Biografien & Erinnerungen
Als Boris Becker das Internet erklärte

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"Wir hatten ja nichts, damals. Schon gar kein schnelles Internet."
Veröffentlicht am 19. Februar 2014, 14 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Wir hatten ja nichts, damals. Schon gar kein schnelles Internet.

Als Boris Becker das Internet erklärte

Ich hatte gerade einen gedanklichen Way-Back-Moment. Erinnert sich noch jemand an die Urzeiten des WWW? Nee, nicht die ganz frühen, als sich nur wahre Nerds mit Flaschenbödenbrillengläsern durch unverständliche Textwüsten klickten, sondern die, als die Telekom noch an die Börse und Manfred Krug mitging. Es war eine Zeit, in der ich gottseidank noch keine Aktien kaufen durfte und in der ich entdeckte, dass sich mit unserem 28K-Uraltmodem nicht nur Faxe verschicken ließen, sondern dass man sich mit dem Ding unter lautem Piepsgetröte auch problemlos ins Internet einwählen konnte.

Es war die Zeit, als Freischalt-Codes noch per Post kamen. Es war auch die Zeit der AOL-CDs, die jeder Klopapierrolle beilagen, jede Menge Gratisspaß im Netz versprachen und die doch immer von der Aura horrend hoher Monatsendabrechnungen umgeben waren, weil man das Kleingedruckte nicht gelesen hatte. Und es war die Zeit unsäglich peinlicher Fernsehwerbungen. Warum die besagte CD-ROM-Schleuder ausgerechnet Lispelkünstler Boris Becker für mehr Akzeptanz des eigenen Internet-Angebots werben ließ, verstehen bis heute vermutlich nur die ehemaligen AOL-Marketing-Genies, wenn sie noch

mal dasselbe Kraut wie damals rauchen. »Daf if ja einfach!«, sagte der Tennisheini mit dem Zeugungsdrang im Spot und glotzte grenzdebil auf einen Röhrenmonitor. Sollte wohl so viel sagen wie: Ja also wenn sogar der blöde Becker das rafft, dann krieg ich das ja wohl auch noch gebacken! Ich verwendete niemals eine der AOL-CDs, starrte aber dennoch immer sehnsüchtig auf die versprochenen Gratisstunden. Denn ich wählte mich seinerzeit mittels sogenannter Call-by-Call-Anbieter ein. Das waren windige Service-Provider, die meisten heute zurecht pleite und begraben, die zu mehr

oder minder geringen Pfennigbeträgen kleckerweise Internet im Gehäuseschneckentempo anboten. An meinen ersten Netzgehversuch erinnere ich mich noch ganz genau: »Mutti, ich bin im Internet!«, rief ich die Treppe hinunter. STAMPF STAMPF STAMPF, mit nicht mehr als drei ausladenden Godzilla-Schritten hatte meine Mutter die fünfzehn Stufen der Treppe genommen und stand in meinem Zimmer, noch ehe ich meinen Satz richtig beendet hatte. »Und jetzt? Müssen wir doch alles bezahlen, oder?«, schrie sie mit schreckgeweiteten Augen. Für meine Mutter war klar, sobald man

ins Internet geht, passt die Endsumme der Telefonabrechnung auf keine DIN-A4-Seite mehr. Später war es dasselbe mit Internetkaufhäusern: Sobald man irgendwo was bestellte, war völlig selbstverständlich, dass hinterher das ganze Girokonto geplündert war. So war sie, meine Mutter. Und heute bestellt sie sogar ihre Topflappen bei Amazon. »Geh nicht zu oft ins Internet«, war in der Folgezeit immer so eine Warnung meiner Mutter. Ein komplettes Verbot konnte sie nicht durchboxen. Meinem Argument »Aber ich brauch das doch für die Schule!« konnte sie nichts entgegensetzen. Gute Noten waren eben

mit Geld nicht aufzuwiegen. Und so teilte ich mir meine Internetzeit gut ein. Mit einem Auge auf dem Browserfester, dessen Inhalt langsamer aufgebaut wurde, als die Hamburger Elbphilharmonie, und einem auf dem Gebührenzähler des Einwahlprogrämmchens, surfte ich maximal eine Stunde pro Tag auf den Seiten meiner Lieblingsbands vorbei, guckte mir mies aufgelöste Schweinkrambilder an und klaute Musik bei Napster. Was man für die guten Noten eben so tat. Und all das immer mit der Angst vor diesem einen Satz im Rücken: »Thomas?

