Nachts, wenn die Sterne am höchsten stehen, hat sich der Gott der Sonne schon lange hinter dem Horizont zur Ruhe gebettet. Er schläft tief und träumt süss. Manchmal träumt er sogar von ihr, die bei Nacht mit einem weissen Schimmer über ihn wacht. Sie ist es, die ihm seit Anbeginn der Zeit das Herz gestohlen und ihm tiefste Sehnsucht gelehrt hat.
Tag für Tag und Nacht für Nacht tut sie es, sehnt jedoch selbst den Morgen herbei. Denn dann, ja, erst dann, sei es den beiden Liebenden gestattet, sich in einer Umarmung zu begegnen. Während sie dem Gott der Sonne schon einen Abschiedskuss auf die warme Wange
haucht, streichelt er ihr zur Begrüssung über ihre zarte, kühle Haut.
„Liebste, als ich heute erwachte, schien dein Strahlen heller als das meine“, sprach er mit rauer Stimme. Der Morgen war von schwerem Tau durchtränkt und liess den Gott deshalb noch nicht in seiner ganzen Pracht erstrahlen.
„Nein, mein Geliebter“, begann die Göttin des Mondes sanft. „Wenn du mit deinem hellen Strahlen nicht wärest, wäre meine Gestalt von Düsternis erfüllt. Dann würde sogar das Licht der Sterne von hellerer Sorte als mein nächtlicher Schimmer.“
Ihre Lippen küssten zärtlich die seinen, bevor sie still und leise zu ihren
wartenden Kindern in den Äther zurückkehrte.
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