Der Schneedektiv
Cordula wohnte in einem fünfstöckigen Haus. Jetzt in den Winterferien waren alle ihre Freundinnen und Freunde mit den Eltern in den Urlaub gefahren. Ihr eigener Vater war auf Montage und ihre Mutter arbeitete in der Nachbarstadt.
Sie war jetzt meistens alleine und dass machte sie traurig und einsam.
Doch am Morgen des vierten Januar war etwas anders als sonst. Cordula wachte an diesem Tag ziemlich früh auf, irgendein Geräusch hatte sie geweckt. Sie dachte nicht weiter darüber nach, denn sie musste erst mal auf die Toilette. Da Cordi nun schon
mal wach war, beschloss sie sich auch gleich zu waschen, anzuziehen und zu frühstücken. Nachdem sie etwas gegessen hatte, zog sie sich in ihr Kinderzimmer zurück. Als sie die Vorhänge aufzog, staunte sie nicht schlecht. Ein kleines Schneemännchen saß auf der Fensterbank und schaute zu ihr herein. Nachdem sie sich die Augen ein, zwei mal gerieben hatte und das Schneemännchen immer noch zu sehen war, nahm sie sich einen Stuhl, stellte ihn vor das Fenster und öffnete es vorsichtig.
Sie fiel fast hinten runter, als der Kleine plötzlich zu sprechen anfing.
„Ich bin Jonas“ sagte er mit pipsiger
Stimme.
„Wa wa was?“ fragte Cordula stotternd.
„Jonas, mein Name ist Jonas.“
Das Mädchen hatte sich wieder gefangen und äugte, sich vorsichtig nähernd, auf das Männchen.
„Ich bin Cordi“ murmelte sie leise und „wo kommst Du denn her?“
„Ich weiß nicht“ entgegnete Jonas traurig. „Gestern Abend war ich noch bei meiner Mama und vorhin, als ich aufgewacht bin, flog ich durch die Luft und bin hier gelandet. Kannst Du mir helfen meine Mama wiederzufinden?“
Cordula dachte kurz nach, dann streckte sie die Hände aus und nahm den kleinen Schneemann zaghaft von der
Fensterbank.
„Natürlich helfe ich Dir, aber wo sollen wir denn suchen?“ Sie schloss das Fenster und kletterte, darauf achtend, das Jonas nichts passiert, vom Stuhl.
„Ich weiß nicht“ antwortete Jonas und eine kleine Eiskugel rollte von seinem rechten, kohlenschwarzen Auge, über seine Wange.
Sie setzte sich, sah ihn an und überlegte.
„Wir werden deine Mama schon finden!“ beruhigte sie ihn und streichelt sanft über seinen Kopf. Erleichterung zeigte sich in seinem Gesicht.
Cordula holte ihre Stiefel und zog sie an.
„Bor hast Du es hier drin aber warm.“ stöhnte Jonas.
Cordi erschrak, denn ihr wurde mit einem mal siedend heiß bewusst, dass Schneemänner Kälte brauchen. Sie stand auf, ging schnell in die Küche und machte den Kühlschrank auf. Dann setzte sie den Kleinen vorsichtig auf den Glasboden des Gemüsefachs.
„Besser“ fragte sie.
„Besser“ antwortete er.
Dann holte Cordula eine kleine Schüssel von der Spüle und bestückte sie mit ein paar Eiswürfeln aus dem Gefrierfach.
„So, dass müsste reichen.“ sagte sie und setzte Jonas behutsam in die Schüssel. “Lass uns jetzt auf die Suche gehen.“ Sie
zog ihre Jacke an, verließ mit Jonas die Wohnung, fuhr mit dem Fahrstuhl aus dem vierten Stock nach unten und begab sich ins Freie. Sie blickten sich um, die Sonne schien, überall lag Schnee, doch weit und breit keine Schneefrau zu sehen. Cordi wandte sich nach rechts und lief bis zur Hausecke, wo sie fast mit Frau Klinkenbeutel aus dem fünften Stock zusammenstieß.
„Haben sie zufällig irgendwo eine Schneefrau gesehen?“
Die Nachbarin schüttelte den Kopf, schaute verwirrt auf die Schüssel und meinte nachdenklich „Schau doch mal drüben im Park, vielleicht dort.“
Cordi bedankte sich für den Tipp und
rannte rüber in den nahegelegenen Park.
Sie suchten und suchten und schließlich sahen sie, wie sich hinter einem Strauch eine große weiße Gestalt bewegte.
„Da, da!“ pipste Jonas aufgeregt. Cordi lief mit der Schüssel in der Hand auf den Strauch zu und umrundete ihn.
Sie blickten auf einen Schneemann der eine große karierte Kappe auf dem Kopf trug. Er hatte eine Pfeife im Mund, eine Lupe in der rechten Hand und stand auf einer Handkarre, die ein kleiner blonder Junge hinter sich her zog.
