Das folgende Gedicht besteht ganz regelmäßig aus vierhebigen Jamben. Es gibt keine Zeilensprünge oder sonstigen Kunstgriffe. Versuche nacheinander jedes der hier behandelten Mittel auf das Gedicht anzuwenden.
Es ist ein wunderschöner Tag.
Ein Tag, wie ich ihn gerne mag.
Die Sonne muss ein Wunder sein.
Sie scheint zu meinem Fenster rein.
Ein Wunder ist auch meine Frau.
Sie hat den schönsten Körperbau.
Sie liegt im Garten in der Sonne.
Sie zu betrachten, eine Wonne.
Der Artikel „Ist Dichten eine Kunst“ beschäftigt sich mit einigen Grundlagen der Metrik. Dabei könnte man zunächst meinen, beim Dichten werde ein Gleichmaß angestrebt, indem gleiche Strukturen mit Regelmäßigkeit wiederholt werden.
Doch führt das schnell zu Eintönigkeit und beim Aufsagen des Gedichts zum berüchtigten Herunterrasseln der Verse. Daher will dieser Artikel einige einfache Mittel anführen, mit denen man dieser Eintönigkeit entgegenwirken kann.
Der Zeilensprung
Den Zeilensprung bezeichnet man auch als Enjambement. Worum geht es dabei?
Beim Dichten neigt man schnell dazu, einen Satz oder wenigstens eine Sinneinheit am Ende der Gedichtzeile abschließen zu lassen:
Der Sonntag ist ein schöner Tag.
Das Faulsein wirklich jeder mag.
Da Zeile und Satz gleichzeitig enden, wird der Leser oder Sprecher genötigt, am Ende der Zeile eine deutliche Pause zu machen. Auf die Dauer wird das langweilig.
Schon wenn man die beiden Sätze zu einem Satzgefüge aus Haupt- und Nebensatz umwandelt, entsteht eine Verbindung zwischen erster und zweiter Zeile, die die Zeilengrenzen überschreitet:
Der Sonntag ist ein schöner Tag,
weil faul sein wirklich jeder mag.
Stärker wird die Verbindung noch, wenn der Hauptsatz bis in die zweite Zeile fortgeführt wird:
Der Sonntag ist ein schöner Tag
fürs Faulsein, wie es jeder mag.
Wir merken immer deutlicher, wie durch die sowohl syntaktische als auch inhaltliche Verknüpfung der beiden Zeilen im Zeilensprung eine Spannung zwischen dem Zeilenende und dem fortgeführten Satz entsteht. Die Pause am Ende der ersten Zeile, die uns die Metrik vorschreiben will, wird kürzer, die Zeilen werden verbunden.
Am deutlichsten wird das, wenn die erste Zeile ohne die zweite keinen eigenständigen Sinn mehr ergibt und sie daher nicht allein stehen kann:
Am Sonntag, diesem schönen Tag,
da kann ich faul sein, wie ich’s mag.
Es kann so weit gehen, dass, unterstützt durch konsequente Kleinschreibung und Weglassen der Zeichensetzung, doppelsinnige Verse entstehen, in denen das die Verszeilen verbindende Wort mit jeder Zeile einen eigenen Sinn ergibt:
menschheit strebt nach geld und
macht natur am end mund
tot ist wald und wiesengrund
Zeilensprünge können natürlich auch Verbindungen zwischen zwei Strophen herstellen, wenn sie von der letzten Zeile einer Strophe zur ersten der folgenden führen.
Auftaktwechsel
Im oben genannten Artikel haben wir unter anderem den Unterschied zwischen einem Jambus und einem Trochäus kennengelernt. Während der Trochäus mit einer Hebung beginnt, beginnt der Jambus mit einer Senkung.
Da bei beiden ansonsten der Wechsel zwischen jeweils einer Hebung und einer Senkung gleich ist, kann man beim Jambus auch von einer einfachen Verschiebung des Takts durch einen Auftakt sprechen.
Schematisch sieht das so aus:
/-/-/-/- (Trochäus)
-/-/-/-/- (Jambus)
Wechselt man nun in einem Gedicht, das eigentlich aus Trochäen besteht, zu einem Jambus (1), kann das nicht nur für Auflockerung sorgen, sondern auch bestimmte inhaltliche Stimmungen oder Betonungen unterstützen. So wirkt der Trochäus meist schwerer und getragener, während der Jambus oft leichtfüßiger und beschwingter daherkommt. Natürlich lassen sich umgekehrt auch Trochäen unter Jamben mischen (2).
