Mein Leben lang war ich ein Miesepeter. Wahrscheinlich gibt es nur ein einziges Hochzeitsfoto auf dieser Welt, auf dem der Bräutigam aus dem Maßanzug schaut, als säße ihm ein gewaltiger Brocken Verdautes im Allerwertesten quer: Das, auf dem ich drauf bin. Und es lag nicht an meiner Frau. Die war ganz reizend. Wirklich. Es lag einfach … nun … an meinem Gesicht. Ich konnte dafür nichts: Die Miesepetrigkeit hatte sich über die Jahre in meine Visage hineingefressen. Ich hasste eben viele Dinge auf der Welt, da gab es wenig zu lachen. Vor allem hasste ich Feiertage. Und wenn ich etwas noch mehr hasste als Feiertage, dann waren es Feiertage, die
keine wirklichen waren! Aber am allerschlimmsten waren Feiertage, die keine waren und die irgendwann einmal aus einer morschen Holzkiste aus Übersee gekrochen sein mochten, um unsere heimischen Gefilde zu verpesten. Oder kurz: Hallo…ween! Ich kam gerade vom Klo, die Zeitung vom Wochenende unter den Arm geklemmt, die ich ausschließlich dort las, weil sie eben da war, weil ich sie dorthin mitnahm, weil sie an schlechten Tagen auch mal als Rettungsanker herhalten musste, wenn das gute Dreilagige knapp war. Im selben Moment, als ich verrichteter Dinge in den Flur schlurfte, hörte ich, wie der
Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Ratsch, klick, klack, schon stand Anne, meine Frau, in der Tür. Freudestrahlend natürlich. Auf dem Kopf trug sie eine Bommelmütze, weshalb sie ein wenig aussah wie ein seltsam anmutender, grinsender Pilz. Nicht, dass es draußen schon kalt genug für Mützen gewesen wäre. Anne meinte einfach, so was gehöre zu einem richtigen Herbst dazu wie das bunte Laub, das ich jeden zweiten Tag fluchend vom Balkon sammelte. An Annes Hand baumelte eine Plastiktüte, auf der ein fies grinsendes Kürbisgesicht abgebildet war und die Schlimmes erahnen ließ. Im unbetüteten Arm hielt sie einen Kürbis. Ganz genau:
Hallo…ween! »Happy …« »Untersteh dich!«, unterbrach ich sie, die zusammengerollte Zeitung drohend erhoben. »Ach komm, jetzt sei doch nicht so, du Stinkstiefel. Guck mal, wir können jetzt sogar eine Kürbislaterne schnitzen.« Sie zeigte mir ihre neuste Errungenschaft, als hätte ich das dicke, orangefarbene Ding übersehen können. »Und dann dekorieren wir die Wohnung mit dem gruseligen Zeug hier. Hab ich extra mitgebracht. Wirst staunen! Na und heute Abend gibt es dann Gruselfilme für uns. Halloween ist doch total
schön.« »Aha. Und zwischenzeitlich stopfe ich irgendwelchen Drecksblagen Schokolade zwischen die Backen, damit sie mir nicht Mehl, faule Eier oder Schlimmeres in die Schuhe kippen, oder was? Pah!«, erwiderte ich. »Schatz, deine Schuhe stehen drinnen«, sagte Anne und grinste fast wie der Kürbis auf der Tüte. Aber Punkt für sie, das musste ich zugeben. Mein Blick fiel erneut auf die bedrohlich prall gefüllte Plastiktüte, die sie mitgebracht hatte. Gott, ich wollte gar nicht wissen … »Was hast du denn da jetzt wieder angeschleppt?«, fragte ich trotzdem, weil sie es mir sowieso
lang und breit erzählen würde. So machte Anne es immer, schon bevor wir verheiratet waren. Etwas interessierte mich nicht? Scheiß drauf, irgendwem musste sie es ja erzählen, sonst wäre sie vermutlich längst explodiert. Anfangs tat ich noch so, als wäre ich wenigstens ein bisschen an ihren ausufernden Berichten interessiert. Irgendwann fand ich heraus, dass meine Reaktionen absolut keine Auswirkung auf ihre Ausführungen hatten. Vor allem auf deren Umfang. »Oh, allerhand Sachen. Ich habe alles mitgenommen, was ich gefunden habe. Aber lass mich kurz die Schuhe ausziehen, dann pack ich aus und zeig dir alles«, drohte sie. Gesagt, getan,
