Stell dir vor, du willst folgende Geschichte erzählen:
Peter ist 25 Jahre jung und hat es schon geschafft. In seiner Marketingfirma hat er längst die oberen Sprossen der Karriereleiter erklommen. Gern prahlt er vor seinen Freunden und aller Welt mit seinem Job und seinem Einkommen. Er investiert nahezu jeden Cent in Statussymbole wie Auto und Luxusappartement. Und in seine Freundin, die er wirklich liebt, bei der er aber nicht sicher ist, ob sie ihn oder sein Geld liebt.
Doch dann macht er einen folgenschweren Fehler. Er gerät bei der Firmenleitung in Misskredit und wird entlassen. Für Peter ist das ein Drama. Er versucht es zu verheimlichen und so schnell wie möglich einen neuen Job zu finden. Doch vergeblich. Er muss sich den Tatsachen stellen und sowohl um sein Image als auch um seine Freundin kämpfen.
Überlege dir, wie du diese Geschichte beginnen würdest, wenn du den Roman schreiben wolltest. Denk daran, dass es wichtig ist, dem Leser die Hauptfigur nahezubringen, bevor sie in den zentralen Konflikt gerät. Wie stellst du Peter dem Leser vor? Beginnst du mit einer Szene in seiner Firma? Oder bei seinen Freunden? Vielleicht möchtest du ihn lieber mit seiner Freundin zeigen.
Wenn du dich für eine Anfangsszene entschieden hast, dann schreib sie. Und natürlich verbietet dir niemand, dir zu überlegen, wie die Geschichte weitergehen könnte.
Im Artikel "Ohne Moral – Die Prämisse" wurde die Frage im Titel schon beantwortet. Die eigentliche Geschichte beginnt dort, wo der zentrale Konflikt beginnt. Offenbar setzen aber die meisten Erzählungen schon vorher ein. Darum soll es in diesem Artikel gehen: Wie findet man einen guten Einstieg in die Geschichte, die man erzählen will?
1. Der Anfang steckt im Konflikt
Nehmen wir an, es soll die Geschichte von Luise erzählt werden, die eines Tages von einem mysteriösen Wolf gebissen wird und fortan gegen das erwachende Böse in ihrem Körper kämpfen muss. Bei dieser Geschichte ist ziemlich offensichtlich, dass für Luise der Konflikt genau in dem Moment in ihr Leben tritt, als sie von dem Wolf gebissen wird. Das ist also der Punkt, an dem die eigentliche Geschichte beginnt.
Es ist zwar möglich, dürfte aber kaum empfehlenswert sein, den Einstieg in Luises Geschichte nach diesem Punkt zu wählen:
Als Luise am Sonntagmorgen nach einer unruhigen Nacht vor dem Spiegel stand, traute sie ihren Augen nicht. Aus der vernarbten Wunde an ihrem Hals wuchsen Haare. War der Wolf, der sie vor drei Tagen gebissen hatte, etwa ein Werwolf gewesen? So ein Quatsch.
"Frühstück!", rief ihre Mutter aus der Küche und Luise dachte an Fleisch.
So könnte möglicherweise eine Kurzgeschichte beginnen. Denn Kurzgeschichten steigen oft später in eine Konfliktentwicklung ein, um sich möglichst schnell dem Höhepunkt zu nähern.
In einem Roman würde man sich aber als Leser sofort fragen, warum der Autor den spannenden Einstieg in die Geschichte ausgespart hat.
Lieber wählen wir also den Einstieg in die Geschichte mit dem Auftreten des Konflikts, also in dem Moment, in dem Luise von dem Wolf angefallen wird.
2. Der Direkteinstieg
Luise hörte ein Rascheln aus dem Gebüsch am Wegesrand. Sie blieb stehen. Hatte sie sich verhört? Sie lauschte. Es blieb still. Mit einem Blick zum vollen Mond lächelte sie. Die Nacht spielte ihren Sinnen doch immer wieder Streiche. Sie ging weiter. Aber sie kam nur wenige Schritte weit, dann erstarrte sie. Hinter ihr hatte etwas einen knurrenden Laut von sich gegeben. Ein Hund sicherlich. Wenn auch einer, der knurrte, als sei er gerade der Hölle entsprungen.
