Ende. Endlich. Welch erlösendes Wort, hat man doch glücklich einen Schlusspunkt unter sein Werk gesetzt, an dem man viele Tage, Wochen oder gar Monate geschrieben hat. Es hat Spaß gemacht, aber es war auch harte Arbeit. Und schließlich konnte man es kaum noch erwarten, die Geschichte unter die Leute zu bringen. Je nachdem, was man sich vorgenommen hat, wird das Manuskript nun eingetütet und an Verlage und Agenturen versandt oder aber bei einem Publishing-Dienstleister gleich welcher Art in Stellung gebracht.
Gut, einmal drüberlesen könnte man schon noch …
1 Wozu gibt es denn Lektoren?
Ist doch wohl selbstverständlich, wird mancher jetzt sagen. Natürlich liest man sich noch einmal durch, was man da geschrieben hat. Könnte ja doch irgendwo ein Flüchtigkeitsfehler hineingerutscht sein.
So selbstverständlich ist das aber gar nicht. Ich bekomme immer wieder mal Manuskripte, bei denen man stark bezweifeln möchte, dass der Verfasser noch einmal gelesen hat, was er da schrieb. Selbst der Aufwand, die Rechtschreibprüfung der Textverarbeitung einmal mit dem Text bekannt zu machen, scheint manchem zu hoch.
Nun, wenn der Autor mir ein solches Manuskript zuschickt, kann man ihm ja eigentlich nichts vorwerfen. Schließlich bin ich freier Lektor, und dass mich derjenige beauftragt, zeigt doch wohl ganz klar: Ihm ist bewusst, sein Text könnte noch ein bisschen Überarbeitung brauchen, bevor er es einem Verlag zuschickt oder es selbst veröffentlicht. Zwar leidet sein Geldbeutel umso mehr, je mehr Arbeit er mir oder einem meiner Kollegen aufbürdet, Arbeit, von der er möglicherweise einen Teil schon hätte selbst erledigen können, doch das ist schließlich ganz allein seine Sache.
Doch leider landen solche Texte eben nicht immer zuerst bei mir, sondern häufig doch auch auf den Stapeln in den Verlagslektoraten oder gleich zwischen realen oder virtuellen Buchdeckeln einer Selbstpublikation.
Bei den Selbstverlegern darf sich dann der Leser mit einem unüberarbeiteten Text rumschlagen, bei denen, die ihr Manuskript an Verlage schicken aber, schaltet sich doch wieder ein Lektor dazwischen. Und der will ja schließlich auch etwas zu tun haben, oder nicht? Der wird schließlich dafür bezahlt.
Um das ein für alle Mal klarzustellen: Nein, Job des Verlagslektors ist es nicht, die Arbeit des Autors zu machen. Und er wird sie sich auch nicht machen. Er hat ohnehin schon wenig bis keine Programmplätze zu vergeben, wenn ihn also eine gute Idee, eine tolle Geschichte überzeugen soll, darf sie nicht sprachlich noch in den Babyschuhen stecken.
Hier setzen einige weitere Irrtümer an, mit denen ich zunächst aufräumen will:
Kurz gesagt: Aufgabe des Lektors oder überhaupt jeder Person, die den Text des Autors gegenliest, ist nicht, dem Autor Arbeit abzunehmen, sondern das zu leisten, was der Autor selbst nicht leisten kann. Nämlich den Text mit dem Abstand zu begutachten, den der Autor nicht haben kann.
2 Wie viel Überarbeitung braucht der Text?
Gut, aus dem bisher Geschriebenen geht also schon einmal hervor, dass ich der Ansicht bin, man müsse einen Text überarbeiten. Aber nein, das habe ich gar nicht geschrieben. Zwar sagen mir meine bisherigen Erfahrungen, dass jede erste Niederschrift eines Textes Überarbeitung benötigt, aber letztlich zählt nur das Ergebnis. Und wer wäre ich, zu behaupten, dass es nicht doch irgendwo den Autor gibt, dessen erste Fassung eines Textes bereits perfekt ist? Schließlich sind Autoren unterschiedlich. Und ich kenne immerhin solche, deren erste Fassungen der Druckreife schon relativ (!!!) nahekommen.
Das mag am Talent liegen, oft ist es aber auch einfach eine Frage der Arbeitsweise. Denn in der Regel handelt es sich um solche Autoren, die kaum einen Satz niederschreiben können, ohne ihn nicht zuvor (oder gleich im Anschluss) mehrfach hin und her und auf und ab gewendet zu haben. Sie schreiben von Anfang an auf eine Endfassung hin, überarbeiten sozusagen schon beim Schreiben. Daher werden sie mehr Schreibzeit benötigen, dafür aber mit weniger Überarbeitung auskommen, während andere Autoren ganz bewusst eine schnell heruntergeschriebene Rohfassung produzieren, die sie dann im Nachgang aufwändiger überarbeiten.