standen wir am Wohnzimmertisch, wo Anne eine von chinesischen Kinderhänden gefertigte Scheußlichkeit aus giftigem Polymer-was-auch-immer-Gedöns nach der anderen aus der Tüte zog. »Hier hätten wir erst mal die obligatorischen Plastikspinnen. Chic, ne? Du magst doch Spinnen. Also heißt, du magst sie nicht, klar, wer mag die schon, nur hasst du sie nicht, aber ich hasse sie, na ja, du weißt schon.« »Hmh.« »Und guck mal, das ist doch toll, oder? Passend dazu, die Spinnweben!«, sagte Anne und hielt mir irgendwas unter die Nase, das vielleicht mal eine Gardine in irgendeiner Seniorenresidenz gewesen
sein mochte. »Dann hier natürlich Totenköpfe. Also keine echten, logisch, aber sie sehen trotzdem cool aus, oder was meinst du?« »Hmh.« »Die können wir links und rechts neben den Fernseher stellen. Das wirkt dann sicher total klasse, wenn heute Abend Kerzen draufscheinen, während wir uns passende Filme angucken. Und dann hätten wir noch …« Passende Filme? Nun ja, nicht, dass ich je gefragt worden wäre. »Ist das da ein Plastiktiger?«, fragte ich dazwischen, einfach um auch mal was zur Unterhaltung beizusteuern. »Das? Öh, ich schätze schon. Eine
Katze … hat Streifen … wird wohl ein Tiger sein. Warum fragst du?« »Och, ich dachte, ich frage mal. Schließt sich gleich die nächste Frage an: Was genau hat der Tiger mit diesem unsäglichen Halloween zu tun?« »Na nichts, aber der stand da halt im Regal«, antwortete Anne in diesem Tonfall, der rhetorisch zurückfragte, wie ich nur so dämliche Fragen stellen konnte. »Na gut. Für die Giraffe da gilt vermutlich dasselbe?« »Giraffe? Oh ja, klar, klar. Ah, und guck mal hier, eine kleine Anleitung, wie man wahnsinnig tolle Kürbislaternen schnitzt. Bunt bebildert und in
Einzelschritten erklärt. Na, was sagst du?« »Hätte es da nicht auch ein YouTube-Tutorial getan?« »Ach komm, alter Stiesel. Außerdem gab es die quasi fast umsonst. Aber warte, das Beste hast du ja noch gar nicht gesehen. Du wirst staunen!« »Was kommt jetzt? Ein Seestern mit Geweih?«, fragte ich, während Anne in der Tüte wühlte, meinen triefenden Sarkasmus geschickt überhörend. »Nee, aber das hier«, sagte sie und hielt mir stolz ein scheußlich haariges Ding unter die Nase, das zumindest nicht aus giftigem Kunststoff zu sein schien. War dafür vermutlich irrsinnig teuer,
doch ich unterstand mich, nachzufragen. »Ist es das, was ich denke, was das ist?« »Das, halt dich fest, Schatz, ist eine echte, ich betone, eine echte Affenpfote!« Da ich nicht wusste, wohin mit meiner schieren Begeisterung, ging ich dazu über, diese Stelle an meinem Hintern zu kratzen, die schon die ganze Zeit über juckte. »Welchem unglückseligen Primaten haben sie die abgehackt? Und was noch viel wichtiger ist: Wer, zum Teufel, verkauft so was? Ach ja, und falls sich die Frage nicht irgendwie von selbst stellen sollte: Was willst du mit diesem
Tinnef?« »Also das mit der Pfote ist eine besonders krasse Geschichte«, begann Anne, und ich befürchtete zurecht, dass ich sie gleich in den Gehörgang gestopft bekommen würde. »Da gibt es doch oben diesen Krimskramsladen auf der Hauptstraße, du weißt schon, neben dem die kleine Pizzeria steht, und dazwischen, also da ist doch so 'ne Abrissbude, in der schon lange nichts mehr drin ist. Also drin war, mein ich, denn heute, ich ging da gerade dran vorbei mit dem ganzen Zeug hier, da war plötzlich ein Laden drin. Sah ganz alt aus, obwohl der ja neu sein musste, und was da so im Schaufester stand, lauter
