Ich blickte durch das Fenster in der Dachschräge unter der ich lag.
Mit dem Kopf auf seiner Brust und überlegte mir, ob ich einen Sonntag schöner verbringen konnte als so.
Draußen brach der Frühling an.
Man sah es am Himmel, man roch es in der Luft und man spürte es bei jeder Berührung mit einem anderen Menschen.
Wir ignorierten seit Wochen, dass wir einander attraktiv fanden und taten, als wären wir nur Freunde.
Ich bezweifelte, dass das lange gutgehen würde.
Und dass diese „Freundschaft“ Bestand hatte.
Seine Wandlung konnte ich aber immer
noch nicht nachvollziehen.
Als wir uns vor 6 Jahren das letzte Mal unterhalten hatten, hatte er mir gesagt, dass seine Freundin es sicher nicht besonders toll fände, würde er mich treffen.
Jetzt waren die beiden fast 7 Jahre zusammen und er hatte aufgehört Rücksicht auf sie zu nehmen?
Oder machte es ihr wirklich nichts mehr aus?
Hatte sie die damaligen Eifersüchteleien und das Misstrauen ablegen können?
Ich wusste, es ging mich nichts an, aber es interessierte mich brennend.
Immer mehr Neugierde stieg in mir auf, je länger ich drüber
nachdachte.
Ich schloss die Augen und war bemüht, an etwas anderes zu denken.
An unsere Musik zum Beispiel.
Als ich eine Türe ins Schloss fallen hörte und mir eigentlich direkt sicher war, dass es die Wohnungstür der Wohnung war, in der ich lag.
Er schien es nicht zu bemerken, also ignorierte ich es, bis ein schrilles und empörtes:
„Ich wusste es doch!“, mich aufspringen ließ und ich taumelnd neben dem Bett zum Stehen kam.
Ich sah sie an.
Sie war locker 10 Zentimeter kleiner als ich, hatte rotgefärbte Haare, sah kindlich
aus und wirkte auf mich kein bisschen reizvoll.
Noch bevor er realisierte, was hier vor sich ging, platze mir:
„Es ist nichts passiert, ich habe alles noch an!“, heraus und ich zuppelte demonstrativ an meiner Jogginghose.
Ein abfälliger Blick machte sich auf ihrem Gesicht breit und sie wand den Kopf zu ihm um, der etwas aufgeschreckt aber noch liegend zurückstarrte.
Ich rutschte auf Socken ein Stück nach vorne, bewegte mich schneller und stahl mich an ihr vorbei durch die Türe.
Sie und ich hatten nichts zu besprechen.
Ich lief ins gegenüberliegende
Wohnzimmer und griff nach meiner Tasche, stopfte alles was ich fand ungeordnet hinein und drehte mich zu ihr um.
„Wo willst du denn hin?“, fragte sie mich hysterisch und kreischend.
Ihre riesen Rehaugen starrten mich so durchdringend an, dass ich mich kurz vor der kleinen Zwergin erschreckte und zusammenzuckte.
„Kurz auf Klo.“, entgegnete ich und war um Coolness bemüht.
Verblüffender Weise ließ sie mich gewähren und drehte sich wieder zu ihm um, den ich nicht angesehen hatte, obwohl er im Türrahmen des Schlafzimmers gestanden hatte, an dem
ich vorbeimusste, wenn ich den Flur runter ins Bad wollte.
So wie ich ihn einschätzte, blieb er so lange ruhig, bis sie ihn zum Ausbruch trieb. Er stand sehr gehalten da. Wirkte fast gelassen.
Ich wusste: würde ich mich irgendwann mal mit ihm Streiten, würde ich dafür sorgen, dass die Fetzen flogen.
Diplomatisch konnte man auch anschließend noch sein.
Aber dafür hatte sie zu wenig Charakter und er nicht genug Interesse daran, ihr etwas zu entlocken.
Der mütterlich-vorwurfvolle Unterton in ihrer Stimme ließ auch mir das Blut in den Adern gefrieren und ICH hörte es
nur durch die Türe.
Ich schaffte es, mir während des Pinkelns den BH anzuziehen und das Shirt zu wechseln.
Den Pulli setzte ich gerade an, als sie wie wildgeworden an der Tür klopfte und rüttelte.
Ich zog ab, nahm mir noch die Zeit mir die Hände zu waschen, schließlich würde sie wohl kaum die Tür einrennen nur um mich davon abzuhalten und dann riss ich die Tür auf.
Wie sie so direkt vor mir stand wirkte sie auf mich nur noch lächerlich.
Und ich wusste ja, dass es mich nichts anging, aber in dem Moment begriff ich, was er an mir fand und bei ihr
vergebens gesucht hatte. Die ganzen sieben Jahre.
Ich griff mir in die Haare und band sie provisorisch zu einem Vogelnest zusammen und streckte dann die Brust raus um voller Würde und in dem Wissen, dass sie sich nicht mit mir anlegen konnte - und sollte - an ihr vorbei zu schreiten.
Sie sah mir dabei abfällig hinterher, aber das war mir egal.
Diesmal kam ich nicht umhin, ihn und seine Mimik zu beobachten, als ich vorbei ging.
Er sah gehalten aus. Und irgendwie … zuversichtlich.
Kurz ekelte ich mich, weil sich mir ein
Bild aufdrängte, in dem sich die beiden in die Arme fielen und heftig rummachten… Aber ich bewahrte mir lieber den Gedanken daran, dass die Zwergin keine Chance gegen mich hatte.