Geh mal aus dem Internet raus, ich will telefonieren!« Ganz schlimm war es, wenn ich eigentlich längst schlafen sollte, dann aber doch noch dieses eine Lied fertigladen musste, und dann hörte, wie unten der Telefonhörer abgehoben wurde. So was wie »Äääaaach!« vernahm ich noch, bevor, STAMPF STAMPF STAMPF, meine Mutter im Zimmer stand. »Du sollst doch schlafen! Das bezahlst du bald alles von deinem Taschengeld!« Die Drohung verpuffte natürlich, denn so viel Taschengeld bekam ich nie und nimmer. Außerdem zog wiederum »Mir fiel eben noch ein, dass ich ja was für die Schule nachgucken muss. Bin gleich fertig.«

ganz wunderbar. Mein Vater dagegen ließ sich dieses eine Mal nicht besänftigen, als er bei Minusgraden in halbtrunkenem Zustand nach der Betriebsweihnachtsfeier frierend durch die Nacht irrte und gern abgeholt worden wäre, jedoch per Telefon nicht durchkam, weil der Sohnemann die Leitung fortwährend blockierte. Ja, es waren aufregende Zeiten voller Entbehrungen. Für den einen oder anderen. Es war auch die Geburtszeit der Wikipedia und eine Zeit, in der sich digitale Lexika und Online-Artikel noch nicht bis zu den Lehrern

herumgesprochen hatten. Wir druckten ganze Artikelserien samt der Bilder aus, klebten sie auf Wandzeitungen und kassierten die guten Noten dafür, während die ärmeren Kinder ohne Computer gnadenlos auf der Strecke blieben. Tja, wer hat, der kann. Das galt auch damals schon, insbesondere für Referate und Wandzeitungen. Und dabei war die Online-Suche noch ziemlich rudimentär: Wenn die heiligen Herren des Index gewisse Seiten nicht sorgfältig von Hand eingepflegt hatten, dann fand man die eben auch nicht. Es war ein bisschen wie das Blättern im Quelle-Katalog: Was da nicht drin war,

ließ sich ja auch nicht bei Quelle bestellen. Einige Suchmaschinen- und Versandhauspleiten später hat Google sich als Synonym für die Suche im Netz natürlich längst etabliert, aber der erste Besuch auf dieser gruseligen Suchmaschine, mit der man tatsächlich alles finden konnte, war schon ein Aha-Erlebnis. Nach einer Stunde des gepflegten Surfens war es dann in der Regel auch vorbei. Klack machte das Modem, schon war ich wieder voll und ganz offline. Musste ich mich dann doch noch mal verbinden, drückte ich gern ein Kissen auf das Modem, damit meine Mutter den

verräterischen Pfeifton nicht hören konnte. Und manchmal flog man auch einfach so aus dem Netz. Ein Horror, wenn dieser blöde Green-Day-Song noch nicht fertig heruntergeladen war! Außerdem wurde allein für die Einwahl von den meisten brauchbaren Call-by-Call-Providern eine Gebühr verlangt. Wie gesagt, zurecht pleite, die Bande. Irgendwann erklärte meine Mutter, Hüterin der Hauskasse, die Internetrechnung für zu hoch. Als ich vorrechnete, dass schnelles DSL, das es inzwischen gab, genauso teuer sei und man dann einfach immer im Internet sein könne, sagte sie überraschenderweise: »Na warum haben wir denn so was nicht

schon längst?« Ich hielt kurz inne, realisierte diesen Satz und dachte: Daf if ja einfach!

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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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Albatros99 Ach, hast du dich wieder prima an alte Zeiten erinnert! Und wenn ichs recht bedenke, sollte ich eine Fortsetzung über die Vor-, Vor-, Vorzeiten schreiben.
Blöd nur, dass die Kabel nicht bis an unseren A... der Welt gereicht haben, wir sind, wie so oft, eine Stufe vorher stehen geblieben. Naja, fällt unter die Rubrik "Museumsdörfer". Deinen Schreibstil liebe ich, herzlichen Dank dafür und einen sonnigen Gruß aus der Oberlausitz. Christine
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Christine,

erst mal besten Dank! Tu dir keinen Zwang an und klapper ruhig die Ursuppe ab, die vor der von mir geschilderten Ursuppe stattfand. Weiter zurückblicken kann ich ja eigentlich nicht wirklich. Da war halt das Telefon, und boom, ein paar Jahre später war plötzlich auch schon das Internet da. Wir waren in Sachen Telefonleitung halt auch ein Museumsdorf (schöne Formulierung).

