Kurzgeschichte
Der hellste Stern am Himmel

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"Der hellste Stern am Himmel"
Veröffentlicht am 08. August 2008, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich denke positiv, in leisen Tönen.
Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Beschreibung

kein Science Fiction mehr

Der hellste Stern am Himmel

  T minus 60 

Anna Fjodorowna lag auf dem Rücken in ihrem Raumanzug, festgezurrt wie ein Paket. Der unförmige Skaphander verdeckte ihre kleine drahtige Figur und plusterte sie auf, wie eine frierende Krähe. Der Helm versteckte ihr ausgefranztes rotes Haar und ihr hübsches Gesicht mit den markanten Grübchen. Er machte sie gesichtslos. Sie konnte sich nicht kratzen, wenn die Kopfhaut kribbelte, sie war zu einem Neutrum geworden.

            Anna Fjodorowna, Geschäftsfrau und reich, sehr reich, war genau dort, wo sie immer sein wollte, in der Raumfähre Sojus. Sie flog zur Internationalen Raumstation.
             T minus 30 

Hart hatte sie für diesen Augenblick gearbeitet. Die Tage im Sternestädtchen würde sie nie vergessen können. Das tägliche Training in der größten Zentrifuge der Welt war quälend. Bis zum zwölffachen der Erdschwerkraft hätte simuliert werden können. Der Parabelflug mit der Iljuschin schenkte ihr dreißig Sekunden lang lustvolle Momente der Schwerelosigkeit. Sie lernte den erfahrenen Piloten Sergej kennen und die beiden Bordingenieure John und Mark, die sie zur Station bringen sollten. Der quirlige Mediziner Carlos gehörte ebenso zu ihrer Gruppe.
             T minus 10 

Annas Herz schlug schneller. Der Countdown bewegte sich zielstrebig dem Startpunkt entgegen. Es gab kein zurück.
            9 … 8

»Mutter, du kannst stolz auf deine Tochter sein. Ich erfülle deinen Traum. Es ist zwar nicht der Mond, wie bei Jules Vernes, aber es ist der Weltraum. Schade, dass du es nicht mehr erleben kannst«, ging es Anna durch den Kopf.
            5 … 4

»Mutter, vielleicht treffe ich deine Seele dort oben.«
            2 … 1 … Start!

Die Triebwerke brüllten, die Trägerrakete zitterte, bebte, schüttelte sich wie ein ungebärdiges Fohlen und löste sich von der Startrampe. Sie entfaltete ihre Kräfte. Donnernd, einen Flammenschweif in den Himmel brennend, schraubte sie sich aufwärts. Anna wurde mit dem Zweifachen der Erdan-ziehungskraft unerbittlich in ihren Sessel gedrückt und zusammengepresst. Sie hatte Mühe zu atmen, fühlte sich hilflos und den unbändigen Kräften völlig ausgeliefert. Keine zehn Minuten und die Erdanziehung war aufgehoben worden. Die Trägerrakete gab die Kapsel in den Weltraum frei.

            »Wir sind oben. Ich bin schwerelos«, jubilierte es in Anna. Plötzlich wurde es ihr hundeelend. Ihr Gleichgewichtssinn spielte verrückt, der Magen krempelte sich um. »Was ist oben, was ist unten?«, fragte sie sich. »Hatte es sich beim Parabelflug nicht besser angefühlt und Spaß gemacht?«

»Anna, erinnere dich an Einstein. Alles ist relativ. Suche dir einen festen Bezugspunkt«, rief sie sich zur Ordnung. Ihr fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Sie fühlte sich wie auf der »Queen Mary 2« im Atlantik während der Herbststürme.

            Sergej und die Bordingenieure John und Mark spulten mittlerweile ihre Checks ab.

Anna kämpfte immer noch mit ihrer Raumkrankheit und schaute zaghaft in den Weltraum, aber ihr Magen drehte sich wieder und wieder um.

            Zwei Tage würden sie zur Station unterwegs sein. Langsam, sehr langsam ging es mit ihr aufwärts, gewöhnte sich ihr Körper an die Schwerelosigkeit. Ihr Gesicht fühlte sich trotz allem aufgeschwemmt an, da sich ihre Adern mit ihrem Blut bei Null-G ausdehnten.

