Ohne Heimat, ohne Leben. Ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Nur eine Zeichnung, ein Traum. Und ein Mädchen, die scheinbar über alles Bescheid weiß ... An Jana
Es war kalt. Zu kalt für diese Jahreszeit.
Und niemand wusste, wie lange Serafina noch leben würde.
Alle Ritter, oder die, die es mal werden wollten, hatten sich im Thronsaal des Feuerdrachen versammelt, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren.
Myron stand bei den anderen Knappen und starrte vor sich auf den kahlen Steinboden. Er hatte alles getan was er konnte, um Serafina zu heilen. Er war in das Gebirge gestiegen, um ihr die angeblich wunderwirkenden Kräuter zu besorgen, er hatte die Drachen angefleht und dafür seine ewige Knechtschaft versprochen, wenn sie Serafina nur heilen würden. Er hatte alles getan, doch nichts hatte geholfen.
König Mac saß schweigend auf seinem Thron und schaute traurig auf die versammelten Leute, die sich vor den Stufen seiner kleinen Empore zu einer Ehrerbietung niederließen. Auch er hatte so gut wie alles versucht, seine Tochter jedoch nicht retten können. Die Krankheit war einfach zu stark.
  „Es wird ein schwerer Verlust sein, für uns alle!“, sagte Berater Lion in die Stille hinein, als sich alle wieder erhoben hatten. „Wir werden Prinzessin Serafina sehr vermissen!“
Selbst die besten Heilerrinnen konnten sie nicht gesund machen. Sogar eine von diesen Hexen, die unterhalb der Burg lebten und von den Drachen eigentlich mehr als verabscheut wurden, hatte es versucht. Doch ohne Erfolg.
  „Sie darf nicht sterben!“, rief Myron aus und alle drehten sich zu ihm um. Er hatte Serafina schon mal das Leben gerettet und er würde es wieder tun. „Gibt es denn keine andere Möglichkeit mehr?“
  „Junger Ritter, wir wissen, wie sehr Sie sich wünschen, dass Prinzessin Serafina gesund wird und wir wissen auch, dass Sie alles dafür tun würden, aber …“, Lion seufzte, „wir haben schon alles getan, was wir konnten!“
  „Aber es muss doch noch etwas geben!“
  „Es gibt nichts mehr, was sie noch heilen könnte!“
  „Aber …“
  „Genug!“, wurde er von König Mac unterbrochen. Der Schmerz war ihm ins Gesicht geschrieben. Er hatte schon seine Frau verloren, bei der Geburt ihrer Tochter. Und jetzt sollte er noch Serafina verlieren.
Eine Weile war es still ihm Saal, keine traute sich etwas zu sagen.
Plötzlich ging die Saaltür auf und die Hexe, die schon versucht hatte, die Prinzessin zu heilen, stolzierte herein. Sie war eingepackt in einen Wintermantel und an ihren Fellstiefeln klebte noch Schnee.
Sie ging durch die sich zwischen den Rittern und Beratern bildende Gasse nach vorn zum Thron und blieb dort stehen. Eine Weile sagte sie nichts.
  „Was wollt Ihr, Sorla?“, fragte der König.
  „Euch einen Vorschlag machen“, sagte die Hexe und entblößte ihre schlechten Zähne.
  „Und welcher?“, fragte Lion.
  „Wie ihr eure Prinzessin retten könnt!“
Geraune ging durch den Saal und Myron reckte den Hals, um von hinten besser sehen zu können. Es gab also doch noch eine Möglichkeit.
  „Sprecht!“, bat Mac und nickte Sorla zu.
Die Hexe schaute nach rechts und links, zog dann ein altes Stück Pergament aus der Tasche und legte es auf den Boden, sodass der König erkennen konnte, was darauf zu sehen war; Eine Karte des Feuergebirges. Das Gebirge, in das sich niemand hineintraut.
  „In den höchsten Wipfeln des Feuergebirges gibt es eine Pflanze, dessen Saft heilende Kräfte besitzt. Wenn ihr diesen Saft in einem aus Diamanten gegossenen Gefäß zu eurer Prinzessin bringt und sie davon trinken lasst, wird ihre Krankheit verschwingen und sie wird gesund werden. Das Einzige was bleiben wird, sind Narben ihrer Verletzungen …“ Sie schwieg und eine Weile dachte jeder darüber nach.
  „Was ist das für eine Pflanze?“, fragte Lion irgendwann und sprach damit die Frage aus, die allen auf den Lippen brannte.
Sorla grinste böse und aus ihrer Kehle klang ein Gurgeln, welches wie ein unterdrücktes Lachen klang.
  „Die Feuerblume!“
  „Die Feuerblume? Die Feuerblume?“, fragte Lion.
  „Ja!“, Sorlas Grinsen verschwand und ihr Gesicht wurde wieder ernst. Mac erkannte sofort, was das bedeutete.
  „Was ist der Haken an der Sache?“, fragte er.
  „Abgesehen von den Schneestürmen, den gefährlichen Tieren und den unheimlichen Schluchten, die zu überwinden sind, um zur Höhle der Feuerblume zu gelangen?“, die Hexe schüttelte den Kopf und drehte sich zu den ganzen Versammelten. „Die Hexen werden verfolgt, gefoltert und auch getötet. Wir kämpfen ums nackte Ãœberleben, werden gehasst, obwohl wir nichts Böses tun.