altes Zeug eben, das schien mir so passend zu Halloween zu sein, dass ich unbedingt kurz reinschauen musste.« »Hmm, und drinnen war es vermutlich recht dunkel, niemand war zu sehen, und als du gerade anfingst, dir die seltsamen Artikel anzuschauen, speziell diese eklige Affenhand ...« »Affenpfote!« »Speziell diese eklige Affenpfote, da hattest du plötzlich eine Hand auf der Schulter?«, beendete ich meine Vermutung zu Annes Räuberpistole. »Aber ja«, sagte sie und schaute mich mit so großen Augen an, dass sie aus ihren Höhlen zu fallen drohten. »Woher weißt du
das?« »Ach komm, Schatz, wen willst du mit dem Quatsch verscheißern? Wird das so eine Art Aprilscherz an Halloween, oder was? Nicht mit mir! Und warte ... Der Verkäufer, lass mich raten, war ein alter Kerl mit grauem Haar und einem dünnen Oberlippenbart?« »Ganz genau! Hey, du kennst den Laden schon? Ich dachte, der sei ganz neu!« »Mitnichten. Oh, und meine unsichtbare Glaskugel verrät mir noch mehr: Der alte Mann hat dir nach einem kurzen Plausch diese Affenpfote hier gezeigt, als du meintest, du suchtest was Besonderes, das zu Halloween passt,
richtig? Und er erzählte dir natürlich, das eklige Ding würde dir drei Wünsche gewähren?« Da klappte Annes Kinnlade herunter. Ich musste schon sagen, gut spielen konnte sie ihre Überraschung schon. »Alles richtig, wow! Deswegen streckt die Pfote auch drei Finger in die Höhe. Für jeden Wunsch einen«, sagte sie. »Aber das wirklich Kuriose: Als ich fragte, was die Pfote kostet, da ...« »... meinte er, er schenke sie dir.« »Aber ja, stimmt alles! Und dann - jetzt kommt‘s - dann ging ich raus mit dem Ding, und kaum war ich ein paar Meter weit gegangen, da drehte ich mich um und
...« »... der Laden war verschwunden. Paff, einfach weg!«, riet ich weiter und versuchte, das Gähnen zu unterdrücken, das aus mir hervorrollen wollte. »Stattdessen war das Gebäude wieder genauso abrissreif wie vorher.« »Richtig! Boah, das ist ja krass jetzt«, sagte Anne, die noch immer so tat, als würde sie über meine hellseherischen Fähigkeiten staunen. »Anne, die Geschichte hat einen solchen Bart, dass sie selbst drüber stolpern würde, wenn sie gehen könnte. Würde das stimmen, hättest du dieses Ding doch nicht mit nach Hause gebracht. Eine Pfote, die Wünsche
erfüllt, pah! So was könnte doch nur Unheil bedeuten. Warum bindest du mir einen Bären auf, hm?« »Aber ... aber da ist doch kein Bär im Spiel«, sagte sie und drehte das Ding hin und her. »Falls der Verkäufer recht hatte, habe ich drei Wünsche frei. Warum, um Himmels willen, sollte ich so was denn wegwerfen? Wir könnten ... hey, wir könnten uns jede Menge Kohle wünschen«, schlug Anne vor und strahlte, als glaubte sie den Humbug tatsächlich. Mitunter hatte sie ja seltsame Anwandlungen, doch heute musste irgendwas Unverträgliches im Essen gewesen sein. »Wünsch dir bloß keinen
