Prolog
Vor langer Zeit, als die Welt noch lag in Dunkelheit,
ein Traum ward geboren.
Er zog so weit, durch Raum und Zeit
er folgte den Sternen,
bis er sein Ziel hat’ erreicht.
Er ließ sich nieder, begann zu wachsen,
verknüpfte sich mit Elora und es entstand,
unsere Welt, unsere Heimat,
die seit jeher Windaschybel genannt.
Hohe Gebirge und weite Wälder,
durchzogen von Flüssen rein wie
Gold;
und all die Wiesen und all die Felder,
bilden für uns ein kostbares Geschenk.
Nun lasst uns singen und lasst uns tanzen,
zu ehren, was uns einst geschenkt.
Lasst unsre Träume zum Himmel wehen,
auf dass sie mit den Sternen zieh’n
So lasst sie zieh’n, den Sternen nach, um neues zu schaffen,
um das Gleichgewicht zu bewahr’n.
Wenn auch alles verloren scheint,
so hört nicht auf zu glauben,
denn die Hoffnung stirbt zuletzt.
Nun lasst den Glauben in eure Herzen,
lasst die Hoffnung durch eure Adern zieh’n,
vergesst die Angst, vergesst die Schmerzen,
eure Träume werden bei euch sein,
allzeit, allzeit
Für die Ewigkeit.
Nun, so scheint es wohl begonnen zu haben, jedenfalls wenn man jenen alten Worten Glauben schenken will. Ein Mensch. Ein Traum. Eine Welt. So steht es seit jeher auf den dicken Mauern von Schloss Windaschoa geschrieben. Doch
ist es dadurch auch wirklich wahr? Ist es zur Realität geworden, weil eine große Gruppe von Menschen so lange daran festgehalten hat?
Wie dem auch sei, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, zumindest den Teil von Windaschybels Geschichte, den ich selbst mitgestaltet habe, der Nachwelt zu erhalten. Es ist mir durchaus bewusst, dass ich nur ein kleiner Teil im großen Ganzen bin und doch wage ich zu behaupten, dass ich im Laufe meines Lebens Menschen getroffen habe, die von großer Bedeutung waren, sodass es doch einiges an meiner Geschichte gibt, das von Interesse sein könnte.
Nun denn, lauscht den Stimmen, die aus
meinen Worten sprechen, taucht mit mir ein in eine Zeit, die von großer Not und noch viel größerem Misstrauen geprägt gewesen ist, gepeinigt von einem furchterregenden Dämon. Trefft mit mir den letzten wahren Drachen, hinterhältige Magier, missgünstige Bauern, verzweifelte Fürsten und nicht zuletzt, den Herova höchst persönlich. Folgt meiner Lebensgeschichte und seht durch meine Augen, was ich einst erblickte.
„Ach, dieser Hang zum Dramatischen.“
Seufzend lehnte Can sich in seinem Sessel zurück, der sofort seine Form veränderte, damit der alte Magier es
bequem hatte.
„Von objektiver Geschichtsschreibung ist das noch meilenweit entfernt.“
Das Moos zu seinen Füßen bewegte sich wellenartig, fast so, als wolle es antworten. Kopfschüttelnd kratzte er sich mit dem kleinen Finger der rechten Hand an der Nase, um sich diese dann vors Gesicht zu halten. So lange war es nun schon her, fast 500 Jahre. Er bewegte den Daumen und den kleinen Finger, das einzige, was noch vom Handrücken abstand. Nun begann auch noch sein einziges verbliebenes Auge zu zucken.
Wiederum seufzte er, griff nach dem Buch, das auf seinem Schoß lag und
schlug wieder die erste Seite auf. Über 100 Jahre war es nun alt. An einigen Stellen begann es schon brüchig zu werden. Natürlich hätte er es mit einem einzigen, einfachen Zauber reparieren können, doch das hätte auch die Seele des Buches verändert. Letztlich bestand dessen Geschichte nämlich nicht nur aus dem Inhalt sondern aus alldem, was ihm bereits wiederfahren war. Genauso verhielt es sich auch mit den Menschen. Als Can das Buch, das seit Ewigkeiten unberührt in seinem Regal gestanden hatte, zum ersten Mal aufgeschlagen hatte, schien er gleichsam eine Tür in seinem Inneren geöffnet zu haben. Unvermittelt war eine Welle von
Erinnerungen über ihn hereingebrochen, die ihn im ersten Moment fast zu ersticken drohte. Zu schmerzhaft waren manche dieser Bruchstücke, die ihn selbst nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu einem Krüppel gemacht hatten, für lange Zeit.
Vorsichtig stemmte er sich aus seinem Sessel hoch und legte das Buch behutsam auf einem steinernen Tisch ab, der direkt aus der Felswand gewachsen zu sein schien. Als seine steifen Glieder wieder durchblutet wurden, lief ein Kribbeln durch seine Beine, doch das ignorierte der Alte geflissentlich. Er hatte nur Augen für die Karte, die ihm direkt gegenüber hing. Sie schien von
unruhigem Leben erfüllt zu sein, was nicht zuletzt daran lag, dass sie aus Efeu bestand, der sich beständig drehte und wendete. Mit kleinen Schritten näherte er sich ihr und streckte die Finger aus, um das schlängelnde Gewächs zu berühren. Kaum hatte seine Haut die Pflanze ertastet, da begann sich das Kartenbild zu verformen. Wo zuvor noch Wälder, Städte und Dörfer eingezeichnet gewesen waren, bildete sich eine ebene Fläche, durchbrochen von einem einzigen großen Gebilde, das sich aus unzähligen kleinen Gebäuden zusammensetzte. Vereinzelt strebten Türme dem nicht vorhandenen Himmel entgegen und kennzeichneten das
Gebäude, das eine Zeit lang sein Zuhause gewesen war. Heute jedoch brachte er etwas ganz anderes damit in Verbindung, nämlich die Folter, die man ihm dort hatte angedeihen lassen. Sein altes, triefendes Auge, unbestimmbarer Farbe, fixierte die Säulen und Tore der Akademie genau, wanderte dann weiter über die umstehenden Gebäude und blieb am Gesamtanblick hängen.
Angeworis. Die Stadt der Magier. Dort hatte alles seinen Anfang genommen.
© Fianna 01/11/2014