Übung
Früh am Morgen und es regnet Hund und Katz. Der Wind weht. Es ist 7.30 Uhr, eigentlich kann ich noch schlafen. Nein, heute nicht, die Pflicht ruft – Zahnarzt. Ja nur der Zahnarzt. Einen Job habe ich schon Jahre nicht mehr. Ich gehöre der Horde der Arbeitslosen II- Empfänger an – also den Faulen und Schmarotzer. Die glorreichen Versager der Gesellschaft. Die Minderbemittelten, die Aussteiger, die Ausgegrenzten.
Behäbig quäle ich mich aus dem Bett. Frühstücken. Einen Bot löslichen Kaffee und zwei Scheiben Toast bestrichen mit Margarine. Die Blutdrucktabletten mit einem Schluck Wasser in den Schlund schieben und schlucken. Diese Prozedere folgt jeden Morgen allerdings eine Stunde später. Aus dem Radio die angenehme Stimme des Moderators mit seinen sonoren Tönen – Tote Hosen Spiel „Tage wie diesen“ – ok! Ja Tage wie diesen ! Ich marschiere ins Bad, putze meine Zähne heute besonders gründlich und spüle sie mit Mundspülung aus. Nun in die zweijährige Bluejeans geschlüpft, eine alte, braue Bluse und die Übergangsjacke anziehen und Schirm schnappen und ab geht die Post. Den kleinen, schwarzen Rucksack auf dem Rücken geschnallt, schleiche ich an der Hausmauer entlang zu meinem 20 Jahre alten, blauen Polo. Die Sicht versperrt, der Scheibenwischer emsig die Wassertropfen von der Windschutzscheibe entfernen, tuckere ich Richtung Stadtmitte.
Sperrung - Umleitung! Auch dies noch! Wütend suche ich mir einen Parkplatz 200 Meter entfernt der Zahnarztpraxis. Der Regen prasselt weiterhin. Meinen Schirm spanne ich auf. Verlasse das Auto ohne nicht zuvor das Licht auszudrehen und das alte mit Rostbeulen beschmückte Auto per Fernbedienung abzuschließen. Marschiere unter Kastanienbäume Richtung Praxis. 8 Grad zeigt die automatische Temperaturanzeige mit roter Schrift an. Hastig weil nur noch 1 Minute Zeit bis zu meinem Termin, steige ich die Treppe empor mit mir noch ein alter Mann und ein junges Mädchen. Ich drücke die Klingel, der Türöffner surrt. Ich gehe auf die Kundentheke zu. Eine junge Frau grüßt monoton. Ich überreiche die von ihr geforderte elektronische Kundenkarte der Krankenkasse. Diese nimmt sie in ihren Besitz und fordert mich auf im Wartezimmer Platz zu nehmen. Auch der alte Mann und das junge Mädchen folgen mir. Ich komme mit dem jungen Mädchen ins Gespräch. Auch eine Arbeitslosen II – Empfängerin mit Kind. Sie sucht genauso wie ich verzweifelt einen Job. Wir reden über die sogenannten Zeitarbeitsfirmen. etc. Leider werden wir abrupt unterbrochen, denn die Zahnarzthelferin überreicht mir ein Formular, welches ich bitte ausfüllen solle. Ich setze meine die Lesebrille auf die ich aus dem Rucksack krame und fülle den Antrag aus. Leider werde ich schon wieder unterbrochen, ich werde nun aufgefordert in den Behandlungsraum 1 zu gehen. Mit der Brille auf der Nase, mit dem Kugelschreiber und dem Formular in der rechten Hand und mit dem Rucksack hängend an der linken Hand betrete ich den Raum. Die Helferin lässt mich alleine. Ich fülle nun das Schriftstück aus. Suche nochmals die Toilette auf und harre der Dinge die da kommen mögen. Es dauert nicht lange und die Zahnärztin betritt den Raum. Nach der kurzen Begrüßung lege ich mich auf den Behandlungsstuhl. Der Stuhl wird heruntergedreht, das Behandlungslicht eingeschaltet. Nun untersucht die blonde, kleine Frau mit einem Mundschutz geschützt, meine Zähne. „Keine Auffälligkeiten, alles in Ordnung kommen sie im Januar wieder zum Zahnstein entfernen!“ Ich glaube mich tritt ein Pferd – wegen einer Minute Mund schauen musste ich mich durch den Regen quälen und habe heute Nacht auf den Film „Borgia“ verzichtet. Wütend ließ ich mir einen Termin geben und steckte meine auf der Theke liegende Gesundheitskarte ein. Um 9.00 Uhr Termin, jetzt zeigt die Uhr 9.15 Uhr. Angezogen und aufgestylt – nach Hause in meine Einzimmerwohnung – nein! Das tägliche Joggen von 7 km fällt ja heute wegen schlechten Wetters aus. Na da bummele ich halt mal an der Baustelle vorbei Richtung Supermarkt und Discounter. Ich kaufe nichts, schaue mir nur an was die Verkaufsmärkte so hergeben. Mein Geld ist schmal obwohl heute erst der 10 des Monats ist. Was da alles angeboten wird! Wehmütig betrachte ich die wunderbaren Dinge. Ich darf sie nur anschauen. Keine Ahnung wie lange ich in diesem Reich der tausend Wünsche gewandelt bin. Ich merke nur mir steigen Tränen in die Augen – Außenseiter! Irgendwann marschiere ich zum Parkplatz zurück, starrte mein altes klappriges Auto und fahre nach Hause in meine kleine 40 Quadratmeter große Wohnung. Es regnet und regnet. Was nun? Ich nehme mir das Buch „Limit“ zur Hand und lese…
Ein Morgen eines nichtarbeitenden, deutschen Bürger geht zu Ende. Nun sitze ich hier und schreibe meine Gedanken auf. Wird dies auch mal wieder besser und anders? Wann steige ich früh morgens aus meinem Bett und gehe Geld verdienen um mir wieder schöne Kleidung, moderne Schuhe, gute, gesunde Lebensmittel kaufen zu können?
So habe ich halt heute nur mal wieder geübt, wie es wäre nicht um 9.00 Uhr aufzustehen – sondern einige Zeit früher.