Reichtum!«, sagte ich und beschloss, ihr Spielchen ein wenig mitzuspielen. »Warum?« »Ja kennst du denn nicht die Geschichte von der Affenpfote? Diese Dinger bringen nichts als Unheil. Wenn du dir jetzt Geldsegen wünschst, dann werde ich vermutlich morgen unter die Räder kommen, du kassierst die Lebensversicherung und hast dann deinen Reichtum.« »Schatz, du besitzt doch gar keine Lebensversicherung. Hast doch selbst immer gesagt: So einen Scheiß brauchen wir nicht!«, brummte Anne mit verstellter Stimme. Immer wenn sie mich nachäffte, zog sie die Mundwinkel so
weit nach unten, wie es nur ging. So schlimm sah ich nun auch wieder nicht aus! »Na egal. Jedenfalls wird jeder deiner Wünsche ins Schlechte verkehrt. Solltest du dir nach meinem Tod meine Rückkehr wünschen, kannst du sicher sein, dass ich als lebender Toter nach Hause komme.« »Cool, ein Zombie quasi?« »Das ist kein bisschen cool, wenn ständig Teile von mir abfallen und den Fußboden versauen.« Anne grübelte, während sie das Ding noch immer in der Hand hin und her drehte. »Hmm«, machte sie und gab mir mit ihrer Grübelei einigermaßen
Grund zur Besorgnis. »Und wenn wir uns einfach, na ja, den Weltfrieden wünschen? So was kann man doch nicht missinterpretieren, oder? Also ich meine, das kann gar nicht schief gehen.« Ich seufzte. Die Unterhaltung wurde mir allmählich zu blöd. »Na dann wünsch dir von mir aus den Weltfrieden«, sagte ich schließlich und zog in Richtung Küche ab, um Kaffee zu kochen. »Nee, mach du mal bitte«, sagte Anne, die mir mit dem hässlichen Ding nachgelaufen war. »Würdest du mal aufhören, die Finger dieses Dings in meinen Rücken zu bohren? Herrgott, und warum sollte ich
mir was von einer abgehackten Hand wünschen?« »Na weil dir doch sowieso alles egal ist. Wenn es funktioniert, hab ich meine Wünsche nicht verschwendet«, dozierte sie und drückte mir das Ding in die Hand, bevor ich irgendwas erwidern konnte. »Also gut. Wenn du deine Wünsche nicht für solchen Blödsinn wie Weltfrieden verschwenden willst, dann mache ich das eben. Allerdings ... Wenn diese Pfote gute Wünsche immer ins Schlechte verkehrt, vielleicht sollte ich mir dann einfach das böse Gegenteil von Weltfrieden wünschen.« »Hm, gar keine so üble Idee.
Schlechte Gedanken liegen dir eh besser als gute. Aber was?«, fragte Anne. »Weiß nicht. Hmm, Superkrieg?«, schlug ich vor, und diesmal war ich es, der ihre Spitze überhörte. »Ha, ich weiß! Eine Zombieapokalypse!«, sagte Anne und strahlte. »Böser geht es nicht, echt. Außerdem passt so was wunderbar zu Halloween. Und wenn die Pfote den Wunsch umkehrt, dann müsste ja Weltfrieden herauskommen. Oder wenigstens was in der Art.« Das war so unsinnig, dass es fast Sinn ergab, musste ich zugeben. »Pfote? Pfote, bitte kommen. Ich hätte dann gern einmal die Zombieapokalypse zum
Mitnehmen, bitte«, sagte ich, und kam mir einigermaßen bescheuert dabei vor, mit einer behaarten Hand zu reden. Nichts passierte. Natürlich! Anne hatte zuerst die Luft angehalten, doch nun stieß sie enttäuscht einen tiefen Seufzer aus. »Na ja, einen Versuch war es wert«, sagte sie schließlich. »Na bitte. Hab ich doch gleich gewusst«, murmelte ich und stellte die Pfote auf den Küchentisch. »War wohl nichts mit deinem kleinen Scherz, was?«, sagte ich noch, und damit hatte es sich für mich. Doch als ich gerade an der Kaffeemaschine zugange war, hörte ich plötzlich ein leises Knirschen hinter mir. »Da, die Pfote!«, rief Anne. Als ich