Langsam dreht sie sich um. Die Kreatur, die nun vor ihr stand, hatte mit einem Hund nichts gemein …
Es wird heutzutage oft empfohlen, einen mehr oder weniger direkten Einstieg in die Geschichte zu wählen. Was bei Kurzgeschichten typisch ist, wird mehr und mehr auch zur Methode für den mitreißenden Romananfang.
Der Leser soll mitten ins Geschehen, sozusagen ins kalte Wasser geschmissen werden. Er muss sich nicht mit Vorgeplänkel herumschlagen, weiß hoffentlich schnell, woran er ist und wird von Beginn an mit spannenden Ereignissen ans Buch gefesselt.
Auf diese Weise wird dem Leser außerdem sofort der zentrale Konflikt präsentiert. Er macht sofort Bekanntschaft mit der Hauptfigur und bekommt ein hohes Tempo vorgelegt.
Trotzdem – das gilt gleichermaßen für Leser wie Autoren – ist ein solcher Einstieg nicht jedermanns Sache. Das Hauptproblem dürfte darin liegen, dass Leser in der Regel erst dann wirklich Anteil am Schicksal der Hauptfigur nehmen, wenn sie sie ein wenig kennengelernt haben und mit ihr sympathisieren (was in diesem Fall nicht gleichbedeutend damit sein muss, dass sie überaus sympathisch wirkt). Eine Geschichte funktioniert eben über ihre Figuren. Haben die noch nicht das Interesse des Lesers auf sich gezogen, wird der sich auch kaum für die Geschichte interessieren.
Beim Direkteinstieg muss es daher dem Autor entweder gelingen, in wenigen Strichen bereits eine Figur zu skizzieren, die den Leser bei der Stange hält, oder für den Einstieg den Leser mit einer außergewöhnlichen Situation, offenen Fragen oder ähnlichen Tricks so zu fesseln, dass sich die Figur in diesem Windschatten ins Bewusstsein des Lesers schleichen kann.
Es wird auch von der Geschichte abhängen, ob und wie leicht ein solcher Einstieg gelingt.
Nehmen wir nur einmal an, wir erzählen die Geschichte einer Frau, der es endlich gelingt, sich von ihrem Mann zu trennen, der sie nur ausgenutzt hat. Wir wollen einen Roman darüber schreiben, wie sie nach der Trennung das Leben als Single neu erlernen muss. Der zentrale Konflikt der Geschichte beginnt also damit, dass sich die Frau von ihrem Mann trennt. Bei einem Direkteinstieg wird es schwer sein, dem Leser die Motive der Frau so gründlich nahezubringen, dass er ihre Entscheidung, sich zu trennen, nicht nur nachvollziehen kann, sondern ihr sogar dazu raten würde. Denn nur dann ist er ganz auf ihrer Seite.
3. Die Vorgeschichte
Der zentrale Konflikt ist in der Regel immer etwas, das den Protagonisten mehr oder weniger rasant aus seinem gewohnten Alltag reißt. Ob es der Biss durch den Werwolf ist, die Trennung vom Partner oder ein Autounfall. Um die Bedeutung des hereinbrechenden Konflikts richtig einschätzen zu können, kann es für den Leser daher sehr hilfreich sein, den Protagonisten zuvor in eben dieser Alltagswelt zu erleben, die schon bald erschüttert werden soll.
Es ist ein Unterschied, ob James Bond in einen Spionagefall verwickelt wird oder der Raumpfleger Tom Jedermann. Und es mag für die oben skizzierte Luise einer Erlösung gleichkommen, von einem Werwolf gebissen zu werden, wenn ihr bisheriger Alltag sie richtig angekotzt hat.
