Prolog
Andre de Immerson sah Zufrieden auf das Heerlager vor den Toren Silberstedts. Er saß auf einem gepolsterten Stuhl, der sich auf dem Balkon seines neuen Wohnsitzes befand. Nicht so luxuriös wie das alte Herrenhaus, aber den Ort wieder aufzubauen würde Monate in Anspruch nehmen. Noch immer stoben von dort Funken aus der Grube auf, die der Einsturz hinterlassen hatte. Es war ein herber Rückschlag gewesen, aber keiner, der ihm das Genick brach. Ganz im
Gegenteil…
Einzelne Schneeflocken sanken vom grauen Himmel, während der Herr Silberstedts die Armee betrachtete, die sich vor seinen Stadttoren zum Aufbruch bereit machte. Mehr als zwanzigtausend Mann unter Waffen und noch einmal halb so viele Berittene. Hinzu kamen die neusten Konstruktionen aus den Waffenschmieden der Stadt. Das er sie nun zu Fuß durch die Berge bringen musste, war ein Ärgernis. Aber nicht viel mehr. Die kaiserliche Garde würde die Pässe unmöglich halten können, wenn Dagian seinen Teil eingehalten hatte.
Canton war nicht auf einen Krieg in den
Herzlanden vorbereitet. Und schon gar nicht auf einen Angriff von innen, nachdem für mehrere Monate alles friedlich gewirkt hatte. Es hatte nicht einmal mehr einen Kaiser, wenn er Glück hatte.
Andre lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Das linke Bein hatte er dabei weit von sich gestreckt und der Fuß ruhte auf einem gepolsterten Hocker. Schienen und Bandagen hielten den gebrochenen Knochen zusammen. Rasch winkte er einen Diener herbei, der in einer Nische des Balkons stand. Das Haus am Rand Silberstedts, das er bezogen hatte, war beinahe so ausladend wie sein eigenes. Soweit er wusste, hatte
es einem der großen Silberhändler der Stadt gehört, der jedoch in dem Feuer umgekommen war, das die kaiserlichen Agenten ausgelöst hatten. Direkt an der äußeren Stadtmauer gelegen, erlaubte es ihm einen Blick über seine Ländereien zu werfen, ohne das Haus je verlassen zu müssen. Etwas, das im Augenblick dringend nötig war. Ein paar Wochen mindestens, meinten seine Ärzte. Sofern er sich keinen Magier suchte, der die Wunde behandelte. Aber er verfügte nicht über viele. Und er wusste nur zu gut, um welchen Preis Heilende Magie wirkte. Den Schmerz Knochen und Fleisch mit Gewalt wieder zusammenzufügen nahmen nur wenige in
Kauf. Und ein Magier war ja der Grund für die Sorgen, die er jetzt hatte. Der Grund, aus dem das Heer nun den Fußweg nehmen musste.
Er hätte ihm schlicht niemals trauen dürfen, dachte Andre bei sich, während der Diener ihm auf die Füße half. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, bis er das Gleichgewicht wiederfand und sich ein paar Strähnen grauer Haare aus dem Gesicht strich. Er würde sich noch früh genug dafür rächen können, dachte Andre. Vorsichtig raffte er den violett-schwarzen Mantel den er trug weiter um sich, um die Kälte abzuhalten.
Hinter ihm öffnete sich eine Tür, die ins innere des Herrenhauses führte und eine
dritte Gestalt trat auf den Balkon hinaus. Die Holzplattform wurde von schweren Säulen und Querbalken gestützt und bot auch zwanzig oder mehr Personen ohne Probleme Platz. Andre drehte sich unter Schmerzen zu dem Neuankömmling herum, immer noch auf den Diener gestützt.
Der Mann trug eine dunkelgraues Kürass und einen grauen Umhang, der mit weißem Pelz verbrämt war. Unter dem Arm trug er einen einfachen Helm. Die Beine wiederum steckten in einem paar gefütterter Wollhosen und mit Eisenbändern versehener Stiefeln. Die Züge im Gesicht des Fremden waren markant und eckig, fast, als hätte sie ein
schlechter Bildhauer aus Granit gemeißelt. Ein paar stechend blaue Augen, die halb von den rabenschwarzen Haaren verborgen wurden, leuchteten daraus hervor wie zwei Saphire. Im Gürtel trug der Mann zwei Pistolen zusammen mit einem schweren Kavalleriesäbel. Er verbeugte sich nicht, sondern deutete nur ein kurzes nicken an.
Andre de Immerson hätte eine solche Dreistigkeit den wenigsten durchgehen lassen. Erland Reiksson jedoch, war niemand, der sich vor irgendjemanden beugte. Es hatte schon seinen Grund, warum er sich bereits in den Monaten und Wochen der Vorbereitungen den
Titel seines Feldmarschall verdient hatte.
,, Alles ist bereit.“ , erklärte Erland nüchtern. Er war sicher kein Mann großer Worte oder unsinniger Höflichkeit … wieder etwas, das Andre an anderen sauer Aufgestoßen wäre. Aber Erland war letztlich Militär durch und durch.