mich umdrehte, zeigte meine Frau mit dem Finger auf die Affenpfote, und ich erkannte gerade noch, wie einer der drei erhobenen Finger sich zur Pfote hin krümmte. Nun waren lediglich zwei weitere Finger erhoben, und es sah tatsächlich aus, als würde die Geste ein Peace-Zeichen formen. Nun ja, kein Weltfrieden, aber ein Anfang war es allemal. Und der Spezialeffekt dieses Dings war tatsächlich nicht übel. »Muss wohl irgendein elektronischer Mechanismus sein«, sagte ich und sah mir die Pfote noch einmal genauer an. »Hmm, kein Fach fürs Batteriewechseln, was? Typisch für diesen chinesischen
Wegwerfschund.« »Das war jetzt aber schon ein bisschen gruselig«, kommentierte Anne. Wahrscheinlich würde sie die Pfote jetzt nicht mehr anfassen. Wieder mal umsonst Geld ausgegeben. Als der Kaffee durch den Filter gelaufen war, setzte ich mich mit der dampfenden Tasse auf die Couch und griff wieder zu der Zeitung, die ich vom Klo mitgebracht hatte. Ich breitete das zerknitterte Exemplar gerade auf meinem Schoß aus, als mir der Artikel mit seiner großen Schrift ins Auge stach, den ich vorher gar nicht gesehen hatte: RÄTSELHAFTES VIRUS GREIFT WEITER UM SICH, war der Text
übertitelt. Ich begann zu lesen: Berlin - Das Virus, über dessen Herkunft und Typ sich Wissenschaftler noch immer nicht im Klaren sind, breitet sich weiter aus. Infizierte Menschen verhalten sich wie Tiere, die sich mit der Tollwut angesteckt haben: Sie fallen andere, vermeintlich gesunde Menschen an, beißen sie und stecken sie schließlich mit dem Virus an. Doktor Romero, Leiter des medizinischen Untersuchungsausschusses sprach von geradezu apokalyptischen Ausmaßen, sollte das Virus nicht bald gestoppt werden und die Krankheit weiter ... Ich legte die Zeitung zur Seite. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.
Gar nicht schlecht, dachte ich, wirklich nicht schlecht gemacht. »Okay Anne, jetzt mal raus mit der Sprache: Wann hast du meine Zeitung durch diesen Blödsinn hier ersetzt?« Anne, die sogleich herbeigeeilt kam, die Augenbrauen in einer fragenden Geste zusammengezogen, blieb plötzlich stehen, als von draußen ein lautes Kreischen zu vernehmen war, dem Geräusch einer Kreissäge nicht unähnlich. Anne ging zum Wohnzimmerfenster und schaute raus auf den Hinterhof. Ihr verdutzter Blick wandelte sich zu einer Grimasse des Schreckens. »Da, guck doch! Jetzt guck, schnell! Der ... der Typ hat gerade die
streunende Katze gefressen.« »Schatz, so langsam geht mir dieser Blödsinn gehörig ...«, begann ich und brach ab, als ich selbst sah, was sie sah, und nicht fassen konnte, was wir da sahen. »Scheiße! Was zum Henker?!« Draußen im Hinterhof, der von unserer Erdgeschosswohnung aus gut zu überblicken war, stand irgendein irrer Penner in völlig verdreckten Lumpen und biss genüsslich in die Katze, die seit geraumer Zeit hier lebte und immer wieder mal den Weg mit toten Nagern dekorierte. Jetzt war sie also selbst dran: Dieser Bekloppte hielt das arme Tier wie ein übergroßes Sandwich und kaute an dem inzwischen hoffentlich toten Tier
herum. Ich konnte meinen Blick vor lauter Ekel gar nicht abwenden, und so ging es offenbar auch Anne. Da Frauen jedoch des Multitaskings mächtig sind, konnte sie sehr wohl noch etwas anderes nebenbei tun, nämlich schreien. Und Anne schrie. Augenblicklich ließ der widerwärtige Kerl das blutige Bündel fallen wie eine heiße Kartoffel und sah mit weit aufgerissenen Augen zu uns herüber. Von seinem Kinn troff noch das Blut der Katze, die er sich gerade genehmigt hatte. Bei diesem Anblick fiel mir sofort mein Wunsch von eben wieder ein. »Scheiße, ist das ein ...?«, bekam