Wenn sich der Autor also entscheidet, den Einstieg in die Geschichte etwas vor dem eintretenden Konflikt zu wählen, hat er die Möglichkeit, den Konflikt vorzubereiten, den Leser mit dem Protagonisten und seinen Umständen bereits so vertraut zu machen, dass er die Bedeutung des Konflikts für diesen nicht nur nach-, sondern mitempfinden kann.
Wie weiter oben bereits angedeutet, geht es nicht darum, den Leser über zwanzig Seiten mit Informationen zu füttern, bis endlich etwas passiert. Das wird der Leser wahrscheinlich gar nicht mehr erleben. Nein, es soll etwas passieren. Der Leser muss neugierig werden und bleiben!
Es geht nur darum, das Interesse des Lesers schon vor dem Konflikt zu wecken, um ihm zunächst das Leben der Figur vorzuführen, dass sie führt, bevor der Konflikt über sie hereinbricht.
Dabei ist es durchaus möglich, auf umständliche Einleitungen zu verzichten und den Leser sofort in eine durch Handlung geprägte Situation zu stoßen. Auch sind Konflikte durchaus gewünscht. Aber es sind eben solche, die allenfalls auf den zentralen Konflikt hinarbeiten, nicht direkt durch ihn geprägt sind.
Des Lesers Interesse zu wecken, funktioniert auf ganz verschiedene Weise, drei sehr gute Methoden, die man natürlich auch kombinieren kann und die sich oft ganz automatisch gegenseitig durchdringen, will ich hier anhand von Beispielen demonstrieren.
3.1. Der interessante Protagonist
Der Neue kam auf sie zu. "Ist hier noch frei?" Er deutete auf den Platz neben ihr.
Luise schaute an ihm vorbei. "Du bist neu. Du kannst es nicht wissen."
Er blieb stehen, trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen, konnte mit ihrer Antwort offensichtlich nichts anfangen. Sie nutzte die Zeit, um sich seinen Namen in Erinnerung zu rufen. Erfolglos.
"Ist da jetzt frei oder nicht?"
"Such dir einen anderen Platz!" Wie hieß der Kerl? Es war noch keine zwei Stunden her, dass Frau Kleinschmied ihn vorgestellt hatte. Eigentlich war es ihr auch egal. Aber sie hatte im Moment sowieso nichts Besseres zu tun.
"Warum?", fragte er.
"Weil du hier nicht hingehörst!" Luise ärgerte sich, dass er sie nicht in Ruhe nach seinem Namen forschen ließ. Peter? Nein. Horst? Würde passen, war es aber nicht. Helge?
"Gibt es denn Reviere auf dem Pausenhof?"
"Ja. Eines zumindest. Und das ist meins!" Frank! Das musste es gewesen sein.
"Freundlich ist was anderes", sagte er und setzte sich.
"Hör mal zu, Frank …"
"Ich heiße Andre."
"Interessiert mich nicht. Dich hier hinzusetzen, ist nicht nur dreist, es ist auch dämlich!"
"Warum?"
"Wenn du einen guten Start an dieser Schule haben willst, solltest du dich nicht gerade mit mir sehen lassen. Sonst hast du ganz schnell alle anderen gegen dich."
"Interessiert mich nicht."
Dieser Beginn fokussiert ganz deutlich auf Luise. Der Leser hat noch keine Ahnung, dass sie nur wenige Seiten später von einem Werwolf gebissen wird. Dennoch wird er sich sofort für sie interessieren. Denn nicht nur auf Andre dürfte dieses Mädchen eine gewisse Anziehungskraft ausüben, auch der Leser will mehr über sie erfahren.
Schon ihre erste Antwort auf Andres Frage birgt ein Geheimnis. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wird es noch gesteigert. Gleichzeitig lässt es sich mehr und mehr an Luise selbst festmachen. Ihre abweisende Art will man ihr nicht vollständig abnehmen. Und ihre Arroganz löst sich am Ende auf: Sie ist die Außenseiterin an der Schule.
