Das erste was Jenny bemerkte als sie aufwachte war, dass das Tippen aufgehört hatte. Zögerlich öffnete sie ein Auge, ihr Bruder saß immer noch vor dem Computer, aber er hämmerte nicht mehr wie wild auf der Tastatur herum sondern aß Pizza.
Jenny schob die Decke von sich und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen.
"Morgen." sagte ihr Bruder ohne sich umzuwenden.
"Frühstück für Champions, was?"
"Die da auf'm Tisch ist für dich."
Jenny nickte ihm dankend zu und öffnete den Pizzakarton der vor ihr auf
dem kleinen Couchtisch lag. Sofort stieg ihr der Duft von frischem Pizzakäse, Salami, Schinken und Paprika in die Nase, Jenny musste sofort würgen. Ihr Bruder sah sie alamiert an, "Zweite Tür in der Diele links!"
Die junge Journalistin sprang mit vor den Mund gehaltener Hand von der Couch auf und rannte so schnell es ihr möglich war ins Bad um sich dort, zum bereits zweiten mal an diesem Tag zu übergeben. Während sie keuchend, hustend und mit tränenden Augen vor der Toilette hockte hörte sie wie sich ihr Bruder dem Badezimmer näherte.
"Alles in Ornung?"
"Ging mir nie besser." stieß sie
zwischen zwei Hustenanfällen hervor, "Muss mir wohl was am Magen eingefangen haben."
Sven nickte und verschwand wieder.
Jenny lies sich gegen die Badewanne sinken und atmete einige Male tief durch, ihr Magen schien sich wieder beruhigt zu haben. Jetzt würde sie erstmal die Pizza essen und schauen ob ihr Bruder Ormorov's Verschlüsselung hatte knacken können. Wenn ja, hatte sie danach eine Story zu schreiben.
"Alter Schwede, das ist heftig, richtig krass!" Sven hatte ein Headset aufgesetzt, auf einem der Monitore lief eine Nachrichtensendung, offensichtlich unterhielt er sich mit einem seiner
Hacker-Freunde.
Jenny runzelte die Stirn, sagte aber nichts, stattdessen nahm sie wieder auf der Couch platz und nahm sich ein Stück der Pizza.
"Bis jetzt hat die Polizei noch keine Anhaltspunkte was in dieser Nacht in diesem sonst so ruhigen Park geschehen ist, fest steht jedoch das es ein überaus brutaler Mord gewesen sein muss, sofern man dem Mann glauben will der die Leichen gefunden hat." tönte der Sprecher aus den Boxen des Computers.
Jenny schluckte das Stück Pizza auf dem sie gerade gekaut hatte herunter, sie kannte den Park der dort gerade gezeigt wurde.
"Mach das mal lauter!"
Jetzt stand ein älterer Herr mit abgewetzter Kleidung und kurzem weißen Bart vor der Kamera, Jenny erkannte Heinrich sofort wieder, er war ein bekannter Obdachloser in ihrem Viertel. Er war ein netter Kerl, sich meistens in der Nähe der Bahnstation aufhielt, oder eben im Park. Trotz der Tatsache das der Mann seit Jahrzehnten auf der STraße lebte hatte er für jeden ein 'Guten Tag.' auf den Lippen. Jenny hatte dem armen Kerl über die Jahre wahrscheinlich einiges an Euro 'gespendet'.
"Ich bin gestern Abend durch den Park, nich', meine übliche Route. War auf dem
weg zu meinem Schlafplatz unter der Brücke, nich'? Und da geh ich über die Wiese un' lieg' plötzlich auf mei'm Gesicht im Matsch, un' warum? Weil ich über ne verdammichte Leichte gestolpert bin!" Heinrich nickte in die Kamera, "Jawohl, so war das. Da lag ein armer Teufel zusammen mit seinem Köter! Sahen aus als hätte sie jemand durch'n Fleischwolf gedreht, un' damit kenn' ich mich aus ich hab früher mal in'ner Fleischerei gearbeitet!"
Das Bild wechselte zum Nachrichtenmoderator im Studio, aber Jenny hörte schon nicht mehr zu.
Ein Mann und sein Hund? Schlagartig fühlte Jenny sich zurück in die letzte
Nacht versetzt. Sie war über die Brücke gegangen und hatte in den Verkehrsfluss unter sich gestarrt, da hatte sie es gehört. Am Vorabend war sie sich wegen dem Verkehrslärm nicht sicher gewesen, aber jetzt war sie es, sie hatte ein Heulen gehört.
