Biografien & Erinnerungen
Erzähl doch mal - Ich hasse Freud

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"Erzähl doch mal - Ich hasse Freud"
Veröffentlicht am 01. September 2008, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Erzähl doch mal - Ich hasse Freud

Erzähl doch mal - Ich hasse Freud

Nie werde ich den Tag vergessen, als Werner das erste Mal vor mir stand, ein Einmannzelt auf seinem Rücken, breit grinsend hat er mir die Hand zum Gruße hingehalten. Ich stand im Gemüsegarten, wo ich gerade die letzten Bohnen pflückte, meine langen Haare zu Zöpfen geflochten, ein Stirnband um den Kopf geschlungen, so dass ich wahrscheinlich zumindest äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Indianerin hatte. Ich wünschte mir, ich hätte auch innerlich indianischen Kampfgeist besessen, dann wäre mir Werner erspart geblieben. Ich aber bin zur Höflichkeit und Mitmenschlichkeit erzogen worden. Da stand ich nun, wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und wusste nicht so recht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.

„Das ist Werner“, sagte Rolf: „Er weiß nicht, wo er übernachten soll, deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, bei uns im Garten zu zelten. Er zahlt auch 100 DM monatlich und bekommt dafür nur die Gelegenheit zum Duschen oder Baden und wird natürlich mit uns essen.“ „Na“, brummelte ich nur, denn ich war schon zu Beginn dieses Dilemmas von der Idee nicht wirklich begeistert.

 

Werner baute also auf dem Rasen hinter unserem Haus sein Zelt auf, ging dann ins Haus, um erst einmal ausgiebig zu duschen, fiel dabei über ein Spielzeug eines meiner Kinder und da hörte ich es zum ersten Mal: „Freud hätte jetzt gesagt…..“ Weiter kam er nicht, weil ich ihn vehement zur Seite schob und mit einem: „Ich muss mich um die Bohnen kümmern.“ In der Küche verschwand. Ich kümmerte mich also um die Bohnen, um meine drei Kinder und parallel dazu um die Zubereitung des Abendessens. Sicherlich wird es niemanden verwundern, dass Werner über einen sehr großen Appetit verfügte. Höflich, wie er war, wartete er, bis alle anderen Familienmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten und setzte sich dann erst auf den letzten freien Platz, das war eigentlich meiner, aber so richtig zum Sitzen sollte ich in der nächsten Zeit sowieso nicht mehr kommen.

Werner hatte sich also hingesetzt und fragte: „Was für Tee hast du denn im Haus?“ Tee? Bei uns gab es so gut wie nie Tee, weil jedes Familienmitglied seine eigenen Trinkgewohnheiten hatte: Mein Mann trank ausschließlich Cola, wenn er sich nicht doch für ein Bier entschied. Die Kinder tranken Milch oder Säfte und ich trank meistens Selters. Also sah ich meinen Mann bei der Frage nach Tee irritiert an. „Ich glaube, ich habe noch etwas schwarzen Tee“, murmelte ich, woraufhin Werner meinte, für heute würde es ja gehen, aber in den nächsten Tagen wünsche er dann doch eine größere Auswahl. „Dann musst du morgen eben Tee einkaufen“, erklärte mein Mann.

Ja, so fing das an, aber es sollte noch viel schlimmer werden. Nach und nach erzählte Werner uns von seiner Kindheit. Sein Vater war ein hohes Tier bei der Bundeswehr, der sehr viel Wert auf Reinlichkeit, Pünktlichkeit und andere menschliche Werte legte. Wenn Werners Vater abends nach Hause kam, dann hatte die Familie stramm zu stehen und Meldung zu machen. „Bei uns machen wir keine Meldung“, sagte ich. „Wir sind hier gleichberechtigt.“

„Das ist aber nicht gut“, konterte Werner zugleich: „Freud hat gesagt…..“ Da war er also wieder, dieser verhasste Satz, den ich in den kommenden Wochen immer wieder hören sollte.

 

Werner erklärte mir, dass er sich durch sein Psychologiestudium und durch das Halten von vier Katzen in einer Lübecker Dreizimmerwohnung gut vorstellen könne, mir bei der Kindererziehung unter die Arme zu greifen. Ich verzichtete dankend, erklärte ihm dass ich mit meiner Art, die Kinder zu erziehen ganz zufrieden sei und ich auch das Gefühl hätte, meine Kinder wären glücklich. „Aber Freud hat gesagt….“ kam es nun wieder einmal von ihm.