,, Gut. Dann schlage ich auch vor, dass ihr nicht länger wartet. Ihr werdet diese Männer für mich über die Berge bringen…“
Sein gegenüber nickte nur.
,, Habt ihr schon eine Route gewählt ?“
Darauf hatte Erland offenbar gewartet. Mit einem schwachen Grinsen zog er ein
Stück Pergament unter seinem Arm hervor und breitete es vor Andre aus. Es war eine Karte der Berge.
,, Wir werden einen Bogen nach Südwesten schlagen.“ , erklärte er. ,, Dort sind die Berge nicht so hoch, wir kommen schneller voran und können dann durch das Seengebiet und Hasparan direkt in die Herzlande vorrücken.“
,, Ihr werdet dazu aber die Burg des Sangius-Ordens passieren müssen, oder ?“
,,Die Zauberer werden uns nicht aufhalten. Sie wissen nicht, das wir kommen… Herr. Wir können vorbeimarschieren, während sie sich noch Fragen, was überhaupt vor sich
geht. Und wenn nicht… Wir haben genug Männer hinter uns, um es mit einer Handvoll Bücherwürmer aufzunehmen.“
,, Ich vertraue euch in dieser Hinsicht.“ Andre ließ sich von seinem Diener einen Gehstock bringen und hinkte in Richtung Tür. Der Feldmarschall rollte das Pergament zusammen und folgte ihm, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Sie betraten ein großes Kaminzimmer, in dem in insgesamt drei Öfen gewaltige Eichenstämme verbrannten und für eine wohlige Wärme sorgten. Im Zentrum des Raumes führte eine Wendeltreppe hinab in die übrigen Räume. Schwere Bücherregale standen an den Wänden.
Das Eis auf ihren Kleidern schmolz,
während Andre an das mittlere Feuer trat und sich die Hände wärmt.
,, Wenn es sonst nichts mehr gibt…“ , setzte Erland an.
,, Ihr könnt gehen. Setzt eure Männer in Bewegung. Und schickt mir Bericht über euren Fortschritt. Sobald ihr die Herzlande erreicht, werde ich euch folgen. Und vergesst nicht. Nutzt die Territorien aller Fürsten, die uns schon Unterstützung zugesagt haben.“
,, Ich habe nicht vor, einen Vorteil zu ignorieren. Auch wenn ich darauf brenne, mich mit der Garde zu messen…“
,, Wenn ihr eure richtig Aufgabe erfüllt, Erland, wird uns nicht ein einziger
Gardist im Weg stehen…“
Ein enttäuschter Ausdruck trat auf das Gesicht des Marschalls, dann machte er jedoch nur erneut seine angedeutete Verbeugung und verschwand die Treppe hinab. Der Diener folgte ihm in einigem Abstand.
Andre seufzte. Der Mann dachte nicht nur rein taktisch. Sein verquerer Sinn für Ehre würde ihm besser nicht in die Quere kommen. Die meisten der Söldner, die er angeworben hatte, kannten so etwas nicht. Aber die meisten der Söldner hatten auch keine Ahnung, wie man eine ganze Streitmacht befehligte und eine ordentliche Schlacht schlug. Sie wurden zum marschieren bezahlt…
und zum sterben wenn nötig.
Andre wollte grade seinem Feldmarschall ins untere Stockwerk folgen, als es im Raum plötzlich düsterer wurde. Er hätte nicht genau zu sagen gewusst, weshalb. Nur das das Licht der Feuer plötzlich weniger hell wirkte. Als hätte sich ein dünner Rauchschleier über alles gelegt. Brannte hier etwa etwas? Nach dem Luftschiff-Desaster war er, was offene Feuer anging misstrauisch geworden.
Andre sah sich suchend um… und erstarrte. Er war nicht mehr alleine.
Die seltsame Dunkelheit kondensierte direkt vor dem Kamin, an dem er eben noch gestanden hatte und nahm die Umrisse einer hochgewachsenen Person
an. Der Rauch fiel wie ein Schleier von ihr ab und gab einen schwarzen Mantel frei, unter dem das Gesicht des Fremden verborgen blieb.
Andre stolperte zurück, als der Mann sich aufrichtete.
,, Wache…“ Nervös begann er am Knauf seines Gehstocks herumzufingern. In den Griff war eine kurze Messerklinge eingelassen, wenn er nur rechtzeitig heran käme…
Der Fremde hob eine Hand und plötzlich wurde Andre der Stab aus der Hand gerissen und landete klappernd auf dem Boden. Plötzlich seiner Stütze beraubt, schwankte er auf dem gesunden Fuß. Er verfluchte sich selbst. Wenn er jetzt
viel, war alles vorbei….
Der Fremde hob erneut die Hand und der Gehstock hob sich vom Boden und landete zielsicher in seiner Hand.