"Alles in Ordnung? Kotz mir hier bloß nicht alles voll, klar?" sagte ihr Bruder mit vollem Mund.
"Ich bin diesem Mann gestern Abend auf dem weg hierher begegnet." sagte Jenny leise.
"Was? Dem Penner? Oder dem Typen den sie durch 'den Fleischwolf gedreht haben'?"
"Dem Toten."
"Solltest du dann nicht zu den Bullen gehen? Und mit denen reden?"
Jenny schüttelte den Kopf, aber eigentlich hatte Sven recht. Aber was sollte sie großartig sagen? Sie hatte Sebastian und Thor im Park kennen gelernt, hatte ihm ihre Nummer gegeben und war dann zu ihrem Bruder gegangen. Und weiter? Danach wurden die beiden getötet, von einem Werwolf vielleicht? Oder einem ganzen Rudel Werwölfe? Da konnte sie sich auch direkt in die Irrenanstalt einweisen lassen.
Sven sah sie noch einen Moment missbilligend an, dann zuckte er die Schultern.
"Ich hab übrigens ein paar Probleme mit
deinem komischen Stick."
Im ersten Moment wusste Jenny gar nicht was ihr Bruder von ihr wollte, sie hatte Omorov und den Stick völlig vergessen. Alles woran sie gerade denken konnte war Sebastian, der wahrscheinlich gerade irgendwo in einem schwarzen Sack in einem Krankenhaus lag und auf seine Autopsie wartete.
"Weißt du in welches Krankenhaus sie die Leichen bringen? Welches Krankenhaus hier in der Nähe hat eine Gerichtsmedizin?"
Sven war für einen Moment verwirrt, er blinzelte Jenny zwei mal an, dann hämmerten seine Finger wieder über die Tastatur.
"Das nächste Krankenhaus mit einer Gerichtsmedizin ist das Sankt Sebastian Krankenhaus."
'Ironie des Schicksals' dachte sich Jenny. Dort hatte es vor sechs Jahren begonnen, sie hatte Latisha für ihre Story ausgequetscht und damit die Tür in eine Welt der Finsternis geöffnet, nur einen Spalt, aber weit genug das es ihr Leben verändert hatte. Wenn es da draußen solche Wesen gab, wenn Sebastian von einem von Ihnen getötet worden war...tja, dann was? Würde sie wieder einen Artikel veröffentlichen der sie dann vollends zum Gespött machen würde?
"Was genau hast du vor, Jenny?"
"Garnichts."
Sven lachte laut, etwas Käse von dem Stück Pizza das er gerade in der Hand hielt tropfte auf sein Shirt.
"Ne, sorry. Du hast diesen Blick drauf."
"Was für einen Blick denn bitte?"
"Den: 'Ich plane gerade eine riesige Dummheit'-Blick. Den hattest du auch damals drauf als du dir dieses Tattoo hast machen lassen, also?"
Jenny rang einen Moment mit sich, dann erklärte sie ihrem Bruder was sie vorhatte. Sie würde sich in den Bereich des Krankenhauses schleichen in dem die Leichen bis zur Autopsie gelagert wurden und einen Blick auf sie werfen.
"Das ist dein Plan? Du schleichst dich
da einfach so rein, guckst dir die Leichen an und dann wieder raus?"
Jenny nickte, kein guter Plan aber einen besseren hatte sie nicht.
"Dir ist klar das da überall Sicherheitssperren sind, oder? Wenn ein Unbefugter da eine Tür aufmacht geht direkt ein Alarm los und du hast das Personal am Hals." erklärte Sven.
"Das werde ich wohl riskieren müssen, eine andere Möglichkeit sehe ich nicht."
Sven seufzte und rollte mit den Augen, "Du hast mich, Schwesterherz. Wenn du mir eine halbe Stunde gibst besorg ich dir einen Ausweiß der dich überall durchbringt, zusammen mit einem glaubwürdigen Lebenslauf, falls jemand
veracht schöpft und dich kontrolliert. "
"Das würdest du tun?"
Er nickte und zuckte mit den Schultern.
"Aber eines wüsste ich gern."
Jenny nahm sich ein weiteres Stück Pizza, "Was denn?".
"Warum? Nur weil du den Typen gestern im Park getroffen hast, oder was?"
"Ich muss einfach etwas überprüfen."
