Nach einem Motorrad-Training nur für Frauen im Schwarzwald fühlte ich mich in Kurven schon deutlich sicherer und hatte gelernt, dass ich sogar bei Fahrt im ersten Gang auf meiner Kiste rumturnen konnte - unglaublich!
Der Oktober näherte sich, und unsere Streckenplanung für Kreta wurde konkreter: natürlich zuerst bei unserer Tochter Hannah und Enkelchen Julchen vorbei, dann über's Allgäu Richtung Ötztal. Letzteres wurde zum neuen Zwischenstop, weil wir uns hier für die Feier meines 50. Geburtstages ein großes Haus in Niederthai angemietet hatten, das wir uns vorher mal anschauen wollten. Über das Timmelsjoch sollte es weitergehen nach Italien bis Venedig, um dort eine Fähre nach Patras in Griechenland zu nehmen. Unser Ziel war das Örtchen Makrygialos im Südosten Kretas, wo schon Freunde von uns einquartiert waren.
Das Timmelsjoch mit seinen Serpentinen türmte sich in meinen Gedanken zu einer Riesen-Hürde auf. Letztlich war es aber nur hoch und an einen späten Oktobernachmittag schweinekalt - wir bibberten uns durch die Serpentinen und über den Pass und freuten uns, dass Italien wieder viel wärmer war. Viel engere Kurven fuhren wir am gleichen Tag zu unserer Unterkunft. Dort war ich so müde, dass ich beim Anhalten meine Kiste abwürgte und das erstemal in meinem Motorradleben schneller als geplant mit dem Boden in Berührung kam. Netterweise hielten die Seitenkoffer das Motorrad weit genug über mir, dass ich bequem drunter hervorkriechen konnte - so wird man zur Motorrad-Schnecke :-)
Die weitere Fahrt verlief wie geplant. Eine neue Herausforderung wurden die Fähren, schließlich sind die Rampen nicht gerade das, was sich mit einem glatten, trockenen Asphalt vergleichen lässt. Ich bewunderte immer mehr, mit welcher Ruhe Horst bei unseren früheren Touren mit mir hinten drauf so locker flockig da rauf oder runter fahren konnte!
Und von einem geordneten Ein- oder Ausfahren konnten wir weder in Italien noch in Griechenland etwas merken. Dort scheint man es zu lieben, sich vor den Fähren dicht zusammenzuknüllen - Fußgänger, Autos, Lastwagen und dazwischen halt die paar Motorräder -, und in den Fähren herrscht das "Schlängelspiel" vor allem beim Ausfahren. Die Spielregeln lauten in etwa so: man steige möglichst früh auf das Motorrad, lasse etwa eine Viertelstunde vor Öffnung der Fähre schon den Motor an und schlängele sich an allem vorbei, was steht oder sich nur langsam bewegt - natürlich auf Millimeterbreite Abstand. Ziel: eine möglichst dicke Zusammenknüllung vor der Rampe :-)
Endlich in Kreta stellten wir fest, dass die Straßen entgegen aller anderslautenden Horrorgeschichten fast überall geteert waren - sehr angenehm, sollte man denken. Eine kleine, entscheidende Abweichung gibt es aber: das Teeren verlief wohl öfter längs der Straße und in mehreren Etappen. Folge: ausgerechnet auf der Motorrad-Ideallinie in Kurven verläuft der Hubbel, in dem mehrere Teerschichten übereinanderliegen. Ich entwickelte flugs noch ein paar mehr Schnecken-Eigenschaften, denn ich wurde viel langsamer als auf den Alpenpässen. Die Hubbel alleine hätten das nicht verursacht, aber Kreta ist nicht unbedingt ein Pflaster, auf dem die Straßen mehr als 500 m gerade verlaufen oder die Kurven einsehbar wären. Freilaufende Hunde, Ziegen und Schafe sorgen für weitere Bremskraft, in Ortsnähe natürlich auch unsere lieben Mitmenschen.
An einer der letzten Fährüberfahrten während des Rückweges lernte ich, wo Männeraufmerksamkeiten und Motorräder sich treffen. Wir standen mal wieder in einer Zusammenknüllung - hier außerhalb der Fähre - und warteten darauf, dass wir einfahren durften. Irgendein Besatzungsmitglied bedeutete mir, ich solle mit dem Motorrad ein Stück vorfahren, um einen LKW hinter mir vorbeizulassen. Also gab ich ein klitzkleines bisschen Gas und rumpelte mit meinen Seitenkoffern auch nur ein klitzekleines bisschen an Horsts Seitenkoffer. Er blieb stehen (klar, was sonst ...), ich kippte um :-). Frau könnte sich ja fast daran gewöhnen, als Schnecke unter einem Motorrad zu hausen.
Ich orientiere mich also gerade, da sprangen schon mindestens fünf Männer helfend herbei. Klasse, dachte ich und wartete. Die hilfreichen Jungs beguckten das Bike genau, richteten es auf, guckten noch mehr - da könnte ja was am Bike kaputt sein - und ließen mich liegen. Also fuchtelte ich ein wenig mit meiner Hand in der Luft rum, denn zum Aufstehen alleine lag ich irgendwie ungünstig. Nach gefühlten Stunden (tatsächlich eher nur 3 Minuten) kam mir unglaublicherweise sogar eine helfende Hand entgegen und zog mich hoch. Wer sagt's denn, auch unsereine wird irgendwann bemerkt ...
Nach den Kreta-Straßenerfahrungen wurde die gesamte Rückfahrt zum Kinderspiel, auch über die Alpenpässe. Es war zwar noch kälter und obendrauf mal neblig und dunkel, aber nicht so nass, wie wir es auf unserer Nordkap-Tour 2011 erleben sollten.
Dazu mehr demnächst ...