Nina George, Bestsellerautorin („Das Lavendelzimmer“), Schriftstellerin und Journalistin, geboren 1973, veröffentlichte seit 1992 etwa 24 Romane, Krimis, Science-Thriller sowie ca. 90 Kurzgeschichten und über 500 Kolumnen. „Das Lavendelzimmer“ ist seit Juni 2013 ununterbrochen unter den Top Ten der SPIEGEL-Bestsellerliste und wird in ca. 12 Sprachen übersetzt.
Ihr Pseudonym Anne West gilt als erfolgreichste deutschsprachige Erotika-Autorin. Für den Roman „Die Mondspielerin“ wurde George mit der DeLiA 2011, dem Literaturpreis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, ausgezeichnet. Mit dem Wendekrimi „Das Licht von Dahme“ war George 2010 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Sie gewann ihn 2012 mit „Das Spiel ihres Lebens“. George gründete 2011 mit Angela Eßer die Initiative „JA zum Urheberrecht“.
George ist Mitglied im Syndikat, bei den Mörderischen Schwestern, im Verband deutscher Schriftsteller, dem PEN, der Gedok, Pro Quote, DeLiA und bei den BücherFrauen. Sie vertritt deutschsprachige AutorInnen als Deputy-Vicepresident im Vorstand des Three Seas Writers’ and Translaters’ Council.
Sie arbeitet als Textdozentin, Restauranttesterin sowie als Moderation und Rezensentin.
Nina George ist mit dem Schriftsteller Jens „Jo“ Kramer verheiratet und lebt im Hamburger Grindelviertel. Im Herbst 2013 erscheint von Kramer und George der erste Provencekrimi unter dem gemeinsamen Pseudonym Jean Bagnol.
Klar, obligatorische Frage: Wie hat das bei dir mit dem Schreiben begonnen? Gibt es einen Zeitpunkt in deinem Leben, von dem du sagen würdest: „Von da an war ich Autor/Schriftsteller“?
Diese beiden Zeitpunkte unterscheiden sich. Ich habe das fiktionale Schreiben am 14.11.1987 begonnen – als ich meine Teenager-Tagebücher frisierte und mit Erlebnissen spickte, die ich so nicht gehabt hatte.
Mein Teenagerleben war geprägt von unglaublich viel Lesen, selbst gewähltem Alleinsein und Vor-mich-hin-Denken. Ich begann also, fiktional zu schreiben und die Realität erstmals bewusst umzubiegen, oder, höflich gesagt: zu verdichten. Das war der Vorläufer meines heutigen Erzählens. Kunstvolle Lügen aus der Wahrheit stricken.
Professionelles Schreiben habe ich ab 19 gelernt, als ich als Jungredakteurin bei der höchst intellektuellen Zeitschrift „Penthouse“ in München am Isartor engagiert wurde. Ja, genau, das Heftchen mit den SO tollen Reportagen und SO spannenden Interviews zwischen den quasi völlig unnötigen nackten Damen … (Ironie off). Hier habe ich vieles gelernt, was eine Berufsschreiberin braucht: Schnell, präzise, unter Druck arbeiten. Recherche, Wortwitz, Verknappung. Textaufbau, Szeneneinstiege, Farbe, Geschmack und Duft in den Text bringen. Und vor allem: Nicht für mich schreiben. Sondern für einen Empfänger. Das ist eine Grundeinstellung, die dringend nötig ist für den Job.
Aber: Als Schriftstellerin habe ich mich selbst erst nach etwa einem Dutzend bei Knaur veröffentlichten Sachbüchern (unter Anne West) und mehreren Romanen bezeichnet. Vorher war mir das zu „groß“ und ich viel zu klein! Schriftsteller, das waren Leute wie John Irving, Stephen King oder Enid Blyton. Nicht ich. Günter Grass übrigens auch nicht: das war ein Mahner und Ich-Autor, so wollte ich auf keinen Fall sein.
Als ich dann genügend Geschichten erzählt hatte, und selbst Menschen zum Weinen, zum Lachen oder zum Davonträumen gebracht hatte, da erst konnte ich mich als „Guten Tag, ich bin Schriftstellerin“ vorstellen. Das war tatsächlich erst nach „Die Mondspielerin“ der Fall, also knapp 2010. Ich habe nur 18 Jahre gebraucht, um mich nicht als Hochstaplerin neben King und Co. zu fühlen.