2.1 Schlusspunkt setzen
Es kommt, wie gesagt, auf das Endergebnis an. Und obwohl es theoretisch möglich ist, zweifle ich doch sehr daran, dass es einem Autor gelingt, das optimale Ergebnis auf Anhieb zu erreichen. Es wird also in aller Regel beim Schreiben eine Rohfassung entstehen, die der Überarbeitung bedarf. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.
Womit auch die Frage nach dem „Wie viel“ geklärt ist. So viel, bis man fertig ist. So lange es eben dauert. Bis man sich sicher ist, dass man nichts mehr verbessern kann. So simpel ist das nun mal.
Simpel zwar, aber nicht leicht. Denn wie merkt man, dass man nichts mehr verbessern kann. Tatsächlich ist das kaum möglich. Denn hat man erst einmal begonnen, ernsthaft und gründlich zu überarbeiten, weckt man den inneren Zensor, der nie zufrieden ist. Und ganz objektiv gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich immer irgendetwas, das man noch besser machen könnte. Ein treffenderes Wort, eine andere Satzstellung, ein knackigerer Dialog, … Und vor allem vieles, was sich noch streichen ließe.
Und während auf der einen Seite der Zensor immer unzufriedener wird, wächst auf der anderen Seite die Blindheit für die Dinge, die man eigentlich aufspüren will.
Doch irgendwann muss man einen Schlusspunkt setzten, irgendwann ist der Moment erreicht, an dem man mehr verschlimmbessert, als noch Fortschritte zu erzielen. Dieser Schlusspunkt ist in gewisser Weise ein Kompromiss, optimalerweise der bestmögliche. Ihn zu finden, ist Erfahrungssache.
Anfangs wird man ihn individuell erspüren müssen, indem man sich mal zurücklehnt und kritisch betrachtet, ob man wirklich noch verbessert oder nur noch herumdoktert. Mit der Zeit, wenn man das Gespür entwickelt hat, geht das Warnlämpchen ganz von selbst an.
Ganz egal, ob man nun überzeugt oder noch unsicher ist, dass man diesen Schlusspunkt der Überarbeitungsphase erreicht hat, es folgt ohnehin ein Schritt, der einem aus dem Dilemma hilft.
2.2 Abstand gewinnen und der Blick von außen
Wenn man ohne Selbstbetrug zu der Überzeugung gelangt ist, dass man den Punkt erreicht hat, an dem man dem Manuskript nichts Gutes mehr tun kann, sollte man eine Pause einlegen. Nein, auch jetzt ist die finale Fassung noch nicht erreicht, nur braucht es erste einmal ein bisschen Abstand, wenigstens ein paar Tage, gern auch ein paar Wochen (so kein Abgabetermin drängt). Denn, so wichtig intensive Beschäftigung mit dem Text ist, sie hat leider zur Folge, dass man immer betriebsblinder wird.
Also, den Text ruhen lassen, bevor man ihn sich wieder anschaut. Diese Ruhephase kann man nutzen. Klar, man darf sich in der Zeit einem anderen Werk zuwenden, mal wieder ein Buch lesen, verreisen, die Sau rauslassen, … Wie auch immer, darum geht es mir hier nicht.
Die Ruhephase gilt für den Autor, nicht für den Text. Insofern kann man sie nutzen, indem man den Text jemand anderem zu lesen gibt. Möglichst jemandem, von dem man sich offene und ehrliche, besser noch schonungslose Kritik erwarten kann. Man gibt seinen Text also Testlesern, die man gern auch Betaleser, Probeleser oder sonst wie nennen darf.
Mindestens einer sollte es schon sein, denn dieser Blick von außen lässt sich auch durch noch so viel Abstand nicht ersetzen. Aber das ist ein anderes Thema.
Egal ob man das Manuskript dann irgendwann vom Testleser oder bei drängendem Publikationstermin bereits vom Verlagslektorat zurückbekommt, nun steht wieder Überarbeitung an, denn zum einen hat man ja inzwischen etwas Abstand gewonnen, zum anderen müssen die Korrekturen und Anmerkungen des/der Testleser(s) bzw. des Lektorats geprüft, überdacht und eventuell eingearbeitet werden. Auch diese Phase kann durchaus mehrere Überarbeitungsdurchgänge umfassen.
2.3 Nun werd doch mal konkret!
Ich habe ja schon betont, dass die Quantität der Überarbeitung vor allem von der Arbeitsweise des jeweiligen Autors abhängig ist. Auch die Art und der Umfang des zu bearbeitenden Textes spielt eine Rolle. Dennoch will ich ein wenig Orientierung geben.
Ich halte es für den effektivsten Weg, die Überarbeitung eines Textes nach Schwerpunkten zu gliedern. Das ist nicht für jeden einfach. Ohnehin ist es nicht ganz unkompliziert, seinen Text konzentriert und fokussiert zu lesen. Den Blick so einzuengen, dass man quasi mit Scheuklappen nur Augen etwa für Kommasetzung hat, ist für manchen beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.
