Kürzlich hatte ich einen Traum. Einen außergewöhnlichen Traum.
Mir erschien ein Mann mit einem weißen Mantel bekleidet, der mir sagte, dass ich eine Reise machen werde.
„Eine Reise?“, fragte ich. „Wohin?“
Er schüttelte den Kopf, sah mich fest an und meinte: „Lass Dich leiten.“
Ich war irritiert, hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. Doch bevor ich wusste, was mit mir passierte, befand ich mich in einer fremden Stadt.
Jedoch war sie mir wirklich so fremd?
War ich hier nicht schon vor Jahren?
Irgendetwas war aber dieses Mal anders. Sie vermittelte mir ein vertrautes, herzliches Gefühl.
Da berührte mich der Mann an meiner Schulter und zeigte auf ein Gebäude.
„In diesem Haus machte ich einst eine Entdeckung. Eine Entdeckung, die heute von Bedeutung ist. Es handelt sich um Strahlen, die man nach mir benannte und noch heute in der Diagnostik wichtig sind.“
In diesem Moment fiel mir ein Schild am Gebäude auf. Dort stand der Name meines Begleiters: Wilhelm Conrad Röntgen.
Ich war verblüfft und fasziniert zugleich, wusste nicht, was ich sagen sollte. Da unterbrach er unsere kurze Stille.
„Schließ Deine Augen.“
So tat ich es und als ich sie wieder
öffnete, befand ich mich an einem weiteren fremden Ort.
Der Mann mit dem weißen Mantel war jedoch fort.
„Sieh zum Wasser. Erkennst Du die Figur?“
Neben mir stand ein Mann mit einer Schreibfeder in der Hand.
„Ist sie nicht hübsch? Sie ist das Wahrzeichen der Stadt und ist eine Figur aus einer meiner Märchen.
Eine traurige Geschichte, doch die kleine Meerjungfrau hat hier einen wunderschönen Platz bekommen. Findest Du nicht?“
Gerade, als ich etwas sagen wollte, verschwand die kleine Figur wie auch mein Schriftsteller, und ich fand mich in einem großen Gebäude wieder.
Doch weit mehr eindrucksvoller war das Schiff, das in der großen Halle untergebracht war.
„Ein imposantes Schiff, nicht wahr?“
Neben mir stand eine ältere, zarte Frau, die mich freundlich anlächelte.
„Sie war einst der Stolz des Königs. Man kann leider nur mehr erahnen, wie farbenfroh sie gewesen sein musste, die Vasa.
Ihre Fahrt dauerte nur kurz. Dann sank sie und war für viele Jahre verschollen.“
Während die alte Frau mir über das
Schiff erzählte, fragte ich mich, wer sie wohl selbst war.
Sie schien meine Gedanken lesen zu können.
„Auf dieser Insel befindet sich nicht nur dieses Museum. Wenn Du wissen möchtest, wer ich bin, so sieh Dir ein weiteres Museum an. Dort werden meine Geschichten, die ich geschrieben habe, erzählt.“
Nur wenig später verstand ich, was sie meinte. Doch in jenem Moment, als ich die nachgebaute Villa Kunterbunt betrat, veränderte sich abermals die Umgebung.
Wo war ich nun?
Es sah aus, wie eine alte Apotheke.
Ich ging zum Fenster, blickte hinaus und sah einen mittelalterlichen Marktplatz.
Auf dem Platz gab es ein buntes Treiben. Restaurants, Marktstände und viele Menschen.
Gegenüber war ein helles Gebäude aus Stein, das einen schmalen Turm hatte.
Der Turm ähnelte einem aus dem Orient.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich sein könnte. Ich ging zur Tür, stieg ein paar Stufen hinab und befand mich nun mitten im lebhaften Geschehen.
Ich beschloss ein paar Schritte zu gehen und das, was ich sah, beeindruckte mich sehr. Ich hatte das Gefühl in einem Freilichtmuseum zu sein, doch das war ich nicht. Schließlich stand ich vor einer
mächtigen Stadtmauer.
Diese Mauer bildete Gewölbe und jedes Gewölbe war mit einem Verkaufsstand ausgestattet.
Mir fielen die lustigen Wollmützen auf, die sicherlich ein Meter lang waren.