ich noch heraus, als das Ding, das so gar nicht mehr nach Mensch aussah, sich in Bewegung setzte und auf uns zu wankte. Und das tat es verdammt schnell. Noch ehe wir irgendwie reagieren konnten, hatte sich das Monster schon an unserem Wohnzimmerfenster zu schaffen gemacht. »Na super! Du hast gesagt, wohnen im Erdgeschoss brächte fast nur Vorteile!«, keifte Anne, während der röchelnde ... Ja, es war ein Zombie, verdammt! ... sein fauliges Gesicht gegen das Fenster presste und die Scheibe besudelte, die ich erst vor einer Woche geputzt hatte. »Hat es ja auch. Man muss die
Tüten nicht dauernd die Treppen hochschleppen«, entgegnete ich. »Es gibt auch Häuser mit Fahrstühlen, verdammt!« »Aber durch die hätten wir bloß höhere Nebenkosten.« »Alter Geizkragen! Im zweiten Stock hätten wir dieses scheiß Problem hier jetzt nicht!« Pah, als hätte ich mit plötzlichen Zombiebedrohungen im Hinterhof rechnen können. Und als wäre die Situation nicht vertrackt genug gewesen, bemerkte ich erst, dass das Fenster angekippt war, als das Ding seine vermoderte Hand durch den Spalt schob und am Rahmen
herumtastete. »Ja Kruzifix! Warum ist denn das verdammte scheiß Fenster offen?«, brüllte ich und warf mich sofort gegen den Rahmen. Doch zu spät, der Zombie sah ja gar nicht ein, seine Patsche aus dem Spalt zu ziehen. »Weil es hier drinnen sonst stinkt. Man muss doch auch mal lüften«, erklärte Anne mit hysterischer Stimme. »Hättest du nicht an einem anderen Tag lüften können?« »Hör doch einmal auf zu meckern, Mensch! Sag mir lieber, was wir jetzt machen sollen?« Ja woher sollte denn ich das wissen? Die Hand tastete weiter am Rahmen und der Wand herum, während
ich mich wie ein Berserker gegen das Fenster presste. Ich wünschte mir mehr Kraft, um dem Ding die Hand einfach abklemmen zu können. Abklemmen, aber ja doch! »Messer!«, stieß ich unter Anstrengung hervor. »Bring mir ein Messer! Schnell!« Und Anne ließ sich nicht lange bitten. Sie rannte in die Küche und wühlte dort in der Schublade herum. Ich hörte Besteck zu Boden fallen, dann war sie auch schon wieder da. »Ein Messer, hab ich gesagt. Das ist ein Kartoffelschäler!« »Was? Hast du vielleicht noch andere Sonderwünsche? Dann drück dich
doch mal deutlicher aus.« »Ja soll ich es extra aufschreiben, oder was? Jetzt hol mir ein Messer, aber dalli!«, wiederholte ich. »Ein richtiges. Wir müssen den Knochen damit durchtrennen.« Dieses Mal kehrte Anne tatsächlich mit dem größten Exemplar zurück, das unsere Küche zu bieten hatte. Und es war glücklicherweise gleichzeitig das mit Abstand schärfste. »Okay, jetzt schneid ihm die Hand ab! Los!« »Igitt, nein!«, keifte Anne. »So was kann ich nicht. Das mach du mal schön.« »Meine Fresse! Gib her, verdammt!« Ich riss das Messer an mich, musste nun jedoch den Fensterrahmen
loslassen, und prompt hatte das Ding den ganzen Arm durch den Spalt gesteckt. »Na auch gut. Schneiden wir den scheiß Arm eben direkt am Gelenk ab«, knurrte ich und ging munter ans Werk. Es war eine ziemliche Sauerei, doch da das faulige Herz des Untoten wahrscheinlich nicht mehr schlug, spritzte das Blut nicht wie wild durch die Gegend und gegen unsere schöne Einrichtung, als ich den Arm vom vergammelten Körper trennte, sondern lief lediglich herunter wie rostiges Wasser aus einem undichten Hahn. Gut, das konnte man später aufwischen. Hätte es die Tapete erwischt ... »Und jetzt mach endlich das
