Gedichte
Schicksal

Ich weiß, dass ich ein kommunikativer Mensch bin,

das liegt in meiner Natur so drin.

So kann es ohne weiteres geschehen,

dass völlig fremde Menschen neben mir stehen,

dann aber plötzlich irgendwann

fangen wir zu reden an.

Meist sind es nur Banalitäten

wie: Die Bahn wird sich wieder verspäten.

Das Wetter wird oft durchgekaut,

Politik, die uns den Alltag versaut.

Aber oft ist es mir auch geschehen,

dass die Menschen in ihre Tiefe gehen,

dass sie mir von ihren Problemen erzählen,

von Dingen, die sie tagtäglich quälen,

vom kranken Kind, vom ungeliebten Mann.

Ich höre mir ihre Probleme an.

Ich reagiere, nicke hier und da.

Ganz langsam wird mir dabei klar,

dass ich diesen Menschen wichtig bin,

denn endlich hört einmal jemand hin.

Die Abspannung fällt von ihnen ab.

Ich sehe zur Uhr, die Zeit wird knapp.

Nur wenige Minuten noch, die Bahn fährt ein,

dann muss dieses Gespräch beendet sein.

Wie ungern lasse ich diesen Menschen allein.

Am nächsten Tag ging ich zur Bahn.

Diesen Menschen traf ich nicht mehr an.

Voll Sorge habe ich gedacht,

habe ich wirklich alles richtig gemacht?

Habe ich diesem Menschen den Halt gegeben,

den er gebraucht hat für sein Leben?

Hätte ich noch länger bleiben sollen?

Hätte sie noch mehr erzählen wollen?

Später dann habe ich in der Zeitung gelesen,

ihr Tod, das ist ein Selbstmord gewesen.

Sie kam mit dem Leben nicht mehr zurecht.

Mir ging es die nächsten Tage wirklich schlecht.

Ich fragte mich, was wäre geschehen,

hätte ich nicht auf die Uhr gesehen?

Hätte ich mir für sie mehr Zeit genommen,

wäre dieser Selbstmord dann nicht gekommen?

Ich war schon so nah an ihr dran.

Habe ich wirklich genug getan?

Habe ich zu sehr an mich selbst gedacht?

Ich fühlte mich, als hätte ich sie umgebracht,

als hätte ich etwas falsch gemacht.

Das Schicksal, dieses sag ich mir,

schlägt irgendwann an jede Tür.

Ich glaube, ich kann nichts dafür,

dass sie ihr Leben beendet hat.

Sie hatte es ganz einfach satt.

Und dennoch sehe ich das Gesicht.

Es tut mir Leid, ich half dir nicht.

Ich stehe mit dieser Schuld allein.

Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.