Das reichte Sven nicht, das konnte Jenny an seinem Gesichtsausdruck sehen, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Computer zu.
"Was dagegen wenn ich ein Bad nehme während du das erledigst?" fragte Jenny
während sie aufstand und sich die Pizza Krümel von ihrem Shirt strich, aber ihr Bruder reagierte nicht.
"Das nehme ich dann als 'Ja'." murmelte Jenny mehr zu sich selbst während sie ins Bad ging.
Das ganze war einfacher gewesen als Jenny es sich vorgestellt hatte, im Krankenhaus war ziemlich viel los gewesen. Just als sie es erreicht hatte waren mehrere Rettungswagen mit heulenden Sirenen angekommen. Genau die Ablenkung die Jenny gebraucht hatte. Während das Krankenhauspersonal hektisch die Einlieferungen versorgt hatte, war Jenny unbemerkt die Treppe
hinunter geschlichen.
"Ich hoffe du funktionierst wirklich." murmelte Jenny zu sich selbst als sie mit der gefälschten Karte nervös vor dem Lesegerät herum hantierte.
Gehetzt blickte sie über ihre Schulter die Treppe hinauf, noch war niemand auf sie Aufmerksam geworden, aber das konnte sich jeden Moment ändern. Sie atmete tief ein, auch wenn sie den Krankenhausgeruch als eklig empfand.
Jenny zog die Karte durch das Lesegerät, nichts geschah.
"Verdammt, Sven!"
Jenny drehte die Karte und zog sie erneut durch den Leser. Wieder nichts!
'Das kann doch wohl nicht wahr sein...'
Jenny sah erneut über ihre Schulter, immer noch hetzten die Pfleger umher, Anweisungen wurden gerufen und hin und wieder drang das Stöhnen eines Verletzten zu ihr vor.
Noch hatte sie niemand gesehen, aber das konnte sich jeden Moment ändern, irgendwann waren alle Verletzten versorgt und dann würde jemand bemerken das sie versuchte sich hier Zutritt zu verschaffen und ob der gefältschte Lebenslauf den ihr Bruder ihr angelegt hatte wirklich ausreichte... sie wollte es nicht drauf ankommen lassen.
'Komm schon!'
Jenny blickte auf die Karte, Schweiß perlte auf ihrer Stirn.
Das Ding sah aus wie eine EC-Karte, ein Chip und ein schwarzer Lese-streifen. Also sollte der Lese-streifen in den Kartenleser und der Chip musste nach unten.
"Ist da unten alles in Ordnung?" rief eine Stimme vom oberen Ende der Treppe.
Jenny wandte sich um, jetzt galt es. Sie zog die Karte durch den Leser.
"Hallo? Was machen sie da unten?"
Das Gerät an der Wand piepste, sie konnte hören wie sich das Schloss entriegelte.
"Alles okay, danke!" rief sie nach oben, dann war sie auch schon durch die Tür.
Jenny seufzte als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, das war knapp gewesen, etwas zu knapp für ihren Geschmack.
'Okay, ich bin drin, und jetzt?'
Laut dem Plan den Sven ihr gezeigt hatte waren hier unten einige Labors, Büro's und der Raum in dem die Autopsien durchgeführt wurden.
Vor ihr lag ein L-Förmiger Gang, zu beide Seiten waren einige Türen. So leise wie es ihr möglich war schlich Jenny den Gang entlang, wenn sie hier irgendjemand erwischte und sie mit ihrem Charme nicht weiter kam war sie geliefert.
Stimmen ertönten hinter einer der Türen, sie konnte nicht verstehen worum
es ging, aber dass hier jeden Moment jemand aus der Tür kommen konnte trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
Eine Tür öffnete sich, aber es war keine von denen die Jenny sehen konnte.
"Kommen sie, die Presse Heini's werden schon gierig auf ihre Ergebnisse warten." sagte eine dunkle, angenehme Stimme.
"Ja, auch wenn ich mir nicht sicher bin was ich ihnen sagen soll." kam die zögerliche Antwort.
Die Tür schloss sich wieder.
"Sie gar nichts, das übernehme ich. Nichts für ungut, aber wenn sie mit ihrem hoch gestochenen Akademiker Gefasel anfangen versteht sie niemand."
'Fuck!' Jenny hatte den perfekten Moment erwischt, gerade jetzt mussten der Arzt und einer der Ermittler mit der Autopsie fertig sein, natürlich.