Nebenbei wird auch Andre zu einer interessanten Figur. Schon seine scheinbar naive Hartnäckigkeit macht ihn sympathisch. Mit dem letzten Satz dürfte er das Herz des Lesers endgültig für sich gewonnen haben. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich der Leser schon nach diesem ersten Dialog erhofft, dass sich zwischen den beiden eine tiefe Freundschaft oder sogar mehr entwickelt.
Damit hat die Geschichte den Leser in ihren Bann gezogen. Die Hauptfigur ist für ihn wichtig geworden. Nun kann der Autor den zentralen Konflikt vorbereiten.
Wir sehen an dem Beispiel, dass auch dieser scheinbar ruhige Einstieg von Konflikten geprägt ist. Der Konflikt zwischen Luise und Andre ist dabei der offenkundigste. Aber es deutet sich auch an, dass Luises Leben alles andere als frei von Konflikten ist, dass in ihr zumindest ein ungelöster innerer Konflikt schlummert. Generell lässt sich damit sagen, dass es die Konflikte sind, die den Leser neugierig machen. Das macht sich die zweite Methode im Speziellen zunutze.
3.2. Der Einstiegskonflikt
Luise sah ihre Freundin fragend an.
"Na ja", Maja schaute zu Boden, "Peter geht auch hin. Und du weißt doch, wie sehr ich ihn mag."
"Aber zu einer Party von Christin?" Luise wollte es kaum glauben. "Hast du vergessen, was sie dir angetan hat?"
"Man kann nicht ewig in der Vergangenheit leben!"
"Und was ist mit unserem Schwur?" Luise konnte und wollte ihre Entrüstung nicht verbergen.
"Wie alt bist du eigentlich?" Jetzt schaute ihr Maja in die Augen.
"Alt genug, um einer Freundin nicht in den Rücken zu fallen."
"Es war vor fünf Jahren. Damals waren wir zwölf!"
"Und inzwischen ist Christin ein besserer Mensch geworden!" Luise lachte über diesen bösen Scherz. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glauben, Maja sei selber nur zum Scherzen aufgelegt.
"Ich geh doch nicht wegen Christin hin."
"Mach doch, was du willst! Ich dachte, auf dich wäre Verlass!" Sie wandte sich ab. Zu schnell. Zu endgültig. Sie kämpfte mit den Tränen. Maja war ihre einzige Freundin. Seit Maja Peter kennengelernt hatte, spürte Luise, dass etwas anders geworden war. Sie blieb stehen und drehte sich noch einmal um. Konnte sie noch etwas retten? "Bei mir brauchst du nicht mehr anzukommen!"
Der Einstieg mit einem starken Konflikt ahmt im Prinzip den Direkteinstieg nach. Nur muss damit noch nicht in die eigentliche Geschichte eingeführt werden. Der Konflikt dient eher dazu, dem Leser die Figur vorzustellen. Er stellt diese also in einer Situation dar, in der sie in für sie charakteristischer Weise mit einem Problem fertig werden muss.
Häufig wird dazu ein Konflikt hergenommen, der den späteren zentralen Konflikt der Geschichte bereits vorbereitet. So wird im obigen Beispiel dem Leser nicht nur gezeigt, dass Luise eine Außenseiterin ist, ihre Situation wird sogar noch verschärft, indem sie ihre einzige Freundin verliert. Wenn Luise später von dem Werwolf gebissen wird, steht sie also bereits allein gegen eine Gemeinschaft. Steigert die Kraft des Werwolfs ihren Hass? Nutzt Luise die neue Macht gegen die anderen? Oder wird sie versuchen, das Tier in ihr zu bändigen, um nicht endgültig im Abseits zu stehen?
3.3. Das Rätsel
Luise musste gar nicht erst klingeln. Maja riss schon die Haustür auf und stürmte auf sie zu. Hektisch umarmte sie Luise, als könne sie es kaum erwarten, ihr etwas zu erzählen. Und tatsächlich sprudelte es sofort aus ihr heraus: "Hasso ist weg!"