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Cupator Das ist ja wohl die HÖHE! Da bemühe ich mich, als alter Sack diese Plattform zu verstehen, und dann kommen so junge Hüpfer daher und machen einen auf "weißt Du noch, damals"... Aber im Ernst, lieber Phanthomas, sehr lesenswert, sehr schön formuliert, weit besser als vieles, was so im professionellen Feuilleton daherkommt, prima beobachtet und erinnert, wenngleich für meinen Geschmack an der einen oder anderen Stelle einen Ticken zu flott. Aber um es mit Knorkator zu sagen: "Zum Glück bin ich ein alter Mann". Übrigens: ICH hatte die AOL-CD und bin immer noch Besitzer mehrerer AOL-Mail-Adressen. Und ich war mir nie so ganz im Klaren darüber, was eigentlich diese komischen Ziffern zur Übertragungsrate zu bedeuten hatte. Nur die Ahnung halt, dass manche Inhalte, sogar legale, für das Modem ein bisschen zu heftig sind. Was meine wirklichen Kindheitserinnerungen angeht, da müsste ich mich verbreiten über schweeeeere Bakelit-Telefone, deren Anschlussschnur fest in der Wand verankert war, und über den feinsinnigen Unterschied zwischen "Ortstarif" und "Nahbereich" und über verständnisvolle aber extrem langsam arbeitende Beamte des Fernmeldeamts. Und? Hat's mir geschadet? Ach, das beantworte lieber nicht.

Herzliche Grüße,

Cupator
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Cupator,

ja, etwas hastig war's wohl wirklich. Ich habe in den Text ehrlicherweise auch nicht mehr als eine halbe Stunde Aufwand gesteckt. Es war ja ein "Way-Back-Moment", und bevor der verflog, wollte ich alles zu Papier gebracht haben. Jetzt könnte ich den Text so auch nicht mehr wiedergeben. Aber hab mir auch schon gedacht, dass etwas mehr Fleisch der Sache ggf. gut getan hätte.

Das mit der Übertragungsrate war doch eigentlich immer ganz leicht: je höher die Zahl, desto besser, desto schneller der Download oder Seitenaufbau. Zumindest das hat sich nicht geändert. Tja, und die ganz dicken Telefone kenne ich gar nicht mehr. Wie schon irgendwo hier in den Kommentaren formuliert, wurden Telefonleitungen bei uns erst Anfang der 90er flächendeckend verlegt. Krass eigentlich, zumal mir das alles so lange her noch gar nicht vorkommt.

Viele Grüße & besten Dank
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Heidrun Ich habe das auch erlebt, mit dem einfachen Modem ohne DSL.
Dann gab es doch damals auch schon teilweise Flatrates, heute hat sie jeder!


Deine Heidrun
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Heidrun,

stimmt, die Flatrates gab es auch damals schon für Modems, etc. Die waren aber vergleichsweise teuer, und erst als ich die Rechnung in die Höhe getrieben hatte, konnte ich meiner Mutter gegenüber argumentieren, dass 'ne Flatrate sinnvoll wäre, weil es dann nicht mehr teurer war. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
JeanneDarc Köstlich, vor allem wo es mich an meine Zeiten erinnert als ich das Internet kennenlernte. Zu der Zeit konnte man das Internet noch gar nicht zuhause bekommen (auch nicht über Einwahlprovider) Als ich es kennenlernte nahm mich eine gute Freundin "illegalerweise" in einen eigentlich nur für Studenten vorgesehen Raum. Und dort surfte ich Tage, Wochen, Monate...nie bin ich aufgeflogen...und doch bin ich froh dass ich mir nun den Weg sparen kann und das Internet auch bei mir zuhause ist...
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo JeanneDarc,

da hast du dann was erleben dürfen, das nicht vielen vergönnt war. Selbst als das Internet dann für alle verfügbar war, dauerte es ja noch Jahre, bis der Spaß auch erschwinglich wurde.

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
JeanneDarc Ich weiss, irgendwann hatte ich ja dann auch mein 14K Modem, dann 28, dann 56 und dann das DSL...und jetzt bin ich bei DSL 6000 und das ist hier wo ich wohne (zumindest im Moment) das Ende der Fahnenstange...
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Ich wechselte seinerzeit auch noch von 28 nach 56K. Da war sogar noch so'n kleiner Speed-Trick drin, der irgendwie für einen schnelleren Upload sorgte. Gemerkt hab ich davon allerdings nie was. Na ja, dann hatten wir DSL 1000, DSL 6000, dann DSL 16000+, anschließend hatte ich VDSL 25.000 und nun Kabel-Internet mit 32.000 Kbit/s. Kontinuierliche Steigerung sozusagen, hihi.
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