Syrische Menschen hierzulande abschieben - Essay

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SYRISCHE MENSCHEN HIERZULANDE ABSCHIEBEN - ESSAY

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von pentzw
am 18.01.2025 - 18:22 Uhr
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pentzw  Vor einigen Tagen weilte der Bundespräsident in Magdeburg, in der erklärten Absicht, den Trauernden in der einheimischen Bevölkerung beizustehen und Trost zu spenden. Seinen Auftritt konnte ich im Staatsfernsehen mitverfolgen (in einem öffentlich-rechtlichem Sender).
Zunächst erfolgte eine Kranzniederlegung, bei der der Bundespräsident von wenigen Personen, Politikern, Beamten, Sicherheitspersonal begleitet wurde. Ganz vereinzelt weiter hinter dieser Entourage von Apparatschiks standen ein paar verloren wirkende Frauen, in denen man Personen der Bevölkerung erkennen konnte. Das sich die Einheimischen kaum sehen ließen, wirkte sehr enttäuschend auf mich. Waren sie etwas über das Kommen der hohen Persönlichkeit nicht informiert worden? Mieden sie ihn absichtlich?
Im Anschluss an die Kranzniederlegung hielt Franz-Walter Steinmeier vor dem Hintergrund einer Ziegelsteinmauer, einer Kirche, wie es schien, einer seiner obligatorischen Reden. Er schaute dabei nur selten in die Kamera. Sein Blick schien einzig auf die geschundene, in schwere Mitleidenschaft gezogene Bevölkerung gerichtet – ließ aus seinem Blick, seiner Haltung und dem Inhalt seiner Rede schließen.
Bemerkenswert an seinen meist an einem Pfarrer erinnerten Predigt war in diesem Fall, dass er kaum Unterbrechungen und künstliche Pausen einbaute. Sein Monolog war ein einziger ununterbrochener Fluss, dessen Stringenz und Eloquenz angesichts der Tragik der Thematik erstaunlich war. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass der Fokus der Kamera ständig auf ihn gerichtet und kein einziges leidgeplagtes Gesicht einer Betroffenen und Adressierten aus dem magdeburger Umfeld zu sehen war. Er hätte die Rede auch anderswo halten können, vielleicht hat er sie schon gehalten.
Der steinerne Kirchen-Hintergrund war möglicherweise nachträglich eingeblendet, damit es an diese Stadt erinnerte. Womöglich hat er diese Rede schon x-mal gehalten, vielleicht war es ja auch nicht Steinmeier, sondern sein Avatar, der von einer KI-Maschine generiert worden ist – man weiß es nicht. Wäre es verwunderlich, denn mittlerweile ereignen sich solche Vorfälle in Deutschland alle halbe Jahre. Ich erinnere an die Messerattacke in Solnhofen mit drei Toten – und an die die sich demokratische Staatsvertreter Nennenden offenbar gewillt sind, sich zu gewöhnen. Nur die immer gleichlautenden Betroffenheitsfloskeln auszustoßen sind sie leid, weswegen sie diese Inszenierungen in die Warteschleife stecken.
Wie auch immer, deren Verhalten erinnert an eine zweifelhafte Attitüde:
Was bedeuten diese Anschläge schon? Eine moderne, aufgeklärte, pluralistische Gesellschaft wird doch wohl mal alle halbe Jahr ein halbes Dutzend Tote verkraften können – schaut über den Gartenzaun, zu unserem Nachbarn Frankreich, das hat einen viel höheren Blutzoll zu entrichten, bereits über 250 Personen. (Wobei dieser deswegen so unter islamischen Terror zu leiden hat, weil es im Maghreb und Ostafrika einst Kolonialmacht war und die Folgen zu tragen hat.)
Das ist aber in Deutschland „leider“ (muss ich schon sagen) nicht der Fall.