 

Schon nach drei Tagen hatte ich gelinde gesagt von Werner genug. Er mäkelte an allem, er mäkelte am Essen, an der Auswahl der Getränke, an meiner Haushaltsführung und vor allem an meiner Art, die Kinder zu erziehen. Schließlich dürfe ich nicht vergessen, dass Freud gesagt hat….

 

Dann fing es an zu regnen. In den ersten Tagen hatte Werner sich noch nach dem Bestimmen des Fernsehprogramms mit psychologischem Hintergrund – gab es zu Freuds Zeiten eigentlich schon Fernsehen, das ist mir neu – und nach einer ausgiebigen Abendtoilette in sein Zelt zurückgezogen. Nun aber stellte er recht bald fest, dass sein Zelt nicht wasserdicht war. Solange es nicht geregnet hatte, ging es ja noch, aber jetzt. Tropfnass stand Werner mitten in der Nacht in unserem Schlafzimmer und klagte uns sein Leid. „Kein Problem, meinte Rolf, die Jungs können zusammenrücken, dann kannst du in das eine Kinderzimmer einziehen.“  Gesagt getan, das schlafende Kind wurde zu seinem murrenden Bruder ins Bett gelegt und Werner kuschelte sich wie ein Kind in das Bett meines Sohnes ohne als Gutenachtgruß noch von sich zu geben: „Du kannst das Bett ruhig morgen frisch für mich beziehen.“ Ich hatte wahrscheinlich einen ziemlich finsteren Gesichtsausdruck, denn mein Mann flüsterte mir auf dem Rückweg ins Schlafzimmer zu: „Er zahlt 100 DM Miete, vergiss das nicht.“ „Aber“, setzte ich an, merkte dann, dass meine Argumente sowieso nichts bringen würden und ergab mich meinem Schicksal. Freud hätte jetzt wahrscheinlich gesagt: „Schmeiß ihn raus.“

 

Was die Miete anbelangt: Werner zahlte in den ersten drei Monaten pünktlich zum Ersten jedes Monats seine Miete, dann gar nicht mehr. Er blieb allerdings ungefähr ein Jahr bei uns. All die Mahnungen und Erinnerungen überhörte er mit freundlichem Lächeln, winkte ab und ging seiner Wege oder ins Bett. Das Geld haben wir nie gesehen.

Auch Werner haben wir nach dieser Zeit schon bald nie mehr gesehen. Erst bandelte er mit der Frau des Schuldirektors der Schule unserer Kinder an und bewegte diese dazu, sich von ihrem Mann zu trennen. Seine Frau durfte wahrscheinlich die Dreizimmerwohnung und die vier Katzen behalten. Wenig später klaute er die Kasse der Arbeiterwohlfahrt, seines Arbeitgebers, nahm seine Geliebte an die Hand und verschwand mit ihr auf Nimmerwiedersehen. Ich hatte mich schon vorher darüber gewundert, dass er ständig Teile seines kleinen Besitzes mit zur Arbeit nahm, aber abends nicht wieder mit zurückbrachte. Vielleicht habe ich mir auch meinen Teil gedacht und darauf gehofft, dass diese Geschichte recht bald ein Ende hat.

Während seines gesamten Aufenthaltes aber ließ er keine Gelegenheit aus, Freud zu zitieren, sei es, dass irgendwo im Haus Spielzeug herumlag, sei es, dass eines meiner Kinder mit den Fingern aß, sei es, dass ein Kind die Nase hochzog. In jeder Situation musste Freud herhalten. Immer und immer wieder, selbst dann, wenn ich versuchte, diese Ereignisse zu vertuschen, um nicht wieder einmal ein Freud-Zitat hören zu müssen, erklang es aus irgendeiner Ecke meines Hauses: „Freud hat gesagt….“

Wir haben diese Zeit überlebt, wir haben zu unseren eigenen Regeln und Formen des Zusammenlebens zurückgefunden. Ohne Werner war es merklich ruhiger, aber seitdem

HASSE  ICH  FREUD

 

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Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Chrissy55 Re: Re: Erzaehl mal -
Zitat: (Original von Chrissy55 am 03.09.2008 - 14:08 Uhr)
Zitat: (Original von sanktpauli am 03.09.2008 - 06:48 Uhr) Du meine Guete! einen Werner haette ich aber nicht so nah in meine Bude gelassen.