Mir fiel es schwer, ein zufriedenes Grinsen zu unterdrücken, aber als ich die schwere Haustüre ins Schloss gezogen hatte, fiel mir doch auch ein Stein vom Herzen.
Für mich war die Zeit der Ungewissheiten vorbei.
Für sie würde das jetzt beginnen. Sofern sie sich das geben wollte.
In meine Schuhe war ich nebenher hereingeschlüpft und ließ bald das Treppenhaus, die Straße und auch den
Wohnblock in dem er wohnte hinter mir.
Ich lief ins Nirgendwo.
Als ich durch den Wald stapfte und der schlammige Boden unter meinen Schritten regelmäßig schmatzend nachgab, wusste ich, dass man diesen Sonntag in der Tat schöner verbringen konnte.
Ich sagte „Man soll aufhören, wenns am schönsten ist.“ Und lief in die Richtung in der ich die Haltestelle vermutete an der ein öffentliches Verkehrsmittel fuhr, das ich auch kannte.
Ich kam an Villen vorbei. Riesenhaft, hübsch, modern, alt, überwuchert aber dennoch alles genau die Sorte Haus, in der ich niemals leben
wollte und würde.
Als ich in die Bahn steigen wollte, suchte ich meine Tasche nach meinem Portemonnaie ab. Und nach meinem Schlüssel.
Keins von beidem konnte ich finden, und SO konnte ich weder Bahn fahren, noch zuhause rein.
Ich trat wieder aus der piepsenden Türe der Bahn und hockte mich auf den Steig.
Ich wühlte und wühlte, wusste aber im Grunde schon längst, wo beides lag.
Auf dem Tresen.
Seinem Tresen.
Fuck.
Da mir nichts anderes übrig blieb, ging
ich den Weg den ich gekommen war zurück.
Stapfte wieder durch schlammigen Morast, Betrat irgendwann die geteerten und gepflasterten Straßen und spürte wie die Sonne begann, meine Haut aufzuwärmen.
Ich spürte, wie meine Wangen rosig wurden.
Und auch, wie mir das gleißende Licht in die Augen stach.
Alles fühlte sich schwerer und durchdringender an, je näher ich dem Haus kam, in dem sie wütete.
Ein Nachbar kam gerade aus der Haustüre und ich schob mich an ihm vorbei in
den Hausflur.
Er hatte nett genickt und ich hatte zurückgenickt.
Und jetzt besaß ich nicht mehr den Mumm, einfach an der Tür zu klopfen, noch mal in das Streitszenario zu stapfen und mir meine Sachen zu greifen.
Also setzte ich mich ein Stockwerk höher auf die Treppen und wartete.
Und wartete.
Aber bald hörte ich seine Wohnungstür zuschlagen. Eindeutig war SIE gegangen.
Im nächsten Moment klingelte mein Telefon.
Natürlich. Mein Handy hatte ich immer dabei, aber meinen Schlüssel? Oder Das
Portemonnaie?
Er rief an.
Ich war gleichzeitig überrascht und glücklich.
Sie hatte kaum die Wohnung verlassen, da rief er mich an?
„Kommst du zurück, bitte?“, fragte er charmant und liebevoll, als wären wir nicht eben von seiner Freundin überrascht worden.
„Nein.“ Wollte ich sagen und ganz bestimmt dabei klingen.
Aber ich musste eh noch mal in die Wohnung. Und meine Sachen holen.
„Ich sitze im Treppenhaus. Machst du mir die Tür auf?“
Er vergaß aufzulegen und ich hörte ihn
die Wohnungstüre öffnen und dann schielte er in den Hausflur und ich schlich die Treppe herunter. Mit der Sonne im Rücken, die durch das Milchglas fiel.
Unwillkürlich begann ich zu lächeln, als er mir so verschmitzt entgegen blickte.
Als ich vor ihm stand, blieb er beharrlich in der Türe stehen und begann auch zu lächeln.
„Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen.“
Als wüsste er, dass es mein Herz zum schmelzen brachte und ich jetzt noch unfähiger war, ihm zu widerstehen.
Es war ja doch wieder ein weiteres Ufer der Unbestimmtheit. Ich hing in der
Luft.
Dass sie sich gestritten hatte, hieß gar nichts, außer, dass die beiden jetzt Probleme hatten. Und dass ich mittendrin stand, war vermutlich für niemanden gut.
„Sie hat es beendet.“, sagte er und beugte sich zu mir herab.
Er legte seine Hände in meine Taille und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm in seine braunen, warmen Augen zu schauen.
Ich wusste, dass wir uns gleich küssen würden, auch wenn ich es nicht für richtig befand. Aber ich ließ mich drauf ein und wurde eindeutig für mein Warten belohnt.
Er hatte die Arme um mich gelegt und mich beim Küssen hochgehoben. Bereitwillig hatte ich mich der Umarmung hingegeben und ließ mich von ihm in die Wohnung tragen.
Der Kuss wurde immer inniger. Uns beiden war wohl bewusst, wie lange wir auf diesen Moment gewartet hatten.
„Ich weiß, dass das überstürzt ist, aber bitte lass uns das für kurz vergessen. Ich möchte diesmal nämlich auskosten, dass du hier bei mir bist.“, sagte er vollkommen ernst und küsste mich dann drei weitere male.
„Einverstanden.“, hauchte ich nach dem letzten Kuss und wir fielen zurück auf
das Bett aus dem ich vorhin hochgeschreckt war.