Am 14. Dezember, dem Fluchttag des Diktators Assad, habe ich drei jüngere Kerle von Bamberg nach Nürnberg im Zug begleitet. Sie haben sich sehr gefreut. Über ihre Rücken war die syrische Flagge gespannt. Ich habe mich für sie gefreut. Die Demonstranten, soweit ich sie mitbekommen habe, haben sich sehr diszipliniert verhalten, vorm Nürnberg Bahnhof schwenkten sie die Fahnen und funkten eifrig mit ihren Freunden und Verwandten in Syrien.

Sechs Tage später, am 20. Dezember, gleiche Uhrzeit, gleicher Ort. Zwei Syrer springen freudig im Hauptbahnhof herum. Ich bin so überrascht, als mich ein Blick eines dieser Kerle trifft, dass ich wegschauen muss. Warum musste ich wegschauen? Schnell schaue ich zurück, er zügelt sich in seiner Freude und blickt zu einem einige Meter weiter weg stehenden Freund hin, der gleichfalls sehr erfreut und glücklich wirkt. Beide schränken sich ein in ihrer Freude, weil ich sie so interessiert und forschend mustere.
Warum habe ich weggeschaut, als mich der Blick des Syrers traf? Ich vermute, es war ein triumphierender, herablassender Blick, der ausdrückte: Euch haben wir es wieder einmal gezeigt. Ein Blick in dieser Richtung muss es gewesen sein, weil ich so eingeschüchtert und überrascht gewesen bin und schon lange nicht mehr zugestoßen ist, schon gar nicht an einem flüchtigen Bahnhof.
Theoretisch kann es natürlich auch Zufall gewesen sein, dass zwei jüngere Syrer an diesem Tag sich aus denkbaren vielen Gründen so exaltiert gebärdeten, aber es ist der Tag, wie ich erst später zu Hause erfahre, wo ein islamistisch intendierter Anschlag auf einen christlichen Weihnachtsmarkt stattgefunden hat.

Die Worte meines befreundeten mazedonischen, ehemaligen Soldatenpolizisten, dem deswegen Kompetenz zugebilligt wird, der seinerzeit an der Grenze seines Landes fleißig die Keule geschwungen hatte, als der große Flüchtlingsansturm aus dem Nahen Osten 2015 an seine Grenze klopfte: „Ich traue diesen Leuten nicht. Das sind alles Soldaten, die hier in unser Land (Deutschland) gekommen sind. Eines Tages werden die hier losschlagen, dann aber Gnade uns Gott!“
Rational betrachtet finde ich das reichlich übertrieben und paranoid, aber: „Was, wenn er Recht hat?“

Was spricht dagegen, dass syrische Jugendliche und Erwachsene wieder dort zurückgehen sollen, wovor sie geflüchtet sind, nachdem der Fluchtgrund mittlerweile weggefallen ist? Wer dagegen polemisiert, beweist nur, dass der vorgeschobene Grund der Asylaufnahme eines politisch Geflüchteten bloß Vorwand ist, aus überzogenen humanitären Gründen Wirtschaftsflüchtlinge ins Land zu lassen.
Ich gönne jedem Menschen wirtschaftlichen Wohlstand und gesellschaftliche Sicherheit. Aber ist für diese Nächstenliebe nicht der Preis zu hoch?

Heute zwei Stunden später: Wegen eines Notfalls im Krankenhaus gewesen. Ich muss auf warten: „Die Chefärztin ist leider noch in einer Sitzung.“ Es kommt ein jüngerer syrischer, wahrscheinlich libanesischer Arzt, der mich einfühlsam behandelt: „Merci bien!“ „Avec plaisier!“
Er hat noch gesagt, dass er kein Rezept ausstellen könne, ich verstehe, dass ich dies in der Apotheke erhalte. Ich renne zu einer, die glücklicherweise um die Ecke des Krankenhauses ist, wo man mir sagt, ohne Rezept könne ich kein Medikament erhalte. Es stellt sich heraus, dass ich ein solches in der Notaufnahme, meine erste Station, erhalte. Dorthin muss ich wieder zurückwatscheln, wobei ich etwas verärgert bin und mich frage, warum mir dies der Arzt nicht genau gesagt hat?
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