Da ich vor vielen Jahren mein Colloquium über dieses Thema gehalten habe, dürfte das jetzt eigentlich leicht zu erklären sein.
Im Groben übersetzt bedeutet "Community Care" die Einbindung unterstützungsbedürftiger Menschen ins Gemeinwesen...die Gesellschaft, also jeder Bürger, "sorgt" sich mit.
"Sorge statt Ausgrenzen" trifft ganz gut ins Schwarze!
Gehandicapte Menschen sollen stärker ins Gemeinschaftsleben integriert werden, was momentan häufig alleine schon aufgrund vieler Hindernisse in der örtlichen Umgebung scheitert:
- Treppen und nicht überall Aufzüge
- zu enge Türen und Passagen für z.b. Rollstuhlfahrer
- Busse, Züge und Bahnen sind leider immer noch nur selten behindertenfreundlich
eingerichtet
- Viele Lokalitäten sehen nach wie vor behinderte Menschen ungern als ihre Gäste.
Zu Integration gehört auch, nicht über einen Menschen zu bestimmen, sondern ihn nach seiner eigenen Meinung zu fragen und seine Bedürfnisse zu respektieren.
Hierzu wäre gerade in Deutschland eine Menge Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit vonnöten, denn viele Menschen haben alleine aus Unwissenheit, undefinierten Ängsten oder auch Ekel vor der Andersartigkeit Probleme im Umgang mit gehandicapten Menschen.
In fortschrittlicherern Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien wird Integrationsbehindertenpolitik schon deutlich mehr praktiziert:
In den Niederlanden zum Beispiel ist es nichts Ungewöhnliches, wenn eine Gruppe Rollstuhlfahrer mit einem Haufen Betreuern in einem Restaurant sitzen und essen. Hier in Deutschland würde dieselbe Gruppe häufig unwilligen Blicken, wenn nicht gar Anfeindungen oder der Aufforderung, bitte woanders zu essen, ausgesetzt sein (das habe ich selber alles schon erlebt!)
Bleiben also offene Fragen, mit denen man sich auseinandersetzen sollte:
- Was bedeutet Community Care für die Selbstbestimmung behinderter Menschen in
Deutschland?
- Was bedeutet es weiterhin für die Gemeinschaft?
- Inwieweit würde der Ansatz die Arbeit von Millionen Menschen verändern, die im
Behindertenbereich tätig sind?
- Spielt die Politik mit oder macht sie durch bestehende Gesetze einen fetten Strich durch
die Rechnung?
Ein Gedanke, den ich schon häufig im Zusammenhang mit Wohnheimen für behinderte Menschen gehört habe ist:
" Warum sollte man sich als Bürger weiterhin Gedanken um diese Menschen machen? Die sind doch da super aufgehoben und bekommen professionelle Unterstützung in allen Gebieten, in denen sie sie brauchen. Keine Ahnung, ob ICH SELBER es später im Alter einmal so gut haben werde wie diese Menschen."
Okay, im Grunde ist da was Wahres dran.
Doch wenn man einmal genauer hinterfragt:
- Was für Möglichkeiten zur Selbstbestimmung bleiben Menschen, die in einem
Behindertenwohnheim leben, wirklich?
- Liegt es nicht alleine in der Verantwortung der Mitarbeiter, Selbstbestimmung zu
gewährleisten?
- Ist die BRD gewillt und in der Lage, Veränderungen herbeizuführen oder ist das Ganze
unrealistisch?
Darauf gehen wir in einem späteren Eintrag näher ein.
Hier geht es ja erst einmal um den konkreten Ansatz.
Community Care wurde in oben genannten Ländern schon konkreter interpretiert und dort ebenso überlegt, was für Intentionen und Vorraussetzungen geschaffen werden müßten, um behinderte Menschen zu integrieren.
Bisher finden sich in der Literatur sieben verschiedene Modelle, welche sich in vier Grundtypen einteilen lassen.
Hier möchte ich zur Beschreibung gerne Hernn Kai- Uwe Schablon, Diplom- Sozialpädagoge und Dozent an der Fachschule für Heilerziehungspflege in der Stiftung Alsterdorf, Hamburg, zitieren.