  Wenn ich euch die Karte und gewisse Hilfsmittel zur hoffentlich erfolgreichen Suche nach der Feuerblume überlasse, erwarte ich eine Gegenleistung!“
  „Und die wäre?“, fragte Mac ungeduldig. Sorla drehte sich wieder zu ihm und das Grinsen erschien wieder auf ihrem narbigen Gesicht, diesmal aber nicht ganz so bösartig.
  „Ich will ein Mädchen, welches ich zu mir nehmen und unterrichten kann. Welchem ich das Hexenhandwerk beibringen und so unser Fortbestehen in der nächsten Generation versichern kann.Â
  Dieses Mädchen wird direkt nach der Geburt zu mir gebracht, noch bevor es das erste Mal gestillt wurde. Dann wird es ihre Kindheit bei mir verbringen, bis ich ihr mit zwanzig Jahren das Geschenk der Freiheit mache!“
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Eine halbe Stunde nach der Versammlung lief König Mac unruhig den Gang vor Serafinas Zimmer auf und ab und dachte über das Angebot Sorlas nach.
Es würde sich eine Mutter finden, die bereit war, ihre Tochter für Serafina zu opfern, keine Frage. Wahrscheinlich eine der Mägde, die sich von einem der königlichen Wachen hat verführen lassen und sowieso nichts mit einem Kind anfangen kann. Davon gab es genug hier im Schloss.
Das Problem wäre eher die Reise ins Feuergebirge, um die Feuerblume zu finden. Dafür benötigte es mutige, starke Männer, die ihr Leben für die Rettung der Prinzessin geben würden. Und ob sich da genug finden würde, dass so eine Reise verantwortlich wäre …
  „Mein König“, kam es vom einem Ende des Gangs. Myron stand in der Zweiflügeltür und wartete, dass ihn der König heranwinkte.
  „Ah, du bist es Myron. Komm näher!“
Der sechzehnjährige Knappe schritt langsam, die Hand auf den Knauf seines Schwertes gelegt, auf den Herrscher des Landes zu und verbeugte sich.
  „Was wünschst du, junger Ritter?“, fragte der König, obwohl er es insgeheim schon wusste.
  „Ich bitte um die Erlaubnis, die Feuerblume suchen zu dürfen, mein König!“, sagte Myron und kniete sich vor Mac. „Ich habe ein paar Freiwillige gefunden, die mit mir die Feuerblume suchen würden!“
Eine Weile sagte keiner der beiden etwas und Myron hielt den Kopf gesengt. Irgendwann legte König seine Hände auf die Schultern des Knappen und bat ihn, aufzustehen. Er betrachtete ihn, von oben bis unten; Kurzes, dunkles Haar, dunkle feurige Augen, markante Wangenknocken. Breite Schultern und muskulöse Oberarme. Das dunkelrote Wams, welches er über dem schwarzen Hemd trug, war an den Seiten mit kleinen Lederriemen verschlossen und verdeckte die Züge seines starken Oberkörpers.
Die schwarze Lederhose lag eng an den flinken Beinen an und die Hosenbeine steckten in schwarzen Schaftstiefeln. Seinen Umhang hatte er abgelegt, sodass man seinen Dolch, wie auch die kleine Ledertasche und das Schwert sehen konnte.
  „Ich weiß deine Eifer und deine Liebe zu meiner Tochter wirklich zu schätzen und ich bin mit sicher, dass du alles für sie tun würdest, aber ich weiß nicht, ob ich so eine gefährliche Reise verantworten kann. Wenn ihr dabei umkommt, dann lasst ihr trauernde Familien zurück, die die Schuld an eurem Tod dann bei mir suchen und … ach ich weiß doch auch nicht, Myron. Du bist tapfer, sehr tapfer und ich hatte schon einen Grund, weshalb du Knappe bei meinem besten Ritter geworden bist, aber so etwas …“, der König seufzte und strich sich über das Gesicht.
  „Dann geben Sie mir die Verantwortung!“, meinte Myron schnell und schloss die Hand um seinen Schwertgriff. „Ich werde die Verantwortung über die Männer übernehmen und dafür gerade stehen, wenn ihnen etwas passiert!“
  „Das würde aber auch bedeuten, dass du dich für sie opfern müsstest, wenn ihnen etwas Schlimmes passiert und …“
  „Das werde ich tun, mein König!“, der Knappe nickte schnell. „ich werde alles tun, wenn wir nur die Feuerblume finden und ihren Saft zu Serafina bringen können!“
Eine Weile war es still zwischen den beiden und man sah König Mac deutlich an, dass er mit sich selbst und seiner Verantwortung als König kämpfte.
Irgendwann hob er die Hände. „Also gut. Ich werde euch gehen lassen.
  Aber ich werde euch so viel wie möglich Unterstützung mit geben. Ich bitte die Drachen, euch zu begleiten. Ich lasse euch nicht alleine in das Feuergebirge!“
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Am nächsten Morgen stattete Myron Serafina noch einen Besuch ab. Wenn man es Besuch nennen konnte, denn die Prinzessin lag im Fieberwahn. Ihr Gesicht war bleich, ihre Lippen farblos und auf der Stirn stand kalter Schweiß. Ihre Augen waren geschlossen.
Myron setzte sich zu ihr ans Bett und nahm Serafinas eiskalte Hand. Zu gern hätte er ihr gesagt, dass er losziehen würde, um den heilenden Saft der Feuerblume zu finden, aber das hätte keinen Sinn gehabt. Sie hätte ihn sowieso nicht gehört.
  „Ich komme wieder …!“, flüsterte Myron ihr zu und küsste sie vorsichtig auf die farblosen Lippen. „Das verspreche ich dir!“