Jenny dachte nicht lange nach, sie öffnete die Tür zu ihrer rechten und huschte in den dunklen Raum.
Die Dunkelheit war vollkommen, Jenny konnte nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen.Die Luft in dem Raum war warm und stickig, den Geruch der in der Luft lag konnte sie nicht genau definieren, er war süß und irgendwie unangenehm. Die Schritte der beiden Männer näherten sich und stoppten vor der Tür. "Was ist?" fragte die tiefe
Stimme. "Ich dachte Doktor Karmer wäre noch eine Woche im Urlaub, etwas dagegen wenn ich guten Tag sage?" Jenny's Augen weiteten sich, sie konnte förmlich spüren wie sich auf der anderen Seite der Tür eine Hand auf die Klinke legte, sie war erledigt. "Nehmen sie es mir nicht übel, aber ich habe noch einen Mord aufzuklären, sie können ihm später 'Hallo.' sagen. Kommen sie." "Schade, ich wüsste gerne welches Ergebnis er mit den Maden erzielt hat."
"Maden?"
"Durchaus, er lässt die Überreste Verstorbener, die sich bereit erklärt
haben nach dem Tod ihren Körper der Wissenschaft zu spenden, von Maden fressen."
"Warum das denn, bitte?"
"Wissenschaft."
"Kommen sie jetzt, bevor sich diese Klatsch-Vampire da oben selbst etwas ausdenken. Sie können ihrem Kollegen und seinen Haustieren später 'Hallo' sagen."
"Na gut, wie sie meinen Herr Oberkommissar."
'Oh Gott, deswegen riecht das hier so. Hier liegen verwesende Leichen die von Maden gefressen werden.'
Sie unterdrückte den Würgereiz den der Gestank jetzt bei ihr verursachte und
versuchte ihre Fantasie zu bändigen. In ihrem Kopf sah sie Berge von verwesenden Leichen die von fetten Maden aufgefressen wurden.
Und das alles im Namen der Wissenschaft.
Die junge Frau wartete noch einen Moment ehe sie die Tür langsam öffnete, sie war wieder allein und der Raum in dem die Sebstian's Überreste lagen war jetzt leer. Zeit um herauszufinden was hier vor sich ging.
Jenny schloss die Tür so leise es ihr nur irgend möglich war, sie hatte ihr Ziel fast erreicht, sie wollte jetzt kein Risiko mehr eingehen.
Der Raum sah so aus wie sie ihn erwartet hatte, es gab einen kleinen Schreibtisch mit einem Computer, einige Regale mit Arbeitsflächen und zwei Stahl bahren auf denen schwarze Säcke lagen.
Die junge Frau atmete einmal tief durch, die Antworten die sie suchte waren in den Säcken.
Jenny hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, vor ihr in dem Sack musste Sebastian liegen, der Mann mit dem sie Gestern erst gesprochen.
Ihre Hand schloss sich um den Reißverschluss, ihr Atem beschleunigte sich, sie hatte ihn ihrer Zeit als Journalistin einige Dinge gesehen die alles andere als schön gewesen waren.
Aber sie hatte Sebastian gekannt, wenn auch nur kurz.
Jenny zog den Reißverschluss mit einem Ruck beiseite.
"Oh scheiße!"
Das war nicht Sebastian.
Jenny taumelte zurück bis sie gegen den Schreibtisch stieß, in dem Sack lag Thor, oder das was von ihm übrig war. Sie sah zerfetztes Fleisch, geborstene Knochen und blutiges Fell, der Gestank der aus dem Sack drang raubte ihr fast den Atem.
Sie schluckte und wandte ihren Blick ab, das war zuviel, von dem Hund war kaum mehr übrig als etwas Fell und Hackfleisch.
Jenny spürte wie ihre Knie weich wurden, der Anblick war zuviel für sie. Sie zog den Stuhl der unter dem Schreibtisch geschoben war hervor und lies sich darauf sinken, dann begrub sie ihr Gesicht in ihren Händen.
Sie brauchte einen Moment bis sie sich wieder gefasst hatte, mit dem Anblick des zerfetzten Hundes hatte sie nicht gerechnet. Wollte sie jetzt überhaupt noch mehr sehen? Brauchte sie das überhaupt noch? Reichte der Anblick des zerfetzten Hundes nicht?
'Nein, das reicht nicht.' flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.