Siehst du dein Schreiben heute mehr als Hobby oder mehr als Beruf? Gibt es da überhaupt einen Unterschied für dich?
Es gibt riesige Unterschiede zwischen Berufsschreibenden und Hobby-/Freizeit-/Gelegenheits-/Aus-Lust-und-Freude-Schreibenden.
Die Ersteren müssen ihre Zeigelust, ihre Selbstverwirklichung, ihre Fabulierlust zurückstellen, und sich auf ein kränkendes, desillusionierendes, risikovolles Erwerbsleben gefasst machen. Berufsschreibende, die Geld mit Erzähltexten oder anderen Werken aus Buchstaben machen wollen, sehen sich immer konfrontiert mit einem Markt, ganz gleich, wie dieser funktioniert – ob mit Verlagen oder SP. Und ganz gleich ob Literatur- oder Presse- oder Bloggerbranche.
Da wird auf einmal das ursprünglich „kreative“ Schaffen zu einer Dienstleistung, an der auch Erwartungen hängen, was Qualität, Machart und Verkäuflichkeit angeht, und in die sich auf einmal Leute einmischen.
Berufsschreibende müssen sich auch immer mit der Frage auseinandersetzen: Was für ein Autor möchte ich sein? Einer, der "was zu sagen“ hat? Ein „Unterhaltungskünstler“? Einer, der sich amüsieren will bei seinem Tun? Wie sehr kann ich auf Themen und Verlagswünsche reagieren, ohne mich selbst dranzugeben? Wie entwickele ich meine Stimme? Wie lesefreundlich kann ich schreiben, und was ist „der Leser“ überhaupt für ein unbekanntes Wesen? Wie gehe ich mit Kritik und Feedback aus Lektorat, Leserschaft oder von meinem Lebenspartner um? Wie verdiene ich Geld, ohne jemandem auf der Tasche zu liegen, welche Geschichten will und kann ich jetzt mit 30, später mit 60 erzählen?
Für mich ist das Schreiben mein Beruf; ich bin seit einundzwanzig Jahren Autorin und Journalistin, für das Reale wie das Fiktionale. Ich sehe mich als 24-Stunden-Vollzeitschriftstellerin, die in allem eine Story wittert, ein Gefühl, ein Thema. Sogar im Schlaf, wenn ich träume. Das ist nicht sonderlich romantisch, das ist auch nicht glamourös – aber es ist definitiv zu spät, ein anderes Leben zu beginnen. Ich schreibe, und jedes Schreiben ist ein Weiterlernen, Üben, Feilen.
Manchmal wünsche ich, dass ich öfter mal was nur „für mich“ schreibe, was kein Mensch je sieht oder gar kauft. Ich habe hier eine kostbare Kladde mit Kurzgeschichten, immer nur eine Seite lang, Bleistift auf Papier, einzigartig und fragil. Das ist mein Erholungsort, eine Insel des Nicht-Müssens, Nicht-Überarbeitens, etwas, was ich aus schierer, sinnlicher Lust schreibe. Leider viel zu selten.
Welche drei Dinge haben dich deiner Meinung nach auf deinem Weg als Autor am meisten vorangebracht?
Gab es vielleicht auch einen „Fehler“, eine „Schwäche“, die du erkannt und abgestellt hast, um in deinem Sinne als Autor erfolgreicher zu sein?
Ich habe den Fehler abgestellt, zu denken, dass man nur einfach Fehler abstellen muss, um Erfolg zu haben.
Ich weiß zum Beispiel, dass ich streng kürzen muss in meinen Texten. Ich habe meinen Hang zur Überlänge und Reflektion abgestellt. Na, ja. Nicht immer. Siehe Antworten oben, sind ja auch schon wieder einen Tick zu ausufernd.
By the way – was bedeutet für dich persönlich Erfolg in deiner Autorenkarriere?
Das wandelte sich im Laufe der zwei Jahrzehnte. Am Anfang war Erfolg für mich, wenn ich in den einschlägigen Feuilletons besprochen würde. Später war mir das wurscht, da war Erfolg das Geld auf dem Konto. Heute sage ich, Erfolg ist das, was mir jeweils für einen Roman besonders wichtig ist. Natürlich, jetzt auf der SPIEGEL-Bestsellerliste auf Platz 4 zu sein, ist Wahnsinn, Magie, kostbar, es ist wirtschaftlicher Erfolg, Erfolg bei den LeserInnen, es ist das Gefühl, erstmals „angekommen“ zu sein bei der Strampelei.