verflixte Fenster zu!«, rief ich Anne zu, die sich nicht lange bitten ließ. Das Fenster war nun also geschlossen, doch viel Zeit zum Verschnaufen blieb uns deswegen noch längst nicht. Im Hinterhof hatten sich bereits die nächsten wandelnden Leichen versammelt, die wahrscheinlich von dem Krach angelockt worden waren, den ihr Artverwandter gemacht hatte, während ich seinen BMI optimiert hatte. Inzwischen sah es draußen aus wie im »Thriller«-Video von Michael Jackson. Und zu allem Überfluss begann nun auch noch der abgetrennte Arm, der in unserem Wohnzimmer lag, sich zu bewegen. Wie kleine Beinchen tasteten
die Finger sich voran, griffen nach Annes Fuß, die spitz aufschrie und zurücktaumelte. Und jetzt, beim Anblick der herumkriechenden Hand, fiel es mir wieder ein. »Die Affenpfote!«, rief ich und stürmte zurück in die Küche. Ich griff die Pfote, die noch immer auf dem Küchentisch stand und zwei Finger in die Höhe reckte. Wenn uns ein erster Wunsch diesen Albtraum beschert hatte, dann würde ein zweiter ... Draußen am Küchenfenster machten sich bereits die nächsten Untoten zu schaffen. Einer von ihnen brachte einen großen Stein mit, mit dem er nun auf die Scheibe einhieb. Es dauerte nicht lange, da gab das Glas
nach. »Ich wünschte, die Zombies wären wieder verschwunden!«, schrie ich. Nichts passierte. Der Zombie mit dem Stein drosch weiter auf das kaputte Fenster ein, und schließlich war das Loch in der Scheibe so groß, dass der erste Untote sich durch die entstandene Öffnung zwängen konnte. An den scharfen Kanten des Glases riss seine schwammige Haut auf. Der Zombie schälte sich selbst wie eine Banane, doch das schien ihn nur wenig zu stören, während er mich mit gierigem Blick anstarrte und Sabber von seinen schwarzen Zähnen übers Kinn und auf den Küchenboden tropfte. Gut, auch das
konnte man später aufwischen. Dann plötzlich: Plopp! Ein Geräusch erklang, als hätte eine überdimensional große Hand mit den Fingern geschnippt, und alle Untoten waren von einem Moment auf den nächsten verschwunden. Die Affenpfote reckte jetzt nur noch den Zeigefinger in die Höhe. Fast, als wollte sie auf mich deuten und sagen: »Du bist schuld an dem Schlamassel!« Gut, ich war ja auch schuld, ja, doch nun war es immerhin vorbei. Die Scheibe blieb kaputt, ja, der Boden war mit Sabber übersät, okay, aber die Zombies waren verschwunden. »Anne?«, rief
ich. »Ja?« »Lebst du noch?« »Nein. Du etwa?« »Ha ha. Komm her zu mir.« Wir standen beide keuchend in der Küche und starrten die Affenpfote an. »Krass, das Ding funktioniert wirklich!«, flüsterte Anne, als könnte das Ding uns hören. Zu allem Überfluss grinste sie, als wäre nichts gewesen. Es war ja nicht so, als wären gerade eben noch die lebenden Toten über die Welt und vor allem über unsere Küche hergefallen. Da konnte man schon mal grinsen. »Jetzt gib mal her, das Ding. Ich will mir auch was
wünschen.« Wie bitte? Ich hatte mich wohl verhört! »Nichts da!«, schrie ich sie an. »Das Ding kommt jetzt weg. Ist ja lebensgefährlich, das Teil.« Auch wenn das Ding tatsächlich Wünsche direkt zu erfüllen schien, statt sie irgendwie boshaft zu interpretieren, würde niemand mehr auch nur einen Wunsch äußern. Außer ... »Pfote, ich wünsche, dass du für immer verschwindest!«, rief ich aus. »Spinnst du, dir so was zu wünschen?«, schimpfte Anne. »Wenn das jetzt funktioniert hätte, dann ...« Plopp! Wieder dieses schnippende Geräusch, diesmal nur deutlich leiser, und weg war die Pfote.