"Was?"
"Verschwunden! Die Kette zerrissen und weg!"
Luise betrachtete ihre Freundin. "Scheint dich aber nicht gerade traurig zu stimmen."
"Na ja, ich konnte das Vieh noch nie leiden."
"Ich weiß. Warum dann die Aufregung?"
Jetzt schaute Maja, als spräche Luise chinesisch. "Hast du es denn gar nicht gehört? Das ist diese Woche schon der dritte Hund, der sich in Luft aufgelöst hat. Erst der von den Meiers, dann die Töle von der alten Grunwinkel. Und jetzt Hasso!"
"Echt?" Luise schüttelte den Kopf. Noch immer verwunderte sie die Begeisterung, die ihre Freundin offenbar gepackt hatte. "Wusst ich nicht."
"Und im Radio haben sie auch schon davon gesprochen. Sogar in Hinzdorf und Kunzburg verschwinden seit Tagen Hunde. Und keiner weiß, wer dahinter steckt."
"Das ist allerdings seltsam."
"Ja, seltsam. Endlich passiert mal was bei uns und du kriegst gar nichts mit."
Rätsel, Fragen, auf die auch der Leser gern eine Antwort hätte, sind immer ein gutes Mittel, um die Spannung hoch und den Leser bei der Stange zu halten. Gerade zu Beginn einer Geschichte kann Ungelöstes das Interesse wecken.
Wie auch immer man es anstellt, es gilt von Beginn an, den Leser neugierig zu machen, ihn in die Geschichte hineinzuziehen. Das gelingt umso besser, je schneller der Leser mit der Figur mitfühlt. Dazu kann es oft hilfreich sein, ihn mit der Figur bekannt zu machen, bevor der Konflikt über sie hereinbricht.
4. Der Prolog
Das Wichtigste zuerst: Der Prolog ist kein fester bzw. notwendiger Bestandteil eines Werkes! Er ist auch nicht einfach ein erstes Kapitel, das willkürlich Prolog genannt wird. Und noch wichtiger: Wenn wir unserer Geschichte einen Prolog voranstellen, sollten wir das auch begründen können.
Prolog bedeutet so viel wie Vorrede und er begegnet uns klassischerweise im Drama. Aber auch die erzählende Literatur hat den Prolog für sich entdeckt. Er kann hier sehr unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und entweder Teil der Geschichte sein oder dieser einen Informationsrahmen liefern, der auf realen oder fiktiven Hintergründen basiert.
So will mancher Autor seinem Leser in einem Vorwort Informationen zur Entstehung seiner Geschichte liefern, Hinweise zur Einordnung oder Rezeption derselben geben. Durch seinen Erzähler kann er den Text in fiktive Zusammenhänge stellen (etwa indem er ihn durch die Aufzählung angeblicher Quellen als authentisches Dokument erscheinen lässt). Möglicherweise will er ihm im Zusammenspiel mit einem Epilog am Ende des Textes eine Rahmenerzählung beifügen.
Immer häufiger wird der Prolog genutzt, um den Leser entweder mit Hintergrundwissen über die Vorgeschichte, die Figuren oder die Welt, in der sie leben, zu füttern oder aber entscheidende Ereignisse innerhalb der Geschichte bereits an den Anfang zu holen. Beides ist mit Vorsicht zu genießen.
Wird dem eigentlichen Anfang der Geschichte nämlich ein Prolog vorangestellt, bedeutet das nicht etwa, dass Anfang oder Prolog sich deshalb Schwächen erlauben können. Wir brauchen dann idealerweise einen starken Prolog UND einen starken Anfang. Weder sollte der Prolog als Abladeplatz für einen Haufen Informationen dienen noch der Sorge entgegenwirken, der eigentliche Anfang könne den Leser nicht schnell genug in die Geschichte hineinziehen. Wenn wir uns dabei ertappen, dass die Entscheidung für einen Prolog ausschließlich oder hauptsächlich auf solchen Entscheidungen basiert, sollten wir ihr lieber nicht nachgeben und stattdessen am Anfang unserer Geschichte feilen.