Den Anblick von Sebastians zerfetzten Körper würde sie jetzt nicht auch noch
ertragen können, aber vielleicht musste sie das ja auch nicht.
Gerichtsmediziner ließen während der Autopsie immer ein Aufnahmegerät mitlaufen lassen, also musste sie nur die Aufnahme finden.
Sofort begann Jenny damit die Schubladen zu durchwühlen. Papiere, Schmierzettel, jede Menge Bürobedarf, aber kein Aufnahmegerät.
Hatte der Arzt es etwa mitgenommen? Eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlich übersah Jenny einfach etwas. Wieder lies sie sich auf den Stuhl sinken, ihr Blick wanderte über den Schreibtisch, den Monitor...
Moment mal.
Auf dem Monitor thronte eine Webcam.
Natürlich! Man konnte die Kamera auch als Aufnahmegerät benutzen.
Jenny startete den Computer, es dauerte nicht lange bis er hochgefahren war, und da war auch direkt was sie suchte. Auf dem Desktop war ein Ordner mit dem Titel "Autopsien 11/13".
Sie öffnete den Ordner und suchte die zuletzt erstellte Datei.
"Hab ich dich." murmelte sie grinsend vor sich hin als sie eine Datei mit dem heutigen Datum entdeckte.
"Dann wollen wir mal sehen." sagte Jenny und öffnete die Datei.
"Läuft es schon?" fragte die dunkle
Stimme.
"Gerade angeschaltet, also: Ich bin Doktor Heinz Schührmann, ebenfalls anwesend ist Polizeioberkommissar Lautner, wir beginnen nun mit der Autopsie des ersten Opfers. Größe und Gewicht sind schwer zu schätzen, aufgrund der Tatsache das der Kopf fehlt sowie der Großteil der inneren Organe des Körpers entfernt wurden.
Geschätzt dürfe er Einsfünfundsiebzig groß und zirka Siebzig Kilogramm gewogen haben."
Lautner hielt sich mit verschränkten Armen im Hintergrund, die Kamera fing ihn kaum ein.
"Das Alter dürfte grob geschätzt gegen
ende Zwanzig sein, ist allerdings durch das bereits erwähnte Fehlen des Kopfes und der Organe nur eine grobe Schätzung, genaueres kann ich erst nach einigen Tests sagen."
Lautner hüstelte.
"Alles in Ordnung Herr Oberkomissar?"
"Abgesehen davon das in einem der größten Parks der Stadt irgendjemand junge Menschen in Stücke reißt?"
Schührmann lächelte, "Ich meinte ob sie mit dem Anblick zurecht kommen, für einen untrainierten Magen..."
"Ich habe schon schlimmeres gesehen."
"Im richtigen Leben? Kann ich mir kaum vorstellen.
Also dann; ich gehe davon aus das der
erste Angriff aus dem Hinterhalt ausgeführt wurde."
"Mhm."
"Wollen sie nicht wissen worauf sich meine These stützt?"
"Sie haben in ihre Kristallkugel gesehen, Doktor?"
"Keineswegs, Kristallkugeln sind viel zu unzuverlässig, ich empfehle das Gedärm von Tieren. Viel zuverlässiger."
Lautner hüstelte wieder.
"Wie dem auch sei, die Wunden am Rücken lassen darauf schließen das sie zuerst zugefügt wurden, sie sollten das Opfer nicht töten, aber es verwunden.
Wir haben hier fünf lange, diagonal zueinander verlaufende Schnitte die vom
rechten Schulterblatt zum linken Hüftgelenk hinunter gehen.
Das sie dort oben anfangen erkenne ich übrigens daran, dass die Schnitte von oben nach unten zusammen laufen."
"Das heißt?"
"Haben sie schonmal jemanden gekratzt, oder wurden sie schonmal gekratzt? Von einer Hauskatze vielleicht?"
"Ich komme mit Tieren nicht sonderlich gut aus."
"Von ihrer Frau vielleicht?"
Lautners Miene wurde steinern.
Doktor Schührmann räusperte sich, sein ohnehin schon faltiges Gesicht wirkte in diesem Moment noch einmal ein paar Jahre älter.
"Also,ich frage das weil," er hob seine Hand, "Wenn wenn ein Mensch jemanden kratzt, um ihn in einer Notsituation vielleicht mit seinen Fingernägeln zu verletzten, sind die Verletzungen die dadurch entstehen genauso wie diese hier. Sie laufen zum Ende hin zusammen."
