SCHNEE
Eine kleine Gruppe schwarz gekleideter Menschen stand frierend auf dem kleinen Friedhof des Bergdorfes. Ein kleiner und ein großer Sarg warteten darauf, in das finstere, kalte Grab hinab gelassen zu werden. Für Karl war es der schwerste Tag in seinem Leben. Aber auch für seine Mutter, die weinend neben ihm stand, war es nicht leicht. Keine Oma sollte ihren Enkel beerdigen müssen.
Der Pfarrer versuchte tröstende Worte zu finden. „Lasset die Kindlein zu mir
kommen, sprach der Herr,“ sagte er mit einem Blick auf den kleinen Sarg, als er durch das Knattern eines Transporthelikopters unterbrochen wurde, der auf dem nahen Tennisplatz landete. Man hatte diesen kurzerhand zum Hubschrauberlandeplatz umfunktioniert. Karl blickte in die Richtung des landenden Helikopters. ´US- Army´ stand darauf. Er kam von einem in der Nähe befindlichen US Armeestützpunkt, der sich spontan zur Hilfe bereit erklärt hatte. Karl wusste, dass er neben Hilfsgütern auch einige Zinssärge dabei hatte. Er würde einige Menschen zurückholen aus dem letzten Urlaub ihres Lebens. Nur wenige
Kilometer trennten das Dorf von der Autobahn, die jetzt eigens für den Katastropheneinsatz gesperrt war. Da, wo noch vor kurzem Autos fuhren, standen jetzt Zelte des roten Kreuzes, der Bundeswehr und des THW.
Wenige Kilometer, die jetzt nur noch über den Luftweg zu überbrücken waren.
Es hätte alles verhindert werden können. Karl hatte sie gewarnt. Er war der Zuständige für die Sicherheit auf den Pisten und Loipen. Er hatte sie gewarnt vor den sich immer bedrohlicher aufbauenden Schneebrettern am Steilhang, nachdem es tagelang unaufhörlich geschneit hatte.
Man hätte sie kontrolliert sprengen können, als es noch nicht zu spät war.
Natürlich hätte man dann sicherheitshalber den Hotelkomplex, der ,postkartentauglich, genau vor diesem Steilhang gebaut wurde, evakuieren müssen.
Aber Karl stieß auf erheblichen Widerstand. Mit Entlassung aus dem Dienst hatte man ihm gedroht. Sogar mit einer Klage wegen Geschäftsschädignung, als er versuchte, die Urlauber zu warnen.
Vom Bürgermeister wurde er vertröstet, dass Spezialisten unterwegs waren, die die Lage beurteilen würden.
Aber er brauchte keine Spezialisten. Schon von Erzählungen seines Großvaters wusste er um die Gefahr in besonders schneereichen Wintern. Nur, dass kein Bergbauer jemals so dumm war, seinen Hof ausgerechnet vor diesem Steilhang zu bauen.
Nach tagelangen, massivem Schneefall und ergebnislosen Verhandlungen mit dem Bürgermeister und den Tourismusverantwortlichen, kam es, wie es kommen musste. Das Schneebrett löste sich und riss den gewaltigen Hotelkomplex mit sich, wie ein Kartenhaus.
Tausende von Tonnen Schutt und Schnee
pflügten eine Schneise der Verwüstung durch das Dorf.
Die Erschütterung löste noch zahlreiche andere Lawinen aus, so dass auch die einzige Straße zum Dorf unter meterhohem Schnee begraben war.
Als die beiden Särge von Karls Frau und seinem Sohn ins Grab hinab gelassen wurden, wurden auch die Zinnsärge in den Transporthelikopter gebracht.
Einige US Soldaten standen Spalier und salutierten den ihnen unbekannten Opfern.