Aber mehr als „Erfolg“ empfinde ich es, wenn LeserInnen mir schreiben, dass sie sich berührt fühlten. Getröstet. Amüsiert. Geheilt. Das ist für mich „Erfolg“ – ich bin also doch eine Erzählerin geworden, die Menschen ganz nah ist. Dass ich so nah kommen kann, mit meinen Worten, tausendfach gesucht, überarbeitet, gekürzt, gefühlt, verworfen, neu benutzt: DAS ist es, worauf es mir ankommt.
Glaubst du eher an schriftstellerisches Talent oder Handwerk?
Das eine geht nicht ohne das andere. Talent jedoch reicht nie, um die langen Strecken durchzuhalten – es ist der Funke, der die Disziplin wachhält, an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten und sie auszuformen. Es gibt so unendlich viele Erzähltechniken! Dramaturgie. Figurenentwicklung. Sprache, Recherche, Stilebene, Perspektive, Witz, Tempo, Dichte, Wortwahl. Das kann man nicht aus dem Stand, das muss man üben. Lesen hilft sicher dabei, aber auch das ersetzt das Üben und Überarbeiten nicht.
Nein, ich glaube nicht an den musengeküssten Autor oder die Autorin, die von Natur aus begabter ist als andere; ich halte sogar Talent für ein bisschen zu überbewertet in unseren Breiten. Dieser Glaube täuscht nämlich darüber hinweg, was AutorInnen sich alles aneignen über die Jahre, um wirklich gute und gut geschriebene Bücher zu schaffen.
Aber: Ich glaube daran, dass manche Persönlichkeiten aufgrund ihrer Empathie, Geduld, Fantasie und ihres Innenlebens fähiger sind als andere, dies zu nutzen, um GeschichtenerzählerIn zu werden. Andere prokeln lieber an Motoren oder Zahlen herum, die Schreibenden lieben es, die Welt einfach durch ihren Geist und ihre Gefühle zu filtern und neu aufzubauen.
Hattest du Hilfe auf deinem Weg? Welche Möglichkeiten für einen angehenden Autor, von anderen zu lernen, kannst du besonders empfehlen?
Ja und nein. „Hilfe“ hieß oft auch: Wege zur Selbsthilfe, zur Selbstausbildung.
Ich hatte gute, wichtige AusbilderInnen im journalistischen wie fiktionalem Bereich. Aber bis heute ist es zum Beispiel so: Ich suche mir meine Kritiker selbst. Wenn ich stocke, hake, unsicher bin, dann möchte ich nur von zwei sorgsam ausgewählten Beta-LeserInnen respektive Script-Doktoren nur ganz bestimmte Sachen wissen. Zum Beispiel: Wo ist die Länge? Ist die Figur glaubhaft oder gekünstelt? Versteht man, was ich meine, ist der Humor zu breitbeinig? So etwas. Das kann nicht jeder, muss auch nicht. Die meisten Nicht-Schreibenden urteilen intuitiv, nach eigenem Geschmack und Lese-Erfahrung. Sie können nur ihre einzelne Meinung abgeben, aber nicht unbedingt konkrete Schwächen im Text benennen oder gar Hilfestellung leisten.
Ich kann nur jedem empfehlen, seine/ihre Texte nicht jedem zu geben. Vor allem nicht gut meinenden Freunden, die eh alles loben, oder die geschmäcklerisch urteilen. Das macht keinen Sinn.
Drei wichtige, autodidaktische Maßnahmen:
Lesen. Schreiben. Überarbeiten. Vor allem das Letztere. Kein Mensch schreibt druckreif, und jedem und jeder kann ein guter Lektor die Story extrem verbessern.
Und die drei wichtigsten Lehrhilfen:
Und welche Ratschläge hinsichtlich des Schreibhandwerks findest du für angehende Autoren besonders wichtig? Was sollte man unbedingt versuchen, was unbedingt vermeiden?