            Die Kapsel näherte sich dem Ziel. Sergej synchronisierte ihre Umlaufbahn mit der der Raumstation. Anna war neugierig und schaute aus der Luke. Enttäuscht wendete sie sich wieder ab. Nur schlaglichtartig öffneten sich kleine Blickfelder gerade beleuchteter Teile und fügten sich nicht zu einem Ganzen zusammen. Die Kapsel dockte an, die Luftschleuße wurde geöffnet. Lächelnde Gesichter blickten sie an: »Willkommen.«

Anna glitt in die Station hinein: »Strastwutje, menja sawut Anna. Hi, ich bin Anna.«

Ein jungenhaftes Gesicht strahlte ihr entgegen: »Willkommen, Anna, Willkommen bei uns. Ich bin Swen, der Biologe. Ich kümmere mich um dich.«

»Hallo Swen, ich freu’ mich drauf.«

»Anna, komm mit, ich zeige dir das Wohnmodul. »Swjesda«, der Stern, heißt es. Lass uns dorthin schweben.«

            Anna bewegte sich vorsichtig: »Nur keine hastigen Bewegungen, immer langsam.« Das hatte sie im Sternenstädtchen gelernt. Im »Stern« schaute sie sich um. Hier war die Küchenecke, dort die Hygienezelle und da war ihr Bett. Sie probierte es sofort aus. »Ans Bett stellen und anschnallen, damit ich im Schlaf nicht abdrifte«, deklamierte Anna im Innern, »Alles ist relativ, der richtige Bezugspunkt und ich liege.«

            »Anna, schau dich in Ruhe um. Ich bin im Labor »Destiny«. Besuche mich dort später. Ich zeige dir, woran ich arbeite«, verabschiedete sich Swen.

            Anna nickte, trieb zum Fenster, hakte sich dort fest und kam ins Träumen: »Ich stehe hier oben, nur getrennt durch die Wand der Station von einer lebensfeindlichen schwarzen Kälte, tödlich für Menschen. Unter mir ist der blaue Planet. Wolken ziehen drüber weg, weiße Schwaden, gerade dort, wo der Äquator ist. Wie klein und zerbrechlich erscheint diese Welt. Ich sehe von hier oben keine weißen, schwarzen oder gelben Menschen, keine Christen, Muslime oder anders Denkende. Vor mir breitet sich nur die Erde aus, ein warmer Türkis im abweisenden Dunkel des Alls. Ein einsamer Ball inmitten der Unendlichkeit. Dort sehe ich die große chinesische Mauer, ganz deutlich. Die Erde erscheint von hier aus friedlich. Hass und Kriege sind weit weg. Vielleicht könnten die Menschen ihre Feindseligkeiten begraben, wenn sie, wie ich, hier oben stünden und auf die Erde hinab schauten und sich von ihrer Schönheit beeindrucken ließen. Möglicherweise würden sie dann diesen Erdball in seiner Verletzlichkeit mehr achten.« Anna spann ihre Gedanken weiter: »Mutter, wie schön wäre es, wenn du das alles erleben könntest. Es ist faszinierender als du es dir vorgestellt hattest. Aber vielleicht bist du mit mir in einer Umlaufbahn? Vielleicht hat dich eine Energiewolke aufgenommen? Wer weiß.

-         Gerade zog Australien an ihr vorbei. –

Werden die Menschen dort die Raumstation sehen können? Werden sie nach oben schauen, mit den Fingern nach uns zeigen und zu ihren Kindern sagen: Dort fliegt die Internationale Raumstation. Ist sie nicht ein wunderschöner heller Stern?«

Anna erinnerte sich an Swens Einladung. Sie stieß sich vom Fenster ab, etwas zu heftig, rollte gleich kopfüber, kopfunter und prallte an den Leitungen der gegenüberliegenden Wand ab, wie ein Gummiball. Anna griente: »Actio gleich reactio. Das wusste schon Newton.« Vorsichtig lavierte sie durch die schma-len Gänge bis sie im Labor war.

            »Hi, Swen, hier bin ich.«

»Fein, Anna. Schau dir das mal an. Das ist schon die zweite Saat.« In Swens Stimme war der Stolz über das gelungene Experiment unüberhörbar.