Alles andere wäre ein billiges Abschreiben und umzitieren und darauf steh ich gar nicht:-(
Er beschrieb die Ansätze folgendermaßen und mit treffenden Beispielen unterlegt:
"Typ 1: Community Care unter dem Leitgedanken der Integration
Als Beispiele für Community Care werden oft Situationen erzählt, die bei genauem Hinsehen besser mit der Bezeichnung „Integration“ beschrieben wären oder, wie im Englischen, mit Caring Community bezeichnet werden müssten. Beispiele für solche
Situationen sind oft einzelne Bürger, die sich für das Wohl bzw. die Gleichberechtigung von Menschen mit Assistenzbedarf einsetzen.
Ein reales Beispiel für eine integrative Gemeinweseneinbindung (Integrations Community Care ist folgendes: Herr Peters ist von der Außenwohngruppe in Bargteheide in die eigene Wohnung nach Hamburg Wandsbek gezogen. Er wird im Rahmen der pädagogischen Betreuung im eigenen Wohnraum 8 Stunden die Woche betreut.
Nachdem er in seiner eigenen Wohnung zwei Monate wohnt, wird der pädagogische Betreuer im Treppenhaus von einer älteren Dame abgefangen:
„Sagen Sie mal, Sie sind doch für den jungen Mann, der in der Wohnung nebenan wohnt, zuständig? Der schreit nachts und macht mir durch sein Aussehen Angst. Ich werde mich beim Vermieter beschweren und hoffe, dass er wieder ausziehen muss!“
Der Betreuer konfrontiert darauf hin Herrn Peters mit den Ängsten der Nachbarin. Herrn Peters ist es unverständlich und unangenehm, dass die alte Dame vor ihm Angst hat.
Eigentlich hat doch er Angst. Zu seiner Sicherheit vor Einbrechern hat er sich einen Schreckschussrevolver gekauft, der neben seinem Bett liegt. Abends nutzt er seine neue Freiheit durch unzensierten Videokonsum. Dieser führt zu nächtlichen Angstattacken, die ihn zu unbewußten Aussagen im Schlaf veranlassen. Da die Schlafzimmer der beiden Nachbarn aneinander liegen, bekommt die ältere Dame diese Angstattacken hautnahe mit. Zusammen mit dem Assistenten wird überlegt, wie sich das Verhältnis zwischen den Mietern verbessern kann. Herr Peters beschließt einen kleinen Blumenstrauß zu kaufen und sich gemeinsam mit dem Betreuer bei der Nachbarin vorzustellen. Bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken kommen sich die beiden näher und erzählen sich ihre Alltagssorgen. Der päd. Unterstützer verlässt nach einiger Zeit die Kaffeetafel.
Am nächsten Tag erzählt ihm Herr Peters stolz über den verabredeten Deal mit der alten Dame: „ Frau P. hat mir erzählt, dass sie immer Angst vor den Vertretern und den Sektenmitgliedern hat. Wir haben abgemacht , dass sie gegen die Heizung klopft, wenn sie meine Hilfe braucht, und ich dann die Vertreter für sie vertreibe. Außerdem hat sie mir angeboten am Mittwoch meine Wäsche mit zu waschen, da sie ihre Maschinen eh nie voll bekommt.“
Nach diesem Kennenlernen konnte ich die wechselseitige und konstruktive Beziehung
zwischen Herrn Peters und Frau P. noch über ein Jahr lang mit verfolgen.
Typ 2: Community Care als „Patchwork“- oder „Importmix“-Modell
Ein Aspekt des Imports von Theoriebausteinen ist: Ein bisschen Schweden, ein bisschen England und einen Schuss USA.
Hier werden verschiedene Community Care-Bausteine, die in anderen Ländern eine andere Einbindung z.B. in die sozialpolitischen Rahmenbedingungen haben, aus ihrem Kontext gerissen und auf deutsche Gegebenheiten übertragen. Diese Tendenz kann man auf der Handlungsebene beobachten, wenn Teilaspekte aus dem Supported-Living-Modell direkt auf den
fremdbestimmten Kontext einer Institution übertragen werden. Oder wenn der Ruf nach Teilzeitmodellen und einem Ausbau von Niedriglohnarbeitsplätzen laut wird ohne an tarifrechtliche und arbeitsmarktrechtliche Aspekte zu denken.
Der Blick über den Zaun ist sicherlich als Inspiration sinnvoll, birgt aber die Gefahr in sich, die sozialen Rahmenbedingungen, die Mentalität und die Geschichte der jeweiligen Bevölkerung zu ignorieren.