Doch zum einen ist das durchaus eine Trainingssache, zum anderen bedeutet, einen Schwerpunkt zu setzen, auch nicht, dass man sich zwingen muss, das, was einem nebenbei auffällt, zu ignorieren und auf einen späteren Arbeitsgang zu verschieben. Man achtet eben in diesem Arbeitsgang besonders auf Kommasetzung. Fällt einem dabei ein anderer Fehler, eine unschöne Formulierung oder ein Logikproblem auf, kann man sich trotzdem damit beschäftigen.
Zumindest aber sollte man sich eine Notiz zur späteren Bearbeitung machen, damit man auch wiederfindet, was noch zu überdenken/überarbeiten ist. Denn wenn man etwas, das einem beim ersten Lesen aufgestoßen ist, beim zweiten und dritten Überarbeitungsgang nicht mehr wahrnimmt, bedeutet das nur in den seltensten Fällen, dass es nicht so schwerwiegend war. Da schlägt einfach die zunehmende Betriebsblindheit zu.
Schwerpunkte also. Das gilt vor allem für die reinen Korrekturarbeiten, die ganz ans Ende der Textbearbeitung gehören. Wie ich schon ausführte, sind sie nicht der einzige Bestandteil der Überarbeitung. Auch stilistisch und inhaltlich muss ein Text perfektioniert werden. Und es lässt sich leicht nachvollziehen, wie hier die optimalen Arbeitsabläufe aussehen. Wozu ein falsch geschriebenes Wort korrigieren, wenn man es im nächsten Arbeitsgang ersetzt, warum einen Absatz oder ein ganzes Kapitel sprachlich bearbeiten, wenn man später feststellt, dass man diesen Textabschnitt gar nicht braucht.
Korrigiert wird also nach Möglichkeit erst die Textfassung, an der sonst keinerlei Änderungen mehr vorgesehen sind. Nicht umsonst bekommt auch im Verlag der Korrektor das Manuskript erst nach dem Lektorat.
Eine solche Unterteilung in Schwerpunkte könnte also folgendermaßen aussehen:
Das wären also mindestens drei Überarbeitungsdurchgänge.
Möglich ist natürlich ebenso, jeden Schritt zweimal oder noch häufiger auszuführen, wobei es weiterhin sinnvoller ist, jeden der Schritte zu doppeln, als einmal alle drei Schritte auszuführen und dies dann zu wiederholen. Man sollte sich also, gleich wie viele Durchgänge man folgen lässt, immer vom Groben zu den Details vorarbeiten.
Auch lassen sich die Gesichtspunkte weiter differenzieren. Statt also etwa bei einem Durchgang auf alle stilistischen Probleme zu achten, könnte man sich in einen Durchgang auf Wortwiederholungen konzentrieren, in einem auf die Gestaltung der Dialoge, in einem weiteren darauf, ob die verwendeten Vergleiche, Metaphern und sonstigen Bilder stimmen, …
Letztlich bleibt es aber dabei, für den einen funktioniert es so am besten, für den anderen anders. Das Ergebnis zählt. Ob man es mit einem oder 724 Überarbeitungsdurchg&¨ngen erreicht, ist dafür unwichtig. Fast zumindest. Denn wer Abgabetermine einhalten muss, sollte eben eine gewisse Effizienz an den Tag legen. Da ist es gut zu wissen, dass Routine auch beim Überarbeiten hilft.
3 Worauf achtet man denn nun?
Beim Überarbeiten soll natürlich möglichst all das verbessert werden, was verbesserungswürdig ist. Da kommt so ziemlich alles in Frage, was einen Text ausmacht. Ich will in den folgenden drei Abschnitten die Dinge aufzählen, die mir regelmäßig in Texten von Kunden auffallen, auf die es also fast immer zu achten gilt. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nebenbei: So schwer es fällt, als häufigste Konsequenz darf man sich von Beginn an auf Trennung einstellen. Trennung von allem, was überflüssig ist: Wörter, Sätze, Szenen, Kapitel, Handlungsstränge, Figuren … Überarbeitung bedeutet fast immer, gnadenlos zu streichen. „Kill your darlings“ gehört seit Langem zum geflügelten Wortschatz der Autoren.
3.1 Überarbeitung nach inhaltlichen Gesichtspunkten
3.2 Überarbeitung nach stilistischen Gesichtspunkten
3.3 Orthografische und grammatische Fehlerkorrektur
Es sei abschließend noch gesagt, dass die Suchen-und-Ersetzen-Funktion des Schreibprogramms bei einigen Arbeitsschritten sehr hilfreich sein kann.
Den letzten Arbeitsschritt sollte schließlich die programminterne Rechtschreibprüfung (bzw. ein externes Korrekturprogramm) darstellen. Dabei sollte man immer skeptisch bleiben, denn ein Programm bleibt ein Programm.