Dicke Regentropfen prasselten gegen die geschlossenen Fensterscheiben, fielen durch das undichte Dach und benetzten den alten Holzfußboden.
Es war stockdunkel. Nur hin und wieder zerriss ein Blitz die vorzeitig eingetretene Dunkelheit.
Ich war allein, aber das war nichts Neues.
An diesem Tag im Jahr war ich immer allein; wollte ich allein sein; musste ich allein sein.
Die Hütte, die ich mir vor vielen Jahren gekauft hatte, war perfekt für meinen Wunsch nach Einsamkeit. Sie lag abgelegen in den Bergen, über sieben Kilometer von der nächsten Ortschaft
entfernt.
Einzig eine Bergbauernfamilie lebte in der Nähe, doch das störte mich nicht. Bisher hatte es jedenfalls noch nie eine Bedeutung für mich gehabt.
Bisher.
Wie immer saß ich bei Einbruch der Dunkelheit an meinem Schreibtisch und versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen. In letzter Zeit fiel es mir immer schwerer, klar zu denken. Immer wieder setzte mein Gedächtnis aus und wenn ich wieder zu mir kam…
Etwas Seltsames geschah mit mir. Von Jahr zu Jahr wurde es schlimmer und seinen Höhepunkt erreichte es an diesem letzten Tag im Oktober.
Es würde wieder geschehen und ich konnte nichts dagegen tun.
Tief in meiner Seele rührte es sich bereits, sammelte all seine Kräfte, um die Ketten zu sprengen, die es zurückhielten. Und diesmal würde es anders sein, schlimmer, viel schlimmer. Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, während ich so dasaß, mit den Fingern auf den wackeligen Tisch trommelte und nach draußen blickte.
Ich wartete.
Diesmal wollte ich gewappnet sein, für das was kommen würde. Diesmal würde ich es kontrollieren. Diesmal würde
ich…
Ein Ruck ging durch meinen Körper. Schweiß trat auf meine Stirn. Alles hing jetzt von meiner Willenskraft ab.
Meine Hände begannen zu zittern und all zu deutlich spürte ich, wie das Blut durch meine Adern rauschte. In mir schien alles zu kochen. Es war heiß, heiß und trocken.
Dann kam der Schmerz. Langsam hatte er sich angeschlichen, nur um mich im letzten Augenblick anzuspringen und gänzlich zu überwältigen.
Etwas in mir zerriss.
Während die letzten Schmerzwellen durch meinen Körper zogen und meine Seele peinigten, erhob ich mich und
schritt zur Tür.
Egal, wie sehr ich mich auch dagegen sträubte. Das Monster in mir hatte die Herrschaft über mein Handeln übernommen.
Ohne auf den Regen zu achten trat es nach draußen, blickte sich kurz um, als könne es durch die Finsternis sehen und setzte sich dann zielstrebig in Bewegung. Mein Geist rebellierte, lehnte sich gegen die fremde Kontrolle auf, doch wiederum gelang es nicht. Nie gelang es. Immer wieder, Jahr für Jahr musste meine Seele mit ansehen, was meine Hände taten, was dieses Monster, das aus mir erwuchs, anrichten konnte.
Ein Blitz erhellte die Nacht und meine
Seele schrie auf, als sie das Haus sah. Nein! Nicht heute! Nicht schon wieder!
Die Fenster waren hell erleuchtet. Nur Silhouetten waren zu erkennen. Die Schemen dreier Menschen, die glaubten in Sicherheit, geborgen, gut aufgehoben zu sein. Die Schatten dreier Wesen, die sich des Lebens erfreuten, die wussten, was es bedeutete glücklich zu sein.
Das Monster in mir lächelte. O ja. Dies war genau die Art von Menschen, die es gesucht hatte.
Menschen, die an das Gute glaubten und selbst dem Bösen mit einem Lächeln begegneten. Menschen für die das Böse nur eine Abstufung des Guten war, die selbst dem Schlechten eine Chance
gaben. Menschen, die ihre Augen vor der Realität verschlossen, aber nicht ihre Tür.
Federleicht war mein Schritt, der durch fremde Kräfte gelenkt wurde. Federleicht und voller kranker Vorfreude.
Laut schallte das Klopfen an meine Ohren.
Entsetzen machte sich in meiner Seele breit und wiederum versuchte ich Widerstand zu leisten, die Barriere zu durchbrechen, die meinen Geist von meinem Körper trennte.
Die Tür wurde aufgerissen.
Ein kleines Mädchen starrte mich an. Zuerst fragend, dann erkennend. Es lächelte, bat mich herein, ohne zu
wissen, welchem Unheil es die Tür geöffnet hatte.
Ohne auf den Schmutz zu achten, den ich mit meinen Schuhen auf dem Boden verbreitete, begab ich mich in die Stube des Bauernhauses, wo sich die Eltern des Mädchens aufhielten. Lautlos lief ein Fernseher in einer Ecke. Bilder huschten über den Bildschirm. Bilder von schrecklichen Unwettern, Erdrutschen und verzweifelten Menschen.
Doch all das interessierte mich nicht. Das einzige, was ich wollte, war, dieses Haus auf schnellstem Wege zu verlassen, doch ich war zu schwach; konnte den fremden Willen nicht brechen.
Hilflos sah ich mit an, wie meine Hand
nach einer nahe stehenden Lampe griff. Die Familie bemerkte dies nicht. Um eine Tasse Tee für mich zu holen war die Frau in die Küche gelaufen. Ohne sich um mich zu kümmern starrte der Mann den Fernseher an.
Nur das Kind beobachtete mich. Mit weit aufgerissenen Augen blickte es mich an. Angst glomm in den großen Augen auf, steigerte sich zu Panik, als ich einen Schritt in dessen Richtung machte.
Ein Schrei ließ mich herumfahren.
Es krachte.
Die Frau hatte die Tasse fallen gelassen und auch sie sah mich an, voller Furcht und Unverständnis. Doch niemand tat etwas. Alle starrten sie, ohne zu handeln.
Meine Seele schrie sie an. Lauft! Bringt euch in Sicherheit!
Doch sie hörten meine verzweifelten Rufe nicht.
Und so hob ich die Lampe und trat, mit einem hämischen Grinsen im Gesicht, auf das Kind zu.
Ich wachte mit starken Kopfschmerzen auf.
Die Sonne schien durch ein Fenster und blendete mich.
Vorsichtig erhob ich mich aus dem Bett und streckte mich. Dann erst öffnete ich meine Augen und ein Schrei entrang sich meiner Brust.
Das war nicht mein Haus, in dem ich erwacht war. Das war nicht mein Bett, in dem ich geschlafen hatte.
Aber es war meine Handschrift, die dort an der Wand prangte. In ehemals roten Lettern, geschrieben mit dem Blut derer, die mir zu Füßen lagen, stand dort:
GLAUB, WAS DU WILLST, ABER WISSE: DAS WARST DU GANZ ALLEIN UND DU WIRST ES WIEDER TUN…
© Fianna 10/2012