, benutzen ist zu gefährlich ? Aber stellt euch einmal vor, was man damit alles anstellen könnte…“
,, Ich würde das Ding lieber los sein.“ , gestand Kellvian. Er fühlte sich alles andere als Wohl damit. Auch wenn er seit der letzten Konfrontation mit dem Meister kaum noch auf seine Begabung zugreifen konnte… Der Stein schien die Luft um ihn herum ständig zum sirren zu
bringen und aufzuladen, als könnte jeden Moment ein Sturm losbrechen. In der fliegenden Stadt war das Juwel dank der dort überall vorherrschenden Magie niemanden aufgefallen. Aber hier draußen in Helike war es vermutlich die einzige Magiequelle weit und breit. ,, Am liebsten würde ich ihn einfach ins Meer werfen.“
,, Wenn das so einfach wäre, hätten wir alle weniger Probleme, Kellvian. Aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass das nicht funktioniert. Das gleiche hat man am Ende des Kriegs der brennenden Himmel mit Falamirs Tränen versucht und doch trägt der gute Zac hier eine um den Hals. Magie findet immer einen Weg
zurück in die Hände eines Anwenders. Und wenn ihr darüber nachdenkt es zu zerstören… erinnert euch an das Portal in den Katakomben. Wenn wir das tun, sorgen wir besser dafür, das sich im Umkreis von mehreren Tagesmärschen kein Lebewesen mehr aufhält.“
,, Trotzdem passen wir besser verflucht gut darauf auf.“ , meinte Cyrus, der sich die provisorische Augenklappe zurecht rückte. Dabei wurde etwas versengtes Narbengewebe sichtbar, das sich um das Auge und in einem kleinen Bogen bis zum Ohr zog. Das Ergebnis eines Anschlags auf die Windrufer, der ihm und auch Zachary fast das Leben gekostet hätte. Kellvian wusste
mittlerweile, das es Dagian Einher gewesen war, der die dafür verantwortlichen Zünder in die Pulverkammer des Schiffes geschafft hatte. Es war richtig gewesen, den Mann zu töten, dachte er. Es war das, oder für den Rest seines Lebens fürchten, das der General seinen Einfluss auf die Truppen ausübte uum ihm noch weitere Überraschungen zu bereiten.Und doch ließ ihn die Art, wie es geschehen war schaudern. Er hatte keine Chance gehabt. Und seine Worte bereiteten Kellvian weitaus mehr Sorgen, als das jede kryptische Prophezeiung vermocht hätte. Er hatte gemeint, Canton einen fähigeren Herrscher verschaffen zu wollen.
Kellvian wurde das Gefühl nicht los, das Dagian damit nicht sich selbst gemeint hatte. Die Armee, die der Hochgeneral ins Feld geführt hatte, lagerte, nach wie vor, vor den Toren Helikes. Ein Problem, um das Kell sich ebenfalls bei Zeiten kümmern musste.
,, Wenigstens können wir wohl davon ausgehen, das der Stein der einzige seiner Art ist.“ , meinte Erik, der sich nun ebenfalls über das Essen hermachte, als wäre er seit Tagen am Verhungern. Zwischen einzelnen Bissen hielt er inne und bemerkte offenbar die Fragenden Blicke der anderen.
,, Was ?“ , fragte er.
,, Woher seit ihr euch so sicher, dass es
nur einen davon gibt ?“ , fragte Jiy für sie alle gemeinsam.
,,Wenn noch andere die Äonen überdauert hätten, dann sind sie an einem Ort, der selbst unserem alten… Freund nicht zugänglich ist. Er hätte sich sonst kaum die Mühe gemacht, sich in die fliegende Stadt einzuschleichen und genug Chaos zu verursachen um das Juwel mitnehmen zu können.“
,,Ismaiel , sein Name ist Ismaiel.“ , erklärte Kellvian. Nachdem ihn der undurchsichtige Zauberer, der sich selbst nur Meister genannt hatte, schließlich offenbart hatte, das er das letzte Lebende Mitglied des alten Volkes wahr, hatte er auch seinen Namen erfahren.
Der Gedanke an den kurzen Kampf in der Lebensschmiede war nach wie vor genug, um ihm Angst zu machen. Das alte Volk, die alte Rasse der Magier, war seit Jahrtausenden vom Erdboden verschwunden und ihr Erbe lebte nur noch in einigen wenigen fort. Zauberern wie Zachary oder den Männern und Frauen des Sanguis-Ordens. Das ein einzelner Erzmagier der alten Welt überlebt haben könnte, über all diese Zeit hinweg, schien unmöglich. Und doch hatte Kellvian die Wahrheit selbst gesehen.
,, Noch etwas seltsames.“ , erklärte Erik, als er den Teller gelehrt hatte und hörbar auf dem Tisch absetzte. ,, Wie
gesagt, ich habe die Archive Wochenlang durchforstet und bin nicht ein einziges mal auf diesen Namen gestoßen. Es gab jede Menge Versteckte Hinweise auf die Lebensschmiede, jetzt wo ich darüber nachdenke, aber keinen einzigen, auf ihren Schöpfer. Und das ist er doch?“
,, Wenn man ihm glauben kann, ja.“
Wie könnte er ein Wort von dem Gespräch vergessen, das er mit diesem uralten Geschöpf geführt hatte. Uralt, Verzweifelt… und zerfressen von dem Gedanken, den Untergang seiner Art rückgängig zu machen. Der Meister war Skrupellos, das gewiss, aber… wäre das nicht jeder, der sich in der gleichen Situation wiederfände? Verstoßen vom
eigenen Volk…
,, Vielleicht gibt es deswegen keine Erwähnungen.“ , meinte er , mehr zu sich selbst.