,, Ruft eure Wachen, wenn euch danach ist.“ , meinte er entspannt. ,, Aber wenn ihr glaubt, das rettet euch…“
,, Wärt ihr hier um mich zu töten, hättet ihr das längst.“ , erklärte der Herr Silberstedts nur und versuchte dabei, das zittern in seiner Stimme zu verbergen. Der Mann war ein Zauberer. Und ganz sicher kein Simpler. ,,Wer seid ihr ?“
Sein Gegenüber reichte ihm vorsichtig den Stab zurück und Andre war froh, wieder richtig stehen zu können.
,, Ich ziehe es vor, meinen Namen so wie
viele andere Dinge für mich zu behalten.“ Der fremde Magier trat an einen kleinen Tisch, der am gegenüberliegenden Ende der Halle stand und zog einen Stuhl davon zurück, bevor er sich setzte. ,, Wenn ihr jedoch unbedingt einen braucht, so tut es Ismaiel. Es kommt meinem wahren Namen so nah, wie ihr es mit euren Beschränkten Fertigkeiten vermögt.“
,, Und was bei allen Göttern wollt ihr von mir ?“
Zwar konnte Andre das Gesicht seines Gegenübers nicht sehen, aber er hätte schwören können, dass dieser grade lächelte.
,, Wir haben einen… gemeinsamen
Feind. Jemanden, den wir beide gerne loswähren. Und ich glaube ich habe die Mittel, das zu bewerkstelligen.“
,,Von wem sprecht ihr ?“
,, Kellvian Belfare.“
,,Kellvian ist Fischfutter.“ , erklärte Andre. Dagian hatte versprochen, sich um den jungen Kaiser zu kümmern. Aber er hatte natürlich keine Gewissheit…
,, Ich kann euch versichern, das er bedauerlicherweise äußerst munter ist. Ein Umstand den nicht nur ihr korrigieren wollt.“
Er nickte. Wenn Kellvian noch am Leben war, dann hatte der Hochgeneral versagt. Und wenn er seinem Gegenüber trauen konnte hieß das auch, das Dagian
vermutlich Tod war. Und die Armee Cantons nicht mehr unter seiner Kontrolle… Das konnte zu einem echten Problem werden, sollte Kellvian begreifen, was vor sich ging und die kaiserliche Garde ins Feld führen. Ohne einen Anführer wären sie schwach, aber mit einem lebenden Kaiser würde die Garde bis zum letzten Mann kämpfen.
Er konnte schlicht nicht riskieren, sich zurückzulehnen, wenn Kellvian noch am Leben wäre. Aber…
,,Nichts ist ohne Gegenleistung.“ , meinte Andre. ,, Ihr bietet mir an, mein… Problem aus der Welt zu schaffen. Wie… und was wollt ihr
dafür?“
Wieder konnte er es nur spüren und nicht sehen, aber das Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers wurde breiter. ,, Ich brauche vor allem meine Ruhe. Kellvian ist nicht nur euer Feind. Er hat mir ebenfalls bereits dazwischengefunkt.“ Der Magier rieb sich die Schulter, als wäre dort eine alte Verletzung. ,,Er und… die Bande von Kreaturen mit denen er sich umgibt. Sollten eure Pläne Erfolg haben, will ich nur eines, das ihr mir alle Magier des Reiches für meine eigene… Arbeit unterstellt. Es gibt Dinge, die ich herausfinden muss und die euren Verstand übersteigen. Bis dahin… gebt mir lediglich freie Hand mich um
unser gemeinsames Problem zu kümmern.“
,, So…“ Andre musterte den Fremden nach wie vor misstrauisch. Er war alles andere als überzeugt. Und was der Mann forderte war… unakzeptabel im besten Fall. ,, Und wie wollt ihr das anstellen ?“
,, Die Falle ist bereits gestellt. Wir müssen nur noch auf die richtige Gelegenheit warten, sie zuschnappen zu lassen. Oder ihr lehnt mein Angebot ab. Vielleicht informiere ich dann auch durch Zufall die Garden des Kaiserreichs über euer Vorhaben. Mir entgeht wenig müsst ihr wissen…“
,, Ihr würdet diese Mauern nicht Lebend
verlassen .“
,, Ach ? Und wer sollte mich aufhalten, ihr etwa? Also… Eure Entscheidung. Ich warte.“
Andre zögerte noch. Aber letztendlich nickte er nur.
,,Wenn Kellvian tot ist… und das Kaiserreich mir gehört, tut was ihr wollt, sofern ihr mir dabei nicht in die Quere kommt. Wagt es jedoch mich zu hintergehen…“
,,Was hätte ich davon ?“ , wollte sein gegenüber wissen. ,, Wir bekommen am Ende beide, was wir wollen. Ihr eure Krone… ich eine Chance auf die ich schon sehr lange Warte.“
Andre konnte sich das nur zu gut
vorstellen. Mit den Magiern unter der Kontrolle eines Mannes… Was könnte dieser nicht bewerkstelligen? Das hieß, dachte er, wenn er welche übrig ließ. Auch Zauberer starben wenn man sie mit Kugeln durchsiebte. Und wenn es ausversehen einen Großteil von ihnen erwischte… Nun Versehen passierten.