5. Wie man besser nicht anfangen sollte
Zum Schluss noch ein paar Hinweise, was man am Anfang einer Geschichte eher vermeiden sollte. Wie fast überall beim Schreiben handelt es sich natürlich nicht um eherne Gesetze, sondern vielmehr um auf Erfahrungswerten beruhende Richtlinien, an denen man sich orientieren kann, die man aber auch ignorieren kann, wenn man gute Gründe dafür sieht.
Als ich noch Schüler war und noch gar nichts mit dem Schreiben literarischer Texte am Hut hatte, zeigte mir eine Mitschülerin den Anfang ihres Romans, den sie schreiben wollte. Natürlich drehte er sich um Liebe und einen Mann, der den Beinamen Traumprinz mit Fug und Recht für sich beanspruchen konnte. Die Geschichte begann etwa so:
Luise war ein hübsches Mädchen. Sie war 15 Jahre alt und lebte in Rostock. Sie hatte blondes Haar und blaue, kluge Augen. Sie war 1,60 Meter groß und schlank. Ihre Hobbys waren …
So ging es fort und fort. Vom Stilistischen einmal abgesehen, schon der kleine Junge, der ich war, hat sich dabei prächtig gelangweilt. Es war die Einleitung zu einem vollendeten Lebenslauf von Luise. Von einer Geschichte keine Spur.
Heute weiß ich, dass man so etwas unter Schreibenden als Infodump bezeichnet. Und viele Autoren mit noch wenig Schreiberfahrung beginnen ihre Geschichten so oder so ähnlich. Denn auch wenn es weniger plump geschieht, Infodump bleibt Infodump. Und die zwei wichtigsten Gründe, diesen zu vermeiden, sind die folgenden:
1. Er verfehlt seine Funktion! Schüttet man den Leser mit einem Sack voll Informationen zu, werden die wenigsten davon in seinem Gedächtnis haften bleiben.
2. Er langweilt! Leser wollen eine spannende Geschichte lesen, nicht mit Informationen überfüttert werden.
Gerade zu Beginn einer Geschichte ist es also wenig empfehlenswert, dem Leser so viel Hintergrundwissen wie möglich eintrichtern zu wollen. Der Leser soll sich zunächst für die Geschichte und die daran wesentlich beteiligten Figuren interessieren. Dann erst beginnt er, nach den Hintergründen zu dürsten, was letztlich dazu beiträgt, ihn bei der Stange zu halten.
In der Regel sollte also der Beginn der Geschichte durch Handlung geprägt sein oder relativ schnell zu Handlung übergehen. Und handeln sollte, wenn nichts unbedingt dagegen spricht, die Hauptfigur. Sie ist es, die der Leser kennenlernen will, und sie ist es, die den Leser in ihre Geschichte ziehen will. Wir sollten also gewichtige Gründe haben, wenn wir am Anfang unserer Geschichte einer weniger wichtigen Figur das Zepter in die Hand geben.
Wichtiger ist aber noch, den Leser nicht gleich zu überfordern. Das gilt vor allem für die Figuren. Eine Szene, in der gleich zu Beginn sehr viele Figuren auftreten, ist denkbar ungeeignet, weil der Leser die vielen Namen noch gar nicht zuordnen kann. Besser ist es also mit einer überschaubaren Anzahl zu beginnen.
Schließlich noch Folgendes: Action! Ein bisschen Action gleich zu Beginn kann nicht schaden. Aber übertreiben sollte man es nicht. Konfrontiert man den Leser gleich mit einer Kampfszene auf dem Schlachtfeld, ist sie für ihn meist kaum wirklich mitreißend. Denn er weiß ja noch gar nicht, wer wer ist und worum es eigentlich geht. Er kann also weder Stellung beziehen noch wirklich mitfiebern. Es wäre also wieder sinnvoller, ihn erst einmal mit den wichtigen Figuren und den Umständen vertraut zu machen.