(1)
Rot die Sonne steht am Himmel,
senkt sich schon dem Meere zu,
es trabt herbei ein grauer Schimmel,
Wolkenwand zieht auf im Nu.
Die Zeilen eins, zwei und vier sind vierhebige Trochäen, während Zeile drei mit einem vierhebigen Jambus ein bisschen Frische bringt.
(2)
Gesang durch unser Dörflein fliegt
von einem Haus zum nächsten hin,
er kündet uns, dass wir gesiegt.
Trug! Weil ich nun Witwe bin.
Nach drei vierhebigen Jamben folgt ein vierhebiger Trochäus. Die Zäsur ist in diesem Fall besonders stark, weil beim Übergang von Zeile drei zu Zeile vier zwei Hebungen aufeinanderprallen. Würde Zeile drei mit einer Senkung enden, wäre der Übergang weicher.
Eine Verszeile, die mit einer Hebung endet, nennt man übrigens männlich (oder stumpf), eine, die auf eine Senkung endet, weiblich (klingend).
Anzahl der Senkungen
Neben dem Jambus und dem Trochäus gibt es als häufiges Versmaß noch den Daktylus, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Senkung zwischen den Hebungen aus jeweils zwei Silben besteht.
Nun ist es natürlich auch möglich, mit den Senkungen zu variieren, indem man zum Beispiel in einem jambischen Gedicht an einer Stelle statt einer Senkung zwei wie im Daktylus einfügt (3).
Dabei sollte ein Grundrhythmus erkennbar bleiben, die Auflockerung also eher die Ausnahme sein.
(3)
Ich sah im Wald ein Mädchen stehen,
mit Äugelein blau, schön anzusehen.
Zwischen den Hebungen „Äug-“ und „blau“ finden sich zwei Senkungen.
Anzahl der Hebungen
Da die Anzahl der Hebungen die Länge der Verszeile bestimmt, bedeutet eine Variation hier immer auch eine Variation in der Zeilenlänge. Es kann einen regelmäßigen Wechsel in der Zeilenlänge geben (4) oder einen eher willkürlichen (bzw. durch andere Elemente des Gedichts bestimmten) (5).
(4)
Es will mir nicht in meinen Sinn,
dass ich so glücklich bin,
hab ich doch dazu keinen Grund,
doch lächelt mir die Stund’.
Ein regelmäßiger Wechsel von vier und drei Hebungen.
(5)
Was bin ich froh, dass sich in diesem Leben
gelohnt hat all mein Streben.
Eben!
5-3-1
Freier Rhythmus
Während bei den bisherigen Kunstgriffen immer von einem Grundschema ausgegangen wurde, dem man Variationen hinzufügt, löst sich der freie Rhythmus gänzlich vom Schema.
nackt
ein wäldchen nur
ferne oase
quell der hoffnung
wüste der begierde
(„Landschaft“, BennoP)
Einheit von Inhalt und Form
Ob nun im freien Rhythmus oder beim Variieren eines Grundschemas, es ist durchaus erstrebenswert, das nicht vollkommen willkürlich erscheinen zu lassen. Je mehr Gedanken man sich um jedes eingesetzte Stilmittel macht, umso überzeugender wird man es einsetzen. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen:
Des Sommers Kleider ausgepackt,
er glänzt in vielen hellen Farben,
die Musen tummeln sich gar nackt,
nur ich muss noch im tiefen Dunkel darben.
(„Frühling“, Der Verdichter)
In diesem Gedicht haben wir drei Zeilen, die fröhlich die Kleider, Farben und Musen des Sommers rühmen. Alle drei halten das Versmaß ein und bestehen aus vier Hebungen.
Die vierte Zeile setzt sich davon ab. Obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, auch sie vierhebig zu gestalten, besitzt sie eine Hebung mehr, womit ihre Sonderstellung betont wird, die sie ja auch inhaltlich darstellt.
Der Kreuzreim verbindet jeweils die zwei kontrastierenden Zeilen, denn in Zeile eins und drei haben wir den Gegensatz von ankleiden und nackt sein, in Zeile zwei und vier den Gegensatz hell - dunkel.
So ergänzt die Form den Inhalt.