DO:
Es lohnt sich, mal im Drehbuchbereich herumzuschnüffeln. Was genau hat das Sieben-Sequenzen-System für einen Vorteil? Was sollte den Figuren bis zum Ende des zweiten Aktes am allerschlimmsten passiert sein? Wie oft sollte was passieren – alle zwei, drei oder zehn Seiten? Dramaturgie und Plotaufbau gehören zur „Grundschule“ des Handwerks. Und sind gleichzeitig eine Kunst, die jeder Schriftsteller bis zu seinem letzten Buch ständig übt und verfeinert.
DO NOT/TU DAS NICHT:
Was braucht es deiner Meinung nach, um als Autor zu einer Verlagsveröffentlichung zu kommen? Welchen Weg schlägst du vor?
Es gibt zurzeit 9000 praktizierende SchriftstellerInnen in Deutschland, respektive 43.000 Wort-Arbeiter, die bei der KSK gemeldet sind – also womöglich sowohl Schriftstellende als auch Journalisten, PR-Texter, Drehbuchautoren usw.
Dagegen stehen 2200 Verlage, die 12.000 deutschsprachige Neuerscheinungen belletristischer Art (Romane) im Jahr herausbringen (und 13.000 Übersetzungen, also 25.000 neue Romane/Jahr). Sprich: 2000 neue Romane im Monat, eintausend von hier. Davon kommen nur 20 bis 50 in eine etwas höhere Aufmerksamkeitsschicht – über die Bestsellerlisten, das Feuilleton, als Forumslieblinge.
Der Taschenbuchmarkt wird sich weiter verkleinern, schon jetzt ist er um 10 Prozent eingesackt.
Um diese Törtchenteile bewerben wir uns also, die etablierten AutorInnen wie die NeuautorInnen.
Noch mal konkreter:
Bei einem größeren Verlag wie „meinem“ Droemer Knaur Verlag werden 450 Bücher im Jahr publiziert, davon ein üppiges Drittel Belletristik, etwa 150 bis 180 Romane, Neuerscheinungen wie auch Taschenbuchausgaben. Droemer Knaur hat bereits viele etablierte AutorInnen, die auch nach einem Flop nicht gleich geschasst werden, sondern noch ein bis zwei weitere Versuche frei haben. Also mindestens zwei Saisons, in denen auch kein Debütautor diesen Programmplatz einnimmt.
Unverlangt eingesandte Manuskripte im Jahr erhält Droemer Knaur: 6000. Sechstausend!
Körbeweise Seiten, die kein Mensch wirklich liest, obgleich der Verleger zweimal im Jahr eine „Massenlesung“ im Verlag organisiert. Bisher ist etwa alle sieben Jahre mal ein Buch aus den Einsendungen herausgefischt und veröffentlicht worden; es wurde allerdings extrem erfolgreich und ist den meisten bekannt.
Dieser Weg also, der höflich nette Brief an niemand Bestimmten, das ausgedruckte Manuskript in der 2,40-Euro-Posttüte: Nein, dieser Weg verspricht vor allem Frustration.
Nun hat Droemer als einer der wenigen Verlage schon vor Jahren das Portal „neobooks“ installiert, wo NachwuchsautorInnen online Texte einstellen und bewerten lassen können. Ein „Monatsgewinner“ wird vom Lektorat genauer beäugt, und, wenn der Autor nicht lektoratsresistent ist – einige reagieren schon etwas perplex, wenn es heißt: „Gutes Buch. Wir könnten es aber besser machen, und zwar so …“ – dann findet er auf diesem Weg in den Buchhandel und den Literaturmarkt. Dieses Projekt war lange einzigartig, inzwischen haben sich z. B. Lübbe mit ihrer Academy ebenfalls etwas ausgedacht, um an die neuen, unentdeckten (kostengünstigen) Talente zu kommen.
Neobooks ist sicher erfolgsversprechender als das berühmte „unverlangt eingesandte Manuskript“.
Und wenn es das trotzdem sein soll, dann bitte vorher das Verlagsprogramm anschauen, ob der Traumverlag überhaupt Krimi oder Dark Romance oder Sachbücher über Angeln und Meditieren führt. Die meisten scheitern an der simplen Tatsache, dass das Thema des Manuskriptes nicht mit dem Programm des Verlags zusammenpasst.
Und dann wäre noch der klassische Weg: Bewerbung bei einer etablierten Literaturagentur, und zwar mit Exposé und Probeseiten.