,,Hmm ?“
Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Er meinte, er sei vom alten Volk verstoßen worden, bevor er sein Werk vollenden konnte. Vielleicht haben sie deshalb seinen Namen aus den Aufzeichnungen gelöscht.“
,, Aus allen Texten ?“ Zachary zog eine Augenbraue hoch.
,, Es waren Magier. Und Magier von einer Macht, wie wir sie seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen haben“ , erklärte Erik, der aufgestanden war um
sich einen Nachschlag zu holen. ,, Mehr als ein Spruch, der seinen Namen überall unkenntlich macht, wäre nicht nötig. Auch wenn es wohl eine ziemlich extreme Maßnahme ist, den Namen von jemanden derartig auszulöschen.“
Kellvian nickte. Und letztlich blieben ihnen ohnehin nur Spekulationen. Er war wirklich nicht wild darauf, den Zauberer je wieder zu sehen. Hoffentlich würde er jetzt, nachdem seine Pläne gescheitert waren, endlich Aufgeben. Wovon träumst du sonst noch? , fragte er sich im gleichen Moment. Der Meister hatte Jahrhunderte auf sein Ziel hingearbeitet. Ein einziger Rückschlag würde so jemanden kaum Schocken. Kell gab es
auf, sich um Dinge Gedanken zu machen, die er im Augenblick ohnehin nicht beeinflussen konnte. Wichtig war, dass er sich um das kümmerte, was auch in seiner Macht stand. Er wollte grade den ersten Bissen zu sich nehmen, als eine Gestalt am Eingang der Messe auftauchte. Sofort war ihm klar, dass er das Essen fürs erste vergessen konnte.
Wys Carmine wartete geduldig in der Tür darauf, dass man ihn hereinbat. Nach wie vor kam Kellvian nicht umhin festzustellen, wie ähnlich der Gejarn seinem toten Bruder sah. Fast zu ähnlich. Der einzige weg für ihn, die beiden zu unterscheiden, hatte Anfangs in der Kleidung bestanden. Der Fuchs
jedoch unterschied sich in einer ganzen Reihe anderer Dinge deutlich von Zyle. Schon allein, dass der jüngere der Carmine-Brüder den Rang eines Archonten erreicht hatte, sprach Bände darüber.
Er trug ein dunkles Hemd, unter dem ein leichter Kettenpanzer glitzerte und zwei Breitschwerter, die an einem Gürtel hingen. Einstmals hatten die Soldaten Cantons über die auf den ersten Blick primitive Kriegsführung von Laos gelacht. Aber nur Anfangs. Durchschlugen Bleikugeln die meisten anderen Materialien auch noch auf große Entfernung, die Panzerungen aus den Schmieden Helikes hielten den
Projektilen selbst noch aus nächster nähe stand. Es brauchte schon einen direkt aufgesetzten Schuss, um eine Bresche in den bearbeiteten Stahl zu schlagen. Und die Schwertmeister waren den Garden Cantons in jeder Hinsicht überlegen, sobald sie einmal in den Nahkampf gezwungen wurden. Und doch, auch nach drei Monaten hier war Kellvian sich nicht sicher, ob er ganz Verstand, woran diese Menschen und Gejarn überhaupt glaubten. Obwohl er mit dem Mann gesprochen hatte, der die Gesetze verfasst hatte. Laos. Oder zumindest dem Wesen, das sich als dessen Reinkarnation ausgegeben hatte. Ob dies der Wahrheit entsprach, würde er wohl nie erfahren,
den was von dem Mann geblieben war, ruhte nun unter einem Trümmerberg im Zentrum der inneren Stadt.
Die Gesetze ihres großen Lehrers, nach dem auch das Land benannt war, Verboten den Bewohnern Helikes, Feuerwaffen zu nutzen und so wirkten viele ihrer Krieger mehr, als wären die alten Geschichten über Ritter und Legenden wieder zum Leben erwacht. Darüber hinaus hegten sie eine Abneigung gegen Magie und jeden, der sie beherrschte, die so weit ging, das jeder, der mit der Begabung zu Zauberei geboren wurde, Gefahr lief, getötet zu werden, sobald sich seine Gabe manifestierte. Ein Zustand, der
letztendlich zur Katastrophe geführt hatte, als eine Gruppe Hexer, die sich im Untergrund versteckt hatten, vor weniger als einem Monat versucht hatte, aus der Stadt zu fliehen. Das Ergebnis war das Ruinenfeld, das nun den Hafen Helikes bildete.
,, Ist etwas passiert ?“ , wollte Kellvian wissen, als er aufstand um den Archonten zu begrüßen. Selbst unter dem grau-braunen Fell erkennbare Ringe lagen unter Wys Augen. Es war klar, dass er in letzter Zeit nicht viel geschlafen hatte. Vermutlich ließ ihm der Wiederaufbau dafür kaum Zeit.
,,Nein… Ja…“ Er zögerte. ,, Jona möchte uns gerne alle sprechen. Ich weiß
nicht warum. Seit dem Angriff auf die Stadt ist jeder von uns damit beschäftigt, alles wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Seitdem war keiner von uns mehr in den Ratskammern der Archonten. Verflucht das letzte Mal habe ich ihn…“ Wys stockte und kratzte sich am Kopf. ,, Welcher Tag ist heute?“
,, Wir kommen schon.“ , entschied Kell kurzfristig. Der Archont war ganz offenbar mit den Nerven am Ende. Und er hatte zunehmend das Gefühl, das lag nicht nur an der Überarbeitung. Nein. Wys Carmine hatte mit noch etwas ganz anderem zu kämpfen. Im Chaos das auf die Flucht der Magier folgte, hatte er letztendlich seinen eigenen Bruder
getötet…