Typ 3: Community Care als von außen kommende bzw. nicht verstandene Veränderung.
Hierzu gehört die radikale Partizipation behinderter Menschen, ohne dass dem Nutzer die kulturelle Bedeutung seiner Partizipation überhaupt verständlich ist.
Die gilt z.B. wenn Vertretern der Selbsthilfegruppe „Die Starken Engel“ (People First) in Forschungsprojekte einbezogen werden (z.B. STEPS), ohne selbst erläutern zu können, um was es bei diesem Projekt geht und was die Auswirkungen des Projektes für den Personenkreis bedeuten.
Typ 4: Community Care als Inklusion.
Hier geht es darum, dass die Gesellschaft dafür Sorge tragen soll, dass der Zugang zu Institutionen und Dienstleistungen allen Menschen ermöglicht ist. Das bedeutet, dass sich Strukturen und Auffassungen so verändern, dass es normal ist verschieden zu sein.
Unter diesem Ansatz ist die Frage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ besonders relevant und nimmt wiederum ihren Ausgang bei der Frage, ob das Leben in Heimen überhaupt menschenwürdig ist.
Zu diesem Community-Care-Modell möchte ich ein Beispiel für eine gelungene Inklusion seitens einer Sparkasse erwähnen: Ein Assistenznehmer mit Lernschwierigkeiten bekam, nachdem er sechs Monate in der eigenen Wohnung lebte, eine Mahnung, seine Miete zu bezahlen. Da der Assistenznehmer nicht lesen konnte, verunsicherten ihn solche und ähnliche Schreiben sehr. Er bat seinen Assistenten zu veranlassen, dass möglichst alle Festkosten in Form von Daueraufträgen von seinem Konto abgebucht wurden. Den (geringen) Restbetrag zahlte der Assistenznehmer auf sein Sparbuch ein. Da dieses Geld „sicher“ bzw. übrig war, begann der Assistenznehmer sein Sparbuch quasi als Girokonto zu benutzen und buchte an manchen Tagen mehrfach geringe Geldbeträge ab.
Kurze Zeit später wurde er mit seinem Assistenten zu einem Gespräch in die Sparkasse gebeten, bei dem er über den Sinn und die Funktion eines Sparbuches bzw. eines Kontos aufgeklärt wurde. Nachdem der Assistenznehmer, mit (verbaler) Unterstützung durch seinen Assistenten, dem Filialleiter von der Eigenlogik der Methode „Sparbuch“ berichtete und auf dieser
individuellen Handhabungsart bestand, willigte der Filialeiter schließlich in diese individuelle Lösung ein und akzeptierte das Vorgehen des Assistenznehmers.
Hier stellt sich eine Institution im Rahmen der Möglichkeiten auf die individuellen Bedürfnisse eines Kunden ein, so dass man von Inklusion sprechen könnte."
So sieht man also wirklich die vielgefächerte Interpretationsmöglichkeit, die der Begriff "Community Care" in sich birgt.
Dies und die daraus resultierenden Probleme hat Herr Schablon meiner Meinung nach treffend wie kein Zweiter ausformuliert.
Wie dem Leser vielleicht aufgefallen ist, wurde der "Behinderte" im Laufe des Textes zum "Assistenznehmer" und der "Pädagogische Betreuer" zum "Assistenten".
Dies finde ich äußerst realistisch, denn eine stärkere Integration und Selbstbestimmung würde eine Menge am bisherigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Betreuer und Bewohner eines Heimes verändern.
Würde man versuchen, Menschen zu integrieren, würde die typische Pflegerolle wegfallen, so daß der ausdruck "Assistent" eher passen würde!
Nun fragt sich mancher Leser vielleicht:
"Alles gut und schön, aber wie soll es möglich sein, schwerstmehrfachbehinderte Menschen miteinzubeziehen?"
Dazu erstelle ich später einen gesonderten Beitrag!
tasja Hey Luna Habe so eben deinen kompletten Blog gelesen, normalerweise mache ich sowas nicht, aber der hier spricht mich an! Ich habe auch schon viel Erfahrungen gesammelt, arbeite seit 2001 in dem Bereich und finde deinen Blog mehr als interessant und werde den folgenden auf jeden Fall lesen! Lg tasja |