80 Prozent (!!!!) aller erschienenen Belletristik auf dem deutschen Markt seit 2003 wurde von Agenturen vermittelt.
Das spricht für das Konzept. Auch wenn einige Verlage es nach Möglichkeit vermeiden, Agenturware zu kaufen; dazu gehört Diogenes, und, bis zum Weggang von Günther Berg, auch Hoffmann und Campe.
Agenturen übernehmen Akquise, Verhandlung und Vertragliches, und werden im Erfolgsfall mit 15 % von Vorschuss und Tantiemen entlohnt.
Manche arbeiten inhaltlich am Manuskript, andere spezialisieren sich auf Verhandlungen oder bestimmte Genres. Einen famosen Überblick bieten u. a. die Uschtrin-Autoren-Handbücher oder das Montségur Autorenforum.
Doch auch die literarischen Agenturen sind heute oft schon dicht mit AutorInnen; wo früher Tore offenstanden, um Talente zu entdecken, sind sie nun zu Fensterchen geworden, durch die man sich selbst oft nur mit Empfehlung hineinquetschen kann.
Mehr AutorInnen, als man ahnt, haben auch einen ganz eigenen Weg, wie sie zum Verlag – oder der zu ihnen – gekommen sind.
Sie haben einen Förderpreis mit einem unveröffentlichten Text gewonnen, und ein Verlag aus derselben Stadt findet das spannend. Sie haben an Schreibwettbewerben im Internet teilgenommen, und ein freischaffender Lektor oder Agent meint: Da geht noch mehr! Sie haben in einem ganz anderen Bereich gearbeitet, sich aber mit Texten profiliert (Radio, Festschrift, Theater), und werden angesprochen, ob sie nicht mal mehr schreiben könnten? Sie gewinnen bei einem Kurzkrimiwettbewerb, und der Gewinn ist ein Vertrag. Oder sie nerven zehn Jahre lang alle Agenturen, bis eine sagt: Herrje, nun her damit! Sie faxen einem Kleinverlag ein hervorragendes Exposé und knallen den Geschäftsführer damit so an, dass er das Experiment Debüt mit ihnen wagt.
Und natürlich: Sie haben sich selbst online publiziert oder, wie Nele Neuhaus, als BOD und POD, und wurden dann im Nachhinein von den Verlagen eingekauft.
Wäre für dich aus heutiger Sicht Selfpublishing generell oder in bestimmten Fällen eine Alternative oder sogar mehr? Wo liegen die Vorteile, wo die Nachteile gegenüber einem klassischen Verlag?
Solange es Online-SP ist, sehe ich das mit einem gewissen Optimismus. Dringend abraten möchte ich von Zockern wie den Pseudoverlagen, die mit sog. „Druckkostenzuschüssen“ die AutorInnen ausnehmen wie die Truthähne.
Aber jetzt zum pro/contra.
PRO VERLAG:
Ein Verlag zahlt dem Autor einen Vorschuss (Debüts je nach Verlagsgröße und Hoffnung auf das Buch zwischen 1500 und 15.000 Euro; Sachbücher erfahrungsgemäß mehr, Kinder-/Jugendbücher weniger), besorgt außerdem Lektorat, Druck, Korrektorat, Cover, Marketing, Presse, Veranstaltungsorganisation, und, das Allerwichtigste: Vertrieb.
Das schönste, beste und wichtigste Buch der Welt nützt nichts, wenn es nicht an die LeserInnen kommt. Zusammen mit den Buchvertretern, dem stationären Buchhandel und der Post hat die Verlagslandschaft in Deutschland ein unschlagbares Vertriebsnetz.
Die Vertreter stellen die Bücher den Buchhändlern vor, diese empfehlen es ihren Kunden. Bis heute ist es noch so, dass das Gros der Buchkäufer in Deutschland ihre insgesamt 380 Millionen (!) Bücher im Jahr durch Empfehlung des Buchhändlers oder der Freundin einkaufen. Danach folgen Impulskäufe und Käufe aufgrund von Rezensionen. Social media spielt nur – je nach Genre und Alter der Leserschaft – zu 5 bis 15 % eine Rolle. Der e-Bookmarkt ist zudem (noch) übersichtlich und zeigt bereits Anzeichen von Sättigung; es werden von einem Roman zwischen 2 und 20 Prozent Ebooks verkauft. Die Frage für den Indie-e-Book-Autor ist dann: Wie komme ich an die 80 Prozent Papierleser ran mit meiner Arbeit?
