Lautstark weckte mich das Klingeln des Weckers. Als ich die Augen aufmachte und auf die Uhrzeit schaute, fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf.
Was! Es war schon 7 Uhr!
Wie der Blitz sprang ich aus dem Bett, zog mich um und kippte einen heissen Kaffee hinunter, an dem ich mich natürlich auch noch verbrannte. Immer dieser Stress am Morgen!
Nachdem ich die Kaffeetasse auf den Tisch geknallt und die Zähne geputzt hatte, schlüpfte ich in meine Schuhe und
verabschiedete mich mit einem leisen Murmeln von meinen Eltern.
Glücklicherweise erwischte ich gerade noch meinen Bus, so dass doch noch die Möglichkeit für mich bestand, pünktlich in der erste Schullektion zu erscheinen. Das dachte ich jedenfalls. Kaum war der Bus abgefahren – ich hatte nicht einmal mehr Zeit mich hinzusetzen – kippte ein älterer Mann vom Sitzplatz und hielt sich mit vor Schmerz verzogenem Gesicht die linke Brust. Mit einem unguten Gefühl ahnte ich bereits, was diesem Mann widerfuhr:
er erlitt gerade eine Herzattacke.
Ich zögerte nicht lange und rannte so
schnell ich konnte zum älteren Mann, um seinen Sturz noch ein wenig abzufedern. Zusätzlich zu der Herzattacke eine Gehirnerschütterung zu bekommen, war das Letzte, was er brauchen konnte. So schnell wie möglich liess ich in meinem Kopf all das, was ich im Nothelferkurs gelernt hatte, Revue passieren, während ich den Mann flach auf den Boden hinlegte. „Kann mir bitte jemand helfen?“, schrie ich quer durch den ganzen Bus. Sofort kam eine junge Frau zu mir und fragte mich, wie sie mir helfen könne, denn sie habe nie an einem Nothelferkurs teilgenommen. Also wies ich sie an, die Gaffer, die sich um uns gescharrt hatten, zu beruhigen. Sie solle
einen von ihnen darum bitten, den Busfahrer über diesen Umfall zu informieren, damit er anhielt. Währenddessen machte sich einer der Gaffer nützlich und rief von selbst den Krankenwagen. Nachdem ich ihr alle Anweisungen gegeben hatte, begann ich mit der Reanimation. Zuerst führte ich die Herzdruckmassage durch, dann die Mund-zu-Nase-Beatmung, und dass immer abwechslungsweise. Die Menschen um mich herum vergass ich vollkommen durch das regelmässige Pumpen und durch das Adrenalin, das durch mein Blut raste.
Nach etwa fünf Minuten – mir kam es
vor wie Stunden – traf dann endlich der Krankenwagen ein. Ein Sanitäter trat durch die geöffnete Bustür zu mir und gab mir zu verstehen, dass ich diesen Mann nun ihm überlassen konnte. Nur mit Mühe gelang es mir, mit der Reanimation aufzuhören. Langsam lehnte ich mich zurück und machte Platz für den Sanitäter. Erst jetzt bemerkte ich, wie anstrengend diese Sache eigentlich gewesen war. Mir taten vor allem meine Arme weh. Im ersten Moment hatte ich ziemlich weiche Knie, als ich aufstand, jedoch nicht sehr lange.
Nun kam ein zweiter Sanitäter auf mich zu und fragte mich, wie es mir ginge. „Den Umständen entsprechend gut“,
antwortete ich und fragte ihn: „Dürfte ich später erfahren, ob dieser Mann es überstehen wird?“ Er versicherte mir, dass das möglich sei, und nahm meine Kontaktdaten auf. Schliesslich entliess er mich mit einem Dankeschön wegen der Reanimation und dem Satz: „Heute hast du wohl die Rolle eines Schutzengels übernommen.“
Ich lächelte nur, wünschte ihm noch einen guten Tag und machte mich wieder auf den Weg zur Schule.
Trotz Verspätung trat ich mit einem Lächeln im Gesicht über die Türschwelle des Klassenzimmers.
© by Aquilifer