Das ist doch eine wahre Geschichte? oder?

Da bekommt man ja einen an der Klatsche bei so einem Ehemann.

Manni


Du sagst es, Manni, was ich mit dem alles erlebt habe, das glaubt mir sowieso keiner. Ich bin deshalb auch froh, dass ich mich von ihm getrennt habe.
Werner war schon eine irre Type. Nicht nur, dass er sich sicher war, aus Lübeck kommend mit seinem Zelt irgendwo Unterschlupf zu finden, nein, vor allem diese ständigen Freud-Zitate zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten. Seitdem kann ich den Namen Freud echt nicht mehr hören. Aber vielleicht ist Werner jetzt ja etwas weiter südlich, also pass bloß auf. :-)

Natürlich ist das eine wahre Geschichte, ich weiß nicht, ob man sich so etwas ausdenken kann. Ich jedenfalls habe es genauso erlebt.
LG Chrissy
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Chrissy55 Re: Erzaehl mal -
Zitat: (Original von sanktpauli am 03.09.2008 - 06:48 Uhr) Du meine Guete! einen Werner haette ich aber nicht so nah in meine Bude gelassen.

Das ist doch eine wahre Geschichte? oder?

Da bekommt man ja einen an der Klatsche bei so einem Ehemann.

Manni


Du sagst es, Manni, was ich mit dem alles erlebt habe, das glaubt mir sowieso keiner. Ich bin deshalb auch froh, dass ich mich von ihm getrennt habe.
Werner war schon eine irre Type. Nicht nur, dass er sich sicher war, aus Lübeck kommend mit seinem Zelt irgendwo Unterschlupf zu finden, nein, vor allem diese ständigen Freud-Zitate zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten. Seitdem kann ich den Namen Freud echt nicht mehr hören. Aber vielleicht ist Werner jetzt ja etwas weiter südlich, also pass bloß auf. :-)

Natürlich ist das eine wahre Geschichte, ich weiß nicht, ob man sich so etwas ausdenken kann. Ich jedenfalls habe es genauso erlebt.
LG Chrissy
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Chrissy55 Re: Freud.. -
Zitat: (Original von Christina_Maverik am 02.09.2008 - 10:31 Uhr) Gott bewahre uns vor solchen Mitessern !!
Humorvoll und mit Tiefgang in Worte gefasst. Das hat mich echt gefangen genommen. Sehr schön. LG Christa-tina
PS: Mein Pseudo ist mir schon so zur Gewohnheit geworden, daß ich fast vergessen, daß ich Christa heiße ;-))


Vielen Dank, Christa, das ist ja witzig, dass wir den gleichen Vornamen haben. Mir geht es mit meinem Pseudo allerdings ähnlich. Ich muss mich bei der Arbeit immer bös zusammenreißen, um nicht mit Chrissy zu unterschreiben.
Jaja, diese Mitesser oder Durchfresser. Der Typ war echt voll dreist, das kann ich dir sagen, aber eigentlich haben wir immer gern geholfen, wenn es möglich war. Hätte der nur Freud aus dem Spiel gelassen, dann hätte mich die ganze Angelegenheit vielleicht weniger genervt. Nur kann ich seit der Zeit keine Zitate von Freud mehr hören, denn dieser Typ war wirklich der Meinung, durch sein Studium und das Halten von vier Katzen Erziehungsberater spielen zu können, obwohl ich ihn nie darum gebeten habe. In alles hat der Typ sich eingemischt. Deshalb war mir zum Schluss auch die ausstehende Miete egal, Hauptsache er war weg mitsamt Freud.
LG Chrissy
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Christina_Maverik Freud.. - Gott bewahre uns vor solchen Mitessern !!
Humorvoll und mit Tiefgang in Worte gefasst. Das hat mich echt gefangen genommen. Sehr schön. LG Christa-tina
PS: Mein Pseudo ist mir schon so zur Gewohnheit geworden, daß ich fast vergessen, daß ich Christa heiße ;-))
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