Ich würde meinen Verlag nicht missen wollen. Denn ein Buch ist ja noch lange nicht fertig, nur weil ich den letzten Punkt gesetzt habe, und der Prozess des Literaturmarktes auch nicht, nur weil es erhältlich ist! Es zu veredeln, lesefähig, fehlerfrei, gut, verkäuflich, schön zu machen, zu vertreiben, überallhin, an jeden, ob digital oder auf Papier oder als Audio-Datei; dafür zu werben, Lizenzverhandlungen geschickt zu führen, es ins Ausland oder an Filmanstalten vertragssicher zu verkaufen, Hörbuch- und Clublizenzen zu verhandeln, Lesezirkel bestücken, Veranstaltungen organisieren, eine Webseite halten, Fotos machen, außerdem gegen E-Book-Piraterien mit einer Kanzlei und moneypower angehen: Das sind Leistungen, bei denen vertraue ich wirklich komplett auf Profis, und sie finanzieren sich komplett durch eine verlergisch kluge Mischkalkulation.
Ein Verlag wird AutorInnen also immer mehr liefern, als einer je allein beherrschen (und bezahlen) könnte; der Verlag ist ja (auch) Anwalt, Agent, Lektor, Veranstaltungsmanager, Vertriebler, Grafiker, Setzer, Kreditgeber, Öffentlichkeitsarbeiter, Sekretär, Buchhalter, Anbieter, Backlisthalter, Messen-Gastgeber, Übersetzer … in einem.
CONTRA VERLAG:
Das Cover ist mitunter furchtbar, die Redakteurin mag das Buch nicht und redigiert es halbherzig oder „formatgerecht“ und baut zielsicher tumbe Adverbien oder Mumienmetaphern ein, das Marketing und die Presse haben keinen Etat, die Programmmacher machen daraus einen „me too“-Titel anstatt etwas Eigenes oder halten AutorInnen trotz anständiger Auflagen klein und vergessen sie irgendwo in der B- und C-Programmauffüller-Reihe. Und das Schlimmste für viele AutorInnen: Verlage sagen auch mal Nein, das will ich nicht. Das ist zwar üblich, aber trotzdem nicht schöner. Manche finden außerdem, mit den Prozenten zwischen 6 bis 12 vom Ladennetto entginge ihnen was. Dabei bekommt keiner in der Kette mehr – nicht mal der kleine Buchhändler nach Abzug aller seiner Kosten. An einem Buch teilen sich ein Dutzend Beteiligte Cents und Euros (und reinvestieren es in Leistungen für AutorInnen, siehe Absatz zuvor). Die Veröffentlichung dauert sehr lang, kann nicht flexibel auf Themen reagieren.
PRO ONLINE-SP:
Es gibt mehr Geld, so hört man doch; zwischen 30 und 70 Prozent vom Verkaufserlös, je nach Anbieter, und je nach (Knebel)Bedingungen. Die Veröffentlichung geht schneller, man kann auch einen Beautiful-Desaster-Nachahmer sofort nach dem Schreiben hochschießen, statt ein Jahr zu spät zu kommen. Die AutorInnen sind unabhängig von der Auswahl und den Programmen des Verlags und können neue Genres und Themen erschließen, neue Preispolitik gestalten und so auch den einen oder anderen Ausnahme-Bestseller generieren, siehe Shades of Gray. Auf diesen Ausnahmen gründen sich oft Hoffnungen – dabei ist dieses Werk ebenso eine Ausnahme wie jeder Bestseller im Printbereich. Es gibt sie überall, sie sind aber kein Indiz für den besseren oder schlechteren Weg!
CONTRA ONLINE-SP:
Noch ist es so, dass unter geübten Viellesern (immerhin 20 Prozent; sie lesen etwa 50 Bücher im Jahr und gehören zur umschwärmtesten LeserInnengruppe) der Glaube existiert: Es verlegen sich vorwiegend jene selbst, die ein Verlag nicht wollte.
Aus welchem Grund auch immer: ob mangelnde Qualität, zu schräges Thema oder manchmal auch, weil es nicht Besonders genug ist, trotz guter Machart. Ja, auch gute Bücher werden von Verlagen abgelehnt, meist, weil es sie zu oft gibt. Zu viele gute Frauenschicksale, Krimis oder Liebesromane, aber der Markt ist gesättigt, sorry, und viel Erfolg noch für die Zukunft.