"Sie wollen mir jetzt aber nicht sagen das der Täter ein Mensch mit langen Fingernägeln war, oder?"
"Nun, ich würde eher davon ausgehen das der Täter sich eine Waffe gebaut hat die er als eine, sagen wir mal, Handklinge verwendet. Falls es sich dabei überhaupt um einen Menschen handelt."
"Mhm."
"Sehen wir uns nun den Rumpf des Opfers an.
Ah ja, wie sie sehen können haben wir hier ebenfalls fünf Schnitte, allerdings deutlich tiefer, hier kann man bereits nach einigen wenigen Zentimetern die zerschmetterten Knochen des Brustkorbes sehen."
"Das hat ihn dann auch umgebracht, oder?"
"Das denke ich nicht, aufgrund des Drecks den ich in der Rückenwunde feststellen könnte gehe ich davon aus das er nach dem Angriff auf dem Rücken im Dreck gelandet ist, anhand des Zustandes der Muskeln und dem Blut hier
kann ich davon ausgehen das nach dem Angriff noch eine Muskeltätigkeit stattgefunden hat.
Er wird versucht haben davon zu kriechen".
"Hat dem Jungen nicht viel genutzt. Was hat ihn dann getötet?"
"Entweder starb er gnädiger Weise als man ihm den Bauch zerfetzte, oder spätestens als ihm der Kopf abgetrennt wurde, danach wäre so ziemlich jeder tot."
"Ach was?"
Doktor Schührmann lächelte, er langte nach einer langen Pinzette die auf einem metallenen Tablett neben dem Leichnam lag.
"Sie sagten das die inneren Organe fehlen, hat man sie heraus geschnitten? Vielleicht haben wir es mit einer verrückten Sekte oder etwas in der Richtung zu tun. Satanisten."
"Nur wenn diese Satanisten scharfe Zähne und für Menschen überdurchschnittlich starke Kiefer haben."
"Bitte? Wollen sie sagen das jemand die Organe..."
"Gefressen hat Herr Kommissar, frisch aus der Bauchhöhle des jungen Mannes, aber das ist nicht alles. Ich habe hier gerade etwas entdeckt.
Doktor Schührmann führte die Pinzette an das untere Ende einer der
Schnittwunden.
"Ich denke das mit der Handklinge können sie vergessen, Herr Hauptkomissar."
"Und warum das jetzt?"
"Nun, hier in dieser Wunde steckt etwas, ich gehe davon aus das es sich dabei..." er verzog angestrengt das Gesicht. "Ja, tatsächlich, eine Kralle. Hier, sehen sie."
"Dann also eine Waffe die aus Teilen von Tieren hergestellt wurde?"
"Herr Oberkomissar, sie sollten vielleicht doch langsam in Betracht ziehen das dieser junge Mann und sein Hund von einem Tier angefallen und getötet wurden."
"Ich soll diesen Presseheini's also erzählen, dass in unseren Grünflächen irgendein wildes Tier herum rennt und Spaziergänger frisst?"
"Entweder das, oder ein Tier das als Waffe eingesetzt wird."
Lautner nickte, das erschien ebenfalls einleuchtend.
Mehr hatte Jenny nicht sehen müssen, diese Klaue...
Sie sprang auf ohne Thor's Kadaver noch einmal eines Blickes zu würdigen oder den Reißverschluss zu schließen.
Für sie gab es keinen Zweifel mehr, Sebastian war nicht einfach nur Opfer eines Tierangriffes geworden, etwas
hatte ihn in eine Falle gelockt und dann Brutal gejagt und zerfleischt.
Wegen Ihr.
Nachdem sie das Krankenhaus unbehelligt verlassen hatte kramte sie ihr Telefon hervor und wählte die Nummer ihres Bruders.
"Sven? Ich hab gefunden wonach ich gesucht habe. Du musst mir noch einen Gefallen tun, okay?"
"Ich bin überrascht... nicht. Was brauchst du?"
"Du musst jemanden für mich finden, Latisha Nidaye, allerdings könnte der Nachname mittlerweile ein anderer sein."
"Warum?"
"Weil sie vielleicht den Nachnamen ihrer
Pflegefamilie angenommen haben könnte."
"Das meinte ich nicht, warum suchst du sie? Hat sie was mit dem Mord zu tun?"
"Nein, ich glaube sie könnte in Gefahr sein, hilf mir bitte."