„Wir haben hier sehr kalte Winter. Diese Mützen dienen uns nicht nur als Kopfbedeckung, sondern gleichzeitig auch als Schal.“
Eine Marktfrau, bekleidet mit einem mittelalterlichen Gewand und einer dieser Mützen in der Hand, stand neben mir.
„Dir ist die Stadt wohl fremd?“, fragte sie. Ich nickte.
„Vor langer Zeit war es eine reiche
Stadt. Es gab Handel zwischen Ost und West und viele Kaufleute tummelten sich hier…Noch heute kann man die Häuser der Gilde bewundern.
Übrigens, warst Du schon in der alten Apotheke? Man sagt, sie ist die älteste Europas. Wenn Du Dich umdrehst, so kannst Du einen Mann sehen, der Dir sicherlich mehr darüber erzählen kann.“
In diesem Augenblick hob sie den Arm und winkte jemanden zu. Ich drehte mich um, um die Person sehen zu können.
Doch während ich mich bewegte, veränderte sich wieder alles um mich herum.
Erneut befand ich mich in einer fremden
Stadt. Auffällig an dieser Stadt w aren die vielen Wasserstraßen und die Paläste, die die Silhouette bildeten.
Ich blieb vor einem Palast stehen und betrachtete seine Fassade näher.
Es war nicht nur die Pracht der Fassade, sondern auch die Dimensionen des Gebäudes, die eine außergewöhnliche Macht darstellte.
„Heute befindet sich ein Museum darin. Eines von dreihundert dieser Stadt.“
Neben mir stand ein Mann, bei dem man trotz seines Vollbartes seine feinen Gesichtszüge erkennen konnte.
„Würdest du dir jedes Exponat ansehen wollen, so bräuchtest du sechs Jahre dafür. Doch ich nehme an, so viel Zeit
hast Du nicht mitgebracht.“ Er zwinker- te mir zu.
„Ich finde aber auch interessant, das Wasser, das die Stadt umgibt. Wie kommt das?“, wollte ich wissen.
„Die Stadt besteht aus vielen einzelnen Inseln, die alle durch Zugbrücken miteinander verbunden sind. Das Besondere daran ist, dass in der Nacht die Brücken hochgezogen werden, damit auch größere Schiffe passieren können. In Folge ist jede Insel für ein paar Stunden von der Außenwelt abgeschnitten. Vor allem während der weißen Nächte erzeugt dies eine eigene Mystik.“
Ich verstand.
Doch wer war er, mein Begleiter?
Ich musste ihn wohl fragend angesehen haben, denn er schien zu wissen, was mich beschäftigte. „Schließ deine Augen … Kannst du sie hören?“
Ich tat, zu was er mich aufforderte.
Zunächst vernahm ich nur die üblichen Straßengeräusche, doch um so mehr ich mich konzentrierte wurden die Geräusche leiser und bedeutungslos. Anstelle hörte ich Musik. Sanfte Musik, aber auch aus- drucksvoll und märchenhaft.
„Verstehst Du nun?“
Ich nickte.
„Ich lebte einmal in dieser Stadt, aber meine Musik, wie auch dieses Ballett, lebt immer noch.“
Ich hätte noch länger den Klang der Musik folgen können, doch sie wurde abrupt unterbrochen.
Ein Ton, den ich kannte und mir sehr vertraut war, riss mich aus meinem Traum heraus.
Es verging eine Weile, bis ich realisierte, dass ich mich in meiner gewohnten Umgebung wieder befand. Es war mein zu Hause.
Ich fragte mich, ob es wirklich nur ein Traum war.
Sind es nicht diese Träume, in die wir fliehen können um den Alltag hinter uns zu lassen? Diese Art von Träumen hilft uns, zu erholen, wieder zu uns zu finden.
Da erinnerte ich mich wieder an den Signalton meines Handys, das mich so unsanft in die Realität übergeführt hatte.
Ich nahm das Gerät zur Hand und sah auf das Display. Ich musste lächeln, als ich die eingehende Nachricht las, denn auch wenn ich wusste, was ich nun tatsächlich erlebt hatte und was geträumt, so freute ich mich besonders über diese Zeilen:
Guten Morgen! Willkommen zurück und …
schön, dass Du wieder da bist.