Dieses Image des „Abgelehnten“ muss erst mal überwunden werden. Dazu tragen sicher solche tollen Organisationen wie Qindie bei. Und andererseits bestätigen es die vielen zusammengestoppelten Allerlei-Romane, die oft noch Nachahmer oder gar Plagiate sind (siehe das Holunder- und Champagnerküssen-Gate, wo die SP-Autorin Gercke munter copy-paste bei Bestsellern betrieb, um ihre E-Book-Romane zusammenzuklöppeln).
Der Markt ist nicht unbedingt offener als der Printmarkt – um genau zu sein, ist er riesig, unübersichtlich und von 0-Euro-E-Book-Aktionen verseucht, die die Top-Ten-Listen verstopfen, an denen sich die meisten LeserInnen immer noch orientieren.
Abertausende Neuerscheinungen überschwemmen die Portale, und kaum jemand weiß, wo er wie die guten finden soll.
Ein SP-E-Book-Pilot, der Empfehlungen sichtet und ausspricht, wäre hilfreich (oder ein neuer Berufszweig?). Portale, die ein Qualitätsmanagement sicherstellen oder darauf achten, dass Bram Stokers Dracula nicht als „The Old Vampire and the young Lady“ als neu verkauft wird (wie in den USA bei Amazon mehrfach geschehen: Klassiker wurden mit neuen Titeln als angeblich neue SP-E-Books verscherbelt).
Sogar Rezensionen sind heute käuflich, und Like-Klicks schneller für 15 Dollar in Indien bestellt, als man „Wahlbetrug“ ausspricht: Wem also soll man/frau im Web vertrauen? Die Leser scrollen und suchen sich ja irre, wie kann man ihnen helfen, ohne sich dabei anzubiedern mit Marktgeschreie? Mundpropaganda läuft hervorragend im Netz; aber erreicht eben auch nur die 10 bis 20 % der möglichen LeserInnen. Die restlichen potentiellen 80 % laufen da draußen rum und hätten gern ein Buch aus Papier.
Dann: Wer ein lesefreundliches Werk feilbieten will, kommt um ein Lektorat und Korrektorat nicht herum. Das kostet extra, ab 2000 Euro, wenn es gut sein soll. Dito das Selbstmarketing, sprich, all die künftigen LeserInnen auf sich aufmerksam machen. Das kostet Zeit, aber auch Geld – die Werbeplätze auf den einschlägigen Buchportalen sind nicht gratis zu haben. Was außerdem wegfällt sind die Verlagsleistungen wie sämtliche Lizenzverhandlungen, Veranstaltungsmanagement, Pressearbeit, Printvertrieb, Briefing und Bestückung von Vertretern, Buchhändlern oder TV und sonstigen Partnern.
Mein persönliches FAZIT:
Ich verstehe, warum AutorInnen sich online selbst publizieren, und halte es für ein wichtiges Instrument, um die Literatur weiterzuentwickeln, auch was Formen und Interaktion angeht. Ich würde es vielleicht ja auch tun, um mich auszuprobieren, um Feedback zu sammeln, um mal eine verrückte Idee in die Welt zu werfen.
Dennoch: Ich würde mich immer nach einem schönen, lebendigen Verlag sehnen. Und nach all dem, was er mir bietet. Unterm Strich hält dieser für etablierte wie für Nachwuchsautoren mehr Service, mehr Vertrieb, und die zurzeit bessere Qualitätsproduktion in allen Bereichen vor. Ich würde mich auch jetzt, als Erfolgsautorin, nicht selbst verlegen und auf meine „Marke“ setzen: Das wäre für mich Verrat am Solidarsystem Literaturmarkt. Denn ab einer gewissen Auflage spült ein Bestseller Geld rein, von dem der Verlag in Nischenthemen und NeuautorInnen investiert. Weil ich mich jetzt gut verkaufe, wird Droemer Knaur ein, zwei neue Projekte wagen. So, wie einst Simmel Geld reinspülte, und man sich mich als „Neue“ leisten konnte – so kann ich es jetzt zurückzahlen. Ich denke in Sachen Buchmarkt eher in Wir als in Ich. Ist das auch eine Macke?
Und abgesehen davon: Ich liebe es, ein Buch in die Hand zu nehmen. Es zu öffnen. Und an ihm zu riechen. Ich werde immer ein Papierjunkie sein.