»Aaaah!« »Es ist besser so«, sagte ich. »Wer weiß, was noch passiert wäre? Das mit der Scheibe der Versicherung zu erklären, wird ohnehin schon schwer genug.« »Aber ...«, begann Anne und grübelte wieder nach, was ja generell selten zu was Gutem führte, wie die letzte halbe Stunde eindrucksvoll bewiesen hatte. »Sag mal, hätte der zweite Wunsch den ersten nicht rückgängig machen müssen?«, fragte sie schließlich. »Wie jetzt?«, fragte ich zurück. »Na schau doch, die Scheibe ist immer noch kaputt.« Anne ging ins
Wohnzimmer hinüber. »Hier klebt auch immer noch das Blut auf dem Fußboden. Nur die ... hmm ... die Zombies sind weg. Sag mal, was hast du dir genau gewünscht?« »Na dass die Zombies wieder verschwin...«, sagte ich, und nun machte es auch bei mir klick. »Oh Scheiße!« Gut, der zweite Wunsch war etwas unglücklich formuliert. Und der dritte vielleicht noch unglücklicher, auch das musste ich schon zugeben. Sich die Welt zu wünschen, wie sie vor dem ersten Wunsch war, wäre vermutlich richtiger gewesen, doch zu meiner Entschuldigung sei gesagt, die Zeit drängte, und beim dritten Wunsch kam, das gestehe ich ein,
mein Miesepetergen hinzu. Lange Rede, kurzer Sinn: Es hat auch seine Voreile, an der Supermarktkasse nicht mehr anstehen zu müssen. Und nicht mehr zahlen zu müssen auch. Gut, dafür gibt es keine neuen Warenlieferungen. Streng genommen gibt es überhaupt nichts Neues mehr da draußen, wenn man selbst zirka fünfzig Prozent der noch existenten Weltbevölkerung ausmacht. Außerdem frage ich mich unweigerlich, wem ich diese Geschichte hier überhaupt erzähle. Aber gleichzeitig gibt es kaum noch Dinge, über die ich mich aufregen kann. Schon gar kein Hallo...ween! Und das war es ja wohl allemal wert.
Dem nach Blut dürstenden Leser mit zu viel Zeit sei auch empfohlen:
»Brain-Slasher«
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»Rote Brut«
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»Tage wie dieser«
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Karimela Ich weiß schon, warum ich Halloween blöd finde;-) Deine Geschichte dazu habe ich allerdings wieder einmal genossen. Ich mag einfach deinen krassen Humor, auch wenn's gegen Ende doch ganz schön gruselig wurde. Aber ist ja auch eine Gruselgeschichte;-)) Und sollte mir jemals eine Affenpfote begegnen, bin ich ja nun gewarnt. Danke;-) Liebe Grüße Karimela |
PhanThomas Hallo Karimela, danke schön. Ich glaube, so eine Geschichte kann man auch nicht wirklich ernsthaft verfassen. Zumal mit der Originalgeschichte »Die Affenpfote« ja schon alles gesagt ist, was man dazu so sagen kann, und diese ist verdammt gruselig und berechtigterweise auch komplett humorbefreit. Meine Variante daher eben genau gegenteilig ausgelegt. Liebe Grüße und danke schön Thomas PS: Ich mag Halloween eigentlich sehr gern. Der Brauch ist obskur, aber ich habe ein kleines Faible für Horrorkitsch. |
PhanThomas Das war dann gerade ich, äh ... Passiert mir ständig derzeit. :D |
PhanThomas :-D Ich sag ja, das geht ratzfatz! |
PhanThomas Hallo Shirley, so, jetzt noch mal. Danke schön fürs Durchwurschteln, auch wenn's etwas länger war (na ja, und zum Schluss kam ja nur noch 'ne Werbeseite ;-) ). Ja, das mit den drei Wünschen ginge vermutlich niemals wirklich gut aus. Zum Glück kann man sich zwar viel wünschen, aber was das Erfüllen angeht ... nun ja, da hat Gott Mammon meist noch was mitzureden. Liebe Grüße Thomas |