Enttäuscht hielt der kleine Schneemann seine kleinen Ärmchen vor die Augen und schluchzte.
„Was hat denn der Kleine?“ brummte der
Schneemann mit tiefer Stimme.
Cordula erschrak abermals, faste sich diesmal aber schneller.
Der blonde Junge lächelte, „keine Angst, das ist mein Freund Fredward, er tut nichts. Übrigens, mein Name ist Kevin.“
Cordula erzählte den Beiden von der Suche.
„Wir werden Euch helfen, nicht war Fredward?“ Dieser nickte bedächtig.
„Ihr müsst nämlich wissen, dass mein Freund ein Schneedektiv ist.“ und zu Jonas gewandt, „Er wird deine Mama schon finden.“
Cordi seufzte, „aber wir haben doch schon überall gesucht und rein gar
nichts gefunden.“
„Ich muss mir die Fensterbank ansehen“ stellte Fredward fest.
So zogen sie also los, um dort mit der Untersuchung des Falles zu beginnen. Als sie in der Wohnung ankamen, machte das Mädchen zunächst alle Fenster auf, damit es für Jonas und Fredward nicht zu warm war. Cordula nahm den Stuhl vor ihrem Fenster weg und Kevin schob den Schneedektiv direkt an die Fensterbank. Fredward beäugte alles haargenau mit seiner Lupe, die Fensterbank, den Rahmen, einfach alles.
Jonas war ganz nervös und konnte gar nicht erwarten, was der Schneemann herausfinden würde.
„Hast Du schon was entdeckt?“ fragte er leise.
Der Große räusperte sich.
„Wir müssen uns eine Übersicht von oben verschaffen, heißt wir müssen aufs Dach.“
Gesagt, getan. Nachdem alle Fenster wieder verschlossen waren verließen Sie die Wohnung und fuhren mit dem Fahrstuhl ganz nach oben, wo sich der Zugang zum Flachdach des Gebäudes befand. Aber vor der Ausgangstür war Schluss, sie war verschlossen. Cordula überlegte.
„Frau Klinkenbeutel ist vorhin nach Hause gekommen, die hat einen Schlüssel, ich geh ihn eben
holen, wartet.“ Sie drückte Kevin die Schüssel mit dem kleinen Jonas in die Hand und eilte die Treppe hinunter. Dieser Weg war schneller, denn die Nachbarin wohnte ja im obersten Stockwerk, also nur eine Etage tiefer. Das Mädchen klingelte und einen Moment später wurde die Tür geöffnet.
„Fau Klinkenbeutel, könnten sie mir bitte mal den Schlüssel für die Dachtür leihen, ich bringe ihn auch gleich wieder zurück.“
Die Frau zögerte, dann nahm sie den Schlüssel vom Schlüsselbrett und gab ihn ihr. „Was wollt ihr nur alle auf dem Dach? Gestern war mein Enkel auch
schon oben.“
„Ich - ähm - ich muss nur was nachgucken.“
„Okay, aber sei vorsichtig, da oben könnte es glatt sein.“
Cordi nickte, drehte sich um und lief wieder nach oben.
Bei den Anderen angekommen, entriegelte sie die Tür und öffnete sie.
Jonas seufzte und senkte sein Köpfchen, „das bringt doch alles nichts, ich werde meine Mama nie wieder sehen.“
Sie betraten die Dachfläche und sahen sich um.
„Na bitte.“ Zufrieden lächelte Fredward.
Der kleine Schneemann hob seinen Kopf
und seine schwarzen Augen fingen an zu leuchten.
„Mama.“ schrie er jauchzend „Mama.“
Gar nicht weit von ihnen entfernt stand eine Schneefrau auf dem Dach. Langsam drehte sie den Kopf und dann machte sich auch auf ihrem Gesicht riesige Freude breit. „Jonas“ rief sie, „mein Jonas.“
Kevin hielt Cordula die Schüssel hin. Sie nahm Jonas ganz langsam aus der Schüssel, ging hinüber und gab Jonas seiner Mutter in die Arme. Beide Schluchzten vor Glück.
Nun folgte auch Kevin mit Fredward im Schlepptau.
„Danke ihr Lieben, habt tausend
dank. Jonas ist mir heute Morgen aus den Armen geweht worden. Ich hatte einen Moment nicht aufgepasst. Hab mir fürchterliche Vorwürfe gemacht.“
Cordula lächelte, „Dass du Jonas wieder hast, hast du Fredward zu verdanken, er ist ein super Schneedektiv.“ Sie zeigte auf ihn. „Ich bin Cordula, das ist Kevin und wie heißt du“
„Charline ist mein Name.“
Alle waren Glücklich. Fredward blieb noch eine ganze Weile bei Charline und Jonas. Sie verstanden sich nämlich prächtig.
Cordulas Langeweile war endlich vorbei, denn sie hatte neue Freunde
gefunden. Vor allem die Zeit, die sie von nun an mit Kevin verbringen würde, versprach wunderbar kurzweilig zu werden...
Ende