            »Was machst du da?«

»Wenn die Menschen einmal im Weltraum leben wollen, brauchen sie Pflanzen zur Nahrungs- und Sauerstoffproduktion.«

            »Und das leistet dieses Grünzeug? Ist es nicht zu klein dafür?«

»Noch Anna, noch. Es ist nicht so leicht, die richtigen Gewächse zu finden. Hier in der Schwerelosigkeit wissen die Pflanzen nicht, in welche Richtung sie ihre Keime, Sprossen und Wurzeln ausrichten müssen. Nur ganz robuste, wie dieses Hornkraut, verkraften die Bedingungen. Wir erforschen, welche Gene für das Wachstum verantwortlich sind.«

            »Das ist aufregend, Swen. Aber wäre es nicht besser, wir würden künstliche Schwerkraft generieren?« 

            »Da hast du natürlich Recht, Anna. Aber unsere Physiker sind noch nicht soweit.«

Annas Magen begann zu knurren: »Wollen wir etwas essen gehen?«

»Einverstanden, Anna.«

Beide hangelten sich an den Stationsleitungen entlang in den Gemeinschaftstrakt.

            »So, was haben wir hier?«, Swen kramte in einem Behälter, »eine leckere Tube Menü Nummer eins oder eine Menü Nummer zwei?« Swen schaute dabei Anna verschmitzt an. Lachend ließ sich Anna mit dem Menü Nummer zwei verwöhnen. Carlos, der Mediziner, gesellte sich zu den Beiden.

            »Hallo Carlos.«

»Grüß dich Anna.«

            »Sag mal Carlos. Hast du schon mit deinen Forschungen begonnen? Wolltest du nicht die Auswirkungen der kosmischen Strahlen auf uns Menschen studieren? Entsinne ich mich da richtig?«

            »Ja, Anna. Ich möchte wissen, ob ein erhöhtes Krebsrisiko für Raumfahrer besteht. Das wäre wichtig, wenn wir zum Beispiel auf den Mars fliegen wollten.«

            »Dann viel Glück bei deinen Forschungen.«

»Danke, Anna. Ich kann es brauchen.«

            Nach der Mahlzeit zog es Anna wieder zum Fenster mit dem Blick ins All.

Gedankenverloren sah Anna hinab: »Dort ist Russland. Meine Heimat. So groß, aber auch wieder so klein von hier oben.« Ein warmes Gefühl von Nähe in der Ferne bemächtigte sich ihrer. »Was bin ich doch für ein Glückspilz«, ging es ihr durch den Kopf, »Ich kann von hier oben auf die Erde hinabblicken. Ich erlebe wahrhaft das größte Abenteuer, was ein Mensch heutzutage erleben kann. Wird mich dieser Aufenthalt hier oben verändern?

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Susan
Ich denke positiv, in leisen Tönen.

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Susan Re: sehr bildhaft -
Zitat: (Original von Forticus am 30.08.2008 - 01:30 Uhr) erinnert mich ein an einen Comic.
Und, wird sie sich verändern ?


Weiß ich noch nicht. Ich bin kein Comic-Leser, deshalb weiß ich das nicht.
Vor langer Zeit - Antworten
Forticus sehr bildhaft - erinnert mich ein an einen Comic.
Und, wird sie sich verändern ?
Vor langer Zeit - Antworten
Susan Re: sehr schön -
Zitat: (Original von aerztefan1412 am 08.08.2008 - 20:52 Uhr) eine wunderschöne geschichte
gefällt mir
gruß
marina


Vielen Dank, hat mir auch Spaß gemacht
Vor langer Zeit - Antworten
Susan Re: also -
Zitat: (Original von Nera200 am 08.08.2008 - 21:00 Uhr) mir hat das wirklich gut gefallen wenn ich sagen darf


Dankeschön.
Vor langer Zeit - Antworten
Nera200 also - mir hat das wirklich gut gefallen wenn ich sagen darf
Vor langer Zeit - Antworten
aerztefan1412 sehr schön - eine wunderschöne geschichte
gefällt mir
gruß
marina
Vor langer Zeit - Antworten
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